ESM vs. Karlsruhe – Business as usual

Wie erwartet, hat Karlsruhe die ESM-Unterzeichnung abgesegnet, wenn auch mit kleinlauten Vorbehalten.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Deutsch­land soll dem­nach also “nur” mit dem Sümm­chen von 190 Mil­li­ar­den Euro­nen haf­ten; dar­über hin­aus gehen­de Zah­lun­gen müs­sen vom Bun­des­tag bewil­ligt wer­den. Gut, als Laie fra­ge ich mich, ob das bedeu­tet, daß nun der Ver­trags­text für Deutsch­land ent­spre­chend umge­schrie­ben wird, damit er ver­fas­sungs­kom­pa­ti­bel sei.

Die­ter Stein kom­men­tiert in der Jun­gen Frei­heit:

Es ent­spricht der Tra­di­ti­on des höchs­ten deut­schen Gerich­tes, Ver­trä­ge zur euro­päi­schen Inte­gra­ti­on Deutsch­lands ent­spre­chend der Prä­am­bel des Grund­ge­set­zes wohl­wol­lend-zustim­mend zu behan­deln und immer wie­der ledig­lich ein­ge­schränk­te Vor­be­hal­te und schwa­che Brem­sen hin­sicht­lich der vom Grund­ge­setz defi­nier­ten Gren­zen zu formulieren.

Wie bei der Ent­schei­dung zum Maas­tricht-Ver­trag erfolg­te auch jetzt ein schwam­mi­ges „Ja, aber.“ Wenn man zuvor mit Klä­gern gespro­chen hat, so deu­te­te sich schon an, daß der jetzt von den Karls­ru­her Rich­tern for­mu­lier­te völ­ker­recht­li­che Vor­be­halt das äußers­te rea­lis­tisch erreich­ba­re Ziel sei.

Den­noch wur­den dem bedin­gungs­lo­sen Ermäch­ti­gungs­ge­setz, wie der Euro-Kri­ti­ker Frank Schäff­ler (FDP) erklär­te, eini­ge wich­ti­ge „Zäh­ne gezo­gen“: Die Haf­tungs­sum­me Deutsch­lands wird auf 190 Mil­li­ar­den Euro begrenzt. Erneut wird auch der Bun­des­tag gestärkt, denn jede wei­te­re Erhö­hung der Haf­tungs­sum­me muß künf­tig von den Abge­ord­ne­ten abge­seg­net wer­den. Zwar winkt der Bun­des­tag der­zeit jeden neu­en Ret­tungs­schirm durch – es ist jedoch dem deut­schen Sou­ve­rän, den Wäh­lern, vor­be­hal­ten, bei den nächs­ten Bun­des­tags­wah­len Par­tei­en zu stär­ken, die die jet­zi­ge Euro-Ret­tung ablehnen.

Was natür­lich soviel heißt, daß der deut­sche Wäh­ler vor die gran­dio­se Wahl gestellt ist, in Zukunft mas­sen­haft für Die Lin­ke und die NPD zu stim­men, wenn er irgend­et­was ändern will. Denn schon im Vor­feld hat sich gezeigt, daß die Mas­se der momen­tan im Par­la­ment sit­zen­den Volks­ver­tre­ter unge­fähr soviel Wider­stands­wil­len gegen die Preis­ga­be der deut­schen Sou­ve­rä­ni­tät und Finanz­ho­heit auf­zu­brin­gen imstan­de oder gewillt ist wie eine Her­de toter Scha­fe. Die Bun­des­tag-Zom­bies sagen ohne­hin zuver­läs­sig geschlos­sen Ja und Amen zu allem, was Brüs­sel von ihnen ver­langt. Inso­fern ist die von Karls­ru­he ver­lang­te Klau­sel “aa scho wuascht” wie man in Wien sagt.

Pro-for­ma-Oppo­si­tio­nel­le wie Horst See­ho­fer (CSU) oder Cars­ten Schnei­der (SPD) geben nun auch klein bei, begnü­gen sich mit der Spat­zen­fe­der in der Hand und ver­su­chen, das Urteil schön­zu­bie­gen, weil das Glas doch wenigs­tens halb­voll geblie­ben sei:

Bay­erns Minis­ter­prä­si­dent Horst See­ho­fer (CSU) begrüßt das Urteil. Damit sei klar, dass Deutsch­land sich für das Aus­land nicht unbe­grenzt ver­schul­den dür­fe, sagt er in Jeru­sa­lem. “Ich glau­be, dass das ein sehr logi­scher Schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts ist, eine Gren­ze für die Ver­schul­dung nicht nur im Inland, son­dern auch im Aus­land zu set­zen.” Die Leis­tungs­fä­hig­keit Deutsch­lands dür­fe nicht über­for­dert wer­den. “Weil wir sonst die Axt an Wohl­stand und Arbeits­plät­ze legen.” Das Gericht habe wie­der ein­mal bewie­sen, dass es in einer schwie­ri­gen Situa­ti­on sehr gute Urteil fälle.

Die Welt berich­tet unter­des­sen, daß Mer­kel und Kon­sor­ten die­se Ent­schei­dung “fei­ern” (ich male mir das gera­de aus, mit sprin­gen­den Sekt­kor­ken und grin­sen­den Sie­ger­mäu­lern), aber weni­ger à la See­tha­ler, weil gott­sei­dank noch ein streich­holz­di­cker Vor­be­halts­rie­gel­rest zuge­stan­den wur­de, son­dern eher, weil die Karls­ru­her “Arsch­lö­cher” (Her­bert Weh­ner dixit) rela­tiv streß­frei den Weg geräumt haben und ihnen nicht ihre schö­ne “Poli­tik kaputtmachen”.

Ihr Auf­at­men ist unüber­hör­bar, und der Sarg­de­ckel wird mit den übli­chen nord­ko­rea­nes­ken Lügen­phra­sen zugenagelt:

Bun­des­kanz­le­rin Ange­la Mer­kel (CDU) lobt die Ent­schei­dung aus Karls­ru­he: “Deutsch­land sen­det heu­te ein star­kes Signal nach Euro­pa und dar­über hin­aus.” Deutsch­land neh­me damit sei­ne Ver­ant­wor­tung als größ­te Volks­wirt­schaft in der Bun­des­re­pu­blik wahr. “Es ist ein guter Tag für Deutsch­land, und es ist ein guter Tag für Europa.”

“Mit dem kla­ren und ein­deu­ti­gen Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts sind wir dem Ziel, den Euro sta­bil zu hal­ten, einen wich­ti­gen Schritt näher gekom­men”, sagt Rös­ler. “Damit ist der Weg für die Rati­fi­zie­rung des ESM, auch des Fis­kal­pakts. Mit bei­den schaf­fen wir ein sta­bi­les Boll­werk rund um den Euro.”

Der SPD-Vor­sit­zen­de Sig­mar Gabri­el wer­tet die Ver­fas­sungs­ge­richts­ent­schei­dung zum Euro-Ret­tungs­schirm als “gute Nach­richt für Mil­lio­nen Arbeit­neh­mer in Deutschland”.

Das Aus­wär­ti­ge Amt twit­tert: “Wes­ter­wel­le zu BVerfG & ESM: Das ist eine klu­ge Ent­schei­dung im pro-euro­päi­schen Geist unse­rer Verfassung.”

SPD-Frak­ti­ons­chef Frank-Wal­ter Stein­mei­er begrüßt die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zum Euro-Ret­tungs­schirm ESM begrüßt. “Damit kann der soge­nann­te ESM end­lich sei­ne Arbeit auf­neh­men, kann sei­nen Bei­trag leis­ten für die Sta­bi­li­sie­rung bei den Schwie­rig­kei­ten in der Euro-Zone”, sagt er in der ARD.

Bun­des­tags­prä­si­dent Nor­bert Lam­mert (CDU) lobt in einer Stel­lung­nah­me die “dop­pel­te Klar­stel­lung” des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts. Zu begrü­ßen sei ers­tens die Fest­stel­lung, dass die vom Bun­des­tag beschlos­se­nen Ver­trä­ge zu ESM und Fis­kal­pakt ver­fas­sungs­kon­form sei­en. Zwei­tens lobt Lam­mert die Bestä­ti­gung des Gerichts, “dass der Bun­des­tag mit sei­ner Zustim­mung zu die­sen ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen weder sei­ne ver­fas­sungs­recht­li­chen Zustän­dig­kei­ten im All­ge­mei­nen noch sei­ne haus­halts­recht­li­chen Kom­pe­ten­zen und sei­ne Bud­get­ver­ant­wor­tung im Beson­de­ren an euro­päi­sche Insti­tu­tio­nen oder Orga­ne abge­tre­ten hat”.

Grü­nen-Bun­des­tags­frak­ti­ons­chef Jür­gen Trit­tin sagt der ARD: “Das ist ein gutes Urteil”. Es habe die Auf­fas­sung der Mehr­heit des Bun­des­tags bestä­tigt, dass der euro­päi­sche Fis­kal­pakt und der dau­er­haf­te Euro-Ret­tungs­schirm ESM mit dem Grund­ge­setz ver­ein­bar seien.

Vol­ker Beck, Par­la­men­ta­ri­scher Geschäfts­füh­rer der Grü­nen-Bun­des­tags­frak­ti­on, twit­tert nur ein Wort: “Uff!”

Fühlt sich nun irgend­ein ande­rer Mensch in Deutsch­land, der nicht Par­la­men­ta­ri­er und Poli­ti­ker einer der eta­blier­ten Par­tei­en ist, ähn­lich erleich­tert und in zukunfts­freu­di­ger Par­ty­stim­mung? Oder ist uns nicht eher mul­mig zumu­te? Wie­der ein­mal offen­bart sich die tie­fe Kluft zwi­schen den Herr­schen­den und ihrem Wahlvolk.

Um die Far­ce kom­plett und die Lage noch unüber­sicht­li­cher zu machen, kommt nun noch eine klei­ne Kom­pli­ka­ti­on hin­zu. In den Nach­rich­ten liest man:

Abge­lehnt wur­de auch der Eil­an­trag Gau­wei­lers, dem Bun­des­prä­si­den­ten so lan­ge zu unter­sa­gen, das Gesetz zum ESM-Ver­trag zu unter­zeich­nen, bis die Euro­päi­sche Zen­tral­bank ihre Ankün­di­gung, unbe­grenzt Staats­an­lei­hen von ange­schla­ge­nen Euro-Staa­ten auf­zu­kau­fen, zurück­ge­nom­men habe. Gau­wei­ler habe hier­für kei­ne aus­rei­chen­de Begrün­dung gelie­fert, sag­te der Prä­si­dent des Gerichts, Andre­as Voßkuhle.

Hat er nicht? Noch­mal Die­ter Stein:

Sowohl der ESM als auch die Ent­schei­dung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes sind seit dem 6. Sep­tem­ber Maku­la­tur. An die­sem Tag ent­schied die Euro­päi­sche Zen­tral­bank gegen den Wil­len des deut­schen Rats­mit­glieds, Bun­des­bank­prä­si­dent Jens Weid­mann, den unbe­grenz­ten Auf­kauf von Staats­an­lei­hen ange­schla­ge­ner Euro-Staa­ten. Seit dem lau­fen die Geld­druck­ma­schi­nen auf Hoch­tou­ren und der ESM ist damit überholt.

Und Mario Fleisch­mann kom­men­tiert auf eigen­tüm­lich frei:

Am 6. Sep­tem­ber hat­te der EZB-Rat ange­kün­digt, er wol­le Staats­an­lei­hen in unbe­grenz­ter Höhe auf­kau­fen, falls dies nötig wer­den soll­te. Um die­se umstrit­te­ne Ent­schei­dung und im Prin­zip direk­te Staats­fi­nan­zie­rung  durch Geld­men­gen­aus­wei­tung zu legi­ti­mie­ren, stell­te der EZB-Rat eine Bedin­gung: Län­der, deren Anlei­hen von der EZB gekauft wer­den sol­len, müss­ten bereits am Reform- oder Kon­so­li­die­rungs­pro­gramm des ESM teilnehmen.

Der Rat sieht es aller­dings bereits als aus­rei­chend an, wenn ein Land die soge­nann­te „Enhan­ced Con­di­ti­ons Cre­dit Line“, kurz „ECCL“ nutzt und dabei Anlei­hen­käu­fe durch die EFSF/ den ESM vor­ge­se­hen sind.

Die ECCL bedeu­tet Kre­di­te für jene Län­der, die auf­grund unso­li­der Schul­den­po­li­tik hohe Kre­dit­kos­ten zah­len müs­sen. Um sie zu erhal­ten, müs­sen die Län­der Spar- und Reform­auf­la­gen erfül­len, deren Gestal­tung jedoch der Will­kür der Poli­tik obliegt.

Dr. Pol­leit (Degus­sa-Chef­volks­wirt) schreibt wei­ter, dass die Kon­struk­ti­on dar­auf hin­aus­lau­fen wer­de, dass ein Land schon dann einen ECCL-Kre­dit bekom­men wird, wenn es ledig­lich ver­spricht, die vor­ge­ge­be­nen Reform­zie­le ein­zu­hal­ten. Auch sei die gefor­der­te Begren­zung des ESM auf 190 Mil­li­ar­den damit kein Hin­der­nis mehr für unbe­grenz­te Anlei­hen­käu­fe der EZB.  Schon sehr klei­ne ESM-Kre­di­te wür­den aus­rei­chen, um die Anfor­de­run­gen für die EZB zu erfül­len, Anlei­hen­käu­fe zu star­ten. Somit sei der ESM die Bedin­gung für die EZB, nahe­zu will­kür­lich Anlei­hen von Schul­den­staa­ten durch Aus­wei­tung der Geld­men­ge zu kau­fen. Damit wären end­gül­tig alle Wei­chen für eine Poli­tik der Euro-Infla­tio­nie­rung gestellt.

Ste­fan Geor­ge twit­ter­te dazu:

Ihr baut ver­bre­chen­de an maass und grenze:
“Was hoch ist kann auch höher!” doch kein fund
Kein stütz und flick mehr dient .. es wankt der bau.
Und an der weis­heit end ruft ihr zum himmel:
“Was tun eh wir im eig­nen schutt ersticken
Eh eig­nes spuk­ge­bild das hirn uns zehrt?”

Und ich “feie­re” die­sen Tag mit einem Schla­ger von Minis­try:

Thie­ves! Thie­ves and liars! Murderers
hypo­cri­tes and bastards!

Hey, thanks for nothing!
Morals in the dust
Two-faced bas­tards and sycophants
No trust!

Thie­ves! Liars!
Insi­de, out­side, which side, you don’t know
my side, your side, their side, we don’t know
which side are they? which side are they?
Which side of their mouth do you sup­po­se that it came?

[youtube:https://www.youtube.com/watch?v=dLCZhQX_Fm0]

 

Buch­tip: Fried­rich Romig, ESM – Ver­fas­sungs­putsch in Europa

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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