Deutschland?

Wir Ostdeutschen, also wir Ex-DDRler, haben 1989, als wir dem Super-Markt beitraten, unsere Heimat abrupt verloren. Haben wir eine neue gefunden?

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

Wenn ich als Ange­hö­ri­ger der Grenz­trup­pen der DDR im letz­ten Kapi­tel des Kal­ten Krie­ges über die Elbe nach Wes­ten sah, dach­te ich: Das dort drü­ben ist nicht nur das grö­ße­re und mäch­ti­ge­re, son­dern vor allem das alte, das geschicht­lich so rei­che Deutsch­land, stau­fi­scher, ja karo­lin­gi­scher Boden. Nicht ein bes­se­res, nicht ein ande­res Land, son­dern das so viel­ge­stal­ti­ge, jedoch nur gemein­sam auf­zu­fas­sen­de Reich, einig im Verschiedenen.

Divers, wie man heu­te wohl sagen wür­de, viel­far­big in sei­nen Ter­ri­to­ri­en, dabei aber eines. Das hei­li­ge Deutsch­land, ja. Ich mein­te, das bei den Bli­cken über die Elbe tief nach­füh­len zu kön­nen, schon weil ich mich deut­scher Kul­tur und Spra­che wahr­lich iden­ti­tär nicht nur ver­bun­den fühl­te, son­dern ohne die­ses Erbe für mich selbst nicht zu den­ken war. Das alles war und ist mir viel wich­ti­ger als jede gera­de zeit­wei­se herr­schen­de Staats­form hüben wie drüben.

Die Regie­rungs­for­men und Staats­auf­fas­sun­gen kamen und gin­gen; es blie­ben die Spra­che und die in sich viel­fäl­ti­ge, dabei aber deutsch­i­den­ti­tä­re Kul­tur, Lite­ra­tur, Phi­lo­so­phie, Wis­sen­schaft. Es blieb die gro­ße Schick­sals­ge­mein­schaft, die in der Mit­te Euro­pas ihre Hei­mat hat­te und dort ihre Kata­stro­phen durch­litt und ihre Chan­cen wahr­nahm. Man muß kein Roman­ti­ker sein, um Deutsch­land zu lie­ben; man darf es durch­aus als Realist.

Obgleich bewaff­net an die­ser selt­sam unheim­li­chen inne­ren Gren­ze ste­hend, war mir selbst­ver­ständ­lich, daß ich inner­lich mit mei­nem Den­ken und Füh­len zum gan­zen Deutsch­land gehör­te. Gar kei­ne Fra­ge. Eher hat­te ich die Wahr­neh­mung, die da drü­ben wür­den es viel­leicht anders sehen und uns hier als eine aus­ge­schlos­se­ne Ab- oder Unter­art emp­fin­den, schon weil sie sich demo­kra­ti­scher und frei­er wähn­ten und offen­bar rei­cher waren als wir.

Nur vier Jah­re nach mei­ner Ent­las­sung aus den Grenz­trup­pen gab es kei­ne Gren­ze mehr. 1990 schwamm ich im spä­ten Früh­jahr durch die Elbe, also durch das eins­ti­ge Schuß­feld. Das habe ich öfter wie­der­holt. Wenn man aus dem Buh­nen­feld her­aus war, etwa im Win­kel von drei­ßig Grad kräf­tig gegen den Strom die­ses Schick­sals­flus­ses ankrau­len, dann kam man schein­bar gera­de hinüber.

Vie­le von uns erwar­te­ten, in Deutsch­land anzu­kom­men, als uns die Geschich­te – Uns Ver­lie­rer? – ein­ge­holt hat­te; aller­dings stell­ten sich im Lau­fe der Jah­re Zwei­fel ein, so daß es nicht ver­wun­der­te, wür­de Deutsch­land heu­te nur noch als apo­stro­phier­ter Begriff gestat­tet sein oder etwa in der Wei­se als blo­ßer Wohn­ort ver­stan­den, wie sich das deut­sche Volk neu­er­dings auf die Bevöl­ke­rung redu­zie­ren soll.

Die Abschaf­fung der D‑Markt, die­ses star­ken Sym­bols, und die Ein­füh­rung des Euro erschien vie­len mei­ner ost­deut­schen Lands­leu­te ganz zu Recht als unheil­vol­les Mene­te­kel, einer­lei, wie oft ihnen vor­ge­rech­net wur­de, wir wären genau damit alle die Gewinner.

Ja, wir wis­sen um die Hin­ter­grün­de, ins­be­son­de­re um die von Frank­reich gestell­ten Bedin­gun­gen, wir wis­sen, wie über die EZB-Poli­tik der Süden von uns aus­ge­hal­ten wird; aber allein der Ver­lust der alten Geld­schein-Moti­ve offen­bar­te den Sieg des All­ge­mei­nen über das Beson­de­re, des Quan­ti­ta­ti­ven über das Qualitative.

Die offi­zi­el­le Bun­des­re­pu­blik, von der Bon­ner in die Ber­li­ner Vari­an­te gewan­delt und sich moder­ner, „welt­of­fe­ner“ und durch und durch geschichts­ge­läu­tert gebend, woll­te erst weni­ger, dann aber gar nicht mehr anknüp­fen an das, was die Nati­on his­to­risch, kul­tu­rell oder min­des­tens noch wirt­schaft­lich und poli­tisch aus­ge­macht hat­te. Sie ekel­te sich vor dem eins­ti­gen Vaterland.

Gel­tung hat­ten noch das Ham­ba­cher Fest, die Pauls­kir­che, viel­leicht Tei­le der Wei­ma­rer Ver­fas­sung, also die mür­ben libe­ra­len Ansät­ze des­sen, was man im neu­en Ber­lin dann aus­ge­formt wähn­te; fast alles ande­re, sogar umfang­rei­che Berei­che des Geis­tes­ge­schich­te, dar­un­ter selbst Kant, gal­ten als kon­ta­mi­niert und hat­ten daher nach­re­pa­riert, ummon­tiert und anders dekla­riert zu werden.

Es kam den Bestim­mern der Leit­li­ni­en erst dezent nach­denk­lich, dann aber bis ins Fana­ti­sche gestei­gert dar­auf an, rund­weg mit allem zu bre­chen, was noch als natio­nal auf­zu­fas­sen wäre. Deutsch­land soll­te in etwas Grö­ße­rem, ver­meint­lich Bes­se­rem ver­dünnt auf­ge­hen, in „Euro­pa“ min­des­tens, aber gleich­falls in einer Welt­ge­mein­schaft und Welt­bür­ger­schaft. Deutsch­land soll­te nur eines gefäl­ligst gar nicht mehr sein: Deutschland.

Was immer die DDR, die­ses selt­sa­me an den Ost­block ver­lo­re­ne Kind des Kal­ten Krie­ges, nun genau gewe­sen sein moch­te – anti­na­tio­nal war sie gera­de nicht. Auf ihre Wei­se woll­te sie sogar als die deut­sche Nati­on gelten.

Es hieß nach der Wen­de fer­ner, wir Ost­ler hät­ten uns jetzt auf eine Leis­tungs­ge­sell­schaft ein­zu­stel­len, die die Ver­ant­wor­tung für das eige­ne Glück kon­se­quen­ter­wei­se der eige­nen Kraft über­trü­ge und so unse­re Leis­tungs­be­reit­schaft voll her­aus­for­de­re. Risi­ko und Her­aus­for­de­rung, zu bewäl­ti­gen in Selbst­ver­ant­wor­tung, als Bedin­gun­gen der neu­en Frei­heit. Akzep­ta­bel! Gut so!

Aber nach dra­ma­ti­schen Brü­chen, ange­fan­gen mit dem Auf­tre­ten der Loka­to­ren und der uns ent­eig­nen­den Treu­hand, fan­den wir uns spä­ter doch in einer Art Ver­sor­gungs­so­zia­lis­mus wie­der, wie ihn die DDR, selbst­er­klärt sozia­lis­tisch, aus sys­tem­im­ma­nen­ten Män­geln und ihrer welt­wirt­schaft­lich beding­ter Blo­cka­de­si­tua­ti­on nie rea­li­siert bekam und ver­mut­lich so über­haupt nicht rea­li­sie­ren wollte.

Leis­tungs­ge­sell­schaft? Die Ber­li­ner Repu­blik ver­sorg­te in einer Dis­count-Vari­an­te all die Frei­ge­setz­ten, Unge­brauch­ten, Unwil­li­gen und Unbe­fä­hig­ten, bot aber im öffent­li­chen Dienst, der Selbst­ver­sor­gungs­an­stalt des Staa­tes, veri­ta­blen Luxus, indem sie dafür öffent­li­che Mit­tel in ver­ant­wor­tungs­lo­sem Über­maß ein­setz­te. Allein für den Haus­halt des demo­kra­ti­schen Betrie­bes wer­den in Ber­lin und den Lan­des­haupt­städ­ten immense Gel­der inves­tiert, auf Kos­ten der von dort aus Verwalteten.

Schien es in den Neun­zi­ger- und Nuller­jah­ren zwar sozi­al­staat­lich, aber als Basis dafür noch eini­ger­ma­ßen wirt­schafts­li­be­ral zu lau­fen, bewerk­stel­lig­te eine – Wodurch eigent­lich genau ver­ur­sach­te? – Gegen­steue­rung das Durch­set­zen von uto­pis­ti­schen Gerech­tig­keits­vor­stel­lun­gen, die im Sin­ne einer tota­li­tä­ren Inklu­si­on For­de­run­gen nach Leis­tung und Anstren­gung wei­test­ge­hend auf­ho­ben und die schwe­ren Begrif­fe Wert und Wür­de so tri­vi­al auf­faß­ten, daß jedem ganz ohne eige­ne Brin­ge­schuld Anrech­te auf Lebens­kom­fort zuge­stan­den wurden.

Es war, als hät­te die nega­ti­ve Dis­kus­si­on um Hartz-IV, die dem prag­ma­ti­schen Sozi­al­de­mo­kra­ten Schrö­der zu dan­ken­de Ver­ein­fa­chung und Beschleu­ni­gung, der Ver­wand­lung in eine Gesell­schaft Vor­schub geleis­tet, in der alle wie­der ein Anrecht auf alles haben.

Ins­be­son­de­re die Schu­le, die frü­her Tugen­den wie Fleiß und Selbst­über­win­dung gera­de­zu als kon­sti­tu­tiv ver­stand, soll­te neu­er­dings auf alle ech­ten Leis­tungs­an­for­de­run­gen, straf­fe Beno­tung und auf die klas­si­sche Drei­glie­de­rung ver­zich­ten, weil das als dis­kri­mi­nie­rend zu gel­ten begann. Leis­tungs­dif­fe­ren­zie­rung galt als unwür­di­ge Selek­ti­on. Viel­mehr soll­te jedem alles per se zuste­hen, denn jeder hat­te von vorn­her­ein als Talent zu gel­ten, das allein die Schu­le, nicht mehr er selbst zu ent­fal­ten hat­te. Abschlüs­se waren also juris­tisch zu garan­tie­ren, als daß sie noch ange­strengt erar­bei­tet wer­den sollten.

Wer den­noch ver­sag­te, wer wenig woll­te oder konn­te, wur­de über die Steu­er­last der immer gerin­ge­ren Zahl an Leis­tungs­trä­gern ali­men­tiert und ging nach dem Schei­tern von amt­lich bezahl­ten Maß­nah­me­kar­rie­ren in einem neu­en Pro­le­ta­ri­at auf, das sich von den per­ma­nent sen­den­den und emp­fan­gen­den digi­ta­len Medi­en unter­hal­ten ließ, die völ­lig irrig als „sozi­al“ bezeich­net wer­den. Nichts treibt die Ver­ein­ze­lung und Ent­frem­dung der­zeit so vor­an wie Digi­ta­li­sie­rung. Sie mag rein tech­nisch ver­bin­den, also Sach­li­chem und Abs­trak­ten dien­lich sein; ansons­ten trennt sie.

Wäh­rend wir Alt-Ost­ler medi­al mit zwei Ost- und drei West-TV-Pro­gram­men auf­ge­wach­sen waren und gern Kon­ter­ban­de von Suhr­kamp oder Luch­ter­hand erhal­ten hät­ten, ver­lo­ren sich die uns nach­wach­sen­den Gene­ra­tio­nen – unter ihnen vie­le Intel­lek­tu­el­le und sowie­so die „Gym­na­si­as­ten“ – erst an die Quas­se­lei der Pri­vat­sen­der und spä­ter an die digi­tal gene­rier­ten Wel­ten der Net­zes. Life­style wur­de wich­ti­ger, Ernäh­rung, Out­fit; es reich­te aus, ein Schwät­zer zu sein, um als „authen­tisch“ zu gelten.

Hör­te man, daß irgend­was „wahn­sin­nig span­nend“ sei, wuß­te man, daß man es bes­ser ignorierte.

Mag sein, es wäre uns eben­so gegan­gen. Mag sein, wir hät­ten uns gleich­falls fas­zi­niert in den Bann des Vir­tu­el­len zie­hen las­sen, wäre unser Leben nicht so ana­log tat­sa­chen­re­giert gewe­sen. Eben­so­we­nig wie die Abdrift in die Bil­lig­un­ter­hal­tung hät­ten wir uns die Adi­po­si­tas phy­si­scher Unbe­weg­lich­keit erlau­ben kön­nen. Jetzt jedoch schien Fit­neß nur noch ästhe­tisch ver­an­laßt. Etwa zeit­gleich mit dem abge­schaff­ten Wehr­ge­dan­ken und dem Umden­ken vom Ana­lo­gen ins Digi­ta­le ver­öde­te die gesell­schaft­li­che Vitalität.

Unser Trug­schluß: Wir hat­ten 1989 nicht geahnt, daß wir von einem ideell erschöpf­ten Land über­nom­men wur­den. Offen­bar aber sind wir immer noch weni­ger erschöpft als die Stein­mei­er-Mer­kel-Nati­on. Des­we­gen regt sich vor allem in Sach­sen und Thü­rin­gen und sowie­so eher im Osten die­se selt­sa­me Reni­tenz gegen die Neu-Ideo­lo­gi­sie­rung des alten Vaterlandes.

Heino Bosselmann

Heino Bosselmann studierte in Leipzig Deutsch, Geschichte und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien.

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Kommentare (60)

Maiordomus

16. November 2021 13:45

Lieber Herr Bosselmann, auch wenn "authentisch" ein oft missbrauchtes Schlagwort ist, berührt dieser Text noch stärker als jeweils zum Beispiel Ihre bildungspolitischen Ausführungen, mit denen ich aus bildungshistorischer Perspektive so gut wie fast immer übereinstimme. Auch wenn ich Ihre biografischen Details nicht im Einzelnen kenne, frage ich mich im Ernst, wie jemand wie Sie in dem Deutschland, dessen kulturelle Tiefenstrukturen man doch kennen sollte, die Sie selber als geschichtsbewusste Existenzform praktizieren, letztlich ein Aussenseiter werden konnte, und wohl nicht nur wegen spezieller Beziehungen mit dem in herkömmlich ernst genommenen Internet-Quellen fast stets als "rechtsextrem" abgekanzelten Kubitschek, einem der wenigen in Deutschland, mit dem man über Jochen Klepper bis Hans Fallada doch noch qualifiziert diskutieren könnte usw. Ich bedaure, freilich ohne Ihre Praxis im Schulzimmer näher zu kennen, zutiefst, dass Sie nicht eine bedeutende Rolle in dem Ihnen doch grundlegend liegenden pädagogischen Sektor spielen können. Sie hätten wirklich Wertvolles zu bieten, was hier aber nur sehr randständig zum Ausdruck kommt. 

Ein gebuertiger Hesse

16. November 2021 13:56

Herrlicher Text, Herr Bosselmann. Der Ton, den Sie anschlagen, kommt von tief innen und ist kostbar. Andere Autoren mögen sich hieran orientieren, wiederum: Man kann das Eigene, das sich immer auch zwischen den Worten (von größeren Einheiten reden wir nicht mal) einnistet, weil es da hingehört, und hörbar macht, nicht simulieren, heißt: Jeder Schuster muß bei den Leisten bleiben, die die seinen sind, das allerdings mit Nachdruck, offensiv, gerade im schäbigen Heute.

Kurativ

16. November 2021 13:58

Nachdem man von der einen (östlichen) Seite befreit wurde, hatte man es versäumt sich selber auch von der anderen Seite zu befreien. Jetzt sinkt man gemeinsam immer tiefer in den uns umgebenden Beton ein, der uns fixiert.

Niekisch

16. November 2021 14:03

"Nicht ein besseres, nicht ein anderes Land, sondern das so vielgestaltige, jedoch nur gemeinsam aufzufassende Reich, einig im Verschiedenen."

@ HB: Als Sie noch ein Kind waren, da demonstrierten wir am Todesstreifen zu Thürigen von Westen her unter Verfolgung des Bundesgrenzschutzes für die Einheit, die im Westen bereits verraten war, und ich dachte besonders dort bei Vechta, aber auch zuvor und später immer so wie Sie.

Das Reich lebt, und wenn es nur noch in unseren Herzen ist.

Herr K aus O

16. November 2021 14:55

Eventuell ist ja die Aufgabe der D-Mark nicht der einzige Preis, den die Gesamt-Deutschen für die Wiedervereinigung zahlen mussten?

Was kommt denn noch an Verlust an Souveränität hinzu, ich sehe da z.B.

  • Entmilitarisierung durch Aufgabe der Wehrpflicht
  • Aufgabe der eigenständigen Energieversorgung
  • Aufgabe der Grenzsicherung

Eventuell gab es eine Art 40-Jahresplan als Anhängsel zu den 4+2 Verhandlungen? 

Sollte das so sein, erklärt sich das Handeln von „Steinmeier-Merkel“ fast zwingend und logisch. D.h: Die alte Bundesrepublik war nicht ideell erschöpft - vielleicht etwas faul und gemütlich geworden - sondern hat als Preis für die Wiedervereinigung auch ihre Auflösung in Europa gezahlt, die Aufgabe von Souveränität ist nicht ideologisch motiviert (Klima und der ganz Kram), sondern ist politisch motiviert.

Meine Gedanken sind natürlich rein spekulativ, aber man bedenke, dass es im Westen - also GB und Frankreich z.B. - massive Vorbehalte gegen die Wiedervereinigung gab.

Dieses „Ding“, in dem wir leben, ist halt nicht karolingisch, sondern der Rest vom 1871er Kaiserreich, dem, was nach zwei verlorenen Weltkriegen übrig geblieben ist.

Laurenz

16. November 2021 15:38

@HB

Der Haken am besseren Deutschland inklusive der tatsächlich besseren Deutschen der DDR, ist, daß Sie 4 Jahre an seiner innerdeutschen Grenze stehen mußten. Keines der beiden Deutschlands konnte den Tatbestand eines richtiges Deutschlands erfüllen.

Der Gedanke an die Teilung verbreitet in mir selbst heute immer noch fast körperliche Pein & wenn ich keinen Abstand einnehme, steigt die Wut über 29 geteilte Jahre in mir hoch. Das liegt einfach daran, daß sie Teil meines Lebens waren oder noch sind. Daher bleibt der Schmerz für immer, bis zum Ende.

Was die sogenannte Berliner Republik & ihrem Weltmoralhauptamt mit der Deutschen Demokratischen Republik gemein hat, ist, daß sie kein Interesse im Sinne einer substantiell & privat abgesicherten Bürgerschaft wahrt. Das hegemoniale Interesse an einem großdeutschen Prekariat ist ungebrochen.

Was vielleicht für Sie von Interesse sein könnte, ist die subkulturelle Identität der DDR. Die erfahren Sie in Interviews mit Christian „Flake“ Lorenz oder Paul Landers alias Heiko Paul Hiersche von Rammstein. Hier ein kleiner Ausschnitt

https://youtu.be/o4b_TyjPvNs

Gracchus

16. November 2021 15:51

Dass es eine Mauer, hinter der andere Deutsche lebten, erfuhr ich ca. 6jährig in der "Sendung von der Maus". Ich begriff es nicht und fragte meinen auf dem Sofa dösenden Vater; er erklärte's mir halbwegs, und ich empfand dies als naturwidrig. Wenige Jahre später fiel die Mauer. Natürlich freute ich mich und war für die Wiedervereinigung. Allerdings fand ich das Tempo zu schnell. Es kam mir vor, als würde die DDR geschluckt. Begann damit die Politik der Alternativlosigkeit?

Gracchus

16. November 2021 16:13

Ein paar schöne grantelnde Bonmots: "es reichte aus, ein Schwätzer zu sein, um als "authentisch" zu gelten."  Auch: wahnsinnig spannend = zum Ignorieren.

Angesichts von Bosselmanns Zeilen wäre etwas Medientheorie wünschenswert. Ich bin noch ein Büchermensch und war damit in meiner Jugend, wo MTV und Viva und Privatfernsehen dominierten, schon ein halber Aussenseiter. Die Form des Mediums beeinflusst bereits stark die Weltwahrnehmung, und deshalb muss man berücksichtigen, wie moderne Massenmedien die Wahrnehmung formen. 

Dass das auf das Bildungssystem zurückschlägt, ist zwangsläufig. Ich bin zwar mit B's Bildungskonzepten nur partiell einverstanden, aber die Frage ist berechtigt, ob das Bildungssystem seinen Namen verdient. Fachidioten brauchen keine Bildung, ja Bildung ist für Fachidioten störend. Bildung ist letztlich Luxus. 

Lara

16. November 2021 16:19

Sehr geehrter Herr Bosselmann,

mir ist es ein Rätsel, wie u.a. Menschen wie Sie und ich zum Dienst an die damalige Westgrenze einberufen werden konnten.

Gerne hätte ich Ihre Eindrücke aus Ihrer Dienstzeit an der Elbe bei compact gelesen, aber leider gibt es für Ihren Beitrag eine Bezahlschranke.

Monika

16. November 2021 16:23

Lieber Herr Bosselman, mir ging es genau umgekehrt. Im Westen sozialisiert, in Hessen an einem linken Gymnasium die Oberstufe absolviert ( Verherrlichung des realen Sozialismus), interessierte mich brennend, wie es denn hinter dem sog. Eisernen Vorhang wirklich zuginge.  Die innerdeutsche Grenze ( Übergang Warta/ Herlehausen) fand ich unheimlich. Ich winkte den Grenzsoldaten zu. Beruflich war ich vom 1985- 89 mit der Thematik DDR beschäftigt ( Politische Haft/ Ausreiseantragsteller) und lernte dadurch vor 89 viele DDRler kennen, auch ehemalige NVA-Soldaten, z.B. Klaus-Dieter Schlechte, der über Stasi, Innerdeutsche Grenze, Schießbefehl publiziert hat. Ich fuhr dann vor 89 öfters in die DDR, um das Leben im realen Sozialismus kennenzulernen. Nicht mit der SDAJ, sondern über kirchliche Kontakte kam es zu interessanten Begegnungen. Mir war damals schon klar, dass der Westen ideell erschöpft war. Eine Wiedervereinigung im geistigen Sinne hat m.E. bis heute nicht stattgefunden.

Gotlandfahrer

16. November 2021 17:16

Der Text gefällt mir vor allem aufgrund der Schilderung aus Sicht Ihrer DDR-Grenzerfahrung. Als nordwestdeutscher Gymnasiast der Teilungszeit, der ich (politischer) Außenseiter war, da ich, solange ich denken kann, immer für die deutsche Wiedervereinigung eingetreten bin, verbunden mit einer tiefen Aversion gegen Sozialismus, bewegt es mich zu lesen, dass zur gleichen Zeit unweit am Ufer meines Heimatflusses ein Wachsoldat der Zonenmacht stand, der, offenbar mehr als ich es je mit Worten ausdrücken könnte, Bewusstsein für und Liebe zur gemeinsamen Heimat empfand.  Ausgerechnet ein Waffenträger des Regimes, das im - naja, mittleren - Osten die Menschen in Schach hielt und im Westen von den Dümmsten und Krümmsten verniedlicht wurde! Was für wunderliche Überraschungen darf man auch im zunehmenden Alter immer wieder erfahren. Andererseits ist mir jetzt klar: Ja warum denn nicht, warum nicht auch gerade dort?  Womöglich war die gegen den Westen gerichtete Wehrhaftigkeit auch Ausdruck eines letzten patriotischen Hirnstroms, noch auf Waldman und Krempe zurückgehend.

Zum Ende des Textes hin blieb mir jedoch verborgen, was über die allseits bekannte Standhaftigkeit Mitteldeutschlands hinaus Ihre Botschaft ist. Können Völker ideell erschöpft sein?  Oder sind es eher ihre natürlichen inneren Abläufe, die durch Fremdeinwirkung abgetötet werden?  Aber das macht nichts, der erste Teil wiegt dies für mich mehr als auf! Danke!

Gracchus

16. November 2021 17:35

@Laurenz, 15:38, dritter Absatz

Da stimme ich Ihnen absolut zu. Warum sollten die Eliten aber gesteigerten Wert auf eine solche Bürgerschaft legen? Eine solche Bürgerschaft muss sich von unten bilden und ihre (materiellen, kulturellen) Interessen und Rechte wahrnehmen. Leider hat sich in D eine solche Bürgerschaft nie richtig herausgebildet. Stattdessen haben wir eine von oben gelenkte Zivilgesellschaft, quasi die verdrehte Simulation. 

noch @Bosselmann: hinter deutschidentitäre Kulur würde ich ein Fragezeichen setzen. Bzw. eingedenk Goethes Begriff von "Weltliteratur" fragen, was damit gemeint ist. Exponenten dieser Kultur rezipiere ich nicht zuvörderst national; was sie geschaffen haben, geht über das Nationale hinaus. Auch gab es viele Einflüsse von außen und aus früheren Epochen (griechische Antike). Vielleicht so: Es gab noch die Kraft, fremde Kultureinflüsse aufzunehmen und in etwas Eigenes zu verwandeln. Es gab ein Bewusstsein für die Dialektik von Universellem und Partikularem, und dass das eine nicht ohne das andere zu haben ist. 

eike

16. November 2021 17:36

Ausgezeichneter Text.

Das einzig was ich zu kritisieren hätte, wäre, daß er den Anschein macht, als sei das ein deutsches Phänomen, irgendwie mit Kriegsfolgen/Wiedervereinigungsbedingungen,... verknüpft.

Ein Blick auf unsere Nachbarn (Frankreich oder gar England), deren "kulturelles Erbe" noch viel tiefer gesunken ist - oder den ehemals so strahlenden Weltkriegssieger USA, dessen Großstädte sich rapide an Mogadishu/Port-au-Prince-Verhältnisse angleichen - würde zeigen, daß es sich nicht um einen deutschen Sonderweg handelt.

Aber dieser Blick würde deshalb auch zwingen, sich mit den Mächten zu beschäftigen, die  diese Umwälzungen systematisch betreiben. Und dann würde er nicht auf Sezession veröffentlicht werden.

Bleiben wir also bei Zustandsbeschreibungen.

Gustav Grambauer

16. November 2021 17:59

I

Mir war immer die Wut vieler Cucks, aber eben auch vieler ehrbarer Konservativer in der Alt-BRD auf die Mauer anrüchig gewesen, die von einer völlig anderen Art als die - entweder resignative, traurige oder konstruktive - Wut selbst der härtesten sogennannten Republikflüchtlinge der DDR gewesen war. Diese westliche Wut war seltsam verschroben und deutete auf heftigste (auto-)destruktive psychische Projektionen. Der Mechanismus dahinter war m. E. folgender:

Die Mauer war die Konsequenz aus der Niederlage im WK-II. Diese "spezielle" Art Wut der Alt-BRD-Cucks und -Konservativen auf die Mauer war, mit etwas Gespür ganz direkt wahrnehmbar, lediglich die Wut auf diese Niederlage. Und diese Wut wurde dann am "Pankoffer Regime" respektive am Grenzregime der DDR auf niederste Art wie an einer Art Fußabtreter abreagiert, die historischen Kausalitäten und den weltpolitischen Kontext (die beide in der DDR jedes Schulkind im Halbschlaf aufsagen konnte) überhaupt nicht sehen wollend bzw. biblisch ausgedrückt den Balken im eigenen Auge nicht sehend. Besonders unangenehm kam bei mir an, wenn die Betreffenden selbst ziemlich weit entfernt von der Mauer gewohnt haben. (Der Oberclou auf derselben Schiene war dann Anfang der 90er die linke fahrradtourbegeisterte Wutbürgerin aus Westberlin, die mir beibringen wollte, daß sie im Gegensatz zu uns die eigentliche Eingesperrte gewesen sei.)

Gustav Grambauer

16. November 2021 18:00

II

Es gibt noch einen anderen Mechanismus, der aber bereits Gegentand unzähliger öffentlicher Betrachtungen war: das damalige konservative romantisierende Mem von "unseren Brüdern und Schwestern im Osten" hatte großteils zur Voraussetzung den Glauben, daß die Mauer, vor der man sich so schön billig als Bessermensch gegenüber Reagans Reich des Bösen inszenieren konnte, vor allem auch vor sich selbst, (hoffentlich) nicht bald fallen würde. Es muß so gewesen sein, denn sonst wäre dieses Mem auch nicht 1990 im Angesicht der schnöden Realität subito verpufft oder in Aggressionen gegen den "faulen, undankbaren Ossi", der "unsere Steuergelder auffrißt", umgeschlagen.

Dem lag, so wie ich das sehe und wie neulich dargelegt, zugrunde, daß die Prämisse der Alt-BRD-Cucks bzw. -Konservativen, der Ossi wolle - womöglich noch von ihnen selbst - von der "kommunistischen Gewaltherrschaft" "befreit" werden, von vornherein weltfremd gewesen war, m. E. erstens wegen des Stockholm-Syndroms, zweitens wegen der normativen kraft des Faktischen und drittens wegen der vermeintlichen oder tatsächlichen emanzipativen Angebote, die im Bolschewismus und erst recht tatsächlich in der perspektivischen Beziehung zu Rußland keimhaft liegen.

Die NDPD, sicher keine konservative Partei (politisch - kulturell war sie dies durchaus), aber zumindest ein Indikator für metapolitische Trends, hat übrigens bei der Volkskammerwahl im März 1990 0,4 % der Stimmen erlangt.     

- G. G.

Laurenz

16. November 2021 18:17

@Gracchus @L.

Unsere Mittelschicht war, im europäischen Vergleich, bis jetzt relativ groß.

Gracchus

16. November 2021 18:49

@Laurenz

Groß ja, aber mit politischem Bewusstsein und Einfluss?

Monika

16. November 2021 18:55

Ich habe viele DDR-„Dissidenten“ kennengelernt, am denkwürdigsten fand ich aber eine Begegnung mit Herman von Berg, Wirtschaftsberater von Willi Stoph, der nach langer Funktionärsexistenz zum Kritiker der DDR-Politik und 1986 in die BRD ausgewiesen wurde. In einem Gespräch (veröffentlicht  in Zeitschrift „DDR-heute“ 1987) fragte ich ihn, weshalb die Ideen von Marx und der Kommunismus die Menschen im Westen nicht loslässt, selbst wenn sie über die Verbrechen im real-exist. Kommunismus Kenntnis haben. Seine Antwort: „Es geht den Menschen hier in weiten Bereichen zu gut, es gibt auch eine Art geistiger Wohlstandskriminalität. Ich glaube, das Problem hier in der Gesellschaft ist, dass durch die Medien Randprobleme zu Hauptproblemen hochstilisiert werden und die eigentlichen Probleme übergangen werden. In dieser Situation fasziniert eine Utopie. Es ist das Unklare, Unscharfe, das Prophetische bei Marx. Jede gute Politik ist prophetisch. Es ist die Verheißung des gelobten Landes, des ewigen Tischlein-Deck-Dich...wir kriegen die heile Welt.“Diese Idee feiert noch immer fröhliche Urständ. Jeden geistig aufgeschlossenen Menschen kann diese Idee nur erschöpfen.  

Flaneur

16. November 2021 19:18

Die These vom ideell erschöpften Land ist sicherlich zutreffend und schön formuliert, greift jedoch zu kurz. Die ganze westliche Zivilisation, der kollektive Westen, ist ideell erschöpft. Hypermoral, Hybris und Hysterie, sind - von außen betrachtet -  Ausdruck dieser Erschöpfung. Nach innen soll jedoch durch das, was von außen  betrachtet als Hypermoral, Hybris und Hysterie erscheint, autosuggestiv die eigene ideelle Virilität demonstriert werden. Das Ganze erinnert ein bischen an das Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern und mündet in einer Politik des kollektiven Westens, die - frei nach Sellner -  als infantiler Amoklauf gegen die Realität charakterisiert werden kann. 

H. M. Richter

16. November 2021 19:35

@Laurenz

"Der Haken am besseren Deutschland inklusive der tatsächlich besseren Deutschen der DDR, ist, daß Sie 4 Jahre an seiner innerdeutschen Grenze stehen mußten."

Nein, das mußte er nicht. Dies mußte niemand. Es hätte gereicht, zu sagen, man schieße nicht auf Landsleute. Natürlich hätte dies Konsequenzen gehabt. Vermutlich hätte HB dann nicht an der Leipziger Universität, die sich damals Karl-Marx-Universität nannte, studieren können.

Man erkennt unschwer die Parallelen zu heute. Man könne alles sagen, wird einem gesagt, man müsse allerdings dafür auch die Konsequenzen tragen.

 

Hartwig aus LG8

16. November 2021 20:24

@ G. Grambauer

Ihre Kommentare sind für mich nicht "das Salz in der Suppe" von SiN, sondern gehören zu den substanzbildenden Beiträgen des Kommentariats, also die Suppe selbst, - neben wenigen anderen, @Gotlandfahrer sei hier genannt.

Dennoch schießen Sie seit kurzem recht scharf gen Westen (bemerke ich als Ossi). Und gerade Ihre beiden Kommentare in diesem Strang beklagen doch eigentlich nur das, bei dem ich kopfwiegend sagen würde "uns ist doch nichts Menschliches fremd."  

Ich selbst war Zeuge, von geradezu widerwärtigen Entgleisungen von Richtung Tschechoslowakei gereister Ossis wenige Tage nach der Währungsunion. Der "gemeine Ossi",  erstmals mit "wahrer Macht" (D-Mark) ausgestattet, zeigte seine allerhässlichste Fratze.

Was ich sagen will: Gnade für den Wessi, der seinerzeit gönnerhaft und dennoch geizig war, und in seiner Selbstgewissheit eine Art Dankbarkeit für's Begrüßungsgeld erwartete.

RMH

16. November 2021 20:41

Im Grunde genommen ist das eine Schilderung einer Ent-Täuschung im wahrsten Sinne des Wortes. Viele DDRler hatten eine falsche Vorstellung vom Westen und wurden mit dem Mauerfall enttäuscht. Als interessierter Westler hatte man dagegen die Chance, in den "neuen Ländern" ernsthaft überrascht zu werden, denn nach den wenigen Eindrücken, die man via kleiner Grenzverkehr und der fast obligaten Berlin-Oberstufenfahrt mit Abstecher nach Ostberlin in den 80er Jahren gewinnen konnte, war nur wenig Raum für Enttäuschungen (ich weiß, dass liest sich jetzt sehr arrogant). @Laurenz spricht es an: Die ehem. DDR überraschte nach dem Mauerfall mit subkulturellen Blüten, die in der Schnelllebigkeit der Moden des Westens dort schon lange verblüht waren. Neben vielen anderen sog. Szenen möchte ich hier die sog. "schwarze Szene" ansprechen. Dark-Wave, Gothics, Gruftis, elektron. Musik, Industrial ... alles im Westen nur noch als Schatten vergangener Moden vorhanden, erlebten mit der Grenzöffnung ungeahnte "Revivals" - die Gattung Neofolk bekam in den 90er Jahren einen spezifisch mitteldeutschen Dreh. Die Zeitschrift "Sigill" eröffnete neue Horizonte. An Forseti aus Jena sei hier ganz besonders erinnert. Tja, in den 90ern war der Westen langweilig. Sich auf dem Stadtgottesacker in Halle Nachts herum zu drücken, durch Leipzig zu ziehen oder bei verfallenen Mühlen, Burgen etc.in Mitteldeutschland Konzerte besuchen. Das war spannend.

Laurenz

16. November 2021 21:00

@H.M. Richter @L.

"Grenztruppen der DDR oder nicht?"

Halte Ihre Aussage für wenig überlegt. Bei unproduktiven 250k Mann Nationale Volksarmee, 50k Mann Grenztruppen der DDR & über 200k offizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit konnte man Gift darauf nehmen, daß bei einer totalen Verweigerung eine jeweilig geplante Karriere vorbei war. 

Man konnte natürlich Bausoldat werden, helau.

https://www.jugendopposition.de/themen/145369/wehrdienstverweigerung-in-der-ddr

Und so beschreibt es die Welt

https://www.welt.de/geschichte/article131951278/Das-Leiden-der-Wehrdienstverweigerer-in-der-DDR.html

Franz Bettinger

16. November 2021 22:20

@Bosselmann: Wenn Sie einen Fluss (oder eine Meeresströmung) schwimmend überwinden wollen, vergessen Sie die 30°; schwimmen Sie in gerader Linie auf das andere Ufer zu, also im 90°-Winkel zur Strömung. Denn Sie sind keine Fähre, die an einem ganz bestimmten Punkt auf der anderen Seite ankommen will. Man macht nie Boden gut gegen eine Strömung, die stärker/schneller als man selbst ist. Nie. Fataler Fehler, der vor allem im Meer so manchem das Leben kostet.

Franz Bettinger

16. November 2021 22:59

Sie belogen uns über unsere Vergangenheit, den Krieg und die Sünden unserer Väter und Großväter. Sie haben uns bei Jugoslawien, beim Kosovo und bei der Griechenland-Rettung belogen. Sie logen bei ihren Kriegen: gegen den Irak und gegen Afghanistan, gegen Libyen und gegen Syrien. Sie haben die D-Mark abgeschafft und mit dem Euro gelogen; mit Maastricht, der EU und den Migranten.  Sie logen bei den Themen Atom, Feinstaub  und der angeblich billigen, grünen Energie.  Haben sie überhaupt je ein einziges Mal die Wahrheit gesagt, unsere Politiker? Haben wir aus all den vergangenen Lügen nichts gelernt? Wieso glauben wir ihnen jetzt, da sie behaupten, es gäbe eine weltweite Klimaerwärmung und eine globale Pandemie, einen Pest-ähnlichen Virus und sinnvolle Maßnahmen - gegen diese Lügen? 

Franz Bettinger

16. November 2021 23:03

In der DDR wurde das Westfernsehen untersagt. Jetzt bin ich auch dafür. (Netzfund)

Kurativ

16. November 2021 23:05

Als Westler war für mich die Wiedervereinigung das wichtigste Ziel der Deutschen gewesen. Als es dann so weit war, war ich entsetzt! Dazu gehören so schöne Sachen wie der 2+4-Vertrags-Verrat, die Rosenholz-Daten, Treuhand-Verbrechen (in dessen Rahmen einer meiner Verwandten unter mysterösen Umständen ums Leben gekommen ist), Euro, EU/Brüssel, NATO-Osterweiterung, Umgang mit den Menschen im Osten, Gier, wo man nur hinschaut..

Man hat den Wunsch nach Einheit missbraucht.

Franz Bettinger

16. November 2021 23:21

"Es war, als hätte die negative Diskussion um Hartz-IV, die dem pragmatischen SPD'ler Schröder zu dankende Vereinfachung und Beschleunigung, der Verwandlung in eine Gesellschaft Vorschub geleistet, in der alle wieder ein Anrecht auf alles haben.“

Hätte nie gedacht, mal einen politisch so unkorrekten, mutigen Satz (der auch vielen Rechten nicht schmecken dürfte) gedruckt zu sehen. Sie haben ihn mit einer hübschen Palisade überzeugender Argumente umstellt. Insgesamt ein brillanter Beitrag, Herr @Bosselmann! 

Gustav Grambauer

16. November 2021 23:57

Hartwig aus LG8

Danke sehr für den Ausdruck Ihrer Wertschätzung. Aber so gut sind meine "Ossis" doch bei mir gar nicht weggekommen. Eher lasse ich wohl manchmal zu sehr misanthropischen Anflügen und Anflügen von Zweifeln an dieser Zivilisation insgesamt, von denen ich leider nicht ganz frei bin obwohl ich sie nicht für pflegenswert halte, ihren Lauf.

- G. G.

Gracchus

17. November 2021 00:16

Der Westen insgesamt erscheint ideell und auch sonst erschöpft.

Aber ich möchte daran erinnern: Angela Merkel ist ein Ostgewächs. Anetta Kahane ebenfalls. Die für ihre fragwürdige Politik bekannten Senatoren Geisel und Lederer. Wen hat die BRD übernommen? Wohl: ein zutiefst gespaltenes Land. Mein bester Freund kommt aus dem Osten; der politische Riss geht mitten durch die Familie. Aus dem Osten kommt nicht nur Dissidenz, sondern auch das neoautoritäre Gehabe?

brueckenbauer

17. November 2021 01:58

Naja. Diese  komplexe Verknüpfung eines besonderen Territoriums mit einer besonderen Kultur, Geschichte und besonderen Symbolen (vor allem besonderen Geld) lässt sich nur durch einen besonderen Staat aufrechterhalten (ein besonderes Volk wird dazu eigentlich gar nicht gebraucht). Insofern vestehe ich ja die Staatsfixiertheit vieler Rechter.

Aber ist das alles noch von Belang oder praktischem Interesse? Geht es nicht erst mal darum, am Nullpunkt wieder anzufangen und eine minimale deutsche Volksgruppe wieder aufzubauen, und das ohne eigenes Territorium, eigenen Staat und eigene Währung? Und ist das Volk bloß Mittel zum Zweck "Staat" - sollte nicht der Staat ein Hilfsmittel und das "Volk" (die Leute) sich Selbstzweck sein?

tearjerker

17. November 2021 02:10

Hertha und Union, eine Nation. Die mit mir befreundeten drei ehemaligen NVA-Offiziere sind allesamt in den oberen Etagen der Finanzbranche gelandet und beschäftigen sich heute z.B. mit der Verwaltung grosser Pensionsfonds in der Schweiz. Die waren allesamt über das Ost/West-Thema weg, noch bevor die 90iger ein halbes Jahr alt waren.

H. M. Richter

17. November 2021 05:49

@Laurenz / 16.11., 21:00

Sie können es schon glauben. Niemand mußte zu den Grenztruppen. Die Aufgaben "bei der Sicherung der Westgrenze der DDR" machten notwendig, keine sog. "unsicheren Elemente" dort einzusetzen. "Wichtig war absolute ideologische Zuverlässigkeit." (Man hatte u.a. enorme Angst vor dem Schußwaffengebrauch innerhalb der eigenen Truppe.) Der gesetzlich vorgeschriebene Grundwehrdienst in der DDR betrug 18 Monate. Im Gegensatz dazu mußten sich jene, die Grenzsoldaten wurden, zu mindestens drei Jahren Dienstzeit verpflichten.

 

Heino Bosselmann

17. November 2021 06:01

@H. M. Richter: Vieles stellen Sie absolut richtig dar. Allerdings: Innerhalb der Grenztruppen gab es sehr wohl den eineinhalbjährigen Grundwehrdienst: ein halbes Jahr Ausbildung, ein Jahr Einsatz in den Grenzkompanien. - Ich empfehle die Lektüre meines im Text verlinkten Beitrages über die Grenztruppen bei COMPACT. Haben Sie Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Zur Korrespondenz wäre ich selbstverständlich bereit.

RMH

17. November 2021 07:16

Die Diskussion zeigt es einmal mehr aufs Neue: "Den Ossi" gibt es genauso wenig wie "den Wessi". Die zentralistische DDR versuchte in der Außendarstellung ihre Landsmannschaften zu verdecken, so erfolgreich, dass einige die Neugründung der dortigen Bundesländer mit Verwunderung zur Kenntnis nahmen (das dies damals vor allem auch ein Trick zum "Beitritt" und damit zur Aufrechterhaltung des GG war, bitte einmal in diesem Zusammenhang hinten an stellen).

Wie auch immer, die Regionen sind in Deutschland nach wie vor vielfältig. Beispiel: Altbayern hätte man eher mit Österreich vereinigen sollen, während schon die Franken als erheblicher Teil Bayerns ganz gut zu den Thüringern und Hessen passen - fast besser, als zu den Altbayern.

Schablonen sind mithin nur zur groben Betrachtung tauglich.

"Eher lasse ich wohl manchmal zu sehr misanthropischen Anflügen und Anflügen von Zweifeln an dieser Zivilisation insgesamt, von denen ich leider nicht ganz frei bin obwohl ich sie nicht für pflegenswert halte, ihren Lauf."

@G.G.

Misanthropie ist recht normale Folge, wenn man bspw. schon morgens so etwas zu lesen bekommt:

Menschen im „Panikmodus“ - Der große Run auf den Booster - Ratgeber - Bild.de

 

H. M. Richter

17. November 2021 08:02

@Heino Bosselmann 17.11. / 06:01

Danke für den Hinweis. War mir selbst - die Jahre gehen ins Land ... - bezüglich der Mindest-Dienstzeit bei den Grenztruppen nicht mehr sicher und hatte deshalb nochmals nachgeschaut. Gefunden hatte ich: "Grundsätzlich werden an der Grenze nur Wehrpflichtige eingesetzt, die sich zu drei Jahren Dienst verpflichtet haben. Normalerweise beträgt die Dienstzeit der Wehrpflichtigen 18 Monate", was offensichtlich so (drei Jahre) nicht stimmt. Der Inhalt des nachfolgenden Satzes war dagegen hinlänglich bekannt: "Besonders von Abiturienten, die einen Studienplatz in einem Fachgebiet mit großer Nachfrage, wie Elektronik - Elektrotechnik, Medizin u.a. anstreben, wird eine Verpflichtung zu längerer Dienstzeit erwartet."

Ihre Stille(n) Tage in Boizenburg werde ich - gelegentlich die Schranke überspringend - gerne lesen.

 

Laurenz

17. November 2021 08:41

@H.M. Richter & HB

Bei uns im Westen machten viele Z2 (2 Jahre statt dem Pflichtwehrdienst), weil die Bezahlung einfach besser war.

Um es mit Kurt Halbritter zu sagen: "Ich wäre gerne Soldat geworden, wenn mich das Vaterland gerufen hätte".

Später habe ich es sehr bereut, nicht zur Marine gegangen zu sein.

Valjean72

17. November 2021 08:46

@Gracchus:

Der Westen insgesamt erscheint ideell und auch sonst erschöpft.

Die Menschen in diesen Ländern sind in großer Zahl nicht mehr ganz bei Sinnen. Dieser Irrsinn wurde und wird meiner Auffassung nach bewusst und gezielt induziert. Nicht nur hierzulande.

Diskursteilnehmer eike nannte in diesem Zusammenhang die zunehmende Degradation einst blühender US-amerikanischer Großstädte.

Man könnte es so sehen, dass der US-amerikanische Mohr (samt EU-Fortsatz) seinen Zweck erfüllt habe und nun gehen, d.h. abgewickelt werden kann.

 

Gustav Grambauer

17. November 2021 09:40

I

"Die eigentliche Intention der Mauer war, Deutsche von Deutschen, die nur von Deutschland nach Deutschland wollten, wie die Karnickel abballern zu lassen." (Hört man oft in sehr emotionalem Ton ...)

Nein.

In Ungarn, Rumänien und Bulgarien bestand die "Mauer" fast nur sozusagen aus dicken Geldbündeln, d. h. Kopfgeldprämien für die Bauern und Fischer. Aber die hatten auch nicht zwischen 350.000 und einer halben Million sowjetische Besatzungssoldaten (sondern nur jeweils etwa 40.000), die genauen Zahlen werden wir niemals erfahren, bei sich stationiert.

So daß der eigentliche Grund für die Martialität des DDR-Grenzregimes in den Erfahrungen mit den durchweg schwer bewaffneten und teilweise gepanzert-motorisierten Deserteuren der Westgruppe und in deren Abwehr lag, die durch die Mauer durchbrechen wollten oder durchbrachen. Das war die Eliteauslese der Sowjetarmee, Männer mit enormer Entschlossenheit und teiweise wenig Skrupeln, die unter erbärmlichen Bedingungen hausen mußten und außerdem mit Erniedrigungen tagtäglich in existentiell-ausweglose Situationen hineingetrieben wurden. Auch von den Offizieren haben sich manche gesagt: jetzt bin ich so weit gekommen, tausende Kilometer, jetzt muß ich nur noch den allerletzten Schritt tun, um im "echten" Westen zu sein.

Gustav Grambauer

17. November 2021 09:41

II

Das letzte Maueropfer war eben nicht wie in der Lügenpresse auf Frag-Doktor-Wolle-Niveau gebetsmühlenartig wiederholt Chris Gueffroy, sondern ein Grenztruppenangehöriger, der im August 1989 von einem sowjetischen Deserteur erschossen wurde. Und wir wissen nicht einmal, ob er tatsächlich das letzte Maueropfer war, denn Moskau, - kleines Wortspiel -, "mauert" mit den Zahlen, die sehr hoch gewesen sein dürften. Auch Mielke, Keßler und Baumgarten haben diese Zahlen mit ins Grab genommen. Es ist bekannt, daß die Stasi vertuscht hat wo sie nur konnte, auch gegenüber den Hinterbliebenen, dann waren`s eben "Dienstunfälle".

Daß die Mauer so martialisch war, hatte also kaum mit den sogenannten Republikflüchtlingen der DDR zu tun, die galten in den - maßgeblichen - Moskauer Stäben in operativer Hinsicht als sozusagen "völlig nachrangiges Problem". Es war nur ein Kollateraleffekt, daß "Deutsche auf Deutsche geschossen" haben. Für mich überraschend weist Wolski (nicht hier aber in seinen Büchern) nach, wie stark sich sogar die Verhandlungen Gorbatschows und Schewardnadses mit Kohl und Genscher um die Westgruppe - als Machtfaktor und als Risikofaktor - herum gedreht haben.

- G. G.

Laurenz

17. November 2021 09:46

@Valjean72 @Gracchus

"Der Westen insgesamt erscheint ideell und auch sonst erschöpft."

Ökonomisch lassen sich solche Tatbestände immer besser nachweisen als soziologisch, bzw. gesellschaftlich.

In den USA setzte der Niedergang der Mittelschicht bereits 10 Jahre früher als bei uns in den 80ern ein. Im Gegensatz dazu hob China seit 1978 450 Mio. Bürger in den Mittelstand. (1978 ist sowas wie 1933, nur 10 Nummern größer.)

Jeder braucht sich nur mal 29 Min. das blöde Gewäsch von Reckwitz im letzten JS-Artikel stichprobenartig anzuhören...

https://sezession.de/65013/netzfundstuecke-107-zuspitzung-umbruch-land

...... um zu verstehen, wer den Neo- oder dynamischen Liberalismus eingeführt hat. Und im Gegensatz zu Reckwitz' Ausführungen, ist natürlich der Zusammenbruch des Warschauer Pakts im wesentlichen dafür verantwortlich. Der machte den Weg frei, die Mittelschicht absaufen zu lassen. Reckwitz selbst ist ein gepämperter Propagandist der Neo-Liberalen.

Monika

17. November 2021 10:05

Nach dem Zerfall der DDR ( Wende würde ich das nicht nennen) glich sich die DDR immer mehr der BRD an. Ein dritter Weg zu einer neuen gemeinsamen Identität war nicht möglich. Der Verbleib in der NATO war wohl Bedingung für die Wiedervereinigung, ebenso verhinderte die Einführung des Euro ( auf Druck der Farnzosen/Mitterand) , dass Deutschland wirtschaftlich noch stärker in der EU würde. Ich war nach der Wende öfters in der „DDR“ und konnte die „Blühenden Landschaften“ bestaunen. Ich besuchte Jena, Eisenach Weimar, Dresden, Leipzig, Naumburg, Altenstadt etc. und konnte nur erahnen, was Deutschlands kulturelle Größe und Schönheit einst ausgemacht hatte. Diese Schönheit wurde immer mehr zur Fassade, da nicht mit Leben erfüllt, dann zur touristischen Attraktion. Während drumherum Mac Donalds, Dönerbuden, Aldi, Billigläden wie Pilze aus dem Boden schossen.Ab 2015 wurden die Städte ebenso überfremdet und orientalisiert wie in der BRD. Der Westen war eigentlich schon immer sozialistischer als die DDR, von den Sozialleistungen bis zu den linken Träumern. Die Menschen in der DDR waren normaler und realistischer, aufgrund der gemachten Erfahrungen mit dem realen Sozialismus.

Am Ende läuft es auf die Frage der staatlichen Souveränität und kulturellen Identität hinaus.

MARCEL

17. November 2021 10:06

"...von einem ideell erschöpften Land übernommen..."

Ein Satz wie eine Pfeilspitze und ins Schwarze getroffen! Ja, Konsum ersetzt Ideal.

BRD, ein Gnadenbrot der Westalliierten, Protektorat mit einer Hilfstruppe namens Bundeswehr (die sich selbst nicht ernstnahm), auf immer unmündig, Vasallen bis heute und 1968 mit Selbstzweifeln überzogen. Dem Elementaren des Lebens entfremdet und daher von Ängsten gepeinigt. Die "Rama macht das Frühstück gut" (Werbung aus den 80igern)-Republik, deren totale Gehorsamsbereitschaft triebhafter ist als die der meisten DDR-Bürger (meine persönliche Überzeugung!)

Diese BRD muss sterben, schade nur, dass wir vermutlich mit draufgehen...

 

Monika

17. November 2021 10:10

Zitat Wolfgang Schäuble 

„..und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen...“

Laurenz

17. November 2021 10:47

 

@Monika

"Euro & BRDwerdung"

So fest gezügelt waren die Vorgaben aus dem Westen zur Wiedervereinigung nicht. Man hätte vieles anders machen können. Schuld trägt der Versager Helmut Kohl, ein Historiker, der von Geld 0 Plan & die üblichen falschen Berater hatte. Man hätte den Franzmann auch am langen Arm verhungern lassen können. Man sieht doch am 2+4-Vertrag, daß Franzosen & Briten nicht wirklich eine Rolle spielten. Die NATO kotzt bis heute darüber, daß Kohl nicht den Schneid hatte, Russisch-Ostpreußen von Jelzin zu kaufen.

Imagine

17. November 2021 13:15

1/5

Neulich geriet ich beim Zappen eine TV-Reportage. Es war die Rede von einem reichen Land, in dem es große und zunehmende Armut gibt, weil eine korrupte, rücksichtslose, gierige und verbrecherische Oberschicht das Land immer mehr ausplündert und sich immer mehr Reichtum aneignet.

Eine typische Dritte Welt-Struktur.

Der Witz dabei ist, dass nicht nur in Nigeria, über das berichtet wurde, sondern sich auch in Europa diese Dritte-Welt-Strukturen immer deutlicher werden.

Deutschland war durch die Bismarckschen Sozialreformen das Mutterland des Sozialliberalismus gewesen und prägte dadurch die sozialstaatliche Entwicklung Europas.

In der Nachkriegsära gab in den Staaten Europas und insbesondere in West-Deutschland – einen historisch noch nie erreichten allgemeinem Wohlstand unter der Arbeitsbevölkerung sowie eine breite Mittelschicht.

Jedoch führte der wissenschaftlich technische Fortschritt in der kapitalistischen Marktwirtschaft nicht dauerhaft zu steigendem allgemeinen Wohlstand und zur Reduzierung der Arbeitszeit, sondern zum Gegenteil.

Warum unter den Bedingungen der kapitalistischen Marktwirtschaft Demokratie und allgemeiner Wohlstand nicht dauerhaft möglich sind, kann man bei Soziologen Streeck nachlesen.

Imagine

17. November 2021 13:15

2/5

Reichte in meiner Jugend – in den 60er Jahren - in der breiten Mitte der Gesellschaft noch ein Erwerbseinkommen mit 40 Stunden Arbeit zur Reproduktion der Familien aus, so benötigt es heute den doppelten Aufwand. Es müssen beide Elternteile arbeiten und die Rentenaltersgrenze liegt – wie bei vielen damals – nicht mehr bei 60 Jahren, sondern geht immer mehr in Richtung 70 Jahre. Und für immer mehr Menschen wird Altersarmut zu Realität. Immer mehr Rentner können das Geld für die steigenden Mieten nicht mehr aufbringen.

Wie viele in der unteren Mittelschicht, haben meine Eltern in den 60-er Jahren ein Reiheneigenheim gebaut. Der Vater war Beamter im mittleren Dienst, die Mutter Hausfrau. Alle Nachbarn in den Reiheneigenheimen waren „kleine Leute“: Facharbeiter, Busfahrer, mittlerer Öffentlicher Dienst, Volkschullehrer etc.

Der gesellschaftliche Wandel, wie wir ihn jetzt als „Neoliberalismus“ und „Globalisierung“ erleben, basiert auf den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Marktwirtschaft.

Mafiöse Strukturen und Bandenbildungen im Establishment gehören zur Realität eines entwickelten Kapitalismus. Der Kapitalismus tendiert aus ureigenstem Prinzip zur Verbrecherherrschaft, so Max Horkheimers Hinweis bereits vor langer Zeit.

Lug und Trug beherrschen die kapitalistischen Gesellschaften, weil immer wieder Überproduktionskrisen bewältigt und neue Märkte geschaffen werden müssen.
 

Imagine

17. November 2021 13:16

3/5
Mit Umweltzonen und Umweltplaketten zwang man die Autobesitzer, neue Autos zu kaufen, damit sie in die Umweltzonen fahren konnten. EURO 1, 2, 3, 4, 5 etc. Ohne entsprechende Umweltplakette werden die Autofahrer exkludiert und bestraft. Nur der Kauf eines Autos mit neuster Umweltplakette macht frei.

Die Impfindustrie macht im Zusammenspiel mit der Politik das Gleiche in Form der Zertifikatspflicht. Gesunde Bürger ohne aktuelles Zertifikat werden sozial exkludiert. Nur Impfen macht frei.

Anfänglich war das Zertifikat nach 2 Impfungen zeitlich unlimitiert gültig. In Österreich hat man die Geltungsdauer von 1 Jahr schon auf 9 Monate verkürzt. Jetzt empfiehlt man den Älteren, sich schon 3 Monate nach der 2. Impfung „boostern“ zu lassen. Und das wird so weitergehen. Nach der 3. Impfung kommt die 4, danach die 5., 6. usw.

Das Umweltschutz-Katastrophen-Framing ist schon fest in den Köpfen eingebrannt. Der große Betrug wird gar nicht wahrgenommen.

Die Politik forderte Schadstofflimite, die technisch gar nicht möglich waren. Die Autoindustrie reagierte darauf mit dem Abgasbetrug. Die Politik wusste schon früh davon, aber unternahm nichts, denn es ging darum, neue Märkte zur Kapitalverwertung zu schaffen. Daher auch die Abwrackprämien.

Imagine

17. November 2021 13:17

4/5
Das gleiche Szenario bei den Immobilienbesitzern mit dem Zwang zu Energiesparmaßnahmen. Die Hausbesitzer dämmten die Wände mit Plastik und Styropor, was bauphysikalisch völliger Nonsens war und sogar erhöhten Energieaufwand zum Heizen erforderte. Zudem schimmelte es unter den Fassadenverkleidungen.

Medizinisch ist der Impfzwang mit dem Genzeug völliger Nonsens. Das macht die Gesellschaft kränker. Selbst bei gesunden jungen Menschen kann die Gen-Spritze zu Todesfällen führen. Zudem schützt die nicht sicher vor Re-Infektion:
„Bei der Gruppe 60 Plus waren zuletzt immerhin 41,7 Prozent der Verstorbenen geimpft, auf den Intensivstationen lag der Anteil der Geimpften in dieser Altersgruppe bei 36 Prozent.“ (FAZ 12.11.21)

Kimmich hat völlig Recht. Bei gesunden Unter-35-Jährigen geht das Sterberisiko durch Covid-19 gegen Null, das Impfrisiko ist wesentlich höher.

Aber die Impf-Mafia will möglichst alle impfen. Damit schafft man neue Märkte zur Kapitalverwertung. Zudem entsteht mit den Impfgeschädigten wieder ein neuer Markt. An Gesunden verdient die Medizinindustrie nichts.

Imagine

17. November 2021 13:18

5/5

So funktioniert Marktwirtschaft.

Aber der sozio-ökonomische Irrsinn der Marktwirtschaft wird nicht begriffen, sondern für alternativlos gehalten.

Die christlich-kapitalistischen Gesellschaften sind geisteskrank. Sie haben als Ideal und Selbstbild eine soziale Gesellschaft auf Basis der christlicher Nächstenliebe. Die Realität hingegen ist ein rücksichtsloser Sozialdarwinismus, ein „bellum omnium contra omnes“.

Der „Reale Sozialismus“ taugte nichts als System. Er war kein attraktives Alternativmodell und erreichte nie die versprochenen Ziele.

Zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung Deutschlands befand sich die westlich-kapitalistische Welt bereits in einem systembedingten Selbstzerstörungsprozess, ohne Aussicht auf eine Systemtransformation in eine menschenfreundliche Gesellschaft.
 

Maiordomus

17. November 2021 16:20

@Imagine. Es gibt ernsthafte Einwände zumal gegen die organsierten christlichen Kirchen. Aber eine "christlich-kapitalistische Gesellschaft" gibt es nicht. Auf dem Papier, aber nur dort, lief einst das Parteiprogramm des Zentrums in jene Richtung. Frankreich schliesslich hat sich schon 1789 von solchen Vorstellungen gelöst, trotz gewissen zwischenzeitlichen reaktonären Strömungen. Auch die Verfassung der USA geht in ihrer heutigen Praxis nicht in diese Richtung.

anatol broder

17. November 2021 16:39

@ imagine

um nicht immer so langwelig zu sein, könntest du deine textbausteine als verse anordnen. natürlich sollten diese vorher verdichtet werden. als beispiel sammelte ich aus den oberen ausführungen in unveränderter reihenfolge ein sonett:

in der kapitalistischen marktwirtschaft,
der kapitalistischen marktwirtschaft,
der kapitalistischen marktwirtschaft
eines entwickelten kapitalismus.

der kapitalismus.
die kapitalistischen gesellschaften
zur kapitalverwertung,
zur kapitalverwertung,

die christlich-kapitalistischen gesellschaften,
die westlich-kapitalistische welt.

***

viel besser, oder?

Laurenz

17. November 2021 16:59

@Imagine

Jetzt haben Sie bei Ihrem an sich sehr guten Beitrag 5 Beitragsplätze in einem gewaltigen Rundumschlag verbraten, waren aber trotzdem bei der ökonomischen Frage zu ungenau, zu pauschal.

JS hat in Seinem letzten Artikel genau auf den Unterschied zwischen Streeck & Reckwitz hingewiesen. Bei Streeck kommt es weniger zum tragen, daß Er Soziologe ist, denn Er geht, im Gegensatz zu Reckwitz auf real-politische Faktoren ein.

Die industrielle Abwanderung aus Europa, die Pseudo-Akademisierung hat natürlich politische Ursachen. Anstatt die Industrie zu zwingen in mehr Produktivität zu investieren, suchte man primitiv ab den 90ern immer weiter die Billiglohn-Staaten & -Sektoren. Über die Abwertung in den Euro zulasten der Bürger, fing man auch an über den billigen Lohn zu verkaufen. Das "Ökonomische Prinzip", welches jeder Kaufmann in seiner Lehre lernt, wurde bis zum heutigen Tag verraten.

Desweiteren war der Kuchen der Aktionäre früher kleiner & der der Mitarbeiter größer. All das sind politische Fehlentscheidungen gewesen, die den entscheidenden Protagonisten durchaus bewußt waren. Aber die Zuwendungen der Lobbyisten waren eben verlockender.

AndreasausE

17. November 2021 17:42

Laurenz. 17. November 2021 08:41

"Bei uns im Westen machten viele Z2 (2 Jahre statt dem Pflichtwehrdienst), weil die Bezahlung einfach besser war."

Stimmt, zudem war damit Uniformzwang umgangen, insbesondere dieser Krawattenstrick zum Gelöbnis. Mag albern klingen, traf in meinem Falle aber zu.

"Um es mit Kurt Halbritter zu sagen: "Ich wäre gerne Soldat geworden, wenn mich das Vaterland gerufen hätte"."

Halbritter hab ich selbstredend auch noch halbritterlich intus. Aber in erster Linie war tatsächlich der Freimaurerstrick, weswegen ich mir seinerzeit noch diese Verweigerung aus Fingern gesogen hatte, komplett erfunden und gelogen, aber ging so durch.

Heute bedaure ich es, mich nicht auf Steuerzahlerkosten hab miltärisch ausbilden zu lassen, aber Interne war auch nicht so ganz verkehrt. Das läßt mich jetziges Genöle rund um Corona nur mit Verachtung betrachten.

 

Später habe ich es sehr bereut, nicht zur Marine gegangen zu sein.

nom de guerre

17. November 2021 19:32

@ Gracchus

"Aus dem Osten kommt nicht nur Dissidenz, sondern auch das neoautoritäre Gehabe?"

Die beiden Spitzenpersonen Merkel und Kahane, die Sie erwähnen, sprechen sicherlich dafür. Aber das erklärt nicht das sog. Fußvolk, das in diesem autoritären Zug nur allzu gerne mitfährt. Leute, die, ohne mit der Wimper zu zucken, irgendwelche Vereinsveranstaltungen in vorauseilendem Gehorsam unter 2G-Bedingungen abhalten ("Ihr braucht auch doch nur impfen lassen. Das ist eine Frage der Solidarität!") oder Einladungen im privatesten Kreis mit dem Impfstatus verknüpfen, gibt es leider nicht selten. In meinem Umfeld sind die jedoch fast alle westdeutsch sozialisiert.

Lotta Vorbeck

17. November 2021 19:40

@Franz Bettinger - 16. November 2021 - 11:03 PM

In der DDR wurde das Westfernsehen untersagt. Jetzt bin ich auch dafür. (Netzfund)

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Verpönt ja. Untersagt, oder offiziell direkt verboten war es nie, das Westfernsehen.

Anfangs erkletterten - lokal nicht flächendeckend - FDJ-Sturmtrupps die Dächer von Mietskasernen um gen Westen weisende Fernsehantennen herunter zu reißen.

In der späten TäTäRä förderte die SED den von den Einwohnern selbst zu organisierenden "Bau von Gemeinschaftsantennenanlagen in empfangsschwachen Lagen" aka das Ermöglichen des West-TV-Empfanges.

Das, was K.E. von Schnitzlers "Schwarzer Kanal" publizierte, erschloß sich nur jenen Zuschauern, die zugleich mit dem Westfernsehen vertraut gewesen sind.

 

Pit

17. November 2021 19:59

Deutschland sollte in etwas Größerem, vermeintlich Besserem verdünnt aufgehen, in „Europa“ mindestens, aber gleichfalls in einer Weltgemeinschaft und Weltbürgerschaft

Macht es Sinn, Deutscher zu sein, wenn es global so viel Interessantes gibt?
Dazu dieser Aspekt: ich habe das Gefühl, daß ich von Nichtdeutschen, von Ausländern (also solchen, die in ihren Ländern leben bzw. z.B. als Tourist hier sind), mit Interesse und Zustimmung als Deutscher erlebt werde. Genauso wie der Deutsche gerne in die Welt hinauszieht, um das Exotische, das Ferne, das Fremde, zu erleben: so ja auch die anderen. Die brauchen mich als Deutschen mit deutscher Identität, um eben auch mal so was zu erleben 😀 ! Ich denke, das ist ein schöner Grund, solche Identitäten aufrecht zu erhalten. Und natürlich haben wir ja auch gar nicht wirklich die Wahl, das scheint nur so. Egal wie viel ein Deutscher sich auf der Welt herumtreibt, er bleibt doch ein Deutscher und wird früher oder später wieder als Deutscher unter Deutschen leben wollen.

Lotta Vorbeck

17. November 2021 21:31

@nom de guerre - 17. November 2021 - 07:32 PM

"... Leute, die, ohne mit der Wimper zu zucken, irgendwelche Vereinsveranstaltungen in vorauseilendem Gehorsam unter 2G-Bedingungen abhalten ("Ihr braucht auch doch nur impfen lassen. Das ist eine Frage der Solidarität!") oder Einladungen im privatesten Kreis mit dem Impfstatus verknüpfen, gibt es leider nicht selten. ..."

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Suchte im März 2021 über ebay-Kleinanzeigen nach einem Betonmischer.

"Die Einhaltung der Hygieneregeln ist obligatorisch" hieß es in Verbindung mit etlichen Offerten. Dies wiederum erleichterte die Selektion der Angebote. Bin dann zur Abholung der Maschine gern ein paar Kilometer weiter gefahren.

Imagine

17. November 2021 23:07

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@Laurenz 17. November 2021 16:59
„Die industrielle Abwanderung aus Europa, die Pseudo-Akademisierung hat natürlich politische Ursachen.“

Politik und Ökonomie erscheinen nur bei oberflächlicher Betrachtung als getrennte Sphären. Die entscheidende Frage ist, wer über die Macht verfügt, seine Interessen politisch umzusetzen.

In der kapitalistischen Marktwirtschaft treffen antagonistische Interessen aufeinander: Höhere Löhne führen zu geringerem Gewinn – und umgekehrt. Daraus entsteht der für diese Gesellschaft typische Verteilungskampf: Das Kapital will niedrigere Löhne, die Lohnarbeiter höhere.

Der große Unterschied zu den goldenen Zeiten der Lohnarbeiter in den 60er und 70er Jahren liegt im Verlust von politischer Durchsetzungsmacht. Sie können keine Klassenkompromisse mehr erzwingen.

Die Organisationen der Lohnarbeiter, SPD und Gewerkschaften, wurden korrumpiert. Die Gewerkschaftsführer wurden zu Arbeitsdirektoren und Unternehmensvorständen gemacht und je höher der Unternehmensprofit ist, umso mehr steigt deren Lohn.
Ein sozialdemokratischer Wirtschaftsminister hatte Nebeneinkünfte in Millionenhöhe. Korruption wurde nicht thematisiert.

In Zeiten hoher und steigender Arbeitslosigkeit ist die schärfste Waffe der Lohnarbeiter, die Streikwaffe, stumpf. Die Angst vor Betriebsschließungen oder Entlassung ist zu groß.
 

Imagine

17. November 2021 23:07

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Billigere als deutsche Arbeitskräfte gibt es in der EU im Überfluss, sei es aus dem Süden oder dem Osten.

Akademisch qualifizierte Arbeitskraft ist so billig wie nie zuvor in der Geschichte Deutschlands. Hochschulabsolventen bekommt man heute für Einstiegslöhne um 1800 – 2000 €, also auf Mindestlohnniveau.

Hat man um die Jahrtausendwende Produktionsanlagen wegen der billigen Löhne und der hohen Profite nach China ausgelagert, so geschieht dies heute wegen der dort entstandenen Kaufkraft.

In China haben sich die Reallöhne von 2010 – 2020 mehr als verdoppelt. China ist ein Wachstumsmarkt. Die Mittelschicht umfasst 500 Mio. Chinesen, also mehr als Bevölkerung der EU. Das durchschnittliche Wohlstandsniveau der chinesischen Mittelschicht ist höher als das der EU-Bevölkerung. Die chinesische Mittelschichtfamilie besitzt eine Eigentumswohnung und ein Auto.

Deutschland hingegen wird zunehmend ein Radfahrerland. Wohneigentum ist für die Mehrheit der deutschen Arbeitsbevölkerung unerschwinglich geworden.

In den westlich-kapitalistischen Industriegesellschaften geht es mit dem Wohlstandniveau der lohnabhängigen Bevölkerung – also bei weit über der Mehrheit - abwärts, in China hingegen aufwärts.

Die Schere wird Jahr für Jahr größer. Ehemalige führende Industriestaaten gehen immer mehr Richtung einer Dritte-Welt-Struktur, die Massenimmigration beschleunigt dies.

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