Vor einhundert Jahren wurde der Historiker Hans-Joachim Schoeps geboren

von Karlheinz Weißmann

Vor einhundert Jahren, am 30. Januar 1909, wurde Hans-Joachim Schoeps in Berlin geboren.

Er kam als Sohn eines renom­mier­ten Ber­li­ner Arz­tes zur Welt, stu­dier­te nach dem Schul­ab­schluß in Hei­del­berg, Mar­burg, Ber­lin und Leip­zig Ger­ma­nis­tik, Geschich­te und ver­glei­chen­de Reli­gi­ons­wis­sen­schaft. 1932 wur­de er zum Dr. phil. pro­mo­viert. Gleich­zei­tig hat­te er das Ers­te Staats­examen abge­legt, konn­te aber im fol­gen­den Jahr wegen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­über­nah­me nicht mehr in das Refe­ren­da­ri­at ein­tre­ten; aus den­sel­ben Grün­den schei­ter­te auch der Ver­such, sich zu habilitieren.
Schoeps war in den zwan­zi­ger Jah­ren mit der Jugend­be­we­gung in Berüh­rung gekom­men und hat­te Kon­takt zu ver­schie­de­nen Grup­pen der „Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on“. Er gehör­te damit zu dem klei­nen Kreis deutsch-jüdi­scher Intel­lek­tu­el­ler, die die­ser Bewe­gung nahe­stan­den, so etwa Rudolf Bor­chardt, Ernst Kan­to­ro­wicz und Hans Roth­fels. Ver­bin­dun­gen bestan­den vor allem zu Zeit­schrif­ten wie Die Tat, in der 1930 ein ers­ter im eigent­li­chen Sinn poli­ti­scher Auf­satz aus sei­ner Feder erschien, und Der Ring, die nach­hal­tig durch die Ideen Moel­ler van den Brucks geprägt war. Bemer­kens­wert ist auch, daß Schoeps die unter Kon­ser­va­tiv-Revo­lu­tio­nä­ren ver­brei­te­te Ein­schät­zung  des Natio­nal­so­zia­lis­mus teil­te, wenn er einer­seits den “auf­ge­reg­ten Klein­bür­ger Hit­ler” ver­ab­scheu­te, ande­rer­seits mein­te, daß man nur in der HJ noch “Gläu­big­keit, Begeis­te­rung und Lei­den­schaft” fin­de, wenn­gleich sie für die fal­schen Zie­le ein­ge­setzt wür­den. Die­se Bemer­kun­gen stam­men aus einem Brief, den Schoeps im Novem­ber 1932 an den von ihm – trotz sei­ner scharf anti­jü­di­schen Posi­ti­on – hoch ver­ehr­ten Hans Blü­her schrieb. Bei­de hat­ten in Kor­re­spon­denz­form ein Streit­ge­spräch geführt, das noch 1933 unter dem Titel Streit um Isra­el als Buch ver­öf­fent­licht wur­de. Dar­in beton­te Schoeps einer­seits sein Deutsch­tum im Sin­ne des preu­ßi­schen Staats­ethos, ande­rer­seits sei­ne jüdi­sche Iden­ti­tät. Die­se ver­stand er aller­dings nicht im zio­nis­ti­schen Sinn – das jüdi­sche “Welt­volk” war sei­ner Mei­nung nach im Jah­re 70 mit der Zer­stö­rung des Tem­pels und Jeru­sa­lems unter­ge­gan­gen –, son­dern theo­lo­gisch, wobei er neben dem Bun­des­schluß am Sinai auch die Mög­lich­keit aner­kann­te, daß Gott mit ande­ren Völ­kern ähn­li­che Bün­de abge­schlos­sen habe.

Und was nun gar heu­te alles kon­ser­va­tiv ist: Die­ses ver­mi­cker­te Klein­bür­ger­tum, das Ruhe und Ord­nung will, die Leu­te, die Angst haben, daß man ihnen ihre Geld­sä­cke klaut – aber dar­über hin­aus für kei­nen Sech­ser Hal­tung und Cou­ra­ge. – Schoeps 1932

Die­ser “the­o­no­me Kon­ser­va­tis­mus” ähnel­te sehr stark der in den zwan­zi­ger Jah­ren von evan­ge­li­schen Theo­lo­gen ent­wi­ckel­ten „Volks­no­mos­leh­re“ und führ­te Schoeps mit sei­nen poli­ti­schen Vor­stel­lun­gen in eine welt­an­schau­li­che Posi­ti­on zwi­schen allen Fron­ten. Dar­aus erklär­te sich letzt­lich sei­ne heu­te so stark irri­tie­ren­de Bemü­hung, für die deut­schen Juden im „Drit­ten Reich“ eine selb­stän­di­ge Posi­ti­on als „Stand“ zu errei­chen, wes­halb er von Regie­rungs­stel­len eben­so wie von den an “Dis­si­mi­la­ti­on” inter­es­sier­ten Zio­nis­ten wie von der Emi­gra­ti­on mit Feind­se­lig­keit ver­folgt wurde.

Der von Schoeps zu Ostern 1933 gegrün­de­te „Vor­trupp. Gefolg­schaft deut­scher Juden“ soll­te zusam­men mit ande­ren kon­ser­va­ti­ven jüdi­schen Orga­ni­sa­tio­nen, vor allem dem „Natio­nal­ver­band deut­scher Juden“, trotz dau­ern­der Zurück­wei­sung die patrio­ti­sche Ein­satz­be­reit­schaft der ver­fem­ten Min­der­heit demons­trie­ren, hat­te damit aber kei­nen Erfolg. Im Dezem­ber 1938 muß­te Schoeps flucht­ar­tig das Land ver­las­sen und emi­grier­te nach Schwe­den. Sei­ne Eltern kamen in den Lagern ums Leben, sein Vater, der wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs als Regi­ments­arzt des Gar­de du Corps gedient hat­te, konn­te bis zum Schluß nicht glau­ben, daß eine „natio­na­le Regie­rung“ Hand an ihn und sei­ne Fami­lie legen würde.

Die erzwun­ge­ne Muße im skan­di­na­vi­schen Exil nutz­te Schoeps, um sei­ne Stu­di­en zur ver­glei­chen­den Reli­gi­ons­ge­schich­te fort­zu­set­zen. Er arbei­te­te als Dozent an der Uni­ver­si­tät Upp­sa­la und soll bei sei­ner Rück­kehr mehr als drei­zehn Kilo­gramm Manu­skript­pa­pier bei sich gehabt haben, Mate­ri­al für sie­ben wis­sen­schaft­li­che Wer­ke. Den häu­fig kom­mu­nis­tisch ori­en­tier­ten Grup­pen des Exils stand er ableh­nend gegen­über. Uner­müd­lich ver­such­te er die Dif­fe­renz zwi­schen Deutsch­land und dem NS-Regime klar­zu­stel­len. Inso­fern war es nur kon­se­quent, daß er unmit­tel­bar nach Kriegs­en­de in das zer­stör­te Deutsch­land zurück­kehr­te. Er habi­li­tier­te sich 1946 in Mar­burg und wur­de ein Jahr spä­ter auf den eigens geschaf­fe­nen Lehr­stuhl für Reli­gi­ons- und Geis­tes­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Erlan­gen beru­fen, zeit­gleich begann er mit der Her­aus­ga­be der Zeit­schrift für Reli­gi­ons- und Geis­tes­ge­schich­te.

Schoeps‘ Vor­stel­lung von „Geis­tes­ge­schich­te“ knüpf­te zwar an Dil­they an, ver­stand sich aber dar­über hin­aus­ge­hend als „Zeit­geist­for­schung“. In mehr als drei Jahr­zehn­ten publi­zier­te er zah­rei­che Mono­gra­phien und Sam­mel­wer­ke auf die­sem Gebiet. Dabei zeich­ne­ten sich sehr deut­lich zwei Schwer­punk­te ab: die Geschich­te des Urchris­ten­tums – ins­be­son­de­re der „Juden­chris­ten“ – und die Geschich­te des preu­ßi­schen Staa­tes, vor allem sei­ner kon­ser­va­ti­ven Denker.

Die­ses Inter­es­se am „ande­ren Preu­ßen“ hing vor allem mit der Sym­pa­thie zusam­men, die Schoeps nach wie vor der kon­ser­va­ti­ven preu­ßi­schen Tra­di­ti­on ent­ge­gen­brach­te. Fast alle sei­ne poli­ti­schen Stel­lung­nah­men in der Nach­kriegs­zeit müs­sen aus die­sem Zusam­men­hang her­aus ver­stan­den wer­den. Bereits sei­ne Rede zum 250. Jah­res­tag der ers­ten preu­ßi­schen Königs­krö­nung, dem 18. Janu­ar 1951, über „Die Ehre Preu­ßens“ (so der Titel der gedruck­ten Fas­sung) sorg­te für Auf­se­hen. Zu Beginn der Anspra­che hieß es: „Ich möch­te mit der Fest­stel­lung begin­nen, daß wir eines teu­ren Toten hier geden­ken, der, vom Stro­me der Geschich­te zum Licht getra­gen, in die­sen Strom wie­der zurück­ge­taucht ist. Staa­ten wer­den immer nur durch die Kräf­te getra­gen und erhal­ten, durch die sie geschaf­fen wor­den sind. Preu­ßen war ein könig­li­cher Staat, und dar­um muß­te Preu­ßen ster­ben, als sein König­tum dahin­starb. Preu­ßen hat am 9. Novem­ber 1918 zu bestehen auf­ge­hört und nicht erst 1933 oder gar 1945. Als durch Beschluß des Alli­ier­ten Kon­troll­ra­tes vom 25. Febru­ar 1947 der Staat Preu­ßen, des­sen Stamm­lan­de damals aber zum gro­ßen Teil unter frem­der Herr­schaft stan­den, offi­zi­ell auf­ge­löst wur­de, haben alle alten Preu­ßen dies als einen selt­sa­men Akt der Lei­chen­schän­dung empfunden.“

Eine ähn­lich irri­tie­ren­de Wir­kung wie das Plä­doy­er eines deut­schen Juden für den preu­ßi­schen Staat hat­ten auch Schoeps’ spä­ter erho­be­ne For­de­rung nach Ein­rich­tung eines „Ober­hau­ses“ und sein Ein­tre­ten für die Wie­der­her­stel­lung der Mon­ar­chie. Je wei­ter sich die Links­ten­den­zen in der west­deut­schen Gesell­schaft in den sech­zi­ger Jah­ren ver­stärk­ten, des­to schär­fer wur­de Schoeps im Ton und des­to weni­ger schütz­te ihn sei­ne jüdi­sche Her­kunft. Die Angrif­fe kamen dabei von ver­schie­de­nen Sei­ten: ein­mal von dem noto­ri­schen Ari­el Goral, der Schoeps in einem Flug­blatt wegen sei­ner Bemü­hun­gen um den jüdi­schen „Stand“ zwi­schen 1933 und 1936 als „brau­nen Juden“ beschimpf­te, und zum ande­ren von der APO, der end­lich eine Hand­ha­be gegen den Kon­ser­va­ti­ven zur Ver­fü­gung stand, der schon ver­schie­dent­lich ener­gi­sche Maß­nah­men gegen den neu­en lin­ken Extre­mis­mus ver­langt hat­te und sich jetzt als „erfah­re­ner Faschist“, „Nazi-Jude“ oder „jüdi­scher Ober­sturm­bann­füh­rer“ ver­un­glimpft sah.

Auf Unter­stüt­zung brauch­te Schoeps nicht zu hof­fen. Die Phi­lo­so­phi­sche Fakul­tät sei­ner Uni­ver­si­tät hat­te schon 1968 eine Soli­da­ri­täts­er­klä­rung mit 33 gegen 5 Stim­men abge­lehnt. Der „Fall Schoeps“ erreg­te bun­des­weit Auf­se­hen und zog jetzt Angrif­fe auch in der über­re­gio­na­len Pres­se, etwa in Zeit und Spie­gel, nach sich. Schließ­lich nahm unter der neu­en sozi­al­li­be­ra­len Regie­rung das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um die Ver­ein­ba­rung über eine Son­der­aus­ga­be des Buches Preu­ßen. Geschich­te eines Staa­tes für die Bun­des­wehr zurück. Schoeps geriet in den fol­gen­den Jah­ren immer wei­ter in die Isolation.

Als er im Win­ter­se­mes­ter 1976/77 zur Eme­ri­tie­rung anstand, ver­such­te er alles, um eine geplan­te Umwid­mung sei­nes Lehr­stuhls zu ver­hin­dern. Im Rah­men der Ver­ein­ba­rung zwi­schen der katho­li­schen Kir­che und dem baye­ri­schen Staat über die soge­nann­ten Kon­kor­dats­lehr­stüh­le war vor­ge­se­hen, an die Stel­le des Erlan­ger Lehr­stuhls für Reli­gi­ons- und Geis­tes­ge­schich­te einen sol­chen für Poli­ti­sche Wis­sen­schaf­ten tre­ten zu lassen.
Alle Ver­su­che von Schoeps, das – und damit die Beschä­di­gung sei­ner intel­lek­tu­el­len Hin­ter­las­sen­schaft – zu ver­hin­dern, schlu­gen fehl, bis es ihm gelang, durch direk­te Inter­ven­ti­on bei der baye­ri­schen Regie­rungs­spit­ze wenigs­tens zu errei­chen, daß die Geis­tes­ge­schich­te im Rah­men der künf­ti­gen Lehr­ver­an­stal­tun­gen einen beson­de­ren Schwer­punkt bil­den soll­te. Vor allem auf Betrei­ben des land­läu­fig als „kon­ser­va­tiv“ gel­ten­den His­to­ri­kers Micha­el Stür­mer wur­de nach dem Tod von Schoeps am 8. Juli 1980 das noch bestehen­de „Semi­nar für Reli­gi­ons- und Geis­tes­ge­schich­te“ liqui­diert, sein Lehr­stuhl ein­ge­zo­gen bezie­hungs­wei­se umge­wid­met und 1994 sogar die Biblio­thek – dar­un­ter neun­hun­dert von den Erben leih­wei­se über­ge­be­ne Titel – an ein Anti­qua­ri­at verkauft.

Die ’Über­win­dung der Mas­sen­ge­sell­schaft’ wird in unse­rem Geschichts­raum viel­leicht über­haupt nur noch vom Geist, von den Ideen und Insti­tu­tio­nen des Preu­ßen­tums her mög­lich sein. Denn Preu­ßen war der ein­zi­ge deut­sche Staat, der mehr als ein Staat war, mit dem sich eine Idee ver­knüpft hat, durch die Men­schen gebun­den wur­den und noch heu­te gebun­den wer­den kön­nen. … Der­lei ist heu­te voll­kom­men unzeit­ge­mäß – aber gefor­dert. Gera­de die Unzeit­ge­mäß­heit ist para­do­xer­wei­se die größ­te Chan­ce für Preu­ßens Wie­der­kehr. Erst in der Zukunft wird man das klar erken­nen kön­nen. – Schoeps 1982

Man hat Hans-Joa­chim Schoeps immer wie­der sei­ne unkri­ti­sche Hal­tung gegen­über der preu­ßi­schen Ver­gan­gen­heit vor­ge­wor­fen, sei­nen ana­chro­nis­ti­schen Roya­lis­mus, und selbst Wohl­wol­len­de glaub­ten, daß er sich all­zu sehr nach Schnal­len­schuh und Perü­cke am Hof zu Sans­sou­ci sehn­te. Aber damit trifft man nicht den Kern der Sache. Hier hat einer mit bemer­kens­wer­ter Unbe­irr­bar­keit nicht nur dar­an fest­ge­hal­ten, daß es mög­lich sein müs­se, Deut­scher und Jude, Preu­ße und Jude zu sein, son­dern auch dar­auf beharrt, daß „unser armes Land“ sei­ne Wun­den hei­len las­sen soll­te und daß ohne die preu­ßi­sche Sub­stanz staat­li­che Exis­tenz gar nicht mög­lich sei. Damit war er in der ers­ten Nach­kriegs­zeit durch­aus reprä­sen­ta­tiv für eine star­ke Min­der­heit der Deut­schen, die eine Total­re­vi­si­on der Geschich­te für unwahr­schein­lich hielt, dann akzep­ta­bel, weil ihm Her­kunft und Schick­sal einen gewis­sen Schutz gewähr­ten, schließ­lich ein­sam wie jeder, der im Ernst auf dem Wert der preu­ßi­schen Lek­ti­on beharrte.

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