Botho Strauß: Eine Glosse zum Untergang

Das eigenartige Verhältnis (der „Roman“, wie Strauß selbst sagen würde) zwischen Botho Strauß und dem Spiegel... 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

erfährt in der aktu­el­len Aus­ga­be des Nach­rich­ten­ma­ga­zins sei­ne Bestä­ti­gung: Strauß greift wie­der ein­mal zur Feder und spe­ku­liert auf einen „Skan­dal“. In der Vor­be­mer­kung zu sei­nem Text „Der letz­te Deut­sche“ (im aktu­el­len Heft) wird aus­drück­lich auf den „Anschwel­len­den Bocks­ge­sang“ hin­ge­wie­sen, jenen Essay also, der „in der Publi­zis­tik des wie­der­ver­ei­nig­ten Deutsch­land“ wie kein zwei­ter für „Empö­rung und Dis­kus­sio­nen“ gesorgt habe.

Dabei fällt unter den Tisch, daß der Spie­gel damals selbst (und nicht irgend­wel­che omi­nö­sen „Geg­ner“) den Autor zum „Vor­den­ker eines neu­en rech­ten Deutsch­lands“ erklär­te und daß es immer wie­der Essays von Strauß im Spie­gel zu lesen gab (etwa zum 11.9.2001 oder zum Islam als „Vor­be­rei­tungs­ge­sell­schaft“), bei denen der Empö­rungs­me­cha­nis­mus nur nicht mehr ganz so gut funk­tio­nier­te wie beim „Anschwel­len­den Bocksgesang“.

In dem Ver­hält­nis zwi­schen Spie­gel und Botho Strauß herrscht etwas, was der Dich­ter für den Tief­punkt jeder Bezie­hung hal­ten muß: Rou­ti­ne. Der Spie­gel ver­öf­fent­licht Strauß‘ Text und gibt ihm damit die größt­mög­li­che Platt­form. Man spe­ku­liert dabei auf den Skan­dal, der die Lan­ge­wei­le ver­treibt und der dar­in liegt, daß ein so ein­deu­tig als links­li­be­ral zu qua­li­fi­zie­ren­des Jour­nal wie der Spie­gel einen „Rech­ten“ wie Strauß zu Wort kom­men läßt. Die Ham­bur­ger geben sich welt­of­fen und haben für lan­ge Zeit wie­der so etwas wie ein Fei­gen­blatt für ihre täti­ge Mit­hil­fe am Unter­gang Deutschlands.

Mit den Ein­lei­tungs­wor­ten ver­sucht man (wie immer) den Skan­dal her­bei­zu­schrei­ben (die ers­ten haben schon ver­stan­den: „Strauß zün­delt wie­der“) und natür­lich ist, so die Ankün­di­gung, ein Gegen­ar­ti­kel fest ein­ge­plant. Der Preis, den Strauß für die­se Auf­merk­sam­keit zah­len muß, ist nicht nur das vor­pro­gram­mier­te Miß­ver­ständ­nis, son­dern der Hohn der Jour­na­lis­ten­cli­que. Wobei, so darf ver­mu­tet wer­den, der Spie­gel in vor­ders­ter Rei­he ste­hen wird.

Wer den als „Glos­se“ bezeich­ne­ten Bei­trag von Strauß unter die­sen Vor­aus­set­zun­gen liest, wird sich fra­gen, war­um Strauß sei­ne Per­len so frei­zü­gig unter die Säue wirft. Was hat so ein Text, der sich mit jeder Zei­le die Neu­gie­ri­gen und Effekt­ha­scher vom Leib hal­ten will, im Spie­gel zu suchen? Dar­auf gibt Strauß kei­ne Ant­wort, es sei denn, man sieht in dem Vor­ge­hen so etwas wie eine List, die den eige­nen Feind in die Rol­le des Ver­kün­ders der Wahr­heit zwingt. Strauß könn­te sich dann einen sei­ner Haus­hei­li­gen, Mar­tin Heid­eg­ger, zum Vor­bild genom­men haben, der sein Spie­gel-Gespräch ja ähn­lich genutzt hat.

Im Grun­de könn­te man jedem Spie­gel-Text von Strauß ähn­li­che Fra­gen stel­len, weil die­se Dis­kre­panz immer vor­han­den war. Ande­rer­seits stellt der vor­lie­gen­de Text eine neue Stu­fe der Gegen­wart­s­ab­leh­nung dar, die dann irgend­wann auch ein­mal Kon­se­quen­zen haben müßte.

Strauß zieht in dem Text Bilanz, wenn er schreibt, daß er sich nicht nur als „letz­ter Deut­scher“ sieht, son­dern auch den unbe­setz­ten Pos­ten des „Fort­set­zers von Emp­fin­dungs- und Sin­nier­wei­sen, die seit der Roman­tik eine spe­zi­fisch deut­sche Lite­ra­tur her­vor­brach­ten“ beset­zen zu wol­len: „Etwas davon wie­der auf­le­ben zu las­sen war mein Leben.“ Er stellt sein Werk damit in eine gro­ße Tra­di­ti­on, die mit ihm ihr Ende finde.

Dabei erneu­ert er einen Gedan­ken, mit dem sich gro­ße Geis­ter oft über ihre dürf­ti­ge Zeit hin­weg­ge­trös­tet haben: daß ihre eigent­li­che Gegen­wart all die Geis­tes­ver­wand­ten der ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­te sei­en, mit denen man so etwas wie einen über­zeit­li­chen Geheim­bund geschlos­sen hat. Nicht umsonst spricht Strauß von der „Kon­spi­ra­ti­on“ und dem „Gehei­men Deutsch­land“ und ver­wen­det damit Signal­wör­ter, die für all die bestimmt sind, die dar­auf gewar­tet haben.

Viel­leicht ist Strauß‘ Text also als ein vor­läu­fi­ger Gruß an die Weni­gen zu ver­ste­hen, die da drau­ßen uner­kannt leben und schrei­ben (und die man eben auf die­se Art zu errei­chen hofft) und die sich in die inne­re Emi­gra­ti­on zurück­ge­zo­gen haben. Da auch der Name von Ernst Jün­ger fällt, ist es nicht schwer, eine Bezie­hung zu Jün­gers Schrift Auf den Mar­mor­klip­pen her­zu­stel­len, die eben­falls als ein Gruß an die Brü­der im Geis­te gedacht und mit dem Hin­weis ver­bun­den war, daß es gilt, all das zu über­ste­hen, um spä­ter evtl. wie­der etwas neu­es auf­bau­en zu können.

„Ich bin ein Sub­jekt der Über­lie­fe­rung, und außer­halb ihrer kann ich nicht exis­tie­ren.“, schreibt Strauß. Wenn man die Namen anschaut, an denen Strauß die Über­lie­fe­rung fest­macht, dann decken sich sei­ne Vor­lie­ben ziem­lich genau mit denen von Carl Schmitt, Ernst Jün­ger und Mar­tin Heid­eg­ger. (Ins­be­son­de­re Namen wie Franz Blei, Hugo Ball und Kon­rad Weiss fin­det man als Haus­hei­li­ge wohl nur bei Carl Schmitt in die­ser Voll­zäh­lig­keit versammelt.)

Aus der Hoch­schät­zung die­ser Tra­di­ti­on ergibt sich zwangs­läu­fig eine Ableh­nung der Gegen­wart: „Ich möch­te lie­ber in einem aus­ster­ben­den Volk leben als in einem, das aus vor­wie­gend öko­no­misch-demo­gra­fi­schen Spe­ku­la­tio­nen mit frem­den Völ­kern auf­ge­mischt, ver­jüngt wird, einem vita­len.“ So nahe die Zustim­mung hier liegt, so wenig hat die­se Alter­na­ti­ve etwas mit der Wirk­lich­keit zu tun. Denn nie­mand wird uns in Ruhe ster­ben las­sen, weil es alle dar­auf anle­gen, genau das zu verhindern.

Des­halb rich­tet sich Strauß‘ Ableh­nung auch gegen all jene Deut­schen, die „Sozi­al-Deut­schen“, die eben mit die­ser Tra­di­ti­on gar nichts mehr anfan­gen kön­nen. (Der Irr­tum der Rech­ten sei, es gäbe noch „Deut­sche und Deut­sches außer­halb der ober­fläch­lichs­ten sozia­len Bestim­mun­gen“.) Sie wis­sen nicht, was „kul­tu­rel­ler Schmerz“ ist. Mit Jün­gers Wor­ten: „Nen­ne mir Dein Ver­hält­nis zum Schmerz, und ich will Dir sagen, wer Du bist!“

Über die Gül­tig­keit die­ser Aus­sa­ge kann es bei Strauß kei­nen Zwei­fel geben. Er schreibt an gegen Ent­wur­ze­lung, gegen Öko­no­mi­sie­rung, gegen media­le Abstump­fung und schließ­lich gegen die­je­ni­gen, die Deutsch­lands Unter­gang freu­dig her­bei­seh­nen: „Deutsch­land wird jeden Tag weni­ger. Das fin­de ich großartig.“

Strauß‘ Kom­men­tar: „Das Nied­rigs­te an die­sem Schur­ken-Wort ist die poli­ti­sier­te Schmerz­lo­sig­keit, mit der man die Selbst­auf­ga­be befür­wor­tet, zum Pro­gramm erhebt.“ Die Hal­tung von Strauß hat die unan­ge­neh­me Kon­se­quenz, im Islam so etwas wie einen Lehr­meis­ter zu erbli­cken, der uns wie­der bei­brin­gen wird, was Über­lie­fe­rung bedeu­tet: „Nun, was kann den Deut­schen Bes­se­res pas­sie­ren, als in ihrem Land eine kräf­ti­ge Min­der­heit zu wer­den? Oft bringt erst eine into­le­ran­te Fremd­herr­schaft ein Volk zur Selbst­be­sin­nung. Dann erst wird Iden­ti­tät wirk­lich gebraucht.“

Das ist einer­seits eine Erin­ne­rung an das Kon­zept der Tra­di­ti­ons­kom­pa­nie, die die Über­lie­fe­rung durch die har­ten Zei­ten trägt. Ande­rer­seits steht die­se Hoff­nung in einem kaum auf­zu­lö­sen­den Gegen­satz zu der Ableh­nung, mit der Strauß alle „tra­di­ti­ons­lo­sen“ Deut­schen bedenkt. Die Sit­ten und Gebräu­che wer­den in der Regel nicht von Dich­tern tra­diert und sie sind für die Selbst­ver­ge­wis­se­rung eines Vol­kes nicht weni­ger wich­tig. Wenn die­se Ebe­ne nicht mehr exis­tiert, und das tut sie kaum noch, wird kei­ne kräf­ti­ge Min­der­heit über­le­ben, son­dern das pas­sie­ren, was Hou­el­le­becq in sei­nem Roman Unter­wer­fung beschrie­ben hat.

Aus die­ser distan­zier­ten Hal­tung sei­nem Volk gegen­über resul­tiert eine unent­schie­de­ne Hal­tung zu den gegen­wär­ti­gen Ereig­nis­sen. Einer­seits spricht Strauß von „Flu­tung des Lan­des mit Frem­den“, mar­kiert das aber als ledig­lich eine Posi­ti­on, der er pro­blem­los und pau­schal den angeb­li­chen Bil­dungs­wil­len der ein­wan­dern­den Syrer ent­ge­gen­stellt: „Eher wird ein Syrer sich im Deut­schen so gut bil­den, um eines Tages Achim von Arnims ‚Die Kro­nen­wäch­ter‘ für sich zu ent­de­cken, als dass ein gebil­de­ter Deut­scher noch wüß­te, wer Ephra­im der Syrer war.“ Das streift den Bil­dungs­dün­kel und erin­nert fatal an Haber­mas‘ Gelehrtenrepublik.

Ist Strauß‘ der Mei­nung, daß es die dum­men Deut­schen nicht anders ver­dient haben, als durch Ein­wan­de­rer an den Rand des Ruins geführt zu werden?

Offen­bar gera­ten Strauß die Kate­go­rien durch­ein­an­der, wenn er sich von sei­nem eige­nen Volk distan­ziert, weil es der Öko­no­mi­sie­rung und Säku­la­ri­sie­rung nichts ent­ge­gen­zu­set­zen hat und den Islam mit dem wohl­wol­len­den Auge betrach­tet, weil die­ser noch in einer gewis­sen Ursprüng­lich­keit lebt. Dabei weiß es Strauß bes­ser, wenn er schreibt: „Uns wird geraubt die Sou­ve­rä­ni­tät, dage­gen zu sein.“ – ein­fach, weil wir man­gels Wis­sen nicht mehr dage­gen sein können!

In die­sem Zusam­men­hang ris­kiert Strauß auch mal einen für­sorg­li­chen Blick auf sein Volk, das eben der „poli­ti­sche-mora­li­schen Kon­for­mi­tät“ durch Mas­sen und Medi­en aus­ge­setzt ist und deren Herr­schafts­wil­len kaum noch etwas ent­ge­gen­zu­set­zen hat. Des­halb rich­te sich der „Hass Radi­ka­ler“ nur „vor­der­grün­dig gegen die Flücht­lin­ge“, son­dern sei „vor allem eine unkon­trol­lier­te Reak­ti­on auf das Vaku­um­emp­fin­den, das ‚die Poli­tik‘, wie man heu­te sagt, der Bevöl­ke­rung zumu­tet. Ver­ant­wort­li­che, die das Ende nicht abse­hen. Die in täu­schen­de Beschwich­ti­gun­gen aus­wei­chen. Die Schwä­che zeigen.“

So rich­tig die­se Beob­ach­tung ist, so sehr ist Strauß den Medi­en auf den Leim gegan­gen, wenn er in die­sem Zusam­men­hang von dem „Hass Radi­ka­ler“ spricht. Es ist unklar, was er damit meint, da es die­sen Hass (von kri­mi­nel­len Ein­zel­fäl­len abge­se­hen) nur in den Medi­en gibt, die ihn zur Dis­zi­pli­nie­rung des Vol­kes her­bei­schrei­ben müs­sen (und daher bei­spiels­wei­se Pegi­da Hass unterstellen).

Letzt­end­lich kann sich also auch ein unab­hän­gi­ger Geist wie Strauß den Geset­zen der Medi­en nicht ent­zie­hen, wenn er sie zu benut­zen meint. Sei­nen Obo­lus an die herr­schen­de Kon­for­mi­tät muß er ent­rich­ten, wie jeder ande­re auch. Die Posi­ti­on des „letz­ten Deut­schen“ wird dadurch fragwürdig.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (42)

Belsøe

5. Oktober 2015 09:35

Es stellt sich die Frage, ob es diese seine bevorzugte Zeitgenossenschaft überhaupt so konkret gegeben hat, oder ob sie erst in der Rückschau wunschgemäß als etwas geschlossen erfahrbares imaginiert werden kann. Die Gefahr solcher Imagination liegt darin, dass mittels ihrer womöglich die Lebenswirklichkeit der angeblich ersehnten, besseren Zeit, könnte er in ihr leben, ganz genau so auf Distanz gehalten würde, nun eben durch eine noch weiter zurückliegende, noch bessere.

Kluge, kontemplative und empfindsame Menschen waren zu jeder Zeit eher einsam, langsam, werden zu jeder Zeit beiseite gefegt und haben zu jeder Zeit den Rückzug suchen müssen, so wie Strauß das heute (immerhin sehr gut versorgt) tut - und wohl zu jeder Zeit getan hätte. Bei aller Richtigkeit seiner Beobachtungen der Hölle, die die anderen sind und aller Wichtigkeit, sie auszusprechen - es fehlt der schonungslose Blick auf eben diese eigene Einsamkeit und Handlungsschwäche. Um dieses, sein vielleicht eigentliches, Thema drückt er sich. Ohne es bleibt das Bild von den mangelhaften Verhältnissen aber - unvollständig.

Klaus Scholz

5. Oktober 2015 09:59

Sehr geehrter Herr Lehnert,

Strauß´Satz vom Syrer, der ggf. eher bereit ist, sich dem "Kronenwächter" zu nähren, als dem Deutschen, der Ephraim den Syrer kennt, kann ich als jemand, der beruflich mit Oberstüflern & Studenten zu tun hat, umfänglich zustimmen. Die Frage, was dies über das deutsche Bildungssystem aussagt, mag hier heute jeder selbst beantworten. Zur Veröffentlichung im SPIEGEL möchte ich das Naheliegende anmerken, eine größere Verbreitung unter Menschen, die sich selbst des Denkens für durchaus fähig befinden, ist nicht möglich. Ansonsten möchte ich, da ich mich von Ihnen als innerem Emigranten angesprochen fühle, sagen, wir täten gut daran, auf die Arroganz der eigenen Wahrnehmung, des eigenen Wissens möglichst zu verzichten. Auch wenn Einiges in Strauß´Essay ggf. diskutierbar erscheint - was beim "Bocksgesang" durchaus nicht anders war - so bleibt es sein Verdienst, derartige Texte überhaupt zu publizieren & sie somit (noch !) zu verbreiten. Daraus eine "fragwürdige" Position abzuleiten, erscheint mir dann doch weit übertrieben.

Mit freundlichen Grüßen ...

S. D.

5. Oktober 2015 10:14

Könnte vielleicht noch ein Link (Verweis) zum besungenen Strauss-Artikel implementiert werden? Im Übrigen kann ich es durchaus nachvollziehen, eine gesunde Distanz zu dieser trostlosen Masse aufzubauen, die in ihrem PERSONAL-Ausweis unter "deutsch" geführt wird. Diese trägt kein Deutschland mehr in sich und mit sich, das müssen andere tun. Und die müssen vielleicht auch etwas Neues, Eigenes aufbauen, um das Band der tausendjährigen Geschichte des Reiches in die Zukunft zu legen - als inneres Reich.

Wegner:
Wenn der Essay irgendwann online verfügbar sein sollte, wird man das sicher nachtragen können, ja.

Thomas Wawerka

5. Oktober 2015 10:50

Die intendierte Befürwortung des islamischen Einwanderungsdrucks als "Zuchtmeister", der uns lehren werde, was Identität bedeutet, ist mir bei aller Erfurcht vor diesem Denker ein harter Stolperstein. Entweder ist das von einer lichten Höhe aus gesprochen, aus der das Gedränge, die Bedrängungen der Gegenwart nur noch wie farbige, abstrakte und sich stets verändernde Figuren im Strom der Zeiten aussehen, so dass diese Aussage wie ein geschichtsphilosophisches Urteil zu verstehen ist - oder sie ist eine handfeste Erwartung und als solche in einem Maß sozialdarwinistisch, das ich nicht teilen kann. Das ist jedenfalls nicht der Blick der Barmherzigkeit auf die Zeitgenossen. "Und da er das Volk sah, jammerte ihn desselben; denn sie waren verschmachtet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben." (Mt 9,36)
Und mit dem "Hass Radikaler" ist der ansonsten so genaue Beobachter tatsächlich auch mal einem medialen Klischee auf den Leim gegangen, naja, das ist nicht weiter schlimm, es zeigt nur: auch er ist nicht vor der einen oder anderen Gedankenlosigkeit gefeit.
Warum er ausgerechnet im "Spiegel" veröffentlicht? - Ja, das fragt man sich. Aber es wird wohl einfach deshalb sein, weil er damit mehr Leute erreicht als mit der "Sezession" (die von ihrem ganzen Format her ja der quasi "natürliche" Rahmen für einen solchen Text wäre).

Arkanthus

5. Oktober 2015 11:03

Die Trauben sind eben sauer, sagt er. Auf so einen schöngeistigen Konservatismus, der immer nur beschreibt und wenn das Wasser dann wirklich bis zum Hals steht, sich die Lage zurechtschwadroniert, nur um die konservative Contenence oder auch die Chance zur regelmäßigen Glosse zu bewahren, kann man wirklich verzichten. Das dazu. Ich fahre heute nach Dresden.

Arminius Arndt

5. Oktober 2015 11:06

"Die Wahrheit liegt auf dem Platz" hat O. Rehhagel in Bezug auf den Fußball gesagt. Im Bereich des politischen gilt dies in unseren Tagen noch viel mehr.

Intellektuelles Schattenboxen, Feigenblatt (wurde im Artikel schon erwähnt), Lust am Untergang, Selbstinszenierung, Koketterie etc. - Hach, man könnte jetzt alles mögliche Schreiben, aber wenn ich jemanden mit der leichten stiff upper lip Attitude lesen will, dann schaue ich mittlerweile lieber bei Klonovsky rein. Spätestens seit Strauß´ "Lichter des Toren: Der Idiot und seine Zeit" wirkt Strauß mir erschöpft und nur noch sich selbst pflegend, gar epiognal zu seinen Hausgöttern. Und eine Ausgabe des Spiegel kaufe ich mir wegen eines Strauß Essay noch lange nicht ...

Also zurück zum ersten Satz, mit der Wahrheit, die auf dem Platz liegt. Spricht nicht heute Abend G.K. in Dresden bei Pegida?

corvusacerbus

5. Oktober 2015 12:00

Halten wir uns nicht großartig mit einem Autor, auch nicht mit Botho Strauß, auf. Seinen Bocksgesang damals im Spiegel zu lesen war eine Offenbarung und die Verstörungen und das irritierte Gestammel einem anverwandter und bekannter Studienräte, Mittelbauer und Professoren waren innere Reichsparteitage. Großartig. Aber als ich meinem einzigen Bruder im Geiste die Marmorklippen geschenkt habe, als unterbauende Ergänzung des Bocksgesangs, hat er das Buch vor seiner Frau versteckt, sie Typ gutmenschliche Germanistin auf dem 2. Bildungsweg, weil sie das falsch, also richtig, verstehen könne. Das war's. So lebten wir und leben hier alle Tage. Und Strauß ist ein Autor ist ein Autor ist ein Autor und beschreibt das. Gelehrt, ein bißchen frech, die Studienräte und Pfaffen, Mittelbauer und Professoren sind immer noch erschreckt und dann erleichtert, wenn Habermas und Winkler, Yogeshwar und Irgendwer das Antidote spritzt. Ritual. Das MfS hielt solche Leute, kritische Intellektuelle, an der langen Leine, hatte seine Druckmittel und bezahlte Valuta oder bürgerte auch mal aus. Dies kann der Spiegel nicht, jenes macht er zivilgesellschaftlich gekonnt. Politisch letztlich irrelevant. Abhaken. Es geht dieserzeit und diesertage um die Existenz von Volk und Vaterland, es geht um die nunmehr handgreifliche Zurüstung zum Bürgerkrieg und nicht um Beschreibungen.

Gardeleutnant

5. Oktober 2015 12:14

Wer weiß, welche Widerstände so ein Text zu überwinden hat, bis her - Redaktionskalkül hin oder her - im Spiegel erscheinen kann? Welchen Zwängen der Autor unterliegt? Insofern sind die Anbiederungen an den Zeitgeist (Syrer/Kronenwächter usw.) zwar für einen Reaktionär unverzeihlich, aber der dahinterstehende Anspruch und Elitismus wiederum typisch und geradezu witzig (welcher noch so assimilierte Ex-Asylant läse je Arnim?); schließlich sind sie für einen Publizisten im 21. Jahrhundert, der noch wahrgenommen werden will, verständlich.

Viel interessanter ist doch, daß Strauß ausgerechnet die Kronenwächter als Beispiel nimmt, diesen höchst "konservativ-revolutionär"-antirevolutionären romantischen Geheimes-Deutschland-Roman, wohl in der Gewißheit, daß solche Finten den Spiegel-Zensoren entgehen werden. Und Ephraem der Syrer ist auch in mehr als einer Hinsicht eine interessante Wahl: https://www.kath.net/news/2458

Martin Schillert

5. Oktober 2015 13:04

Ein guter und in Teilen zu Recht kritischer Kommentar Herr Lehnert. Botho Strauß ist trotzallem ein wichtiger und verehrter Mitstreiter.

Eines muss ich noch einwerfen:
Wir wissen doch alle, dass es keine Volksgemeinschaft oder Gesellschaft geben kann, die nur aus Dichtern und Denkern besteht. Auch Herrn Strauß geht es sicherlich eher um die "kritische Masse" an klugen und kultivierten Köpfen, die auf den Rest der Herde einen nachhaltig positiven Einfluss ausüben.

Diese Köpfe, die die wahre Hochkultur tragen und fortführen, diese Hochkultur, die es als einzige vermag die Dummheit und Barbarei einzuhegen und selbst noch auf den einfachsten Landwirt ihren Zauber wirkt.. oder wofür hat z.B. ein Beethoven seine Ländler komponiert ..).

Halten wir uns nur mal Werner von Heisenberg vor Augen, der ja maßgeblich von Goethe beeinflusst war ... welcher Physiklaborant liest denn heute noch Goethe? Früher war das eine Selbstverständlichkeit. Heute eher eine Ausnahme. Der technologische Fortschritt und der damit einhergehende Materialismus / Hedonismus spielen dabei eine noch viel destruktivere Rolle, als Politik und Umerzieheung. Denn durch den technologischen Fortschritt können sich nun auch die Dummen in höherem Maße reproduzieren und ebenso die dummen Gedanken und Unkulturen

Rumpelstilzchen

5. Oktober 2015 15:28

"Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein" - einfach, weil wir mangels Wissen nicht mehr dagegen sein können! "

Ehrlich gesagt, kann ich mit dem Strauß'schen Schwanengesang so gar nichts anfangen !

Im Moment sind die sog. einfachen Menschen ( ohne viel Büldung) souveräner als die vom Untergangsschmerz geplagten Intellektuellen.
Siehe Plauen, Sebnitz, Görlitz...

Lieber Herr Strauß,
Nicht nur Sie fühlen sich wie der "letzte Deutsche ". Gerade auch der "einfache Mann" oder die "einfache Frau" weiß, was ein " kultureller Schmerz" ist. Auch wenn sie es nicht so elaboriert ausdrücken können.
Sie fühlen es. Und gehen deshalb auf die Straße.

In Deutschland geht das Volk mit den Intellektuellen irgendwie nicht zusammen. In Russland wäre das kein Problem.
So rate ich Ihnen :
Setzen Sie sich mit Renaud Camus in der Gascogne bei einem guten Roten zusammen. und leiden Sie gemeinsam. ( Kann auch Spaß machen.)
Oder halten Sie bei Pegida mal eine Rede an das Volk.
Und setzen sich danach zu einem Bierchen zusammen. Macht auch Spaß.

Beteigeuze

5. Oktober 2015 15:55

@Thomas Wawerka
"Die intendierte Befürwortung des islamischen Einwanderungsdrucks als „Zuchtmeister“, der uns lehren werde, was Identität bedeutet, ist mir bei aller Erfurcht vor diesem Denker ein harter Stolperstein."

Hier befindet sich Strauß in einer direkten Linie mit Martin Luther, der den auch in seiner Zeit vorrückenden Islam als "Geißel der Christenheit" sah. Er sah diesen Vormarsch treffend als Symptom, nicht als Ursache, einer verkommenen Christenheit, die der inneren Erneuerung bedurfte ("Die Deutschen, die vollen Säue...").
https://www.pi-news.net/2011/10/luther-die-deutschen-die-vollen-saue/

Fest steht, daß der damalige Vormarsch die Abwehrkräfte des Abendlandes letztlich stärkte, und zur Gegenbewegung führte, freilich unter anderen Vorraussetzungen als heute.
Aus meiner eigenen, bescheidenen Erfahrung in einer sehr bunten, westdeutschen Stadt, kann ich sagen, daß niemandem die Unvereinbarkeiten bestimmter Kulturen bewußter sind, als den Jugendlichen der betreffenden Stadtteile. Es ist gar nicht möglich, die wachsenden Parallelgesellschaften dort nicht wahrzunehmen.
Natürlich haben sie gelernt, was man öffentlich sagen darf in der Bunten Republik und was nicht. Aber das "Geheime Deutschland" besteht auch dort, wo man es am wenigsten erwartet.

Rainer Gebhardt

5. Oktober 2015 16:00

Botho Strauß erinnert in seinem Beitrag zum Schluß wie beiläufig an das "Geheime Deutschland". Wer die Nation liebt und das beste seiner Kultur "und ohne sie nicht leben kann, wird folglich seine Hoffnung allein auf ein wiedererstarktes, neu entstehendes 'Geheimes Deutschland' richten."

Jeder, der mit der deutschen Geschichte zwischen 1939 und dem 20. Juli 1944 nur halbwegs vertraut ist, versteht diesen Wink. Ich habe diesen Satz am Sonntag im Familien- und Freundeskreiskreis vorgelesen. Es herrschte großes Schweigen. Jeder scheint zu ahnen, daß womöglich der Ausnahmefall gewagt werden muß. So weit hat sich noch kein Sezessionist vorgewagt. (Sage ich als Freund der Sezessionisten).

Waldgänger

5. Oktober 2015 16:19

Man kann Lehnerts Sicht leicht zustimmen.
Strauß´ Stärken sind zugleich auch seine Schwächen.

Die abstrakte Sprachkunst seiner Analyse bewahrt Strauß´ zwar einerseits vor allzu plumper Diffamierung, erschwert ihm aber andererseits die Breitenwirkung.
Verstanden wird er mit seiner schönen und wahren Sprache im Establishment ja nur von jenen, die ihn gleichzeitig ignorieren.
Wieder andere lesen ihn erst gar nicht.
Außerhalb des Establishments bleibt die Rezeption auf Nischen und Subkulturen beschränkt, die indessen - sobald sie sich durch seine Gedankengänge hindurchgearbeitet haben - auch nicht viel schlauer sind als sie ohnehin schon vorher waren ...

Von daher bleibt er - auch als Dissident - mehr Teil der etablierten Szene als manche denken. Daran ändert auch sein Wohnort auf den Marmorklippen der Uckermark nicht so viel.

Und beim Spiegel meint man, in ihm eine Art Hofnarren gefunden zu haben, der einerseits den Verkaufszahlen gut tut und andererseits - wie Lehnert nett formuliert - diesem verrufenen Organ "ein Feigenblatt für die tätige Mihilfe am Untergang Deutschlands" liefert.

Strauß´ bleibt um so mehr ein randständiger Teil der etablierten Szene, weil er sich mit dem Volk - also den Anderen und Nichtelitären - so schwer tut.
Sei es, weil er als feinfühliger und zartbesaiteter Mensch des gewöhnlichen Volkes "Gewöhnlichkeit" ablehnt, sei es, weil hier ein letzter Rest seines ehemals elitären kulturlinken Avantgardebewusstseins wirkt.

Die Kultur eines Volkes besteht aber eben nicht nur aus sog. Hochkultur.
Lehnert hat ganz Recht:

"Die Sitten und Gebräuche werden in der Regel nicht von Dichtern tradiert

"

Nun kenne ich den Wortlaut der jüngsten "Zündelei" noch nicht und somit bleibt eine gewisse Möglichkeit bestehen, dass er doch heißer zündelt als ich annehme ...
Immerhin besteht gerade jetzt, in einer Zeit "beispiellosen Staatsversagens" (K. Adam) die Möglichkeit zu echter Exponierung ...
Wir werden sehen, ob er die Chance genutzt hat.

Andreas Walter

5. Oktober 2015 16:51

Nein, Dichter und Denker werden es diesmal nicht sein, die Deutschland der Freiheit wieder in die Arme treiben.

„Uns wird geraubt die Souveränität, dagegen zu sein.“

Abwarten. Not macht erfinderisch. Die haben wir nämlich seit 1945 nicht mehr. Wir waren nämlich dagegen. Wie manche Deutsche heute eben auch: Gegen den Internationalismus, seinen Imperialismus, seine Grenzenlosigkeit, den Turmbau zu Babel. Den des Finanzkapitals und Kapitalismus wie auch gegen den des Marxismus/Kommunismus.

Es ist die ewige Wiederholung des gleichen Kampfes von ärmer gegen reicher, von dem der weniger hat gegen den der mehr hat, egal von und an was. Ein Schauspiel für und der Herrschenden welche ihre Macht dadurch sicheren, eben weil und während sich weiter unten in der Arena die Gladiatoren gegenseitig abschlachten. Oder es werden, als noch aufregendere Variation des ewigen Themas Kampf um Leben und Tod, weil noch aussichtsloser und damit noch abschreckender, die Christen den hungrigen und darum sehr aggressiven Löwen zum Frass vorgeworfen.

Darf sich also jeder selbst aussuchen, ob er das derzeitige Geschehen für die Wiederaufführung von Adolph Kolping versus Otto von Bismarck oder für Nero, Domitian oder Diokletian gegen die Christen hält. Heil Konstantin.

Magnus Göller

5. Oktober 2015 17:51

Strauss scheint in einen Narzissmus abgestürzt, aus dem ein verklärt raunender Zynismus folgt.

Andreas Walter

5. Oktober 2015 18:17

Allerdings ist das Irre, und das begreifen gerade viele Linke nicht, dass durch diesen Rückschritt in den Kampf um alles auch alle sozialen Errungenschaften ihres Kampfes der letzten Jahrzehnte gegen ihre nationalistischen Feinde den Bach runter gehen werden, alle Opfer auch ihrer Bewegung dann umsonst gestorben sind. Oder glaubt ihr im Ernst, die ganzen "Neubürger" sind brave Sozialisten oder unterwürfige Männer, die ihr umerziehen könnt? Schon eure Töchter werden zu spüren bekommen, dass sich auch der Feminismus hier völlig überschätzt, nur mit Männern funktionierte, die den Zweiten Weltkrieg verloren hatten und unter Besatzungsstatut standen.

Das sage ich auch denen, die gerade Rainer Wendt zu widersprechen versuchen. Denn zwischen müssen, sollen und sollten und dem was tatsächlich passiert ist ein himmelweiter Unterschied:

https://www.spiegel.de/politik/deutschland/asyl-polizeigewerkschaft-ueber-machtkaempfe-unter-fluechtlinge-a-1055163.html

Die sozialistische "Umerziehung" zum "neuen Menschen" hat bei Stalin und Mao nur mit Gewalt "funktioniert", Millionen Menschen darum das Leben gekostet. Die waren jedoch danach nicht umerzogen, sondern lediglich eingeschüchtert und still, so wie die Menschen in der DDR und auch in anderen Diktaturen.

https://www.youtube.com/watch?v=FsGRDZoAcDY

Andreas Walter

5. Oktober 2015 18:40

Noch einer, der das Volk belügt: Thomas de Maizière, der noch amtierende „deutsche“ Innenminister:

https://www.youtube.com/watch?v=vIX_7Xqimek#t=85

Dazu Sender, die plötzlich Informationen einfach wieder verschwinden lassen.

Was ist das denn sonst als eine Verschwörung oder eine Diktatur, eine gelenkte "Demokratie"?

Das politische Magazin Cicero hat schon 2013 vor all dem was jetzt passiert online gewarnt, darauf aufmerksam gemacht:

https://www.cicero.de/salon/fluechtlingsdebatte-warum-naiver-idealismus-zynisch-ist/56065

Meier Pirmin

5. Oktober 2015 20:44

Als Leser von Botho Strauss und dem gelegentlich von ihm zitierten Ernst Jünger kann ich nur dementieren, dass dieser Autor je an einer politischen Kundgebung sprechen würde, auf diesem Weg hat sich seinerzeit bei den Linken selbst Günter Grass eher blamiert als dass seine Rede hilfreich gewesen wäre.

Man muss sich hier auch nicht von den Intellektuellen distanzieren, diese haben in der Regel, Kubitschek mag eine Ausnahme sein, eine andere Aufgabe. Völlig richtig ist, dass der Frust beim weniger gebildeten sogenannten einfachen Volk mutmassich tiefer sitzt, und dass der kleine Bürger, der sich als "der letzte Deutsche" fühlt, in Sachen Schmerz den bedeutendsten Intellektuellen gegenüber ebenbürtig empfindet. Insofern kann ich Rumpelstilzchen teilweise zustimmen, sogar mehr zustimmen als ihn kritisieren. Es besteht aber nicht der geringste Grund, die Äusserungen von Botho Strauss über den genannten Befund hinaus zu relativieren. Was immer passiert, es geschieht nicht ohne die Vorarbeit, den Beifall, die Distanzierung und am Ende oft auch nicht ohne die Reue der geistigen Existenzen. Botho S. gehört zu ihnen.

Rainer Gebhardt

5. Oktober 2015 23:01

Bevor wir bezüglich der Intellektualität von Botho Strauß und seiner Vorstellung vom Volk noch weitere Kümmelspaltereien betreiben und Erbsen zählen: Die Adressaten des Spiegelessays haben seine Botschaft verstanden. Gibt ja auch nichts mißzuverstehen daran. Hier eine Kostprobe aus dem Tagesspiegel von heute:

„Botho Strauß, Rüdiger Safranski und die Fremdenphobie: Flut und Boden. Die rechte Wut sickert langsam in den Mainstream. Botho Strauß und Rüdiger Safranski klagen über die ’Flüchtlingsflut’. Der Begriff stammt von Rechtsradikalen...Der letzte Deutsche? Der allerletzte.“

Ephraim der Syrer

6. Oktober 2015 00:25

Niemand muß heute noch wissen, wer Ephraim der Syrer war. Es ist eine gerade unter Philologen verbreitete Unsitte, ihr Spezialwissen als Allgemeinbildung zu bezeichnen. Wer nicht in der Lage ist, eigenhändig einen Autoreifen zu wechseln, braucht mir auch nichts über Ephraim den Syrer zu erzählen.

Es geht heute eher darum, praktische Notwendigkeiten zu erkennen und umzusetzen. "Ephraim der Syrer" hat dank Botho Straße jetzt richtig das Zeug zum gefügelten Wort: Wie "Pfarrer Assmann".

Werner H.

6. Oktober 2015 06:53

A.D. 2000. UNO errechnet 44 Mio Einwanderer für Deutschland (159 Mio für Europa) für den Zeitraum 2000-2025.

https://www.liberation.fr/monde/2000/01/06/l-immigration-un-remede-pour-la-vieille-europe-selon-l-onu-il-faudrait-160-millions-d-immigres-pour-_315225

Friedhelm

6. Oktober 2015 08:20

Na ja. Strauß ist sicherlich kein Unbegabter, hat lesenswerte Texte verfasst, aber hier? Wo sind denn die Moslems (die bereits seit Generationen in D leben) die unsere Werke wertschätzen? Ich sehe da kaum welche, eigentlich nur ungebildete wie Özdemir oder Yorulmaz, die eben in die Politik gehen und sich an den letzten Menschen angeglichen haben. Das Interesse am Deutschen geht gegen Null. Eher will man Heinsohn zustimmen, daß bei den jetzigen Invasoren die Bildung auch nicht so überragend ist und sich auch bei den Jüngeren entsprechend entwickeln wird (man hat ja bereits Erfahrung mit den Türken). Klonovsky fährt ja auch total auf Moslems ab, spricht ständig von den gebildeten Muslimen, mit denen wir uns verbünden müßten und anderer Blödsinn. Diese Leute wollen nicht einsehen, daß wir die schlechtesten Einwanderer bekommen, die es gibt: Moslems und Schwarze. Diese haben nicht nur niedrigere mittlere IQs, sie haben auch inkompatible kognitive Profile, die mit denen der Europäer nicht zusammenpassen. Wir sind eben nicht attraktiv für intelligente und fleißige Nordostasiaten (die einen mittleren IQ von 106 und ein gutes kognitive Profil aufweisen), sondern bekommen diejenigen, die keiner will. Daher ist das Unfug. Man vergesse auch nicht Vonderach. Er hat in der Sezession doch oft genug auf das eigentlich Deutsche hingewiesen, man sollte also nicht -- wie in der Folge von Cavalli-Sforza -- die Rassenunterschiede bagatellisieren. Daß die Muselmanen unsere Literatur lesen, ist so wahrscheinlich wie ein arabisches oder gar afrikanisches Samsung: ich meine: welcher Moslem oder gar Afrikaner liest schon Wieland, Fichte, Schlegel & Tieck? Das passt vorne und hinten nicht. In einer Adnote hat Strauß sich über das schlechte Deutsch der Landsleute aufgeregt. Das kann ich zwar nachvollziehen, aber das gebrochene Deutsch der Ausländer ist mindestens genauso schlimm und nervig -- vor allem, wenn man es seit Jahrzehnten hören muß (ich lebe in NRW). Hier ist er -- wie Volkmar Weiss -- politisch korrekt und schont den Fremden, obwohl gerade an den Fremden die höchsten Maßstäbe gesetzt werden müssten: Google stellt ja auch nur Leute ein, die einen höheren IQ haben als der Durchschnitt der eigenen Mitarbeiter. Wieso auch weniger verlangen?

Meier Pirmin

6. Oktober 2015 08:40

@ "Niemand muss heute noch wissen, wer Ephraim der Syrer war." So meinte es wohl Botho S. nicht mit Ephraim dem Syrer. Es war meines Erachtens eher ein Hinweis auf den kulturellen Standard jenes von uns heute vielfach gering geschätzten Landes und seiner vor Generationen blühenden Kultur, als man bei den Germanen noch gleichsam auf den Bäumen hauste. "Niemand muss heute noch wissen" - ja, auch Ernst Jünger hielt fest: "Homer wird eines Tages vergessen sein." Dies steht erstaunlicherweise im Zusammenhang mit der Steigerung der Kosten für Schule und Bildung. In Aleppo wurde im 17. Jahrhundert das Gedankengut des "teutschen" Arztes Theophrast von Hohenheim, genannt Paracelsus, in türkischer und arabischer Sprache vermittelt. Auch das muss heute niemand wissen. Bildung ist ein Etatposten.

Tile Kolup

6. Oktober 2015 09:19

Botho Straußens "Glosse" - die Elegie zu nennen vielleicht nicht weniger angemessen wäre, wenn man vom Formalen absieht - erscheint zur rechten Zeit. Das mag in der Gesamtschau befremden, doch in meinem Freundeskreis hat die Lektüre dieser Zeilen bei einigen bisher kaum entschiedenen, fast indolenten, mindestens jedoch zögernden Menschen etwas ausgelöst: Der eine gestand sich seine Wehmut ein, die ihn mit beim Blick auf die Zeitumstände erfüllt, der andere verspürte die Versuchung, an ein Geheimes Deutschland zu glauben, das er bisher für eine Chimäre hielt. Zwei Fälle also, in denen sich das Bewusstsein schärft und Witterung und Empfindsamkeit klarsichtiger das Eigene bestimmen helfen. Am Abend noch zu lernen, welchen Sternen man folgen kann, wenn es Nacht wird - das ist zu begrüßen.

Rumpelstilzchen

6. Oktober 2015 09:24

Fragt die Religionslehrerin in der Oberstufe:
"Weiß von euch jemand, wer Ephraim der Syrer ist ?"
Meldet sich Lea-Sophie:" Ja, der wohnt doch bei uns in der Turnhalle."

Im Ernst.
Wie Frau Merkel wäre ich froh, wenn mehr Deutsche wüßten, was es mit Pfingsten auf sich hat. Und sei es in der postmodernen Version:
O Herr, laß Hirn regnen.
Praktische Fähigkeiten wie Traktorfahren sind heute wichtiger denn je. Das zeigen die Bauern in der Bretagne oder in Chemnitz.
@Werner
Nun verbreiten Sie hier mal keine Panik. Wir schaffen das. Jetzt muß zusammenwachsen, was nie zusammengehörte ( Gauck) .
Koste es , was es wolle. Wer wird kleinlich sein in großer Zeit.
Wir könnten alles aber auch mal anders betrachten:

https://www.taz.de/Kommentar-Fluechtlingspolitik/!5237344/

Raskolnikow

6. Oktober 2015 09:56

Strauss,

hat (fuer mich) die Schwelle zur Tragoedie schon lange ueberschritten und ist selbst zur Figur geworden.

Fern liegt mir, zu urteilen; unmoeglich ist mir, zu verstehen, weshalb man den seelischen Niedergang ausgerechnet in einem Pornoheftchen beklagen muss. Warum seine kulturmonastischen Qualitaeten in einer Bildzeitung fuer Abiturienten ausbreiten ... Es hat nichts mit Groesse, Einsiedlerhaerte oder Noblesse zu tun, gerade die uebelste Gosse aufzusuchen, um sich vor den dortigen Ratten ebenjener Attribute zu bruesten. Im Gegenteile addiert es auf jedes form- und inhaltsvollendete Wort eine Lewenshtein-Distanz vom Betrag x. ( x = [DERSPIEGEL] ).

Autoren muessen nicht den Vorstellungen und Kategorien der Leser entsprechen. Sie duerfen Verbrecher, Idioten, Tunichtgute, Versager, Moerder oder Teufel sein. Trotzdem darf eines verlangt werden, nicht von jedem Leser per se, aber von den Gemeinten: Aufrichtigkeit! Jemand der denkt, wie B.S. scheinbar denkt, hat nur eine Wahl: Schweigen!

Und das ist mein Trost, das Schweigen. Nach dem derzeitigen Standardmodell der Kosmologie besteht der Kosmos nur zu etwa 17% aus baryonischer Materie, alles andere liegt im Dunkeln und schweigt. Moeglicherweise ist es mit dem spuerbaren Stoff des kulturellen Universums aehnlich. Die schoenste Poesie liegt als nicht abgeschickter Liebesbrief in einer Schublade, die ergreifendste Prosa war in einem verbrannten Soldatentagebuch enthalten, die kluegsten Gedanken wurden an einem Lagerfeuer gedacht und die tiefgreifendste Melodie wird allein von einem Saeugling an der Brust der singenden Mutter gehoert ....

Ist das kein Trost, der uns auf die publizierten Eitelkeiten leicht verzichten laesst? Auch wenn mir die Besitzer goldgelber Kamele Sentimentalitaet vorwerfen, ficht mich das nicht an, ist das Sentiment doch gleichsam die Gravitation der Dunklen Materie in den Schubladen, zwischen verbrannten Buchdeckeln und an Kinderbetten ...

R.

Meier Pirmin

6. Oktober 2015 10:07

@Friedhelm. Welcher d e u t s c h e Gymnasiast liest schon Wieland und Fichte? Welcher wenigstens den "Runenberg" von Tieck, gar den Fantasus? Wer die theoretischen Schriften von Schlegel? Welcher deutsche Hochschulprofessor hat nur schon Franz von Baader gelesen? Hier wird also von Ihnen, wenn Sie schon mit den Muslimen kommen, auf einen Nebenkriegsschauplatz verwiesen. Dass man den IQ nicht überschätzen sollte, darüber haben wir schon in einer anderen Einheit erörtert. Die Vermutung, dass es sich nicht um die Hellsten handelt, trifft bei erbärmlich vielen Leuten zu.

Noch zu bedauern: Mit den wenigsten Muslimen können Sie sich über Avicenna und Averroes unterhalten, mit denen, die zu uns kommen, allermeist schon gar nicht, und mit denen vor Ort erleben Sie, dass die grossen muslimischen Gelehrten, die wir schätzen, von ihnen, etwa im Iran, keineswegs geschätzt werden, weil sie schon vermutlich viel zu westlich denken. Mit der grossen Mehrheit der US-Amerikaner kann man auch kaum über den amerikanischen Transzendentalismus zur Zeit von Emerson und Thoreau sich unterhalten, noch viel weniger über die Genfer Ursprünge der amerikanischen Menschenrechtserklärung. Ich fürchte, mit diesen Fragestellungen kommen wir nicht weiter, wiewohl bedauerlicherweise die Befürchtung, dass hochgradig wenig Qualifizierte kommen oder wenn, dann solche, die als Aerzte und Soldaten zu Hause gebraucht würden, diese Befürchung scheint viel für sich zu haben.

Hühnerbaron

6. Oktober 2015 10:31

Tatsächlich trennen sich Spreu und Weizen nicht an Ephraim dem Syrer. Er hat uns heute nicht viel zu sagen. Jeder kämpfe gegen den neuen Manichäismus auf seine Weise - mehr nicht.
Ich könnte Strauß auch das Staatsexamen in meinem Fach abnehmen und ihn dabei alt aussehen lassen; genauso werden das hier viele können. Wir sind beruflich alle dermaßen spezialisiert, dass man nicht alle Heiligen auswendig lernen kann, es sei denn man habe kein anderes Hobby. Es geht hier doch um völlig basale und banale Zusammenhänge - 1.000.000 junge fremde junge Männer auf 10.000.000 bzw. Faktor 1/10 (https://www.bpb.de/wissen/X39RH6,0,0,Bev%F6lkerung_nach_Altersgruppen_und_Geschlecht.html) denen keine Frauen gegenüberstehen: Das hat keine einheimische Ethnie jemals ohne schwere Verwerfungen ausgehalten, egal aus welchen Gründen sie kamen. Egal wer wohin zog. Mehr muss man nicht wissen.

Das heute kaum noch jemand zB auch nur Grimmelshausen kennt, ist ein Problem des Niedergangs des Gymnasiums im Allgemeinen und der Anziehungskraft des Lehrerberufs für linke Feiglinge im Besonderen. Hört auf zu heulen, trocknet die Tränen. Tretet den Gang durch die Institutionen an und werdet selber Lehrer so ihr könnt.

Nochmals: Jetzt über die Kulturvergessenheit = Gottlosigkeit zu greinen ist "nicht hilfreich". Das geheime Deutschland besteht aus anderem Geist.

https://de.scribd.com/doc/33737560/Ernst-Kantorowicz-Das-Geheime-Deutschland-1933#scribd

Hühnerbaron

6. Oktober 2015 10:42

Die schoenste Poesie liegt als nicht abgeschickter Liebesbrief in einer Schublade, die ergreifendste Prosa war in einem verbrannten Soldatentagebuch enthalten, die kluegsten Gedanken wurden an einem Lagerfeuer gedacht und die tiefgreifendste Melodie wird allein von einem Saeugling an der Brust der singenden Mutter gehoert ….

@raskolnikow: Danke! So ist es!
Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus eurem Aschenhäuschen 'raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht-
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es euch nicht von Herzen geht.

Rainer Gebhardt

6. Oktober 2015 10:55

@ Raskolnikow

Betrachten wir die Veröffentlichung im Spiegel mal aus der wahrnehmungswirksamen Perspektive: Der Spiegel verkauft rund 867.893 Exemplare/Woche. Laut Medienanalyse 2015 greifen wöchentlich Woche 6,11 Millionen Leser zum SPIEGEL. Immerhin 8,8 % der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahre. Da ist es zunächst unerheblich welches Trägermedium den Text verbreitet. Denn besser kann man Konterbande gar nicht einschmuggeln. Die errechnete Levenshtein-Distanz vom Betrag x wird durch die Umlaufgeschwindigkeit und -masse erheblich ausgeglichen.

Nebenbei: Man merkt, daß Sie lange überlegen, bevor Sie einen Satz schreiben. Stilistisch würde Ihr Text auch dem Mann aus der Uckermark Ehre machen.

Hesperiolus

6. Oktober 2015 11:27

@ Werner H.

Was Joseph-Albert Grinblat zwar nur als Zahlenspiel vorrechnet, ist allerdings ein gutes Beispiel für eben die von Botho Strauß angeklagten "ökonomisch-demografischen Spekulationen", hier verrechnet in Hinblick auf die Beschäftigungsquote, nicht mehr, aber auch nicht weniger; vor allem nicht ohne Lamento gegen die nach Meinung von Grünblatt übergenerös verwöhnten weißen Rentner.

Meier Pirmin

6. Oktober 2015 15:10

@SD. Der Begriff des "inneren Reiches" war im 3. Reich geläufig bei Vertretern des konservativen und monarchischen Widerstandes. Es bedeutete dies die Nichtakzeptanz der Legitimation und Legitimität des damaligen "äusseren" oder "Dritten Reiches". Mit Demokratie hatte es seinerseits nichts zu tun.

Der Gutmensch

6. Oktober 2015 15:14

Im Moment sind die sog. einfachen Menschen ( ohne viel Büldung) souveräner als die vom Untergangsschmerz geplagten Intellektuellen.
Siehe Plauen, Sebnitz, Görlitz…

Und ich weiß leider nicht, wovor mir mehr graust: Vor der vorweggenommenen Verortung der Bildung jenseits dieser Orte - oder vor der Bereitwilligkeit der Leute in Sebnitz, dort zur sicherlich nicht unerheblichen Freude der tschechischen Catos ("Will Deutschland nicht etwa heimlich doch wieder Europa dominieren?" darf der Wir-halten-die Benes-Dekrete-in-hohen-Ehren-Klaus in einem "deutschen" Forum fragen!) die "Grenze" zu sichern. Aber ich hab so den klammheimlichen Verdacht, dass man nicht die etwa Bildung als solche (das hat man in Plauen, Sebnitz und Görlitz noch nicht ganz geschafft, obwohl man sich schon gewaltige Mühe gegeben hat), sondern vielmehr konkrete Informationen wegpropagandiert, die einen erst befähigen, aus seiner Bildung auch praktischen Nutzen zu ziehen. "Na, man wird ja sehen, was von Eurem Erbe einen Hirschgulden wert ist. Aber da, die Pfennige behaltet für Euch!" Dt. Heimatsagen, Bd. 1, Die Sage vom Hirschgulden

Kiki

6. Oktober 2015 23:23

@EdS
Immer wieder dasselbe - getroffene Hunde bellen.
Was ist mit archaischen Gläubigen oder eben den so verschrieenen Philologen, die gar kein Auto haben?
Wozu soll man da Reifen wechseln (bzw es lernen)? In der Zeit liest man seinen zahlreichen Kindern lieber etwas aus dem Oeuvre Ephraim des Syrers, Johannes Klimakos oder Nikolaos Kabasilas vor (um nur ein paar von "deana" zu nennen).

eulenfurz

7. Oktober 2015 03:17

Buchbesprechung mit Hinweis auf diesen Beitrag:

Gestern das “Heerlager der Heiligen” angefangen zu lesen. Keine blumige Prosa, eher ein hölzerner Zustandsbericht, der in den 1970ern freilich noch als Science Fiction gedacht war. Der französische Schriftsteller Jean Raspail berichtet über die Anlandung von Millionen verhärmter, halbverhungerter Inder an der Südküste Frankreichs. In der Vorhersehung sind insbesondere die exemplarischen Charaktere interessant, welche die Psychodynamik der heuer handelnden Protagonisten in frappanter Übereinstimmung widerspiegeln.

[weiter]

Reaktionär (Julius)

7. Oktober 2015 11:47

In der österreichischen Presse vom 5.10.2015 eine kurze, lesenswerte Besprechung dieses Aufsatzes:
"Essayistik: Der neue Bocksgesang"
https://diepresse.com/home/kultur/literatur/4836367/Essayistik_Der-neue-Bocksgesang?

rautenklause

9. Oktober 2015 08:36

Heute morgen ein großartiges Interview mit Martin Mosebach über Straußens Essay ...

https://www.deutschlandfunk.de/botho-strausss-fluechtlingskulturstreit-etwas-problematisch.694.de.html?dram:article_id=333396

Nemo Obligatur

9. Oktober 2015 09:00

Ich wollte mich soeben einmal der Debatte widmen, nicht zuletzt wegen des gestrigen eher ablehnenden Kommentars von Th. Hinz in der JF und des heutigen Interviews von M. Mosebach im DLF, da stoße ich hier auf diesen Satz:

Das streift den Bildungsdünkel und erinnert fatal an Habermas‘ Gelehrtenrepublik.

Ich denke, damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen, Herr Lehnert. Es ist zwar stets angenehm, dürfte aber nicht mehr in die Zeit passen, sich in puncto Zukunft des deutschen Volkes erst einmal in den Lehnstuhl fallen zu lassen, um seinen ausschweifenden Gedanken erst Raum und dann Papier zu geben. Man kann das natürlich machen, darf sich aber anschließend nicht darüber beklagen, dass keiner mehr zuhört.

Monika

9. Oktober 2015 09:37

@Rautenklause

Danke für den Verweis auf das Interview.
Dort heißt es :

Mosebach: Er sieht es eigentlich ein bisschen anders, wenn man es genau sieht. Er sieht die Nationalliteratur durch die gegenwärtigen Deutschen bedroht, und zwar schon länger. Er sieht unter seinen deutschen Zeitgenossen eben nur noch wenige, für die diese deutsche Nationalliteratur diese umschriebene, diese sehr hermetische, diese glanzvolle, aber immer nur wenig geöffnete Literatur, die sieht er im gegenwärtigen Deutschland versunken.

Die Frage ist doch, warum dieses Eigene in Deutschland, also auch die Literatur bedroht ist. Wie etwa sieht es in der Schweiz aus ? Die nicht amerikanisch besetzt ist. Bildet dort die eigene Kultur noch mehr Rückhalt ?
Wird dort über die gebildeten Einwanderer Schweizer Kultur aufgenommen ?
Pirmin Meier vor.
Gibt es weitere Unterschiede in Europa, was die kulturelle Widerstandskraft der einzelnen Völker betrifft. Oder werden alle Völker überrollt ?
Und was verbindet die europäischen Völker an Widerstandskraft ? Was neu erwachen kann ?

Meier Pirmin

9. Oktober 2015 18:35

Liebe Monika,

Die Schweiz ist kompliziert,weil sie über eine deutsche, französische, italienische und rätoromanische Literatur verfügt, letztere übrigens ästhetisch wunderbar und nicht durch "Ueberfremdung" zu beeinträchtigen, unglaublich klangvoll und mit einer reichen Mythologie wie Irland. Trotz der kleinen Zahl der Rätoromanen gibt es erstaunlich viele gute Autoren.

Die französische Literatur behauptet sich ihrerseits erfreulich, die italienische hatte schon weit bessere Zeiten.

Bei der deutschsprachigen Literatur sind einige Mundartautoren stark, ausgerechnet solche der Linken wie Pedro Lenz und Franz Hohler, auch bekannter Kabarettist. Selber publizierte ich kürzlich über einen Mundartautor von früher, Meinrad Lienert, der sehr bedeutend ist für die Schweizer Sagen, die er auch Hochdeutsch erzählte. Als ganz bedeutenden Roman, in zwei Bänden erschienen, kann ich Ihnen Wandlung und Apotheose empfehlen vom früheren Suhrkamp-Autor E.Y. Meyer, der Themen wie Bevölkerungszunahme und die Unwirtlichkeit der Agglomerationen zwar behandelt, aber mit Rückbezug auf Rousseau und Gotthelf und Robert Walser in einer grossen Tradition bleibt, zu schweigen davon, dass im Zentrum dieses Roman-Diptichons ein Hotel in Müstair steht, einem Bündnerdorf, wo sich ein Club von 13 Männern regelmässig an einem Freitag, den 13. eines jeweiligen Monats trifft. Wollen Sie Schweizer Krimis lesen, in denen die Atmosphäre Basels wunderbar getroffen wird, empfehle ich Ihnen die Hunkeler-Romane von Hansjörg Schneider. Was die Zuwanderer betrifft, dürfen sie sich über Förderung nicht beklagen, wiewohl die wenigsten von ihnen breit gelesen werden, noch fast am erfolgreichsten wurde die Deutsche Sibylle Berg, die Sie vom Spiegel her kennen dürfen, hat aber keine Relevanz zur Wiederspiegelung der Schweiz und ist sicher keine grosse Autorin.

Als wohl bedeutendsten lebenden Schweizer Autor würde ich Thomas Hürlimann bezeichnen, der in Einsiedeln zweimal eine grandiose Version des Welttheaters präsentierte. Die Behauptung, wir hätten derzeit einen grossen Autor, lässt sich trotzdem nicht bestätigen. Bleiben Sie insofern bei Gottfried Keller, am besten bei der 1. Fassung des Grünen Heinrich oder bei Robert Walser, etwa der Erzählung "Schlacht bei Sempach" oder dem grossartigen Roman "Der Gehülfe", eine frühe Zivilisationskritik des 20. Jahrhunderts. Ganz herrlich auch Fritz Kochers Tagebücher. Vom Duo Frisch und Dürrenmatt hat sich der Letztere klar besser gehalten, grandios seine späten Studien, etwa "Die Mondfinsternis" und "Der Versuch", beginnend mit der Ausgrabung von Bern in 10 000 Jahren. Die Vermutungen der dannzumaligen Archäologen haben über unsere Zivilisation einen hohen Unterhaltungswert. Dürrenmatt schreibt im Rückblick aus dem Jahr 10 000 u.a., wann die weisse Rasse und die deutsche Sprache verschwinden werden, aber letztlich geht es um die Ersetzung Gottes durch einen Computer. Eine meisterhafte kurze Erzählung von Dürrenmatt über das Emmental heisst "Die Panne", davon schwärmte Literaturpapst MRR.

Unter den philosophischen Autoren kann ich Ihnen den Zivilisationskritiker Eduard Kaeser am stärksten empfehlen. Schon auf seiner Homepage finden Sie wunderschöne Essays. Von meinem Doktorvater Peter von Matt gibt es das Buch "Das Kalb bei der Gotthardpost" sowie seine faszinierende Studie über Verkommene Söhne und missratene Töchter. Ein Geheimtipp unter den Frauen ist die frühere Ammann-Autorin Helen Meier, veröffentlicht jetzt im Xanthippe-Verlag, hat einen sarkastischen Stil, ist persönlich im Gegensatz zu einer Mehrheit repräsentativer Autoren frei von Linksdrall, hat auch nichts mit Feminismus am Hut. Falls es stimmt, dass Sie mit Heiligen etwas anfangen können, auch mit solchen, die etwas Borderliner waren, empfehle ich Ihnen meine in 3. Auflage erschienene Biographie "Ich Bruder Klaus von Flüe". Die schlechteste Heiligenbiographie, sie wurde am Wallfahrtsort 20 Jahre unterdrückt, mit Ausnahme der andern und tatsächlich ein "Porträt der inneren Schweiz". Auf dieser Basis habe ich die empfehlenswerte Mystikausstellung in Ueberlingen mitgestaltet, in deren Katalog Sie drei Essays von mir über Bodenseemystik finden. Einer der besten Romane eines Schweizers für alle Zeiten bleibt "Johannes" von Jakob Schaffner, den wieder zu lesen sich lohnt, ist in den besten Partien das Niveau von Charles Dickens. Wegen völliger Geringschätzung im eigenen Land hat sich Schaffner, hier mit Knut Hamsun vergleichbar, dann Hitlerdeutschland angeschlossen, wo er 1944 Opfer eines Bombenangriffs wurde. Den "Johannes" können Sie sich problemlos bei www.abebooks.de beschaffen, wie vielleicht noch andere hier genannte Bücher. Noch was: Unterschätzen Sie den 1. Band von "Heidi" nicht, von Johanna Spyri. Wie dort der Grossvater dem Kind die Berge erklärt, das entspricht allen Ansprüchen Goethes an meisterhafte Literatur.

PS. Die Erzählung "Der Versuch" von Dürrenmatt ist leider nicht separat im Buchhandel erhältlich, steht möglicherweise im Band "Der Pensionierte", bin mir aber in dieser Sache nicht ganz sicher. Eine noch ganz schöne Geschichte aus der Schweiz ist "Die Kranzflechterin" von Hugo Loetscher, noch erhältlich als Diogenestaschenbuch, passt gut zu Allerheiligen und Totensonntag. Ein Juwel von einem Kurzroman ist ausserdem "Jakob schläft" von Klaus Merz, das ist wohl heute am ehesten noch grosse Literatur aus meinem Land. Für die Geschichte der Auswanderung aus dem einst armen Lande Schweiz repräsentativ ist "Die Ballade von der Typhoid Mary" meines verstorbenen Freundes Jürg Federspiel, dessen Andenken ich die ersten 5 Auflagen meiner Paracelsus-Biographie gewidmet habe. Federspiel schrieb bei Suhrkamp und war Zürcher und Basler Literaturpreisträger, sagte sich wie sein Sohn Maurus in alten Tagen von der Linken los, zu der er nie passte von wegen seinem anarchischen Naturell. Er war auch Leser von Ernst Jünger, machte mich auf wichtige Texte des Meisters aufmerksam.

Anne Seiterle

10. Oktober 2015 13:29

Die Schweiz hat eine andere Geschichte. Ihr kann darum nicht ständig dieser Schuldkomplex aufgezwungen werden. Und sie hat die direkte Demokratie, die eine Diskussion über Sachlagen zulassen muss. Seit Merkels Ausspruch ist die hiesige Zeitung aber auch total gleichgeschaltet. Wie wenn es mit einem Schlag auch die Schweiz erwischt hätte. Ein Deutschschweizer Autor wird in der Schweiz erst anerkannt, wenn er im grossen Kanton (Deutschland) erfolgreich ist. Und es herrscht auch hier linker Mainstream. Am meisten Erfolg haben eingewanderte Schriftstellerinnen, die die Schweiz kritisieren. Anderes wird ignoriert oder diffamiert, wenn auch weniger brachial. Neu ist eine positive Gewichtung der schweizer Eigenart bei den Jungen. Sie schreiben ihre SMS in Mundart. Viele Junge sind wieder stolz auf die Schweiz, was noch vor 20 Jahren verpönt war. An kulturellen Anlässen sieht man selten Einwanderer. Deutsch lernen sie, weil sie arbeiten möchten und wegen ihrer Kinder. Einige gebildete Einwanderer lernen nicht einmal Deutsch, weil sie mit Englisch genauso gut durchkommen. Anfügen an die Aufzählung von P.M. möchte ich den Schweizer Autor Volker Mohr („Der Verlust des Ortes“ bei antaios). Das Wort „letzte“ kommt auch im Titel seines neusten Romans „Die letzte Fahrt“ vor https://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_letzte_fahrt Fast prophetisch hat er diese Art Massenhysterie im Roman „Morgenland“ vorhergesehen. Mir hat die Glosse von Botho Strauss gut getan, weil er diesen grossen Schmerz beschreibt und man sich darin und damit in dieser grossartigen deutschen Kultur wiederfindet.

Monika

10. Oktober 2015 16:29

@Anne Seiterle und Pirmin Meier

Danke für die interessanten Erläuterungen !

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