Deutsche Kriegsschuld 1914? Neue Studie des IfS

Seit Christopher Clark mit seinem Wälzer Die Schlafwandler im letzten Jahr den Reigen der Bücher zum Ersten Weltkrieg eröffnete,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

steht die deut­sche Kriegs­schuld am Ers­ten Welt­krieg zur Debat­te. Völ­lig aus­ge­blen­det wur­de bis­lang die Fra­ge, wie die alli­ier­te Pro­pa­gan­da­lü­ge der deut­schen Schuld in der Bun­des­re­pu­blik zu einem Dog­ma erho­ben wer­den konnte.

Wäh­rend es bis in die sech­zi­ger Jah­re noch Wider­stand gegen die „Selbst­ver­dun­ke­lung deut­schen Geschichts­be­wußt­seins“ (Ger­hard Rit­ter) gab, setz­te sich dann die Rede vom „Griff nach der Welt­macht“ (Fritz Fischer) durch, die bis heu­te die Geschichts­bü­cher bestimmt. Die neu­es­ten For­schun­gen revi­die­ren die­se ein­sei­ti­ge Sicht und zei­gen die Kriegs­schuld der Alliierten.

Die neue Stu­die des IfS zeich­net die Debat­te um die deut­sche Kriegs­schuld seit 1918 nach und faßt die neu­es­ten For­schungs­er­geb­nis­se zusam­men. Dabei wird deut­lich, daß die Fra­ge nach der Ver­ant­wor­tung für 1914 der geschichts­po­li­ti­sche Dreh- und Angel­punkt nicht nur des 20., son­dern auch des 21. Jahr­hun­derts ist.

Die Stu­die ist lie­fer­bar, umfaßt 47 Sei­ten und kos­tet 5 Euro.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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Kommentare (23)

Marcus Junge

4. Juni 2014 13:47

"Revision einer hundertjährigen Debatte", so der Untertitel. Nun, da will ein ansetzten, von 100 Jahren kann keine Rede sein.
1919 war den Deutschen, von ganz Rechts bis ganz Links, klar, was da 1914 abgelaufen war, weshalb auch alle Versailles ablehnten. Eine "Debatte" über die "Schuld" gab es nicht.

Die totale Niederlage 1945 und die dann folgende totale Verlügung der dt. Geschichte durch die Sieger und willigen Helfer, enthält auch keine "Debatte". Das Geschichtsbild der Sieger wurde, per Siegergesetze, befohlen und in BRD Gesetze übernommen, siehe Überleitungsvertrag. Die Umsetzung dauerte etwas, aber die BRD Administration half willig mit und stetig fleißiger noch dazu. Symptome der Übergangsphase sind hierbei erfolglose Gegenwehr, die keine "Debatte" darstellen, weil das Ergebnis vorgegeben war.

Mit Macht durchgedrückt wurde es ab 68, da war es dann vorbei mit den "Debatten". Die 68er hatten zwar den "herrschaftsfreien Diskurs", aber nur wenn man ihrer Meinung war. Wie man am Historikerstreit, wenn auch zu anderem Thema, sehen konnte. Da "gewann" nicht der Historiker Nolte, sondern der Propagandist ohne Argumente, Habermas.

So ist es bis heute geblieben. Wenn eine Debatte geführt werden soll, dann müßten beide Seiten die gleichen Rechte haben und ein Ergebnis in jede mögliche Richtung ausfallen können. Bisher ist mir nicht aufgefallen, daß die Epigonen von Guido Knopp ihre Dokumödien den "neuen" (also 100 Jahren alten) Erkenntnissen angepaßt hätten. Oder die offizielle Geschichtslüge oder die offiziellen Politlügendarsteller es täten, der Gau als führende Null vornweg.

Und eine Debatte im Kreis derer, die eine wahrhaftigere Version der Geschichte längst kennen, was seit 100 Jahren ja möglich ist, ist überflüssig. Warum soll man über die Wahrheit in der Lüge der anderen Seite debattieren? Zeitverschwendung. Analysieren ja, aber nicht debattieren.

Erik Lehnert

4. Juni 2014 16:10

Wer nichts weiß, kann viel behaupten. Bereits 1914 gab es Deutsche, die im "deutschen Militarismus" die Ursache für den Weltkrieg sahen und nach 1918 war das nicht anders. Daß der VV allgemein abgelehnt wurde, hatte unterschiedliche Gründe und steht auf einem anderen Blatt. Insofern: Lesen kann nicht schaden.

Marcus Junge

4. Juni 2014 17:37

"Bereits 1914 gab es Deutsche, die im „deutschen Militarismus“ die Ursache für den Weltkrieg sahen und nach 1918 war das nicht anders."

Das ist jedoch eine verschwindende Minderheit gewesen, deren Meinung keine Wirkmacht erreichte, so wie 2010 (oder 2000 oder 1990 ...) unsere Meinung keine Wirkmacht hatte. Ob das 2014 anders geworden ist, beurteile ich nicht, da noch in der Schwebe.

Windwärgut

4. Juni 2014 19:00

Es mag gut sein, dass es 1914 Deutsche gab, die im „deutschen Militarismus“ die Ursache für den Weltkrieg sahen.
Daraus eine 100jährige Debatte zu machen ist doch etwas kühn und der Ton in dem das dann nachgelegt wird ("Wer nichts weiß, kann viel behaupten....Lesen kann nicht schaden.") ist, mit großer Zurückhaltung gesagt, unschön und erinnert arg an Kommentargeprolle an anderen Flecken des www.
Beiträge der neuesten Forschungen revidieren zwar die zuvor oft gepflegte einseitige Sicht, zeigen aber nach meinem Eindruck nicht "die Kriegsschuld der Alliierten". Das klingt dann doch nur genauso einseitig wie "Alleinschuld der Deutschen".

Peter

4. Juni 2014 19:48

Ich empfehle:

Terence Zuber: The Real German War Plan
Sean MacMeekin: The Russian Origins of the First World War
Gerry Doggerty/James MacGregor: The Secret Origins of the First World War
John P. Cafferky: Lord Milner´s Second War: The Rhodes-Milner Secret Society; The Origin of World War One
John Mosier: The Myth of the Great War:A New Military History of World War I
Burton Yale Pines: America´s Greatest Blunder: The Fateful Decision to Enter World War One

Martin

4. Juni 2014 20:38

Ich kann mich an eine durchaus differenzierte Darstellung der Ursachen des ersten Weltkriegs im Rahmen des von mir in Bayern in den 80er Jahren genossenen gymnasialen Geschichtsunterrichts erinnern - trotz eines maßgeblichen Lehrers an meiner Schule, der ein 68er war. Freilich hatte Deutschland damals einen deutlichen schwarzen Peter, aber es wurde immer auch klar dargestellt, dass die anderen schön eifrig mit am Rad gedreht haben und dass es ohne die anderen nicht zum WK1 gekommen wäre. Bismarck kam dabei rein außenpolitisch betrachtet sehr gut weg, nach dem Motto, wenn der geblieben wäre, dann wäre es nicht dazu gekommen und dann wurde im Hinblick auf die "Eskalation" des Krieges und der "Empörung der Gegner" natürlich nicht an der Darstellung der deutschen Kriegszieldebatte, des U-Boot Krieges etc. gespart, um einem Versailles verständlicher zu machen (aber auch hier wurde klar und deutlich gesagt, dass die Alliierten damit zu kurz gedacht haben und sich letztlich ein Ei gelegt haben so wie auch Versailles als deutliche Ursache für den Aufstieg Hitlers stets genannt wurde) ...

Kurzum: Eine echte Alleinschuld wurde eindeutig nicht dargestellt, aber es ging schon in Richtung maßgebliche Verantwortung. Die jetzige Diskussion - auch von Clark - geht ja wohl, so habe ich es bislang wahrgenommen, eher in Richtung "gleichwertige" Tatbeiträge und nicht in Richtung "Freispruch für Deutschland". Insofern also nur eine graduelle Geraderückung von dem, was damals in der alten "BRD" offiziell in der Schule gelehrt wurde. Ich habe ohnehin den Eindruck, dass vor der Wiedervereinigung historisch deutlich freier diskutiert und auch publiziert wurde, als es nach der Wiedervereinigung der Fall war. Evtl. war die Verschärfung des Tones nach der WV beabsichtigtes Mittel, um das jetzt wiedervereinigte Deutschland psychologisch zu deckeln (wer weis ...). Dem Teilstaat BRD hat man hier evtl. noch ein bisschen mehr durchgehen lassen.

Aber gut, das sind nur meine subjektiven Erinnerungen und Eindrücke.

Was ich bei der ganzen Kriegsschulddebatte rund um das 14er Jahr aber der "Rechten" zu bedenken gebe ist, dass Russland nie ein Freund der Deutschen war, immer ein deutliches Interesse an einem schwachen Deutschland hatte, maßgeblicher Player bei der Entfesselung des gegen Deutschland gerichteten ersten Weltkrieges war, Gorbatschow nicht umsonst in Russland verhasst ist und von daher sollte man bereits aus historischen Erwägungen es vermeiden, den "Osten" oder Russland allzu sehr als neue Leitmacht herbei zu sehnen oder Russland als Orientierungspunkt in einem neu zu denkenden Koordinatensystem zu sehen. Leider wird Russland und dessen aktuelle Führung viel zu positiv von vielen im Bereich rechte/konservative gesehen.

enickmar

5. Juni 2014 01:24

In meinem Geschichtsschulbuch “Geschichte für morgen” (80er Jahre) stand sinngemäß, – und das fand ich damals schon bemerkenswert, weil das antideutsche Klima überall in Schule, Medien und Elternhaus spürbar war - daß eine internationale oder zumindest deutsch-französische Historiker-Kommision, bei ihren Untersuchungen zur Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkriegs, zu dem Ergebnis gekommen war, daß alle kriegführenden Nationen in ähnlicher Weise zum Kriegsuasbruch beigetragen haben und eine Alleinschuld Deutschlands unzutreffend sei.

Waldgänger aus Schwaben

5. Juni 2014 08:37

Mein Eindruck ist auch, dass sich etwas ändert im Lande.

Gestern auf welt.de über die Landung in der Normandie:


Hitler-sehnte-die-alliierte-Landung-herbei

Zitat:
Allerdings: Auch alliierte Soldaten begingen Kriegsverbrechen. Sie plünderten und ermordeten deutsche Kriegsgefangene, allen voran Soldaten der Waffen-SS. Insgesamt unterschieden sich alliierte Soldaten und Soldaten der Wehrmacht in der Normandie weniger darin, wie sie kämpften, sondern wofür sie kämpften.

Erstaunlich diese Gleichsetzung. Vor Jahren noch hätte man den Autor solcher Aussagen medial gesteinigt.

Das "wofür sie kämpften" ist leicht zu erkennen der Furcht geschuldet, dass diese Zeiten doch noch nicht ganz vorbei sind.

Es ist unsinnig, wenn es sich auf die indivuelle Motivation bezieht.
Die Motivation der Soldaten der Wehrmacht war überwiegend der Schutz der Heimat, weniger nationalsozialistische Überzeugung.
Dass die Soldaten der Wehrmacht durch ein verbrecherisches Regime verführt und irregeleitet wurden, davon bin ich allerdings überzeugt.

Ich sehe heute als Zeitgenosse an mir selbst und an anderen, wie wenig sich der Einzelne der Propaganda der Nomenklatura entziehen kann. Und damals gab es kein Internet, keine öffentlich zugänglichen anderen Medien.

Rumpelstilzchen

5. Juni 2014 09:16

Wie wird die Kriegsschuld eigentlich in Frankreich diskutiert ?
Mir fällt in Frankreich immer wieder auf, wie unbefangen dort mit allem Militärischem umgegangen wird.
Un grand moment d' emotion...
https://spectacle-verdun.com/fr/spectacle/le-spectacle

Hühnerbaron

5. Juni 2014 10:31

Konfrontation mit Russland war zu allen Zeiten Fehler deutscher außenpolitik. Die Russen stehen den deutschen positiv gegenüber. Seit Peter dem Großen ist das weiter entwickelte Deutschland mal heimliches mal offenes Vorbild. Es ist unerklärlich, warum diese beiden Völker nicht mit einem bloßen Blick auf die Landkarte erkennen können, dass sie gemeinsam unschlagbar wären.

S. Pella

5. Juni 2014 12:30

Ich darf in diesem Zusammenhang an den Frankfurter Aufruf erinnern:

www.frankfurter-aufruf.de

ene

5. Juni 2014 13:58

@ Rumpelstilzchen

Ein weites Feld. Mein Eindruck generell (und deshalb sicher undifferenziert): was geschehen ist, wird positiv integriert ins Gesamtbild.
Kriegsdenkmäler (häufig sehr martialisch) sind gewissermaßen pittoresker Bestandteil beinahe jedes Dorfes. Ich glaube nicht, daß jemals Diskussionen entstanden, diese seien nicht mehr tragbar. Ähnliches gilt für Staßenbenennungen. Ich wohnte einmal in einem kleinen Hotel "Clemenceau"; das heißt bestimmt noch heute so.
(In Berlin kenne ich den Friedhof, auf dem u.a. der Historiker Treischke liegt. Die dort wohl seit Jahrzehnten liegende Platte, welche dieses unscheinbare Grab als Ehrengrab ausweist (wird dann auf Kosten der Stadt gepflegt), wurde vor zwei , drei Jahren entfernt. Dergleichen kann ich mir in Frankreich nicht vorstellen.)
Das Militär gehört im allgemeinen Bewußtsein zur Gesellschaft, ja, das ist so.

E-Ward

5. Juni 2014 14:16

Von einem Urgroßonkel habe ich weitgehend vollständig über zwanzig Jahrgänge der Süddeutschen Monatshefte geerbt. An Themenheften aus der Zeit nach 1918 finde ich darunter:

- 1919, Heft 3: Deutschland vor Gericht. Von Ernst Graf zu Reventlow

- 1921, Maiheft: kein Themenheft oder Heft mit Schwerpunkttitel, enthält aber unter anderem den Aufsatz Deutsche Schuld und deutsches Gewissen
- 1922, Januarheft: Einkreisung? Von B. von Siebert, bis zum Krieg Sekretär der russischen Botschaft in London
- 1922, Maiheft: Die Kriegsschuldlüge vor Gericht. Bericht über den Prozeß um die Eisnerschen Dokumenten-Fälschungen am Amtsgericht München I, 27. April bis 11. Mai 1922
- 1922, Juniheft: Die Wurzeln des Weltkrieges. Auf Grund der neuen Bismarck-Akten dargestellt von Dr. Johannes Lepsius, Mitherausgeber der Bismarck-Akten
- 1922, Septemberheft: Wer hat den Krieg verschuldet?
- 1925, Märzheft: Aus belgischen Dokumenten
- 1925, Maiheft: Die Kriegsziele der Entente

Usw. Es sind noch einige Hefte mehr, die sich mit dem ganzen Themenkreis befassen.

Diese Auswahl sollte genügen, um zu zeigen, daß mindestens seit 1918 eine rege Auseinandesetzung über die "Kriegsschuldfrage" geführt wurde (mit den Süddeutschen Monatsheften an vorderster Front für den deutschen Standpunkt). Der Streit tobte in der Tat aber schon seit 1914, von der ersten Stunde an. Ich erinnere an den bekannten Aufruf An die Kulturwelt von 1914, in dem zahlreiche Künstler und Wissenschaftler Stellung bezogen gegen die Behauptung, Deutschland trage die Schuld am Ausbruch des Krieges, natürlich auf die typisch treuherzig-deutsch-professorenhaft-"empörte" Art ("Wir als Vertreter deutscher Wissenschaft und Kultur erheben vor der gesamten Kulturwelt Protest gegen die Lügen und Verleumdungen, mit denen unsere Feinde Deutschlands reine Sache in dem ihm aufgezwungenen schweren Daseinskampfe zu beschmutzen trachten ...").

Wahr ist nun wohl, daß diese Auseinandersetzung während des Krieges und in den Jahren danach hauptsächlich zwischen Deutschland und dem Ausland stattfand. Auf die Seite des Auslandes schlug sich damals in Deutschland dabei nur eine Minderzahl (ebenso wurde auch der Kriegsschuldartikel des Versailler Diktates vom deutschen Volk ziemlich einhellig abgelehnt).

Es handelte sich allerdings um eine Minderzahl, die nicht ganz unbedeutend war und sich aus namhaften linken Publizisten und Agitatoren zusammensetzte, und diese Minderzahl verstand es vorzüglich, Lärm für ihre Sache zu machen und langsam und schleichend Einfluß zu nehmen. Es brauchte eben ein paar Jahrzehnte und noch einen Weltkrieg mit den anschließenden Verwüstungen im Seelenhaushalt der Deutschen, bis die Saat, die gestreut wurde, Früchte trug und mit der Fritze-Fischer-Kampagne und der kulturmarxistischen Wende der sechziger Jahre die Auffassung von der deutschen Kriegsschuld, Hauptkriegsschuld, zur herrschenden Lehre und "populären" "Meinung" aufstieg.

Mit einer jetzigen Ex von mir unterhielt ich mich einmal über die Geschichtsforschung allgemein. Ich erklärte, diese sei doch ein recht vielgestaltig und verwickelt Ding, denn was ein rechter Geschichtsforscher sei, der müsse, um über das Vergangene zu schreiben, um alle bei einem geschichtlichen Vorgang oder Ereignis mitspielenden Umstände und Einflußkräfte abzuwägen und schließlich sein Urteil zu fällen, doch auf sehr vielen Feldern bewandert sein. Er müsse unter anderem Soziolog sein, dann aber auch Psycholog, Menschenkenner, sich in die Beweggründe, Gedanken und Gefühle der handelnden Menschen hineinversetzen können.

Meine Freundin meinte darauf, meine Rede zustimmend-unterstreichend an einem Beispiel ausführend: "Was dachte Wilhelm II., als er den Ersten Weltkrieg auslöste?"

Das Mädel war nicht ungebildet oder dumm, von Beruf auch Ingenieurin, an geschichtlichen Fragen zeigte sie im übrigen aber nur mäßige Teilnahme. Ich war aber erst einmal kurz baff, so einen "Scheiß" zu hören. Daß der Kaiser selber hauptverantwortlich die Schuld am Krieg trage, behaupten im Kriegsschuldstreit mit Leidenschaftlichkeit ja nicht einmal die Verfechter der deutschen Haupt- oder Ganzschuld. Diese räumen vielfach lustlos ein, daß das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches in der Julikrise eher zurückhaltend, gar vermittelnd war und nach Ausbruch des Krieges ohnehin weitgehend von der Bühne abtrat.

Ich befürchte jedoch, bei den Vorstellungen, die in der Allgemeinheit über die "Schuld" am Ersten Weltkrieg so herrschen, wirken, wie eben gezeigt, mehr als nur unterschwellig noch die Bilder der Entente-Greuelpropaganda von dem in Blut watenden und auf einem Schädelberg sitzenden deutschen Kaiser mit der Machete in der Hand nach. Daran werden auch die dicken Schwarten eines australischen Geschichtsforschers so schnell nichts ändern, denn die Geschichtsauffassung der breiten Massen ist träge, und sie wandelt sich, wenn überhaupt, erst mit Verspätung aufgrund neuer Erträge und Erkenntnisse der Forschung.

Verpersönlicht und holzschnittartig bleibt das Geschichtsbild derer, die die Schwarten nicht lesen, sowieso. Von irgendwelchen diplomatiegeschichtlichen Vorgängen des Jahres 1914 wird die Masse des Volkes in zwanzig Jahren genausowenig auch nur den blassesten Schimmer haben wie heute. Wenn indessen im Jahre 2034 die Deutschen glauben, ein argloses Deutschland sei 1914 von allen Seiten überfallen worden und der deutsche Kaiser war ein Engel im weißen Gewande und mit Flügelchen auf dem Rücken – ha, das wäre großartig!

Christoph Nahr

5. Juni 2014 15:34

"Ich habe ohnehin den Eindruck, dass vor der Wiedervereinigung historisch deutlich freier diskutiert und auch publiziert wurde, als es nach der Wiedervereinigung der Fall war."

Stimmt schon, aber mit Übergangszeit. Der Zusammenbruch der UdSSR und die Wiedervereinigung versetzten die (westdeutsche) Linke einige Jahre lang in eine Schockstarre, während der "Neue Rechte" wie Rainer Zitelmann auch in großen Verlagen publizieren konnten und weitläufig (wenn auch kritisch) besprochen wurden.

Der große Rollback mit systematischem Verleumden und Totschweigen kam, als die Linke erleichtert feststellte, daß sich praktisch kein Normalbürger für diese kleine intellektuelle Speerspitze interessierte. Das deutsche Volk hatte selbst zweifelsfrei seine politische Nichtexistenz bewiesen, und wurde seitdem ohne Umschweife auch so behandelt.

Citizen Kane

5. Juni 2014 19:13

Eine echte Alleinschuld wurde eindeutig nicht dargestellt, aber es ging schon in Richtung maßgebliche Verantwortung.

Genau so habe ich es in NRW auch wahrgenommen, auf absolutem SPD Terrain.

Ich hatte an dieser Geschichtsperiode - um sie mit dem Buchtitel „Von Bismarck zu Hitler“ zu beschreiben - immer besonderes Interesse.
Ich denke eher, die Frage der Kriegsschuld am WKI ist nach ‘45 in den Hintergrund getreten und im Bewusstsein der in Folge 68 Richtung Selbsthass indoktrinierten Schülergenerationen als belanglos und nicht hinterfragenswert betrachtet worden, und mit den Standardargumenten „Deutscher Militarismus“, „Kaiser irgendwie ein Psycho“ alles erschlagen werden konnte.

Keine Rede davon, dass selbst in England Deutschland als die zivilisierteste Nation der Welt angesehen wurde.

Nur schnarrende preußische Offiziere, die auf ihren Gütern Sklaven ausbeuteten, nur verblödete roboterhaft pflichtbewusste, fleißige, pünktliche also vollkommen uncoole Untertanen.
In den Subventionsmachwerken der ausschließlich linken FilmeMACHER über jene Zeit Psychos, impotente Frauenhassertypen, dekadente sadistische Adelige uswusf..

Anthropologisch ist es die Unterwerfung unter die Kultur des Siegers. Wer will schon zu den Verlierern gehören?
Ich hatte immer das Gefühl, dass ein wesentlicher Grund des Hasses der 68er auf die Elterngeneration drin begründet liegt, dass man ihnen kein geschichtliches Full House in ihren verwöhnten und von allen Problemen entlasteten Arsch geschoben hat,

Es ist jetzt wichtig, dass in Folge der nun eingesetzten Debatte auch die Frage der Gesamtverantwortung für die Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts zur Debatte gestellt wird.

Ohne WKI, oder zumindest ohne Versailles, kein Hitler, das ist sicher.
Darüber hinaus kein Lenin und kein Stalin, kein Ho Chi Min , Pol Pot und – KEINE Achtundsechziger!
Wo stünden wir dann jetzt? Darüber müsste mal einer einen Roman schreiben! Oder? – nee, ich glaube, der wäre zu langweilig.

Druide

6. Juni 2014 09:42

@Martin
@Citizen Kane
"Eine echte Alleinschuld wurde eindeutig nicht dargestellt, aber es ging schon in Richtung maßgebliche Verantwortung."

Das ist ein Spiegelgefecht, weil Schuld Verantwortlichkeit bedeutet. Demnach sagen Sie aus: Echte Alleinvernatwortung wurde nicht eindeutig dargestellt, aber es ging schon in Richtung maßgebliche Verantwortung. Ich sehe den maßgeblichen Unterschied nicht.

ene

6. Juni 2014 09:57

@ E- Ward

Neulich in der Alten Nationalgalerie (Berlin): angesichts eines Porträts von Wilhelm II. wirft ein Vater seinen Sohn (ca. 6 Jahre alt) im Vorbeigehen zu:
"Der hat den Ersten Weltkrieg verschuldet."

Martin

6. Juni 2014 12:02

@Druide

Das ist doch recht leicht verständlich. Stellen Sie sich, auch wenn der Vergleich natürlich hinkt, einen Verkehrsunfall mit 5 Beteiligten vor, da wird dann auch eine sog. "Haftungsquote" gebildet, der eine so und so viel Prozent, der andere so und so viel etc.

Und so ähnlich ist das dann auch in diesem Falle. Deutschland hatte, salopp formuliert, einen Anteil von x%, die anderen von y, z etc..

Die Ungerechtigkeit bei Kriegen mit Siegern und Verlierern wird dadurch hergestellt, dass der Verlierer hier 100% bekommt und auch noch - die Pariser Vorortverträge zeigen dies deutlich - darüber hinaus wesentlich mehr aufgebrummt bekommt, da ja eben kein Richter oder Historiker entscheidet, sondern der Sieger.

Ein Autor wir Clark käme, wieder salopp daher gesagt, unter diesem Aspekt auf gleiche Quoten für alle, bei uns in der Schule ging es eben in Richtung 50% für Deutschland. So war das zu verstehen.

Hartwig

7. Juni 2014 09:51

Meine Tochter hatte in diesem Jahr im Geschichtsunterricht den ersten Weltkrieg, was ich mit Argwohn verfolgte. Erleichtert durfte ich feststellen, dass der Lehrer sich bzgl. Kriegsschuld immerhin in etwa an Clark orientierte und das der VV als Unrecht bezeichnet wurde. Interessant wird sein, ob es die Unterrichtsvorgaben erlauben werden, den VV, die Politik des Westens in den 20er und 30er Jahren, den Bolschewismus u.a.m. in die Behandlung der Kriegsschuldfrage des zweiten Weltkrieges einzubringen oder ob an dieser Stelle keinerlei Relativierung zugelassen wird.

Unke

7. Juni 2014 15:27

Bitte nochmal: strukturiert liest's sich's einfach leichter!
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Nun mal ernsthaft. Für Erwachsene.
Kein normaler Mensch ist von einer deutschen Alleinschuld am 1. WK ausgegangen. Selbst an gehirngewaschenen deutschen Schulen wurde und wird(?) das nicht gelehrt. (Das erinnert mich an das Wehklagen, dass die wirtschaftlichen Übel unserer Zeit alle mit der Übermacht keynesianischen Denkens zusammenhänge. Das ist Blödsinn, in der ökonomischen Theoriebildung ist Keynes seit 40 Jahren tot. Für die Psychologie/Psychiatrie und Freud gilt mWn Analoges.)
.
Ob nun der "Griff nach der Weltmacht" der Diagnose einer deutschen (Allein-)schuld gleichzusetzen ist sei außerdem dahingestellt. Denke ich muss da mal ins beworbene Heft hineinschauen, es ist ja erfreulich kompakt gehalten :-)
Persönlich hat mich traditionell stärker die Frage interessiert, wie "man" überhaupt in diesen Krieg geraten konnte; ein Krieg, der die postnapoleonische Ordnung unwiederruflich zerstörte (allgemeines bzw. Frauenwahlrecht, Zusammenbruch des Edelmetallstandards sowie Bolschewismus im Rußland) und nur Verlierer kannte. Es ist -und das muss m.E. der Ausgangspunkt einer Analyse sein- außerordentlich schwierig, sich in die Zeit von 1914 hineinzuversetzen. Denn damals war man zwar auch "global" und "vernetzt", aber eben noch nicht so eng getaktet und hierarchisch durchstrukturiert wie heute (man nehme die Berichterstattung zur Ukraine, um ein harmloses Beispiel zu nennen) - wer da nun (oben) in der Hierarchie den Takt vorgibt (auf einer langfristig-strukturellen Ebene einerseits und einer sozusagen operativen Ebene andererseits) ist nicht Theme dieses Kommentars hier.*
Bevor heute jemand auch nur einen Gedanken ausformuliert hat er schon diverse Stufen der Gehirnwäsche hinter sich - das westliche, neomarxistische (oder auch: kulturmarxistische, neobolschewistische) geistige Klima das 21. Jahrhunderts ist um Vorstellungswelten vom liberalen Klima um 1900 entfernt. Ohne das aus Platzgründen weiter ausführen zu können (und deshalb in der Nussschale): die Katastrophe von 1914 hat ihre Ursache in der Naivität der Deutschen. Jahrhundertelang waren die Deutschen die nützlichen Idioten der Weltgeschichte -als Erfinder, Krieger, Wissenschaftler, Siedler oder Duodez- Potentaten arbeiteten sie "höheren" Strukturen und gewalt(tät)ige(re)n Mächten zu. Mit dem Aufkommen eines eigenen nationalen Bewusstseins haben sie es versäumt, die notwendigen Qualifikationen zu erwerben um in der Liga der Großmächte zu bestehen.

die Naivität der Massen hinsichtlich ihrer Führer

Wie im richtigen Leben gilt: traue niemandem weiter als dein Arm reicht. Das Schweizer Modell ist so erfolgreich, weil die eigenen Politiker vom Volk über "Motionen" bei etwaigen volksfeindlichen Tendenzen im politischen Establishment wieder eingebremst werden. Jedes Volk muss um seine Freiheit selbst kämpfen - die Autoren der Schweizer Verfassung waren weise Menschen: "gewiss, dass nur frei ist, wer seine Freiheit GEBRAUCHT"!
Es ist wahr, die Deutschen hatten sich jahrhundertelang von ausländischen Interessen gegeneinander aufhetzen lassen und sie hatten das im 19. Jahrhundert gründlich satt. Es ist aber nun einmal eine naturgesetzliche (und nicht nur eine anthropologische) Konstante, dass Macht korrumpiert und süchtig macht - und Machthaber ihre Macht um der Macht selber willen zu erhalten suchen. Es war und ist deshalb wichtig seine Eliten ständig zu disziplinieren so dass sie in diesem fragilen Mitteleuropa, "umzingelt von einem Meer von Feinden", das große Ganze im Augen haben und in seinem Sinne agieren. Es ist doch etwas faul im Staate Dänemark, wenn miteinander verwandte Herscherhäuser mit überwiegend germanischen Eliten gegeneinander Krieg führen - hier hatten sich die obersten 1000 grausam verzockt, und sie haben die Prioritäten falsch gesetzt! Es war eben schon damals keineswegs so, dass es "die da oben" besser wissen "und es schon richten werden".

die Naivität der deutschen Eliten hinsichtlich ihrer europäischen "Kollegen"

Der Wesenszug ("racial trait") der Naivität machte um das deutsche Establishment keinen Bogen. Man machte sich dort durchaus eine Vorstellung von der Niedertracht, dem intriganten Wesen und dem Vernichtungswillen der europäischen "Partner" dem deutschen Reich gegenüber. Wie man dem entgegnen könne, dazu aber war die Ausstattung des geistig-moralischen Werkzeugkoffers zu limitiert. Auf diese Art konnten hinterhältige Franzosen und das perfide Albion Deutschland Stück für Stück dahin manövrieren wo sie es haben wollten - Kollateralschäden (Millionen unschuldiger Toter, z.B.) waren und sind den Westmächten traditionell gleichgültig gewesen. Politische Führer, die für das Wohlergehen von Zig Millionen verantwortlich sind hätten es die Bethmann-Hollwegs, Willem II etc. nicht soweit kommen lassen dürfen. Krieg beginnt eben schon weit, w e i t vor dem Klang der Waffen - und die Welt von 1914 war es wert erhalten zu werden!
Danach wurden wir ärmer, der technische Fortschritt verlangsamte sich, wir wurden regelrecht verdummt und werden letzlich -(gar nicht so) langsam und Scheibchen für Scheibchen- als Volk ausgelöscht.

*die ideologische Engführung am Beispiel AfD: eine bürgerlich-systemtreue Partei, Fleisch vom Fleische der CDU (und FDP, aber die gibt es ja nicht mehr), die nur in Details vom Konsens der Blockparteien abweicht wird als "rechts" diffamiert und von den Antifa-Hilfstruppen angegriffen - Hermann Axen schaut aus der Hölle zufrieden zu!

Nordlaender

7. Juni 2014 19:12

@ Hartwig

Unterrichtung unserer Jugend über den Krieg der Jakob Schiffs, Kuehn, Loeb und Co. gegen die Romanows wohl gar?
Geschichtswissenschaft freigeben?
Ist es denn überhaupt möglich, Erkenntnisse zu formulieren, die nicht darauf basieren, daß dieses zu jenem in Relation gestellt worden ist?

"Du sollst nicht vergleichen!" klingt mir doch eher nach einem religiösen Gebot.

Tabu

10. Juni 2014 12:16

Die Deutschen sind ( waren) perfekte Dichter und Denker! Sie haben die Welt mit ihrer Denkschärfe und Kreativität bereichert in fast allen Disziplinen der hohen Kultur, aber gleichzeitig Neid und Missgunst dadurch herausgefordert. Auf diese Herausforderungen haben Sie politisch nicht richtig reagiert. Es wurde den Deutschen zum Verhängnis, dass sie das Böse nicht erkannt zu haben , den Feind im Innern wie von außen nicht erkannt zu haben! Wilhelm 2 z.B. war zu blauäugig für das perfide und hinterhältige Spiel der Engländer, Franzosen und Russen zur Einkreisung der Deutschen, um sie bei Gelegenheit mit einem Vernichtungskrieg zu überziehen. Helmut Diwald schreib einmal: Wer wirtschaftlich angreift, muss militärisch nachstoßen können! Hitler hat mit der Macht einer neuen Idee das Unmögliche versucht, musste aber an der Übermacht der Feinde und dem Verrat im eignen Haus scheitern! Fazit: Deutschland ist allein zu schwach um Europa zu beherrschen! Es muss sich also auflösen ( wie zur Zeit im Gange) oder seine Ergänzung im Osten ( und nur im Osten) finden! Bismarck hatte die Weichen richtig gestellt!

Stefan O. W. Weiß

30. August 2014 15:01

Da wird doch ein Papiertiger aufgebaut. Man braucht eigentlich nur den Wiki-Artikel über die Kriegschuldfrage zu lesen, um zu sehen, daß die Positionen der historischen Forschung zu dieser Frage sowohl in Deutschland als auch international durchaus unterschiedlich sind. Und ich kenne auch keinen akademischen Historiker in Deutschland, der eine deutsche Alleinschuld am Ersten Weltkrieg behaupten würde. Und auch die Kriegs(mit)schuld der Alliierten ist keineswegs erst von Clark entdeckt worden, sondern seit langem in der einschlägigen Literatur nachlesbar.

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