Veit Harlan revisited

Um meine kleine, ungeplante Harlan-Serie abzuschließen, möchte ich noch auf den sehr guten Dokumentarfilm ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… “Har­lan – Im Schat­ten von Jud Süß” von Felix Moel­ler hin­wei­sen, der zur Zeit im Kino zu sehen ist. Moel­ler hat den viel­köp­fi­gen Har­lan-Söder­baum-Kör­ber-Klan (Hil­de Kör­ber war Harlans zwei­te Ehe­frau, Söder­baum die drit­te) bis zu den Enkeln hin­ab zu dem berüch­tig­ten Patri­ar­chen befragt.

Dabei sind etwa drei­vier­tel der Inter­view­ten eben­falls im Film-und Show­busi­ness tätig, am bekann­tes­ten wohl Stan­ley Kubricks Wit­we Chris­tia­ne, eine Nich­te Harlans, und ihr Bru­der Jan, Kubricks “Exe­cu­ti­ve Pro­du­cer”. Es ist inter­es­sant zu sehen, wie auf sie alle der “Schat­ten von Jud Süss” gefal­len ist,  und wie sich die gan­ze Fami­lie immer noch mehr oder weni­ger dar­an abarbeitet.

Am extrems­ten ist dabei sicher der 1929 gebo­re­ne ältes­te Sohn Tho­mas Har­lan, sei­nes Zei­chens selbst Fil­me­ma­cher,  für den die Bewäl­ti­gung der tat­säch­li­chen, ver­mu­te­ten oder unter­stell­ten Schuld des Vaters zur lebens­lan­gen Obses­si­on gewor­den ist.  Dafür wird er von sei­nen eher mode­ra­ten Geschwis­tern, die eine über­wie­gend posi­ti­ve emo­tio­na­le Bin­dung zu ihren Eltern haben, auch recht kri­tisch betrach­tet. Es ist erschüt­ternd mit­an­zu­se­hen, wie die­ser nun­mehr 80jährige Mann immer noch vom Gespenst des Vaters heim­ge­sucht wird. Sein Film “Wund­ka­nal” aus dem Jahr 1984 gehört zu den wohl kras­ses­ten Expo­na­ten einer auf die Spit­ze getrie­be­nen, nahe­zu patho­lo­gi­schen Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung (die Edi­ti­on Film­mu­se­um wird ihn im Juni auf DVD her­aus­brin­gen). Har­lan enga­gier­te sich seit den Fünf­zi­ger Jah­ren auf der radi­ka­len Lin­ken, wovon nicht zuletzt “Wund­ka­nal” mit sei­ner offe­nen Sym­pa­thie für die RAF zeugt. Harlans anklä­ge­ri­sche Beses­sen­heit erin­ner­te mich an Horst Mahler und sei­ne 180 Grad-Wen­dun­gen: bei­de sind für mich Zeu­gen, daß der deut­sche Rechts­extre­mis­mus und Links­extre­mis­mus ein- und dem­sel­ben Knacks ent­sprin­gen, und der eine nur die Kehr­sei­te des ande­ren ist.

“Har­lan” kann man als einen wei­te­ren Ein­trag in einem Sub­gen­re des “Bewäl­ti­gungs­films” sehen, das ich als die “Fami­li­en­ge­schich­te” bezeich­nen möch­te. Ande­re Bei­spie­le der letz­ten Jah­re waren Mal­te Ludins “Zwei oder Drei Din­ge, die ich von ihm weiß” (2004), Jens Schan­zes “Win­ter­kin­der” (2005) und Rosa von Praun­heims “Mei­ne Müt­ter” (2008) . Dabei ist zu ver­zeich­nen, daß die jün­ge­ren fil­mi­schen Auf­ar­bei­tun­gen (Ludin ist natür­lich das Gegen­bei­spiel) sich immer mehr von der Ankla­ge weg zum Ver­such des distan­zier­ten Ver­ste­hens hin bewe­gen. So läßt auch Felix Moel­lers Film den unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven und Urtei­len der Fami­li­en­mit­glie­der einen beträcht­li­chen Spiel­raum, ohne selbst Par­tei zu ergreifen.

Als expo­nier­ter, her­aus­ra­gen­der Künst­ler ist Veit Har­lan bis heu­te einer der bevor­zug­ten Sün­den­bö­cke des Drit­ten Reichs. Es mutet selt­sam an, sei­ne Kin­der und Enkel, die alle­samt unver­kenn­bar sei­nen und Kris­ti­na Söder­baums phy­sio­gno­mi­schen Stem­pel tra­gen, im Ban­ne der “Schuld” ihres Ahn­her­ren zu sehen. Die­se Iden­ti­fi­ka­ti­on oder zumin­dest schand­haf­te Affi­zie­rung durch das “Blut”  ist ein eben­so irra­tio­na­ler wie see­lisch schlüs­si­ger Vor­gang. Eine der Enke­lin­nen Harlans merkt in dem Film an, daß es ihr natür­lich lie­ber wäre, wenn ihr Groß­va­ter ein “Wider­stands­kämp­fer” gewe­sen wäre, aber ratio­nal betrach­tet wür­de das genau­so­we­nig einen bes­se­ren oder einen schlech­te­ren Men­schen aus ihr machen wie ein “Nazi”-Großvater.

Den­noch bleibt die­se eigen­tüm­li­che Affi­zie­rung, gleich einer Art von Erb­sün­de zurück, wobei der Grad der Emo­tio­na­li­tät bei den Fami­li­en­mit­glie­dern sehr ver­schie­den ist. Man kann Moel­lers Film auch als eine Art von “Fami­li­en­stel­len” sehen, frei nach der the­ra­peu­ti­schen Schu­le des (“umstrit­te­nen”) Psy­cho­lo­gen Bert Hel­lin­ger. (Über des­sen eben­so selt­sa­mes wie genia­li­sches Kon­zept kol­lek­ti­ver see­li­scher Kau­sa­li­tä­ten und Ver­stri­ckun­gen kann man “kri­tisch” hier und hier nachlesen.)

Hel­lin­ger pos­tu­liert die Exis­tenz einer Art “Fami­li­en­k­ar­ma”, das über Gene­ra­tio­nen hin­weg schick­sals­haft fort­wirkt. Man muß den Begriff nicht unbe­dingt “mys­tisch” neh­men – mir gefällt er als Meta­pher, mit der man auch die see­li­sche Ver­fas­sung der Deut­schen als Volk beschrei­ben könn­te, die sich immer­hin aus der Gesamt­heit von vie­len Mil­lio­nen Fami­li­en­ge­schich­ten- und ‑schick­sa­len speist. Wer das bis heu­te wei­ter­ver­erb­te Schuld­ge­fühl und Unbe­ha­gen der Deut­schen an sich selbst allein auf “Umer­zie­hung” und poli­ti­sche Idok­tri­nie­rung zurück­führt, greift mei­nes Erach­tens zu kurz. Die “See­len­ge­schich­te” der Deut­schen, das ist etwas, das immer noch nicht in sei­ner Tie­fe ergrün­det wor­den ist.

Erwäh­nen möch­te ich noch, daß der Film auch die fas­zi­nie­ren­de Sei­te von Har­lan nicht unter­schlägt. Sei­ne schwer­blü­ti­gen, zum Teil kit­schi­gen und mor­bi­den Melo­dram-Exzes­se in berau­schen­dem Agfa­co­lor wie “Die gol­de­ne Stadt” (1942), “Immensee” (1943) oder “Opfer­gang” (1944) haben auch heu­te noch ihren eigen­tüm­li­chen, unver­wech­sel­ba­ren Reiz bewahrt. Sie mit neu­en Augen sehen ler­nen kann man mit­hil­fe der exzel­len­ten und mate­ri­al­rei­chen Har­lan-Bio­gra­phie “Des Teu­fels Regis­seur” von Frank Noack. Noack scheut sich nicht vor küh­nen Urtei­len, und war­tet mit vie­len, zum Teil über­ra­schen­den his­to­ri­schen Details auf, die einen hoch­dif­fe­ren­zier­ten Blick auf den Regis­seur und sei­ne Arbeit erlauben.

Zum Schluß noch eine Abbit­te. Neu­lich schrieb ich “Nach dem Krieg ließ Sta­lin heroi­sche Fil­me dre­hen, die dem Stil von „Kol­berg“ aufs Haar gli­chen und den Sieg über den „Faschis­mus“ fei­er­ten,  etwa 1948 in Far­be „Die Schlacht um Ber­lin“. Nach­dem ich nun “Die Schlacht um Ber­lin” (1949) zur Gän­ze gese­hen habe, muß ich zu Harlans Guns­ten sagen, daß “Kol­berg” auch nicht nur annä­hernd so plump und naiv ist wie die­se sta­li­nis­ti­sche Sowjetproduktion.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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