20. Todestag Hellmut Diwald

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Karlheinz Weißmann

In der üblichen Betrachtung der Dinge erscheinen Mensch und Werk reduziert auf ein einziges Buch: die Geschichte der Deutschen. 1979 erschienen, hatte dieser Band eine unerwartete – auch für den Autor unerwartete – Wirkung. Denn es mochte zwar der Fachwelt störend erscheinen, daß ein Historiker »gegenchronologisch « vorging, also die Entwicklung vom Ist-Stand her rückwärts erzählte, aber davon abgesehen, bot der Text wenig Anstößiges.

Nicht ein­mal die Bemer­kun­gen Diwalds zur Zeit­ge­schich­te bzw. Zeit­ge­schichts­for­schung, vor allem die Behaup­tung, daß die­se in der Bun­des­re­pu­blik poli­ti­scher Kura­tel unter­wor­fen sei, hät­ten zur Skan­da­li­sie­rung aus­ge­reicht. Dazu bedurf­te es der Bezug­nah­me auf sei­ne The­se, daß die Ver­nich­tung der euro­päi­schen Juden weni­ger ein sys­te­ma­tisch geplan­ter Akt der NS-Füh­rung als viel­mehr ein unter extre­men Kriegs­be­din­gun­gen zustan­de gekom­me­nes Mas­sen­ver­bre­chen gewe­sen sei.

Das aller­dings klang in den Ohren der gera­de eta­blier­ten Zen­so­ren uner­träg­lich. Abge­se­hen von einer star­ken Min­der­heit, für die Diwalds Buch maß­geb­li­che Bedeu­tung gewann, folg­te die Öffent­lich­keit deren Urteil auf Basis der geschichts­po­li­ti­schen Sicht, die nach ’68 ein­ge­führt wur­de, aber erst mit dem durch­schla­gen­den Erfolg der Fern­seh­se­rie »Holo­caust« (1978) so befes­tigt war, daß nie­mand mehr oppo­nie­ren durf­te, es sei denn um den Preis der öffent­li­chen Äch­tung. Daß Diwald sich die­ser Gefahr bewußt war, darf man bezwei­feln. Sei­ne Bekannt­heit reich­te zwar deut­lich über die Krei­se der Zunft hin­aus, er galt aber doch zuerst als Wis­sen­schaft­ler. In Süd­mäh­ren auf­ge­wach­sen, stamm­te er aus einer »Misch­ehe « zwi­schen einem öster­rei­chi­schen Vater und einer tsche­chi­schen Mut­ter, kam 1938 mit sei­ner Fami­lie nach Nürn­berg und nahm als Sol­dat am Zwei­ten Welt­krieg teil. Nach dem Zusam­men­bruch absol­vier­te Diwald zuerst ein Stu­di­um des Maschi­nen­baus, das er 1947 in Nürn­berg abschloß, danach wech­sel­te er an die Uni­ver­si­tä­ten Ham­burg und Erlan­gen, um Phi­lo­so­phie, Ger­ma­nis­tik und Geschich­te zu studieren.

In Erlan­gen kam er in den Bann­kreis des kon­ser­va­ti­ven His­to­ri­kers Hans-Joa­chim Schoeps, bei dem er 1952 mit einer Arbeit über den »Geschichts­rea­lis­mus« des 19. Jahr­hun­derts pro­mo­viert wur­de. Aller­dings trat Diwald selbst in der Fol­ge­zeit nicht poli­tisch her­vor. Viel­mehr über­nahm er 1965 in Erlan­gen einen Lehr­stuhl für Mitt­le­re und Neue­re Geschich­te und leg­te sei­nen For­schungs­schwer­punkt auf die frü­he Neu­zeit; eine gewis­se Pro­mi­nenz erlang­ten sei­ne Arbei­ten über Wal­len­stein und der Ein­lei­tungs­band zur »Pro­py­lä­en Geschich­te Euro­pas«, der die Renais­sance und das Zeit­al­ter der Refor­ma­ti­on behan­del­te. Hin­zu kam wei­ter, daß Diwald sich kaum als »Kon­ser­va­ti­ver« gese­hen hät­te, eher als »Natio­na­ler«. Das war beson­ders deut­lich an sei­nem ers­ten, im genaue­ren Sinn poli­ti­schen Buch erkenn­bar, das 1970 unter dem Ein­druck der Neu­en Ost­po­li­tik geschrie­ben wur­de und­den Titel Die Aner­ken­nung trug.

Mit »Aner­ken­nung « war einer­seits die fak­ti­sche Aner­ken­nung der DDR durch die Bun­des­re­pu­blik gemeint, ande­rer­seits die Aner­ken­nung der Oder-Nei­ße-Linie und damit der Ver­lust Ost­deutsch­lands. Bemer­kens­wer­ter­wei­se war das Buch aber kein Gene­ral­an­griff auf die »Ver­zicht­ler« in der sozi­al­li­be­ra­len Koali­ti­on, son­dern eine bit­te­re Abrech­nung mit den Deut­schen der Nach­kriegs­zeit über­haupt. Daß Diwald den Satz im letz­ten Abschnitt des Buches – »Die ›Deut­sche Nati­on‹ ist schon lan­ge zu Gra­be getra­gen« – nicht als Fest­stel­lung, son­dern als Pro­vo­ka­ti­on mein­te, um der leb­lo­sen Nati­on wie­der Leben ein­zu­flö­ßen, steht außer Fra­ge. Man kann das auch der Tat­sa­che ent­neh­men, daß er zeit­gleich einen Vor­trag über Ernst Moritz Arndt hielt, der in einer den dama­li­gen Zeit­geist mas­siv irri­tie­ren­den Wei­se das Lob­lied des gro­ßen Natio­nal­päd­ago­gen sang.

Als Natio­nal­päd­ago­ge hat sich auch Diwald ver­stan­den und das je län­ger je mehr. Sei­ne Prä­senz im ein­fluß­reich wer­den­den Fern­se­hen nutz­te er ent­spre­chend, aber auch sei­ne brei­ten publi­zis­ti­schen Mög­lich­kei­ten in der Tages- und Wochen­pres­se. Ent­schei­dend war aber die Geschich­te der Deut­schen, die er als das Mit­tel betrach­te­te, den Deut­schen mit der Geschichts- auch die Nati­ons­ver­ges­sen­heit aus­zu­trei­ben. Daß Diwald an die­ser Ziel­set­zung trotz der Hexen­jagd, die man gegen ihn eröff­ne­te, nicht irre wur­de, war der Tat­sa­che zu ver­dan­ken, daß es durch­aus noch Wider­stands­zen­tren gab, daß sei­ne Iso­lie­rung erst mit einer gewis­sen Ver­spä­tung griff und es ihm sein Cha­rak­ter gebot, das ein­mal als rich­tig Erkann­te mit allen gebo­te­nen Mit­teln zu ver­tei­di­gen. Dabei stand ihm nicht nur eine unge­wöhn­li­che schrift­stel­le­ri­sche Bega­bung zur Ver­fü­gung, son­dern auch eine Nei­gung zur Ver­dich­tung, wenn nicht Ver­ein­fa­chung, die es erlaub­te, den Deut­schen in ein­zel­nen Figu­ren – vor allem Hein­rich I. und Luther – jene Hero­en zurück­zu­ge­ben, die sie seit 1945 entbehrten.

Es ist unbe­streit­bar, daß Diwald dabei immer wie­der die Gren­zen der Wis­sen­schaft über­schrit­ten hat und daß ihn das ange­sichts der Bös­wil­lig­keit vie­ler Kol­le­gen und der Medi­en­mäch­ti­gen immer weni­ger küm­mer­te. Fest steht aber auch, daß er zu den wirk­sams­ten poli­ti­schen Autoren der Nach­kriegs­zeit gehör­te. Als Diwald nach schwe­rer Krank­heit im Alter von nur 69 Jah­ren starb, zeig­te sich noch ein­mal das Poten­ti­al der Beun­ru­hi­gung, das er ver­kör­per­te. Nach­dem ihm Gus­tav Seibt in der FAZ einen Nach­ruf gewid­met hat­te, der den Namen nicht ver­dien­te, zeig­te wenigs­tens einer der Kol­le­gen Diwalds – Karl H. Metz – den Mut, das Urteil zu fäl­len, das für die Mas­se sei­ner Geg­ner gilt: »Es gibt For­men der Ver­ächt­lich­keit, die sel­ber ver­ächt­lich machen.«

Schrif­ten: Wil­helm Dil­they. Erkennt­nis­theo­rie und Phi­lo­so­phie der Geschich­te, Göt­tin­gen 1963; Wal­len­stein. Eine Bio­gra­phie, München/Esslingen 1969; Ernst Moritz Arndt. Das Ent­ste­hen des deut­schen Natio­nal­be­wußt­seins, Mün­chen 1970; Die Aner­ken­nung. Bericht zur Kla­ge der Nati­on, München/Esslingen 1970; Anspruch auf Mün­dig­keit, Pro­py­lä­en Geschich­te Euro­pas, Bd. 1, 1400–1555, Frank­furt a. M./Berlin/ Wien 1975; Geschich­te der Deut­schen, Frank­furt a. M./Berlin/Wien 1978; Der Kampf um die Welt­mee­re, München/Zürich 1980; Luther. Eine Bio­gra­phie, Ber­gisch Glad­bach 1982; Die Erben Posei­dons. See­macht­po­li­tik im 20. Jahr­hun­dert, Mün­chen 1984; Hein­rich der Ers­te. Die Grün­dung des Deut­schen Reichs, Ber­gisch Glad­bach 1987; Deutsch­land einig Vater­land. Geschich­te unse­rer Gegen­wart, Frank­furt a. M./Berlin 1990.

Lite­ra­tur: Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.): Hell­mut Diwald – sein Ver­mächt­nis für Deutsch­land, sein Mut zur Geschich­te, Tübin­gen 1994.

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