15. Todestag Ernst Jünger

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

Jüngers Leben überspannt einen Zeitraum vom Kaiserreich bis zum wiedervereinigten Restdeutschland.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

Durch die­sen ein­zig­ar­ti­gen Erfah­rungs­ho­ri­zont und sei­ne durch­ge­hen­de Teil­ha­be an den geis­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zun­gen des Jahr­hun­derts gehört Jün­ger zu den bedeu­tends­ten rech­ten bzw. kon­ser­va­ti­ven Autoren.

Jün­gers Ruhm lei­tet sich bis heu­te von sei­nem Erst­ling her, sei­nem Kriegs­ta­ge­buch In Stahl­ge­wit­tern, das 1920 erschien. Dar­in schil­dert der Frei­wil­li­ge von 1914, der froh war, Eltern­haus und Schu­le zu ent­kom­men, sei­ne Erleb­nis­se als Stoß­trupp­füh­rer an der West­front, vom ers­ten Gefecht bis zur Ver­lei­hung des höchs­ten Ordens, Pour le méri­te, am Ende des Krie­ges. Jün­gers Buch zeich­net sich durch eine nüch­ter­ne Dik­ti­on aus, die den Krieg als Natur­er­eig­nis begreift, das man nicht mit einem Pro oder Kon­tra abtun kann.

In den zwan­zi­ger Jah­ren war Jün­ger einer der ein­fluß­reichs­ten Publi­zis­ten der poli­ti­schen Rech­ten. Es ging ihm um die Begrün­dung eines neu­en Natio­na­lis­mus, der nichts mit dem Vor­kriegs-Patrio­tis­mus, aber auch nichts mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus zu tun haben soll­te. In die­se Pha­se fal­len auch eini­ge meta­phy­si­sche Deu­tun­gen des Krie­ges. For­mal und inhalt­lich schloß Jün­ger mit sei­nem Aben­teu­er­li­chen Her­zen (1929) sein poli­ti­sches Enga­ge­ment ab und zog sich auf die Posi­ti­on des Beob­ach­ters und Deu­ters zurück. Sein Arbei­ter (1932) nimmt inso­fern eine Zwit­ter­stel­lung ein, da nicht ganz klar ist, ob Jün­ger bloß als Seis­mo­graph oder nicht auch als Weg­be­rei­ter einer neu­en Gesell­schafts­ord­nung schrieb. Mit der Macht­über­nah­me von 1933 muß­te Jün­ger sich ent­schei­den, ob er sich zum Aus­hän­ge­schild des neu­en Deutsch­land machen las­sen woll­te. Er zog statt des­sen aus Ber­lin in die Pro­vinz, setz­te sei­ne Rei­se­tä­tig­keit fort und ver­öf­fent­lich­te einen unver­fäng­li­chen Erin­ne­rungs­band (Afri­ka­ni­sche Spie­le, 1936). Kurz vor Kriegs­be­ginn erfolg­te die Reak­ti­vie­rung als Haupt­mann. Sei­ne Erzäh­lung Auf den Mamor­klip­pen erschien im Okto­ber 1939 und stand bald in dem Ruf, eine Wider­stands­pa­ra­bel zu sein. Jün­ger war in der Armee vor Nach­stel­lun­gen sicher, tat Dienst in der Pari­ser Etap­pe und schrieb flei­ßig Tage­buch. Nach dem 20. Juli 1944 wur­de er ent­las­sen. Bereits seit 1941 beschäf­tig­te sich Jün­ger mit der Kon­zep­ti­on einer Nach­kriegs­ord­nung, die er in der Denk­schrift Der Frie­de umriß. Als Manu­skript kur­sier­te sie unter Gleich­ge­sinn­ten (u. a. Erwin Rom­mel), konn­te aber erst nach Kriegs­en­de erscheinen.

Jün­gers Nach­kriegs­ruhm begann mit Ver­zö­ge­run­gen, da er sich wei­ger­te, den alli­ier­ten Fra­ge­bo­gen aus­zu­fül­len, was die Bri­ten mit einem Publi­ka­ti­ons­ver­bot beant­wor­te­ten. Über die Schweiz – der Kon­takt kam über den spä­te­ren Sekre­tär Armin Moh­ler zustan­de – gab es ers­te Publi­ka­ti­ons­mög­lich­kei­ten. Auch Ger­hard Nebel spann­te sich in die­ser Zeit ganz in den Dienst von Jün­gers Reha­bi­li­ta­ti­on. Sein Come­back fei­er­te Jün­ger mit den Strah­lun­gen (1949), sei­nem Tage­buch vom Febru­ar 1942 bis April 1945. Ein­lei­tend kom­men­tiert er sei­ne Situa­ti­on und recht­fer­tigt sei­ne beob­ach­ten­de Hal­tung: »Nach dem Erd­be­ben schlägt man auf die Seis­mo­gra­phen ein.« Wenig spä­ter erschien sein ers­ter Roman, Helio­po­lis, eine Zukunfts­vi­si­on, in der zwei Bür­ger­kriegs­par­tei­en um die Macht kämp­fen. Die eine steht für die aris­to­kra­ti­sche Ord­nung, die ande­re ver­sucht eine demo­kra­tisch legi­ti­mier­te »abso­lu­te Büro­kra­tie« zu installieren.

Der Roman wur­de kri­tisch auf­ge­nom­men, sein wach­sen­der Ruhm grün­de­te sich auf sei­ne Rei­se­ta­ge­bü­cher, vor allem aber die Essays der fünf­zi­ger Jah­re. Über die Linie (1950) ist eine Heid­eg­ger gewid­me­te Abhand­lung über den Nihi­lis­mus, auf die Heid­eg­ger wenig spä­ter ant­wor­te­te. Am bekann­tes­ten dürf­te bis heu­te Der Wald­gang (1951) sein, der Jün­gers Vor­be­halt gegen Mas­sen­de­mo­kra­tie zeigt und das Lob des Anar­chen singt, der sich ent­zieht, weil er sich einem höhe­ren Prin­zip ver­pflich­tet weiß. Erfolg­reich war auch Der gor­di­sche Kno­ten (1953), in dem Jün­ger den Ost-West-Kon­flikt als eine unhin­ter­geh­ba­re Pola­ri­tät ver­schie­de­ner Wirk­lich­keits­auf­fas­sun­gen beschreibt.

Im Sand­uhr­buch (1954), einer Geschich­te der Zeit, und der Erzäh­lung Glä­ser­ne Bie­nen (1957) zeigt sich Jün­gers neue, kri­ti­sche Sicht auf die Tech­nik. Er setzt die­se Ten­denz mit dem äußerst posi­tiv auf­ge­nom­me­nen Buch An der Zeit­mau­er (1959) fort, in dem er den Abschied von der Geschich­te erklärt, den er am ver­än­der­ten Ver­hält­nis zur Natur fest­macht. Jün­ger gewinnt dem Wan­del aber auch posi­ti­ve Sei­ten ab und sieht neue mythi­sche Kräf­te wach­sen. In die­sem Sin­ne war auch die Zeit­schrift Antai­os (1959–1971), die er gemein­sam mit Mir­cea Elia­de her­aus­gab, ein Ver­such, ein Peri­odi­kum für der­ar­ti­ge Fra­gen zu schaffen.

Jün­gers 60. Geburts­tag brach­te einen neu­en Höhe­punkt öffent­li­cher Aner­ken­nung, meh­re­re Lite­ra­tur­prei­se wur­den ihm zuge­spro­chen, und Bun­des­prä­si­dent Heuss besuch­te ihn in Wilf­lin­gen, wo er seit Ende 1949 wohn­te. Die ers­te Werk­aus­ga­be erschien bereits 1960 bis 1965 in zehn Bän­den (seit 1977 erschien die zwei­te Gesamt­aus­ga­be!). Dar­über kam es zum Bruch mit Armin Moh­ler, der Jün­ger vor­warf, sei­ne frü­hen, elek­tri­sie­ren­den Tex­te nur in ver­stüm­mel­ter und dem Zeit­geist ange­paß­ter Form abge­druckt zu haben. Jün­ger recht­fer­tig­te die­ses Vor­ge­hen damals mit der Ver­ant­wor­tung, die er für sei­ne Tex­te allein tra­ge. Trotz Werk­aus­ga­be publi­zier­te Jün­ger wei­ter. Ab sei­nem 70. Geburts­tag begann er wie­der regel­mä­ßig Tage­buch zu schrei­ben, das in meh­re­ren Bän­den als Sieb­zig ver­weht erschien. Sei­ne Expe­ri­men­te mit Dro­gen, oft gemein­sam mit Albert Hoff­mann vor­ge­nom­men, dem Ent­de­cker der psy­cho­ak­ti­ven Eigen­schaf­ten des LSD, faß­te er in dem Band Annä­he­run­gen (1970) zusam­men, der ihm bald einen Sta­tus in der Eso­te­rik­sze­ne bescher­te. Ande­rer­seits mach­te die zuneh­men­de Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung auch vor Jün­ger nicht halt und bedach­te ihn mit den übli­chen Vokabeln.

Auch wenn Jün­ger sich aus der Tages­po­li­tik her­aus­hielt, kamen doch immer wie­der bis­si­ge Kom­men­ta­re von ihm. Durch die Ost­po­li­tik Brandts sah er »ein Drit­tel des Rei­ches ohne Gegen­leis­tung ver­spielt«, und das Schlimms­te am Ers­ten Welt­krieg war für Jün­ger, daß »wir ihn ver­lo­ren haben«. Er pola­ri­sier­te wei­ter, was ins­be­son­de­re bei Ehrun­gen öffent­lich aus­ge­tra­gen wur­de, z. B. bei der Ver­lei­hung des Goe­the-Prei­ses 1982. Ande­rer­seits kam Bun­des­kanz­ler Hel­mut Kohl ihn zum 90. Geburts­tag besu­chen. In der Fol­ge nah­men die öffent­li­chen Ehrun­gen und hohen Besu­che wei­ter zu.

Jün­gers 100. Geburts­tag sorg­te für ein gro­ßes Medi­en­echo, sein Tod knapp drei Jah­re spä­ter bescher­te ihm welt­wei­te Nach­ru­fe. Weni­ge Jah­re dar­auf erschie­nen sei­ne poli­ti­schen Auf­sät­ze der zwan­zi­ger Jah­re, zahl­rei­che Brief­wech­sel und die Ori­gi­nal­ta­ge­bü­cher aus dem Ers­ten Welt­krieg. Seit­her ist Jün­ger nicht mehr umstrit­ten, son­dern gehört spä­tes­tens seit der Auf­nah­me in die »Biblio­t­hè­que de la Plé­ia­de« (2008) auch offi­zi­ell zu den Klassikern.

 

Schrif­ten: In Stahl­ge­wit­tern, Leis­nig 1920; Der Kampf als inne­res Erleb­nis, Ber­lin 1922; Das Aben­teu­er­li­che Herz. Auf­zeich­nun­gen bei Tag und Nacht, Ber­lin 1929; Die tota­le Mobil­ma­chung, Ber­lin 1931; Der Arbei­ter, Ham­burg 1932; Blät­ter und Stei­ne, Ham­burg 1934; Auf den Mamor­klip­pen, Ham­burg 1939; Strah­lun­gen, Tübin­gen 1949; Der Wald­gang, Frank­furt a. M. 1951; Riva­rol, Frank­furt a. M. 1956; Jah­re der Okku­pa­ti­on, Stutt­gart 1958; An der Zeit­mau­er, Stutt­gart 1959; Sub­ti­le Jag­den, Stutt­gart 1967; Annä­he­run­gen. Dro­gen und Rausch, Stutt­gart 1970; Die Sche­re, Stutt­gart 1990; Poli­ti­sche Publi­zis­tik 1919 bis 1933, hrsg. v. Sven Olaf Berg­götz, Stutt­gart 2001; Kriegs­ta­ge­buch 1914–1918, hrsg. v. Hel­muth Kie­sel, Stutt­gart 2010; Sämt­li­che Wer­ke, 22 Bde., Stutt­gart 1978–2003.

Lite­ra­tur: Hel­muth Kie­sel: Ernst Jün­ger. Die Bio­gra­phie, Mün­chen 2007; Mar­tin Mey­er: Ernst Jün­ger, München/Wien 1990; Dani­el Morat: Von der Tat zur Gelas­sen­heit. Kon­ser­va­ti­ves Den­ken bei Mar­tin Heid­eg­ger, Ernst Jün­ger und Fried­rich Georg Jün­ger, Göt­tin­gen 2007; Heimo Schwilk: Ernst Jün­ger. Ein Jahr­hun­dert­le­ben, Mün­chen 2007.

 

 

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph und Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Staatspolitik.

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