Sich bereichern an einer Hartz IV-Bezieherin

- darf man das? Vermutlich habe ich das gerade getan, pardon. Um kurz auszuholen: Ich fahre einen älteren Sportwagen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

So nennt man die Beför­de­rungs­hil­fen, die zwi­schen Kin­der­wa­gen und Bug­gy ste­hen. In mei­nem Sport­wa­gen saß zunächst ein Kind des Geburts­jahr­gangs 1970, dann ich, dann mei­ne jün­ge­re Schwes­ter. Anschlie­ßend hat­te das Ding eine ordent­li­che Ruhe­pau­se. In den spä­te­ren neun­zi­ger Jah­ren hol­te ich es vom elter­li­chen Dach­bo­den, gab ein paar Trop­fen Öl in die Karos­se­rie, klopf­te den Staub ab und setz­te mei­ne Toch­ter zur Aus­fahrt hin­ein. Mei­ne Eltern ver­dreh­ten damals die Augen. Sie boten mir fünf­zig Mark: Die Toch­ter soll­te es nicht nötig haben, das Enkel­kind in einer so ollen Kis­te durch die Gegend zu kutschieren.

Die Toch­ter, also ich, hat­te es mit­nich­ten „nötig“! Der Sport­wa­gen konn­te nicht gera­de mit Retro-Schick punk­ten, er war mit­tel­häß­lich, erfüll­te aber sei­ne Auf­ga­be hin­rei­chend. Auch für das zwei­te, das drit­te etc. Kind. Das Rum­kut­schie­ren lauf­fä­hi­ger Kin­der lag mir eh nie so.

Ererb­te Spar­sam­keit, ein leicht nost­al­gi­scher Hang zu Din­gen „mit Geschich­te“ und Lebens­spu­ren sowie ein gewis­ses, ja, Nach­hal­tig­keits­be­wußt­sein sor­gen in unserm Haus dafür, daß Din­ge aus pas­sa­bler Wert­ar­beit nicht auf den Müll kom­men, so lang sie noch nutz­bar sind. Klar, man schmückt sich manch­mal gern und gibt den Ästhe­ten, aber bit­te, nicht mit einem sol­chen Ding.

Der Sport­wa­gen sieht mitt­ler­wei­le reich­lich ram­po­niert aus, die Räder hat­te ich aus Sperr­müll­gut inzwi­schen erneu­ern müs­sen, der Bezug wur­de geflickt. Kein Schmuck­stück, ein Lum­pen, defi­ni­tiv nichts für auch nur halb­wegs pres­ti­ge­be­wuß­te Groß­stadt­mut­tis, ach, seit 30 Jah­ren nicht mehr! Selbst unse­re Feld­we­ge wur­den nur­mehr äch­zend bewäl­tigt. Mach­te nichts, es gilt die Paro­le „sich regen bringt Segen“.

Nun weil­te ich gera­de bei mei­nen Eltern, als mein Vater berich­te­te, daß ein paar Stra­ßen wei­ter eine jun­ge Mut­ter anschei­nend aus­zö­ge aus der Sozi­al­bau­woh­nung und dabei gründ­lich aus­mis­te. Andert­halb Jahr­zehn­te nach dem ers­ten, aus­ge­schla­ge­nen Lock­an­ge­bot nun das zwei­te, nie­der­schwel­li­ger: „Die hat gleich vier schi­cke Kin­der­wä­gen raus­ge­stellt, schau´s Dir doch mal an.“

Tat­säch­lich stan­den dort, vor dem Sozi­al­bau­kas­ten – man sah die jun­ge Frau noch wei­te­res her­an­schlep­pen – nicht nur drei Sport­wä­gen und ein Bug­gy, son­dern aller­hand mehr, Bet­ten, Hoch­stuhl, sons­ti­ges Mobi­li­ar, ein Kühl­schrank, unge­zähl­te Tüten mit Kleinkindklamotten.

Sperr­müll gehört der Stadt, oder? Was macht die Stadt damit? Gibt sie brauch­ba­res Gut wei­ter an Bedürf­ti­ge? Schön wärs ja. Man wür­de nicht dazwi­schen­fun­ken wol­len. Aber mit­nich­ten: Alles kommt in die Verbrennungsanlage.

Alle vier Kin­der­be­för­de­rungs­ge­rä­te waren in makel­lo­sem Zustand, ich ent­deck­te nicht mal Fle­cken. Dazu muß­te ich aller­hand Kram heben, der auf den Sitz­flä­chen gela­gert war und nicht eigent­lich zum Sperr­gut gezählt wer­den darf. Ich ließ zurück: Einen Packen Pam­pers (scha­de eigent­lich: unbe­nutzt), etli­che Packun­gen H‑Milch (Ablauf­da­tum 2011) und ähnliches.

Ein hüb­scher, neu­wer­ti­ger Sport­wa­gen gehört jetzt mei­ner jüngs­ten Toch­ter. Viel­leicht darf ich dar­in in den zwan­zi­ger Jah­ren mal ein Enkel­kind schie­ben. Es lebe die Nachhaltigkeit!

Zu Hau­se ent­deck­te ich in der Boden­ab­la­ge mei­nes „neu­en“ Wagens ein Kon­vo­lut an Papier. Nun weiß ich, man ent­schul­di­ge mei­ne Neu­gier, eini­ges über die Frau, die so groß­zü­gig aus­mis­te­te. Sie trägt einen deut­schen Namen, ihr ers­tes Kind – neu­deutsch benamst – erwar­te­te sie mit sech­zehn. Das zwei­te Kind trägt zwei tür­ki­schen Vor­na­men. Das zustän­di­ge Amt, der „job­cen­ter“ hat einen monat­li­chen „Gesamt­be­darf der Bedarfs­ge­mein­schaft“ in Höhe von 1231, 05 Euro ermittelt.

Die Mie­te der Woh­nung, aus der die drei Men­schen nun aus­zo­gen (viel­leicht in eine hilf­rei­che „Ein­rich­tung“, viel­leicht auch in ein bes­se­res Leben mit Vil­la und Bio­frisch­milch?) wur­de voll über­nom­men. Augen­schein­lich nicht voll über­nom­men wur­de der „Heil- und Kos­ten­plan“ für Zahn­ersatz, der sich auf 1785 Euro belief, eben­so­we­nig natür­lich die Rech­nun­gen des Piz­za­lie­fer­diens­tes. Den hat­te die Frau aus einer Nach­bar­stadt ange­for­dert, was zusätz­li­che Lie­fer­kos­ten ver­ur­sach­te. Ich fand meh­re­re Schuld­schrei­ben und einen amt­li­chen Voll­stre­ckungs­be­fehl, der sich auf eine Sum­me von über 5000 Euro belief.

Hier spiel­ten sich zwei Tra­gö­di­en ab: Ein­mal die einer 22jährigen Frau, deren Leben in jun­gen Jah­ren bereits in einer Sack­gas­se fest­zu­ste­cken scheint. (Falls sich das Blatt nicht glück­lich gewen­det hat.)

Und zum ande­ren und viel schwer­wie­gen­der, da ver­ur­sa­chend, die Tra­gö­die eines Sozi­al­staats, der genau sol­che Kar­rie­ren und Lebens­we­ge erst beför­dert (indem er indi­vi­du­el­le Lebens­la­gen finan­zi­ell abpols­tert und man­che Optio­nen dadurch über­haupt ermög­licht) – und dann abstraft.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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