Konstruktivismus für Reaktionäre

von Heino Bosselmann

Der „blinde Fleck“ des Auges markiert bekanntlich einen anatomisch bedingten Ausfall in unserem Gesichtsfeld – verursacht durch die Stelle, an der der Sehnerv in die Netzhaut mündet.

Dort gibt es kei­ne Licht­re­zep­to­ren, so daß wir genau hier mit loka­ler Blind­heit geschla­gen sind, die wir aller­dings nicht, wie zu erwar­ten wäre, als schwar­zes Loch wahrnehmen:

Wir ergän­zen das feh­len­de Frag­ment kon­stru­ie­rend; unser Gehirn über­rech­net es und ver­deckt die­se Lücke. Das Bild bleibt voll­stän­dig. Scheinbar.

Für den radi­ka­len Kon­struk­ti­vis­ten Heinz von Foers­ter ist das von ent­schei­den­der Bedeu­tung, inso­fern der „blin­de Fleck“ eben nicht Blind­heit bedeu­tet, son­dern die Unmög­lich­keit der Ein­sicht in genau die­se Blind­heit. Nor­bert Bolz kom­men­tier­te dies in sei­nem letz­ten Buch: „Daß man nicht sieht, ist kein Pro­blem. Das Pro­blem ist, daß man nicht sieht, daß man nicht sieht. Die Blind­heit wird nicht wahr­ge­nom­men. Und das zeigt sich in der Unfä­hig­keit, das Pro­blem zu sehen. Die Theo­rie des blin­den Flecks mar­kiert die Gren­zen der Aufklärung.“

Und das eben nicht nur optisch, son­dern gene­rell. Irgend­wo befin­det sich bei jeder Betrach­tung die „Null-Stel­le“. Sie bleibt zwangs­läu­fig bestehen, man kann sie ver­schie­ben, wird sie aber nicht los. Bei der Betrach­tung des Betrach­ters setzt sich die Lücke fort. Niklas Luh­mann fragt sich erkennt­nis­theo­re­tisch, wer die Unter­schei­dung gegen­über einem Sys­tem oktroy­iert, Carl Schmitt in ver­wand­ter Wei­se rechts­phi­lo­so­phisch „Quis iudi­ca­bit?“ – Wer wird urtei­len? Von wel­cher Stel­le aus? Wie gewinnt und recht­fer­tigt er sei­ne Position?

Eine poli­ti­sche Über­tra­gung: Unse­re zuneh­mend vul­gär­ma­te­ria­lis­tisch basier­te „Wachs­tums­ge­sell­schaft“ ver­sucht sich im Über­bau kom­pen­sa­to­risch immer noch aus der Per­spek­ti­ve der idea­lis­tisch auf­ge­la­de­nen Auf­klä­rung wahr­zu­neh­men. Je wei­ter sie sich aus wirt­schafts­ma­the­ma­ti­schen Grün­den sozi­al und kul­tu­rell her­un­ter­kühlt, um so eif­ri­ger dekre­tiert sie ver­meint­lich „huma­ni­tä­re Wer­te“ und tritt gou­ver­nan­ten­haft didak­tisch auf: Prin­zi­pi­ell fol­gen Rauch­ver­bo­te und Gesund­heits­pro­pa­gan­da der glei­chen Inten­ti­on wie die Zwangs­ver­pflich­tung der Bil­dung zur „Inklu­si­on“, die Zwangs­ver­ein­nah­mung in „Ganz­tags­schu­len“ und die Zwangs­be­glü­ckung durch Frei­heits­re­den des Bundespräsidenten.

Unbe­wußt angst­be­setzt gegen­über der für unver­meid­lich gehal­te­nen „Exklu­si­on“ von immer mehr Armen und Abge­häng­ten, läßt die „poli­ti­sche Klas­se“ ande­re Sich­ten als die als grund­ver­ein­bart gel­ten­den der „Mit­te“ gar nicht mehr zu, son­dern spal­tet sie als „rechts“ und somit bös­ar­tig ab. Obwohl sie bei­spiels­wei­se die Freund-Feind-Unter­schei­dung von Carl Schmitt als „Begriff des Poli­ti­schen“ ver­werf­lich fin­det, ver­fährt sie han­delnd mehr denn je genau nach die­sem Muster.

Um den „blin­den Fleck“ der Poli­ti­cal Cor­rect­ness von links bis zur „Mit­te“ aus­zu­ma­chen, sehe man sich die inhalt­lich ein­heit­lich gestal­te­ten Sozi­al­kun­de­lehr­bü­cher oder die mehr oder weni­ger zu glei­chen Aus­sa­gen kon­ver­gie­ren­den Par­tei­pro­gram­me an – bei­des eine anstren­gen­de Pflicht­lek­tü­re, deren Lang­wei­lig­keit aber offen­bart, von wel­cher Stel­le aus das Estab­lish­ment nichts sehen kann, weil ihm das eige­ne Para­dig­ma das Spek­trum des Bil­des ver­kürzt, so daß es kon­stru­ie­rend mit Welt­erklä­rung ergänzt wird.

Carl Schmitt sah die moder­ne Gesell­schaft durch die „Tyran­nei der Wer­te“ gefähr­det und erkann­te im Mora­lis­mus ein Hin­der­nis des Erken­nens. Klingt nach Nietz­sche, einem ande­ren Stö­rer der „schö­nen neu­en Welt“. Poli­tisch ange­se­hen sind bei­de tat­säch­lich kei­ne arti­gen Mus­ter­schü­ler des Demo­kra­ti­schen, aber indem sie sich gera­de nicht zum „macht­frei­en Dis­kurs“ Haber­mas’ beru­fen füh­len wür­den und einen sug­ge­rier­ten Kon­sens eher offen­siv kri­tisch befra­gen als ihm gehor­sam zu fol­gen, sor­gen sie für einen illu­si­ons­frei­en Blick – meist in Reduk­ti­on der kom­pli­ziert anmu­ten­den Sachverhalte.

Die Leit­li­ni­en der „markt­kon­for­men Demo­kra­tie“, als tie­fe Bekennt­nis­se gemeint, aber in Ver­laut­ba­rungs­rhe­to­rik ver­flacht, mar­kie­ren häu­fig eine Ein­schrän­kung oder gar „Blind­heit“, die aber für sich selbst von der „Mit­te“ her nicht gese­hen wer­den kann.

Ein Sys­tem ist, solan­ge es irgend­wie funk­tio­niert, in sich selbst zwar leid­lich schlüs­sig; von außen ange­se­hen kann es dage­gen höchst frag­wür­dig sein. Des­halb wird bei allen bestehen­den poli­ti­schen Frei­heits­ga­ran­tien die­se grund­sätz­lich ande­re Per­spek­ti­ve ver­teu­felt. Alle von außen her­ge­stell­te Unter­schei­dung soll als Gefahr mar­kiert wer­den und nur das eine gel­ten. In andau­ern­der, mit­un­ter neu­ro­tisch wir­ken­der Selbst­ver­si­che­rung wird ritua­li­siert wie­der­holt, was „Wahr­heit“ sein soll. Sein muß!

Dage­gen gestal­tet sich das Wag­nis, einen Unter­schied der Sicht­wei­sen her­zu­stel­len, als so gefähr­lich wie enorm frucht­bar. Nach Luh­mann ist Erkennt­nis nur in der Dif­fe­renz von Sys­tem und Umfeld mög­lich. Immer wie­der wie­der­holt er Geor­ge Spen­cer-Browns For­de­rung: Draw a distinc­tion! – Triff einen Unter­schied! Wegen der unter­schied­li­chen Blick­win­kel auf ihre Ange­le­gen­hei­ten bedarf die Gesell­schaft eigent­lich einer leben­dig streit­ba­ren Kom­mu­ni­ka­ti­on, die es hier­zu­lan­de oder in „Euro­pa“ hin­sicht­lich wesent­li­cher Fra­gen jedoch immer weni­ger gibt.

Wel­che Sei­te des Poli­ti­schen sich mehr nietz­schea­nisch-mephis­to­phe­li­schen Mut zutraut, ver­mie­de­ne Fra­gen zu stel­len, liegt auf der Hand – die all­seits ver­un­glimpf­te Rech­te, die­ses Ärger­nis, das aus ihrer Iso­liert­heit her­aus für die Span­nung sorgt, durch den der poli­ti­sche Schwach­strom­be­trieb noch auf­recht erhal­ten wird. Aber Vor­sicht! Selbst­ver­ständ­lich hat auch die Rech­te ihre „blin­den Fle­cken“, an denen sie nichts zu sehen ver­mag und gemäß ihrer eige­nen Fest­ge­legt­hei­ten und frag­wür­di­gen Kli­schees kon­stru­ie­rend ergänzt. Es lie­ße sich dazu eine hand­li­che Lis­te für treff­li­che Aus­ein­an­der­set­zun­gen notie­ren – frei­lich wie­der­um nur von außen, aus dem selbst­kri­ti­schen Abstand her­aus. Eben­so wie für alle ande­ren poli­ti­schen Akteu­re wären so The­men auf­zu­ru­fen, die innen­per­spek­ti­visch nicht gese­hen wer­den, die man sich lie­ber über­malt oder scheu­klap­pen­ar­tig vermeidet .

Paul Valé­ry schrieb vor Jahr­zehn­ten: “Daß alle Sys­te­me mit Lügen enden, dar­über besteht kein Zwei­fel. Das Gegen­teil wäre unmög­lich und nicht natür­lich. Was ihre Anfän­ge betrifft, so läßt sich über die Auf­rich­tig­keit streiten.”

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Kommentare (49)

Antihunkebunk

23. Dezember 2012 21:54

Biologen-Ergänzung: Die bl. Flecke der beiden Augen sind beim stereoskopischen Sehen nicht deckungsgleich im Sehfeld des Gehirns; eine Seite reicht hier. Daher keine "Gehirn-Überrechnung" nötig.
Gruß (Erbsenzähler, Korinthenkacker, Besserwisser auf dem Wege der Kulturerhaltung)

Heino Bosselmann

23. Dezember 2012 22:11

Vielen Dank. – Als Nicht-Biologe: Der Effekt wäre auch beim einäugigen Sehen so, dass kein "Loch" im Bild entstände. Sie werden die gängigen Experimente ja kennen. Darüber hinaus: Bedenken Sie, der "blinde Fleck" ist nach Auffassung Heinz von Foersters ja nicht nur die Einsicht in das Nicht-Sehen, sondern zugleich auch die Voraussetzung allen Sehens. Ich zitiere nur ansatzweise aus einem Beitrag von Michael Köhler aus der SZ vom 12.11.11.: "Wir können nämlich nicht sehen, dass wir nicht sehen. Wir sprechen aber über das Sehen, kommunizieren also über Kommunikation. Man kann das als österreichische Vorkriegsspitzfindigkeiten abtun oder als anti-essentialistischen Impuls Ernst nehmen. Es ist nicht die Außenwelt, die so und nicht anders ist, sondern die Innenwelt, die uns sagt, so sei es. Unsere Sinne zaubern, gaukeln uns aus den Erregungen etwas vor. Wir finden und entdecken nicht Ewiges, sondern erzeugen und entdecken Befristetes." – Darauf gründet in etwa meine anschließende Argumentation.

Sara Tempel

23. Dezember 2012 22:46

Herr Bosselmann,
was sie für das Auge des einzelnen Menschen schildern, muss gemäß logischer Folgerung auch für eine von ihm geschaffene Wissenschaft gelten! Nie also wird es einer vom Menschen geschaffenen Wissenschaft gelingen, das Gesamte zu erkennen, wozu sie sich außerhalb unserer Welt stellen müsste. Dort muss das Jenseits sein, wo GOTT ewig dauert!

Antihunkebunk

24. Dezember 2012 00:27

Scio nescio!

Antichrist

24. Dezember 2012 03:05

Ich hätte nicht gedacht, dass hier außer mir noch jemand Heinz von Foerster liest, alle Achtung! :)

In der heutigen Vielfalt der Ideologien gibt es eine menge blinde Flecken, es gilt diese auszuforschen und zu nutzen, um diese Ideologien hinter sich zu lassen, nicht nur die Linke sondern auch die Rechte, nicht nur den Liberalismus, sondern auch den Konservativismus. Die Fehler darin sieht jeder, der diese Dinge nicht zu seinen Eigenen macht.

@ Sara Tempel

Dem widerspreche ich entschieden, nur weil es im Keller eine dunkle Ecke gibt, sitzt da noch lange nicht Gott, genauso wenig wie dort ein Bündel Geld oder ein Goldbarren liegt.

Ein Fremder aus Elea

24. Dezember 2012 09:47

Man sollte, denke ich, danach fragen, welchen Zweck ein System zu erfüllen hat. Daraus erklären sich zumeist seine blinden Flecken.

Unsere Herrschaft ist ministeriell, sozusagen, technokratisch, und jede Herrschaft erzählt den von ihr Beherrschten eine Geschichte, welche jene Dinge, von welchen sie selbst nichts versteht, ins Dunkel taucht, da jedes Hervortreten dieser Dinge schlecht für sie ist.

Das geschieht bereits instinktiv, dafür bedarf es keines großen Planes. Und deswegen nun in letzter Konsequenz auch das Rauchverbot, um einen Anknüpfungspunkt zu dem einstigen Geist Hollywood's abreißen zu lassen, dem Verwegenen, Ungezähmten, bewußt Zwielichtigen.

Derartiges kann die gegenwärtige Herrschaft nicht mehr bedienen. Man legt sich den Mantel an, der auf einen zugeschnitten ist.

Marc

24. Dezember 2012 09:56

Ich lese hierin die deutliche Warnung heraus, das "Right is right and left is wrong" zu wörtlich zu nehmen und zu denken, man sei allein deswegen im Recht, weil man sich in einer Minderheitenposition in einer "Welt der Umerziehung" befände.

Denn jede, wirklich jede Beobachtung kann nur aufgrund der eigenen gewählten Unterscheidung die Dinge betrachten (im rechten/konservativen Fall wäre das wohl so etwas wie "dekadent/identitätsbewahrend"); dabei sieht sie jedoch gleichzeitig all das nicht, was nicht dieser Entscheidung zugrunde liegt. Und dies wiederum ist ihr aufgrund des "blinden Fleckes" nicht einmal bewusst.

Weder ist "rechts" richtig und "links" falsch, denn nach welchen Maßstäben (also welcher Beobachtung) heraus kann denn beurteilt werden, was "richtig" und was "falsch" sein soll? Ist das dann eine angeblich wissenschaftliche, eine religiöse, eine moralische oder vielleicht doch nur eine politische (also nach Mehrheiten ausgerichtete) Kommunikation? Genau das ist die Gefahr des "blinden Fleckes".

Ich sehe das große Problem jeder politischen Position, wenn sie sich dermaßen im Besitz der Wahrheit verortet, daß sie sich nur noch um sich selber dreht und sich damit natürlich auch selbst bestätigt. Die Isolation des "rechten" Diskurses sehe ich daher deswegen als gefährlich an, weil ihm die Gelegenheit genommen wird, sich selbst weiterzuentwickeln. Stattdessen merkt man auch hier auf dieser Seite die Tendenz, daß viele der Kommentatoren eigentlich nur noch sich gegenseitig bestätigen, vor allem aber von den Autoren ihre Meinung bestätigt haben wollen.

Die Islam-Diskussion mit PI war da schon mal der große Ausnahmefall, was eine innere Auseinandersetzung angeht. Aber auch dort hat man gemerkt, daß ein Großteil der Pro-PI-Fraktion sich dann auf PI gegenseitig bestätigt hat, während ein Großteil der "identitären" Fraktion sich eben hier bestätigt hat (was ausdrücklich nicht für die Beiträge bspw. von MKH gilt). So ist dieses Kommunikationssystem zunehmend geschlossen und öffnet sich nur noch sehr unwillig der Umwelt.

Vielleicht ist daher die mediale Isolation der "rechten" Diskurse tatsächlich die schädlichste Handlung, welche die politische Linke (und in großem Maße natürlich auch die "Mitte") dieser Rechten nur antun kann. Sie hoffen, daß sich die Rechte als kleine Splittergruppe möglichst stark um sich selbst dreht, möglichst homogen ist und sich möglichst wenig gegenseitig widerspricht, um sich nicht zu sehr auszudifferenzieren und "greifbar" zu bleiben.

Und tragischerweise wollen scheinen zahlreiche Geister hier selbst genau das zu wollen, indem sie auch hier nur argumentative Bestätigung von sich selbst haben wollen. Ich erinnere mich hier an genau drei Themen, wo einmal dem wohlsituierten rechten Stammleser die Bequemlichkeit genommen wurde, sich mit den Beiträgen der "Meister" einfach nur identifizieren zu können:

- Böckers Beitrag über die Larmoyanz der Rechten
- Lichtmesz' Beitrag über die Demonstrantengruppen in Dresden, bei denen er dem NPD-Gschwerl (literarisch) ebenso den Untergang wie den Gegendemonstranten gewünscht hat
- Die Debatte um die Pietät bei der NSU-Gedenkminute

Das waren drei Themen, die auch hier einigen sauer aufgestockt sind, bishin zu der Aussage "Dann kann man die Seite ja gleich schließen, wenn ich auch hier schon Gutmenschenargumente lesen muß".

Man kann der Konflikt- und Diskussionsfähigkeit der "Rechten" nur helfen, wenn man ihr möglichst oft kritische Gegenargumente liefert, solange dies im konstruktiven Sinn geschieht, nicht im vernichtungswünschenden Sinne wie bei der "Linken". Ersetzt sich auch hier der Diskurs durch ständige gegenseitige Bestätigung, erkennt man in der Tat all die blinden Flecke nicht mehr, die auch die Rechte besitzt. Und auch hiervon gibt es sicherlich mehr als genug.

Heino Bosselmann

24. Dezember 2012 10:10

Produktiv wäre allein schon, einen distanzierten Blick auf das System zu haben. Und wichtig auch die Beobachtung Humberto Maturanas, alles Beobachtete würde von einem Beobachter gesagt. Insofern existiert nichts vor der Ausgrenzung durch Unterscheidung, deren erste das Unbegrenzte ausgrenzte. Nach Bolz bedarf es der "Selbstermächtigung ohne Legitimation. Wir erleben die Welt als Kontingenz, und das zwingt uns zum Dezisionismus, nämlich zunächst zur Unterscheidung von Freund und Feind." Zu Gott von mir hier nichts: Dazu hat Norbert Hoerster, unter Koserbvativen weder geschätzt noch gelesen, Wichtiges gesagt. Was ich Ihnen ausdrücklich empfehlen würde, ist Norbert Bolz' schmales Bändchen "Ratten im Labyrinth. Niklas Luhmann und die Grenzen der Aufklärung". Kleine Rezension von mir bei amazon.de.

Heino Bosselmann

24. Dezember 2012 10:34

Danke. Ich wäre sehr erfreut, wenn sich die intellektuelle Rechte über ihre geschichtswissenschaftlichen, anthrpologischen, wirtschaftskritischen und staatstheoretischen Gewährsmänner hinaus wenigstens hier und da der analytischen und Sprachphilosophie aufschlösse sowie noch anderen modernen Ansätzen, wie eben dem radikalen Konstruktivismus und der Systemtheorie. Selbstverständlich muss man sich nicht alles zu eigen machen, aber die hier angeführten Schulen bereicherten die Auseinandersetzung gerade in Bezug auf das kritische Infragestellen von Begriffen und Wahrnehmungen. Sehr wichtig in der emotinalisierten Debatte, die laufend Zeichen nutzt, die nicht klar sind, und von "Tatsachen" ausgeht, die der Verstand erst hinkonstruierte. Stellen Sie sich das nur mal gegenüber den Freiheitsreden des Bundespräsidenten vor und überhaupt der Fülle von Nonsensbegriffen und Euphemismen vor. Wittgenstein, von Foerster, von Glasersfeld u. a. helfen m. E. dem klaren Blick ebenso wie der Demut hinsichtlich dessen, was man überhaupt wissen und sagen kann. Es wird zu sehr allein nach normativen Festlegern gesucht, nach diesem So-und-nicht-anders-ist-es! Philosophie kann und sollte nicht Politik werden, hilft mit dem Denken aber der sprachlichen Aktion. Wenn es darum geht, eine Differenz zum Status quo des Ancien Regime zu setzen, bedarf es als erstes der Sprache, weil sie als geschwisterteil des Denkens nach genauer Grammatik kritisch trennt.

Heino Bosselmann

24. Dezember 2012 10:37

D'accord!

Ein Fremder aus Elea

24. Dezember 2012 11:14

Nach Bolz bedarf es der „Selbstermächtigung ohne Legitimation. Wir erleben die Welt als Kontingenz, und das zwingt uns zum Dezisionismus, nämlich zunächst zur Unterscheidung von Freund und Feind.“

Ich denke, es ist legitim, jemanden, welcher einen angreift, als Feind zu betrachten. Soweit kommt es noch, das als nicht legitim zu bezeichnen.

Nihil

24. Dezember 2012 12:09

Vorab: Heinz von Foerster ist genial, nicht nur seine "klare" Sicht auf die Dinge, sondern natürlich auch die Form diese Erkenntnisse auszudrücken (allein die Interviews sind doch legendär).

Der politischen Rechten kann man mMn nicht so einfach vorwerfen, sie habe das gleiche Blindheitsproblem wie die Linke, da die Rechte - so wie ich sie mit Nietzsche auffasse - nicht idealistisch (im philosophischen Sinne) ist. Die Begriffe Idealismus und Wahrheit haben einen starken Zusammenhang und bei beiden Begriffen müsste es einem (neuen) Rechten grundsätzlich sauer aufstoßen. Die Präferenz der Ideen und Theorien gegenüber der Empirie, die Berufung auf die intellektuelle Vernunft ist ja das Kennzeichen des philosophischen Rationalismus bzw. des Intellektualismus. Nicht umsonst hat Mohler die Konservativen Revolutionäre als "antiintellektuelle Intellektuelle" bezeichnet (man könnte auch schreiben: "antiintellektualistische Intellektuelle"). Die Rechte steht "Kopfgeburten" und "Wahrheiten" kritisch gegenüber, vor allem je distanzierter sie von der "Natur" sind und spürt instinktiv die Beschränktheit dieser Ansätze. Genau hier sehe ich die Schnittstelle zum (radikalen) Konstruktivismus, der - wie von Foerster - den Bau von Luftschlössern fundamental in Frage stellt. Der fernöstliche Zen (ich schreibe aufgrund der großen Differenz absichtlich nicht vom "Zen-Buddhismus") gehört meiner Auffassung nach ebenso in dieses Umfeld des Antiintellektualismus und ist insofern durch seine Ernüchterung bereichernd. Nichtdestotrotz sehe ich zeitweise die Gefahr einer "Political Correctness von Rechts", die ja implizit auch eine rechte "totale Wahrheit" voraussetzt. Insbesondere die "alte Rechte", die durch Platon, Hegel und das Christentum irgendwo im idealistischen "Guten", "Wahren" und "Schönen" verhaftet ist, neigt mMn dazu. Logik und Rationalismus sind wunderbare Werkzeuge für die Technik, aber wer damit glaubt die Welt erklären zu können (überhaupt erklären zu *wollen*) liegt falsch. Das letzte Wort zeigt weniger die Notwendigkeit des Konstruktivismus in gleicher Weise mit "wahr" und "falsch" operieren zu müssen, sondern vielmehr die Beschränktheit unserer Sprache, die eben meist durch die Gegenseite geprägt wurde (auch bei Nietzsche nachlesbar).

Heino Bosselmann

24. Dezember 2012 12:31

Ich stimme Ihnen in der differenzierten Darstellung absolut zu. Ohne das in eine Fachsimpelei ausarten zu lassen, wäre von den Konstruktivisten her noch der Begriff der "Viabilität", also des Gangbaren, Passenden, Funktionalen, nutzbar; ferner die optimistisch stimmende Möglichkeit, dass das, was konstruiert ist, von uns umkonstruierbar wäre. Meine Empfehlung hinsichtlich des von Ihnen ua. a. Nietzsche werden Sie selbst gewiß kennen, die kleine Schrift "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne". Starkes Büchlein!

fred

24. Dezember 2012 13:46

3. Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Nihil

25. Dezember 2012 22:24

@Heino Bosselmann: "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" war mir ein "Begriff", aber diese Schrift hatte ich noch nicht gelesen. Das habe ich sofort nachgeholt. Es passt genau zu diesem großen Thema (groß ist noch eine Untertreibung) und ist durch seine Kompaktheit hervorragend empfehlbar und empfehlenswert. Vielen Dank!

In der Erkenntnis über die Konstruiertheit der "Dinge" liegt sicher viel Optimismus und (etwas anders formuliert) auch viel "Entlastendes". Der "Relativist" hat ja das Glück, die Dinge nicht im "Absoluten" durchdringen zu müssen, kann sie einfach auf sich wirken lassen, sie ästhetisch empfinden. *Das* ist doch eine "Frohbotschaft" :-) Nietzsche zeigt uns jedenfalls wie kein Zweiter (auch in diesem Text!), wie "wir" die Begriffe (Ideen) in die Dinge (Ursachen) legen (insbes. KSA1, 879 f.). Der letzte Absatz - ebenso wunderbar zu lesen - knüpft die Verbindung zum Politischen, dh. auf eine Sponti-hafte Formel gebracht: Wille Macht Wahrheit. Das ist Epistemologie von Rechts.

Ein Fremder aus Elea

26. Dezember 2012 08:27

Zu Heinz von Foerster.

Es stimmt nicht ganz, was er zum Thema Informationen sagt. Es gibt eine ganze Theorie, welche sich damit beschäftigt, welchen Informationsgehalt ein Dokument hat, ohne daß bekannt wäre, welche Informationen das wären.

Beispielsweise läßt sich ein Dokument, das aus lauter gleichen Zeichen besteht, auf (n,x) reduzieren, wobei n die Anzahl des Auftretens des Zeichens x bezeichnet.

Allgemeiner lassen sich Dokumente unterschiedlich gut komprimieren, mit WinZip beispielsweise. WinZip weiß keineswegs, was für Informationen in einer Datei stehen, aber WinZip weiß in gewisser Weise durchaus, ob Informationen in einer Datei stehen.

Die dahinter stehende Idee der Subjektivität wird entsprechend kompromittiert. Bezüglich Informationen liegt kein Fall von creatio ex nihilo vor, sondern lediglich ein Fall von Kodierung und (Un-)Kenntnis deren Schlüssels.

Swoboda

26. Dezember 2012 08:56

Gemäß den optischen Gesetzen gelangt das gesehene Bild ja übrigens zunächst erst seiten- und umgekehrt vom Auge zum Gehirn, von dem es dann erneut umgedreht und damit angepasst wird, da ja ansonsten die Wirklichkeit quasi Kopf stünde. Der wiederum umgekehrte Vorgang nennt sich seit Entdeckung des Phänomens im Dezember 2012 "gaucken" : Ein reales Bild wird vom Gehirn um 180 Grad herumgedreht, so dass der Patient die Wirklichkeit auf dem Kopf stehend wahrnimmt. Das kann auf die Dauer zu ernsten Verstimmungen führen und sich auch auf das Gemüt auswirken. Der Patient benötigt unbedingte Ruhe und ist nicht arbeitsfähig.

Nihil

26. Dezember 2012 23:56

@EinFremder: Wir befinden uns hier auf der Ebene der Semantik. Unspezifische (De-)Kompressionsalgorithmen müssen bloß syntaktisch korrekte Daten wiederherstellen, das hat nichts mit Semantik zu tun.

Ein Fremder aus Elea

27. Dezember 2012 10:09

Wenn Sie Semantik entsprechend definieren, gibt es da schon einen schwachen Zusammenhang, Nihil, wie ich schon sagte.

Semantik ist es ja auch, wenn VLC media player ein AVI-Format erkennt.

Und WinZip wiederum könnte anhand des erreichten Kompressionsgrades mit hoher Sicherheit vorhersagen, daß etwas kein AVI-Format ist, weil der erreichte Kompressionsgrad zu hoch für das AVI-Format ist.

Oder allgemeiner, WinZip kann bereits vorkomprimierte Dateiformate erkennen, und das ist durchaus auch Semantik.

Heino Bosselmann

27. Dezember 2012 11:02

Vielen Dank! Die empfohlene Schrift ist m. E. wirklich empfehlenswert. Den sehr wenigen Schülern mit Talent und Ausdauer, die ich hatte, steckte ich es zu. Sollte Sie etwas Kluges Sekundäres interessieren, so empfehle ich ebenso: Christoph Türcke, Der tolle Mensch: Nietzsche und der Wahnsinn der Vernunft. Bei amazon.de fänden Sie eone kleine Rezension von mir.

Dr. Schneider

27. Dezember 2012 11:59

Eine Variation des Grundmotivs "blinder Fleck" bietet auch die Gadamersche Hermeneutik bzw. ihr Horizontbegriff.
Der Horizont ist etwas vereinfach gesagt unsere offene und zugleich begrenzte, historisch gewachsene und historisch wandelbare Weltsicht. Alles kommt nach Gadamer darauf an, uns dessen bewußt zu werden und also aufzuklären, wie wir geworden sind, was wir sind.
Auch diese Art Aufklärung aber hat eine Grenze: die Stelle, auf der man selbst steht. Selbstdurchsicht ist nie vollständig.

Was folgt daraus? Der andere könnte recht haben! Bescheidenheit im Vertreten der eigenen Ansichten.
Ich würde die Behauptung wagen wollen, daß das so etwas wie die angeborene Tugend des Konservativen ist. Die angeborene Untugend des Linken dagegen ist eine gewisse Anfälligkeit für den Zauber rationalistischer Ableitungen, von denen er sich ihm Wahne wiegen läßt, er verfüge über absolute Wahrheiten. Nur aus dieser Haltung heraus lassen sich Verbote von Meinungen fordern.

Nihil

27. Dezember 2012 16:29

@EinFremder: Um die Sache abzukürzen und nicht zu sehr in Richtung Informatik/Linguistik zu gehen: Es gibt keine Information als solche - so wie es überhaupt das Ding "an sich" außerhalb des menschlichen Geistes nicht gibt. Information ist ja das was der Mensch dazu macht. Sie können meinen, die Zukunft ergibt sich aus der Konstellation der Gestirne. Dann liegt eben eine Information vor. Wenn sie daran nicht glauben, dann liegt keine Information vor. Rationalistisch gesprochen könnte man versuchen zu objektivieren, dh. auf die Kausalität abstellen und auf den geringen Korrelationsgrad verweisen. Vielleicht haben wir aber auch vergessen einen Parameter in unsere Überlegungen aufzunehmen (derer es "leider" unendlich viele gibt). Bei starken Zusammenhängen kommen wir immer noch zum Problem der Scheinkorrelation. Gerade die Scheinkorrelation zeigt ja, dass solche Probleme nicht formal lösbar sind. Es braucht eine Bewertung des Menschen und schon sind wir beim Subjektiven und beim Konstruktivismus. Objektivität gibt es nur im Theoretischen (anders gesagt: in der reduktionistischen Welt des Geistes). Deshalb hat sich ja auch der sperrige Terminus der "Intersubjektivität" in den Wissenschaften etabliert. Offenbar können wir uns zumindest über unsere Konstrukte austauschen, ggf. Konsens erzielen (manchmal wird das eben Objektivität genannt). Wenn wir im Sozialen keinen Konsens erzielen, dann wirds eben politisch!

PS: Sie können das gleiche auf Rechnerprogramme anwenden, die ja ausschließlich künstliche, dh. vom menschlichen Geist geschaffene Artefakte darstellen. Leichter erkennt man die Differenz, so meine ich, im Vergleich von künstlichen und natürlichen Systemen.

Nihil

27. Dezember 2012 16:52

@Dr. Schneider: Ihrem Gadamer folge ich nur insoweit als die "Selbstdurchsicht" tatsächlich beschränkt ist. Das ist aber noch keine ganzheitliche Erkenntnistheorie. Der Konstruktivismus geht hier weiter: "alles" ist einer letztlichen "Durchsicht" entzogen.

Aus der Unzulänglichkeit des Menschen (dem "Mängelwesen", nach Gehlen gesprochen) folgt sicher eine Relativierung im Sinne einer Abkehr von anthropozentristischen Ideologien. Wenn Sie daraus aber ein Gebot der Zurückhaltung, Demut, etc. ableiten wollen, muss ich entschieden widersprechen. Das hieße nämlich nichts anderes als jenen Absolutisten das Feld zu überlassen, die weiterhin für die "Wahrheit" kämpfen, und sich selbst auf einen "anything goes" Standpunkt zurückziehen. Vielmehr gilt es selbst "Wahrheiten" zu etablieren. Der Rechte weiß aber (zumindest im Hinterkopf, er muss es nicht ständig vortragen), dass die "Wahrheit" von uns gemacht wird. Wer bestimmt sie deshalb? Der, der die Macht dazu hat. Der "Wille zur Macht" macht die "Wahrheit", deshalb schrieb ich auch zuvor: Wille Macht Wahrheit. Jede andere Auffassung - an diesem Punkt! - gehört in ein pazifistisches Utopia. Der Rechte (und eigentlich jeder, der nicht ideologisch verbohrt ist) akzeptiert ja Wahrheiten, die tendenziell näher an der Natur, näher am Leben sind. Für uns Lebewesen ist nun mal das Leben Referenz. Das Emotionale ist auch näher am Leben als der Intellekt. Bsp: Wenn ich einen Faustschlag auf die Nase erhalte, dann bin ich der Wahrheit zumindest vergleichsweise nahe (Achtung, Polemik!). Erkenntnis des Rechten daher: Relativierung des Menschen, wie überhaupt Relativierung (= alles nur in Relation verstehen, nicht absolut; anders gesagt: bezügl. der "Viabilität" - wie wir hier gelernt haben) - je näher an der Natur, am Gefühlsleben desto tendenziell richtiger. Wahr ist was wir dazu machen.

Irrlicht

27. Dezember 2012 18:45

Der radikale Konstruktivismus leidet an Selbstanwendungsparadoxa. Wenn Wahrnehmung vollständig subjektiv und keine objektive, oder nicht-subjektive, Erkennntis möglich ist, stellt sich die Frage, welchen epistemologischen (und ontologischen) Status der Satz "Jede Wahrnehmung ist vollständig subjektiv." hat. Wenn der RK zutrifft, offenbar den selben wie "Das rosarote Einhorn ist unsichtbar." Im Gegensatz zu Kant, der für seine erkentnistheoretischen Überlegungen einen speziellen transzendentalen Status beanspruchte, sie als Bedingung der Möglichkeit von Erkennntis auswies, beruft sich der RK auf (natur-) wissenschaftliche Erkenntnisse, die, wenn er zutrifft, epistemologisch in der Luft hängen. Und zum Begriff der "Information": Es gibt die These des semantischen Externalismus.

balu

27. Dezember 2012 19:02

haben wir nicht augenzittern??

Ein Fremder aus Elea

27. Dezember 2012 19:32

Ich verstehe Sie schon, Nihil.

Nur ist Ihre Grundhaltung bezüglich Informationen wenig sinnvoll im Kontext der Kybernetik. Was uns etwas ist, ist für die Kybernetik völlig egal, man betrachtet alles funktional reduziert, soll heißen, Ihr Gefühl, Ihr Bewußtsein ist nur in sofern relevant, als es ihre Handlungen beeinflußt.

Nun ja, mit den Scheinkorrelationen haben Sie schon Recht, ich gehe da auch nicht mit Schopenhauer mit, der meinte, Kausalität sicher erfassen zu können. Indes sind unsere Urteile nicht reine Stochastik, die so genannten apodiktischen Urteile sind etwas anderes, beruht letztlich darauf, daß man sein eigenes Funktionsprinzip versteht. Da gibt es die Gewißheit des Eigenen, daß man tatsächlich das ist. Also wenn ich zum Beispiel sage, daß eine wohldefinierte Aussage entweder wahr oder falsch ist. Da verstehe ich, daß meine Vernunft das tatsächlich so sieht.

Indes, Schopenhauer hat andererseits auch wieder Recht, wenn er sagt, daß unser Verstand eine riesige Kausalitätsauffindungsmaschine ist, in dem Sinne, daß er z.B. aus optischen Reizen ein Modell gewinnt, welches uns ermöglicht mit ihnen sinnvoll zu interagieren.

Denn so kann man es selbstverständlich auch sehen, all diese optischen Informationen sind da und unser Verstand ordnet sie, dekodiert sie. Der Raum, also die Anschauungsform, ist ein Schlüssel, welcher optische Informationen verwertbar macht. So meinte ich das oben. Und die Kybernetik wird die Sache so betrachten müssen, wenn sie zu Ergebnissen gelangen will.

Ich hoffe, Sie können dem etwas abgewinnen.

Dr. Schneider

27. Dezember 2012 22:18

@ Nihil:

Die Reduktion von Wahrheitsansprüchen aller Art auf ihren Lebenswert als letzter Schluß aus dem Konstruktivismus, das ist zwar konsequent, führt aber konsequent ins Nichts.

Das geht nicht nur zu weit, es geht auch in die falsche Richtung. Man soll eine Philosophie meiden, die einen mit dem Leben entzweit, die abstrakt und abgehoben ist, aber deswegen nicht die Philosophie über Bord werfen.

Wovon waren wir denn ausgegangen? Kurz gesagt: Ideologien neigen dazu, Wahrnehmungslücken in ihrem Weltbild aus sich heraus so elegant zu schließen, daß sie gar nicht mehr merken, daß da mal eine Lücke war.

Die Lösung scheint mir nun nicht, das Ganze nach Art vitalistischer Raufbolde mit Faustschlägen zu lösen. Die Ideologien sind nicht vollständig blind für blinde Flecken. Sie liefern durchaus akkurate Beschreibungen blinder Flecken, nur sind es nicht ihre eigenen, sondern die der anderen Ideologien. Wenn wir uns also auf die Suche nach der Wahrheit begeben = unsere blinden Flecken erkennen wollten, müßten wir die verschiedenen Ideologien ins Gespräch miteinander bringen.

Wahrheit ist nicht das, was wir dazu machen, sondern das, was sich zeigt, in der Tradition, im Gespräch.

Das Problem ist nur, daß die Linken zu einem Gespräch mit Rechten keine Not sehen, weil sie sich auf der Höhe der Zeit wähnen und generell glauben, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.

Rudi Ratlos

28. Dezember 2012 01:06

Sie schreiben sehr "wahr", sehr rührend, sehr intelligent, und bemerken den blinden Fleck in Ihren Augen (natürlicherweise?) selbst nicht.

Die einzig wichtige Frage tauchte hier, -offensichtlich mangels Einsicht oder Erkenntnis noch nie auf-, sie lautet:

Was kümmert es den Fischer was die Fraktionen der Friedfische in seinem Teiche zu beschliessen haben (erstrecht wenn die Hechte und Zander nicht zur Abstimmung erlaubt sind).

Nichts.
Den Fischer interessiert NICHTS dergleichen... .er will Fische. Kommunistische, liberale, braune, rote, bunte, schwule - egal.

Solange Sie alle hier nicht in der Lage sind Ihren sprichwörtlichen Tellerrand über den Manipulationsradius hin sich selbst zu erleuchten, schmoren Sie im Safte der vermeintlichen Vergangenheit und ebenso in dem der "nach dem Sieg über die feindlichen Karpfen" verhiessenen "Zukunft", -der im selben Karpfenteiche...

Nutzlos.
Den Fischer ineressiert es immer nocn nicht, er will Fische!

Erkennen Sie bitte, Staaten waren immer ein virtuelles Gebilde, waren und SIND Privateigentum, früher mehr oder weniger gut gepflegt durch die Erbeigentümer: Kaiser, Könige, Fürsten etc.pp, heute dem Verfall und der geschäftlichen Verquickung durch ständigen Wechsel der sogenannt gewählten "Leasingnehmer", Vorteilsnehmer, "Parteien" (und deren Finaciers) zugunsten dieser Finaciers absichtlich durch "gesetzekraft" sogenannt "demokratisch" preisgegeben.

Es gibt darumb keine wirklichen "Staaten" mehr, wie noch vor 1914, es gibt nur noch geschäftliche Gebilde, Unternehmen im vorgeblichen Staatsgewande die dem Wohl und Wehe der um es vornehm zu formulieren biblisch verbannten Geldverleiher und deren (nicht nur geschäftlichen) Absichten mehr oder weniger scheinfrei unterworfen sind. Ihre Repräsentanten, - also die "Gewählten", sind in der Tat auch was sie mittlerweile auch dem "Stammtische" zu sein scheinen, - Angestellte jener Geldverleiher, oft sogar völlig unbewusste Sugorratergebnisse früher Konditionierung in Verbindung mit Belohnungssystemen. Pawlow in Vollendung. Feinde der jeweilig eigenen Völker ohne auf die Idee zu kommen es zu sein.

Hat man das erkannt, erübrigt sich -wie auch im Karpfenteich für denkende Karpfen, jede Diskussion um die Köpfe der Wahlkarpfen (nur erkennen die meissten Fische das leider nicht).

Hat man erkannt, dass nicht Staaten, sondern Firmen um den Globus kämpfen, erübrigt sich jegliches politisches Engagement, da es nur ein Theater ist, um den Kern der Wahrheit schön und publikumsfreundlich zu umtüllen, verschleihern, - deswegen: denkt über Monarchie (in der besten vorstellbaren Form) nocheinmal nach.

Mit Verlaub, meine Herren,

der Krieg muss den Monopolen und 147 weltbeherrschenden Großkonzernen gelten, die zum Großteil 12 Banken gehören.

Staaten müssen erst wieder hergestellt werden, bevor sie miteinander verhandeln können.

Zurück zum Staat. Zum Minimalstaat allerdings.

Rudi

Kurt Schumacher

28. Dezember 2012 15:18

Ich muß zugeben, daß ich diesen Artikel nicht verstehe. Er klingt für mich wie eine immer wieder begonnene Ankündigung "Gleich geht's los..." - und dann geht's doch nicht los?! (wie bei einem Gewinnspiel bei 9live, wenn ich es mal sarkastisch ausdrücke) Wo sind denn nun diese vielbeschworenen blinden Flecken? Welche unbequemen Fragen stellen wir denn nun? Oder bin ich zu ungebildet? Ich gestehe, keines der genannten Bücher (von Foerster, Luhmann, dieses komische Nietzsche-Sekundärbändchen) gelesen zu haben. Aber muß man das? Ich dachte, wir reden hier über die blinden Flecken im Weltbild der NWO-Gutmenschen einerseits und der konservativen Menschen andererseits. Also bitte.... Schluß mit der fremdwortsüchtigen Rabulistik-Simulation (sowas können "die" besser als wir), einfach mal auf gut Deutsch "Butter bei die Fisch", bitte!

Heino Bosselmann

28. Dezember 2012 16:11

Verstehe. Nur ist dies keine Lektion. Um das Thema vielleicht anzusetzen, würde ich durchaus empfehlen, Herrn von Glasersfeld zuzuhören. Der kommt nicht gleich auf den "blinden Fleck", das Reizthema von Foersters, wohl aber auf den radikalen Konstruktivismus, der als Erkenntnistheorie auch hoch gesellschaftsrelevant ist. Ebenso könnte ich ein Statement von Luhmann empfehlen. Für alles weitere braucht's dann schon das Buch oder den richtigen Gesprächspartner. Allerdings muß man sich ja nicht für alles interessieren. Würden Sie sich Heinz von Foerster im Netz ansehen, fänden Sie ihn vermutlich sehr eigenwillig. Deshalb zitiere ich ihn hier nicht, aber man findet ihn, sogar eindrucksvoll.

Kurt Schumacher

28. Dezember 2012 16:19

Also gut, Herr Bosselmann, dann werde ich Ihre Hinweise mal ausprobieren. Eigentlich habe ich ja meine Lieblingsautoren im 19. und frühen 20. Jahrhundert (Spengler, Moeller van den Bruck, Jünger); bei den Modernen sträubt sich mein Gehirn oftmals. Aber ich werde Ihren Anregungen jetzt nachgehen - nicht immer nur Diät-Vorsätze zum Neuen Jahr, alter Junge, sage ich mir. Jetzt auch mal geistig was neues versuchen!

Sixty

29. Dezember 2012 11:18

"Man kann der Konflikt- und Diskussionsfähigkeit der „Rechten“ nur helfen, wenn man ihr möglichst oft kritische Gegenargumente liefert, solange dies im konstruktiven Sinn geschieht, nicht im vernichtungswünschenden Sinne wie bei der „Linken“."

Ganz meine Meinung. Dem Beitrag von Marc kann ich überhaupt weitgehend zustimmen. Ich bemühe mich ja auch immer aus meiner "linksnationalen" Sicht, die starren "Links-Rechts-Fronten" aufzulockern, was mir hier immer noch eher möglich scheint als innerhalb dessen, was sich heute "links" nennt. Würde das "Right is right and left is wrong" hier wörtlich genommen, wäre ich nicht hier ;-)
Insbesondere schätze ich daher hier z.B. die Beiträge von Martin Lichtmesz, Ellen Kositza und auch von Heino Bosselmann, weil sie weitgehend jenseits des "rechten" bzw. "konservativen" Mainstreams liegen.

Sara Tempel

29. Dezember 2012 22:36

Liebe Herr Bosselmann, Antichrist, Nihil, fred und Andere,
wenn es eine absolute Wahrheit gibt, was ich mir wünsche, dann ist sie jedenfalls nicht für uns Menschen begreifbar. Das sollten rechte wie linke Ideologen akzeptieren und voneinander lernen, anstatt sich gegenseitig bekämpfen, auch wenn das mehr von den Linken ausgeht. Im Interesse aller Deutschen dürfen beide Seiten die Fehler der Weimarer Republik nicht wiederholenn. Wenn einige der konservativen Revolutionäre sich als "antiintellektuellen Intellektuelle" begreifen, klingt das etwas kompliziert; indem sie gleichzeitig Kopfgeburten und wissen-schaftlichen „Wahrheiten“ kritisieren, sind wir wieder d´accord.
Das Problem der "neuen" Rechten ist, dass eine konservativen Position heute völlig "out" ist, besonders in unseren Medien. Sie hat nicht genug Zeit, ihre Position zwischen CDU/CSU und NPD zu finden. Wenn Ihr Euch zu dieser Rechten zählt, müsst Ihr Euch bald schon mit Taten definieren! Sonst geht Deutschland mit Europa den Bach hinunter! Wir sollten im ersten Schritt der Rechten ein normales menschliches Gesicht geben, um bei einigen Menschen eine kritische Distanz zu den Massenmedien und etablierten Parteien zu initiieren oder zu festigen. Mit dieser Intention habe ich z. B. meine Website anschaulich gestaltet, trotz der Fehler, die ich noch beheben muss, ein Anfang - oder?
Antichrist (Scio nescio!)
Wenn Sie sich auf Worte, die ursprünglich aus der Antike stammen, beziehen, sollten Sie nicht vergessen, dass niemand zu dieser klassischen Zeit die Existenz der Götter oder einer umfassenden Gottheit bezweifelte. Alle griechischen Philosophen gingen von einer göttlichen Wahrheit aus, von der wir nur eine Ahnung haben können, die umfassend und allgegenwärtig ist. Von anderen Kulturen ausgehend (Zen) könnte man sagen: Buddha ist selbst in einem Maschinengewehr! GOTT muss man nicht in einer dunklen Ecke suchen, er zeigt sich den Gläubigen, zu denen ich persönlich leider nicht zähle. Ohne diese Voraussetzung der Allmacht GOTTes ergäbe die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit keinen Sinn. Die Existenz eines "Antichristen" bezieht sich auf die Gegenseite.

In Ergänzung zu dem Gedicht, mit welchem fred einen Beitrag liefert, hier ein Zitat von Maurice Maeterlinck:
Sobald wir etwas aussprechen, entwerten wir es seltsam. Wir glauben in die Tiefe der Abgründe hinabgetaucht zu sein, und wenn wir wieder an die Oberfläche kommen, gleicht der Wassertropfen an unseren bleichen Fingerspitzen nicht mehr dem Meere, dem er entstammt. Wir wähnen eine Schatzgrube wunderbarer Schätze entdeckt zu haben, und wenn wir wieder ans Tageslicht kommen, haben wir nur falsche Steine und Glasscherben mitgebracht; und trotzdem schimmert der Schatz im Finstern unverändert.“

Dr. Schneider

30. Dezember 2012 11:47

@ Sixty

Ihre Selbstbezichtigung als "linksnational" halte ich für sehr produktiv. Indem sie das verbindet, was die beiden Lager jeweils als unmöglich auschließen, hinterfragt sie das Prinzip einer geschlossenen Ideologie.

Man konnte damit bislang relativ sicher sein, als ein Wanderer ins Nichts zu enden, vielleicht ändert sich das aber, wenn die alte Links/Rechtseinteilung einmal zusammenbricht.

Insofern erscheint mir die Pflege des echt und rein Konservativen, wie sie in der Jungen Freiheit und auch hier geschrieben wird, fragwürdig. Als Rammbock gegen den linken Mainstream sind solche Tendenzen wertvoll, für sich allein als herrschend gedacht, wären sie vermutlich nur wenig besser.

Ganz konkret gesagt: In dem Nachtwächterstaat, wie er hier bisweilen erträumt wird, wo man an Nierenversagen stirbt, wenn man die Dialyse nicht bezahlen kann oder wo man im Falle von Arbeitslosigkeit sich gleich ein Fleckchen unter der Brücke suchen kann, in einem solchen Staat wollte ich nicht leben. Da wäre es auch nur ein schwacher Trost, wenn die Staatsideologie den Begriff der Nation hochhalten würde.

Nein, wenn wir ganz unidelogisch - und ja: humanistisch - danach fragen, was dem Interesse der Menschen dieser Welt am besten dient, und wenn wir ihn sehen, wie er IST, als Mann und Vater, Mitglied einer Familie, Angehöriger eines Volkes, den Wechselfällen des Schicksals ausgeliefert, etc. etc. dann ist das Beste für ihn ein Leben in ethnisch weitgehend homogenen, nationalen Sozialstaaten, die sich souverän auf der Grundlage der guten Prinzipien des Völkerrechts begegnen.

Um das denken zu können, müssen die Linken ihren großen blinden Fleck, die systemimmanente Verleugnung des Nationalstaates, überwinden und die Rechten müßten ihren großen blinden Fleck, die systemimmante Verleugnung des Sozialen überwinden.

Die Linken überbewerten auf der Grundlage ihres Freiheitsbegriffs die Freiheit des Menschen von seiner Bindung an Volk und Heimat. Sie denken, losgelöst von der Wirklichkeit, einen Imperativ zu Ende.
Die Rechten wiederum gehen vom Gedanken der Hierarchie, dem Recht des Stärkeren aus, und setzen es absolut.

Dieses ganze Absulutsetzen und Zu-Ende-Denken sollte aufhören und durch die Wahrnehmung der Bedürfnisse und Rechte des Menschen ersetzt werden. Die Linken haben etwas erkannt und etwas verkannt, und die Rechten haben etwas erkannt und etwas verkannt. In beiden Ideologien gibt es blinde Flecken aber auch Zonen besonderer Sehschärfe. Also kommt alles darauf an sich im Rahmen einer wohlverstandenen Menschlichkeit zu begegnen und auszutauschen. Das meine ich jedenfalls, wenn auch ich mich als linksnational bezeichne.

Sara Tempel

30. Dezember 2012 13:26

Dr. Schneider und Sixty,
Ihr Beitrag ist sehr produktiv und verbindend zwischen den Gegensätzen links-rechts! Vor allem ist es mutig, sich als linksnational zu bezeichnen!
Es sollte nicht im ersten Schritt darum gehen, wieviel Eigenver-antwortung ein Wohlfahrtstaat abnehmen darf und welche Schlüssel-industrien verstaatlicht werden sollten, sonder die Gemeinsamkeit des nationalen Gedankens soll zählen. Leider ist dieses Wort nach der NS-Diktatur grundsätzlich verpönt und es gehört schon Mut dazu, sich wieder "national" zu nennen.
Mein Vorschlag an Sixty: Was spräche gegen die Bezeichnung "national-konservativ"? Der konservative Gedanken würde auch die Ökologie umfassen (Umwelt + den "Grünen" den Wind aus den Segeln nehmen). Ich möchte nicht schon wieder mit den Göttern oder GOTT nerven, aber die Tradition und das Ritual in einer religiösen Erziehung erscheint mir für ein moralisches Zusammenleben unverzichtbar! Das ssozialistisch-kommunistische Gedankengut kann dies nicht ersetzen.

Heino Bosselmann

30. Dezember 2012 16:08

Zudem: Es ist ein Problem der Rechten wie der Linken wie der ominösen "Mitte" zu meinen, das Denken, auch das politische, ließe sich auf ein so unerschütterliches Fundament stellen, wie es noch Descartes vorschwebte. Noch schwieriger: Wenn sich Politik durch Metaphysik rechtfertigt, halte ich sie grundsätzlich für fragwürdig, wenn nicht für gefährlich. Ich weiß, bedenkenswert ist ebenso die genau entgegengesetzte These, etwa bei Emil Brunner. In meinem unmaßgeblichen eigenen Bedenken empfinde ich den permanenten Gottesbezug im klassischen Konservatismus als schwierig und schwerlich "handhabbar"; ähnlich geht es mir mit dem Menschenbild der Linken, einem m. E. verheerenden Rousseauismus einerseits und dem Versuch, Materialismus idealistisch zu betreiben, andererseits. Was wäre die Alternative? Der Mut zu sich selbst generierenden, nicht nach höherer Rechtfertigung strebenden "Systemen, die ihre Regularien verantwortungsvoll gestalten? Ich weiß: Verantwortungsbewußtsein ist letztendlich auch ein metaphysischer Begriff, so wie die ganze Kantische Ethik in ihren Kernbegriffen von metaphysischen Annahmen doch ausgeht. Schopenhauer: "verlarvte theologische Moral") Vielleicht habe ich gerade eine Überdosis Luhmann intus: "Am Anfang steht nicht Identität, sondern Differenz." (aus: "Soziale Systeme") Dies kurz aufgreifend: Eine "Differenz" zu sich verträgt die "politische Klasse" der "Mitte" gar nicht mehr, ebensowenig wie die Sprachkritik ihrer Euphemismen und Heilsbegriffe.

Löffelstiel

31. Dezember 2012 01:44

Auf- und angeregt auf SiN wie seit langem nicht. Die angegebenen Autoren (von Foerster, Luhmann) kenne ich nicht, werde sie aber kennenlernen, obwohl mir die Philosophie mit vielen schwerwiegenden Begriffen mit den Jahren immer fremder wird.
@ Kurt Schumacher hat mir aus der Seele gesprochen, danke . 'Blinder Fleck': Dazu fällt mir das schöne deutsche Wort 'wahrnehmen' ein, was im Goetheschen Sinne ja weder der Ethik, noch der Politea, sondern der Aesthetik entspricht. Man muss sich dieses Wort auf der Zunge zergehen, im Ohr klingen lassen: wahr n e h m e n . Goethe hat (in seiner 'Farbenlehre' kontrovers zu Newton als Vertreter der reinen Wissenschaft) 'anschauen, wahrnehmen' gelebt, ja, Zeugnis abgelegt, dabei nie übersehen, daß, eingedenk des blinden Fleckes, immer alles unvollkommen bleiben muss.
Aus den vielen den Erwiderungen Teilnehmer auf Ihren Beitrag, Herr Bosselmann, schließe ich, daß Sie ein Türchen ins Freie geöffnet; frische Luft schnappen. das bedeutet viel:Stärkung, Kraft schöpfen; Abhusten. Engpässe, Einbahnstraßen, Verkehrsregel nach Links-Rechts-Schema als das er-fassen, was es ist zwei-dimensional Ob Links oder rechts - das bewegt sich auf derselben Ebene, gewinntweder an Tiefe, noch an Höhe; ist linear. Denken und Leben ist aber räumlich, universell, kosmisch. Über dieses Muster hinausgehen, den Gegensatz nicht bedienen; denn so bleibt es ein Gefängnis. Die Brandmarkung 'rechte Ecke'..., hat man das sich nicht a u c h selbst zuzuschreiben? Darüber hinaus gehen. Und von viel weiter herkommen als von Moeller, Jünger: Zeitlosigkeit. Auch und vor allem mit und in unserer Muttersprache. Links-Rechts-Schema ist und bleibt zeitlich, örtlich, parlamentarisch, verkehrsmäßig begrenzt, um nicht zu sagen stupide. Zurück zu Goethe: Sein Lebenswerk, das ja bis heute 'wahrgenommen' wird, ist lebendiges Beispiel, wie der 'blinde Fleck' gelebt werden könnte. Schön finde ich auch, wie Kubitschek und Kositza uns dieses Natürliche buchstäblich 'vor Augen führen'
@ Sara Tempel:Nicht Sie irren, hier irrt m. E. Heino Bosselmann: Das Paradoxe des 'blinden Fleckes' vergegenwärtigen heißt, um die Begrenztheit jeglicher Wissenschaft, jeglicher Objektivität zu wissen. Nichts anderes wollten Sie doch wohl sagen? Warum Herr Bosselmann, Ihnen demonstrativ widersprochen hat, ist mir ein Rätsel. Schreiben Sie wieder einen Beitrag!
Zum Schluß noch Fontane; 'Es kommt alles auf die Beleuchtung an'. Macht das nicht den kleinen Unterschied?

Heino Bosselmann

31. Dezember 2012 13:30

"Das Paradoxe des ‚blinden Fleckes‘ vergegenwärtigen heißt, um die Begrenztheit jeglicher Wissenschaft, jeglicher Objektivität zu wissen." Zustimmung! Wüßte jetzt nicht, wo ich mißverständlich war. Ein Beobachter kann alles sehen, nur sich selbst nicht. Der Beobachter resp. der Vorgang des Beobachtens ist für sich selbst blind. Diese Unbeobachtbarkeit nennt man den blinden Fleck, den jede Beobachtung auszeichnet. Aber dieser Fleck ist gerade die conditio sine qua non der Beobachtung überhaupt. Darin liegt die Paradoxie. Oliver Jahraus: "Der Beobachter sieht nur, was er sieht, und sieht nicht, was er nicht sieht. Beobachten ist eine Operation, die eine Unterscheidung trifft und nur die eine, nicht sie andere Seite der Untersscheidung bezeichnet. Damit befindet sich der Beobachter selbst auf der bezeichneten Seite, er kann nicht mehr die Einheit der Differenz sehen, die ein höherstufiger Beobachter sehen könnte; ein solcher sieht, was ein niederstufiger Beobachter sieht, und zugleich, was dieser nicht sieht.

Ein Fremder aus Elea

31. Dezember 2012 18:36

Herr Bosselmann,

die Gesellschaft hat ein implizites, gemeinschaftliches Interesse an einer guten Herrschaft, welches jeden Herrscher rechtfertigt, welcher es bedient, und jeden Herrscher ins Unrecht setzt, welcher es nicht tut.

Die einfachste Weise diesen Sachverhalt zu erfassen, besteht darin zu sagen, daß der Herrscher Gott verpflichtet ist, denn wenn man sagte, er sei den Menschen verpflichtet, so würde sich die leidige Frage nach dem Pardon stellen.

Gott gibt schlechten Herrschern kein Pardon.

Das ist für alle Beteiligten griffiger und leichter zu handhaben.

Sie sehen es ja, heute, wenn die Herrscher schlecht sind, sind sie sogar so frech zu sagen: "Selber schuld! Ihr habt uns doch gewählt!"

Freilich, dieses Problem würde sich in einer direkten Demoktratie nicht ergeben.

Aber auch nur da nicht. In einer direkten Demokratie wäre der Gottesbezug überflüssig, Kirchen könnten rein unter dem Dienstleistungsgesichtspunkt argumentieren. Aber wer lebt schon in einer direkten Demokratie?

Löffelstiel

31. Dezember 2012 22:52

@ Heino Bosselmann: Ich habe mich verguckt. Nicht Sie haben @Sara Tempel widersprochen, sondern der @Antichrist. An Sie wäre dann auch der o.a. Abschnitt gerichtet.

Theosebeios

2. Januar 2013 13:42

@Heino Bosselmann
Sonntag, 30. Dezember 2012, 16:08 (URL) | Kurz-URL:
"Vielleicht habe ich gerade eine Überdosis Luhmann intus: „Am Anfang steht nicht Identität, sondern Differenz.“ (aus: „Soziale Systeme“)"

Au ja, das ist 'ne Überdosis, und Luhmann hatte bei diesem Bielefelder Zauberspruch wohl eine Überdosis Hegel intus!

Das ist jetzt keine sehr konstruktive und erst recht keine konstruktivistische Bemerkung, aber meine Bewunderung ist immer sehr groß, wenn ich von Leuten höre, die wissen, was am Anfang 'ist'.

Nach meiner Beobachtung (in bescheidenem Terrain) ist uns die andere Seite in Sachen Konstruktivismus und Differenztheorie diskursiv überlegen. Selbst de Benoist ("Wir und die anderen") als erfahrener Streiter tut sich da schwer. Mit diesen Ansätzen zimmern sich Gender-Mainstreaming, Multikulti u. Co. ihre bereichernde Vielfalt. Gerne lese ich aber hier von Ihnen, wie Sie da einen Keil reintreiben.
So ganz kann ich mir's noch nicht vorstellen. Ja, wenn Sie Tibeter wären! Aber das deutsche Volk interessiert die einen feuchten Kehricht.

Ernst Wald

2. Januar 2013 14:33

Sicherlich besitzt Luhmanns Rekurs auf George Spencer Browns Diktum „Draw a distinction“ für den Rechten einen gewissen Charme. Aber der Rechte fühlt sich letztlich nur geschmeichelt, weil hier ein etablierter Theorieproduzent ein Prinzip benennt, welches er ohnehin täglich in der politischen Praxis anwendet. Denn der Rechte macht – im Unterschied zum Linken – keinen Hehl daraus, dass er sich an Differenzen orientiert. Sein Rekurs auf Begriffe wie Volk, Nation und Tradition impliziert a priori die Bereitschaft, Unterscheidungen zu vollziehen. Vor diesem Hintergrund hat Carl Schmitt die Unaufrichtigkeit des linken Lagers klar benannt, wenn er schrieb: „Wer Menschheit sagt, will betrügen.“ Und übersetzt in den Jargon Luhmanns bedeutet dies, dass ein Beobachter, der in der politischen Auseinandersetzung den Menschheitsbegriff für sich reklamiert, insgeheim mit der äußerst heiklen binären Codierung `Mensch/Unmensch´ operiert.

Zugegeben: Auf erkenntnistheoretischer Ebene scheint es eine gewisse Kompatibilität von Luhmanns Systemtheorie und rechter Weltanschauung zu geben. Eine wesentliche Unvereinbarkeit besteht aus meiner Sicht jedoch darin, dass für Luhmann anthropologische Annahmen obsolet sind. Luhmann verbannt die Menschen schlichtweg in die Umwelt des „Kommunikationssystems Gesellschaft“. In diesem Punkt entzweite sich Luhmann übrigens auch mit dem Biologen Maturana, von dem er den Begriff der „Autopoiesis“ übernahm: „Maturana will nicht darauf verzichten, mit dem Ausdruck `soziale Systeme´ konkrete Menschen zu meinen, die Gruppen bilden und dergleichen“ (Luhmann: Einführung in die Systemtherie / S.113).

Angesichts der politischen Lage kann es sich der Rechte jedoch nicht leisten, in seiner Theoriebildung auf Anthropologie zu verzichten. Im Gegenteil: Es zeichnet den Rechten gerade aus, dass er aufgrund von historischer Erfahrung und wissenschaftlicher Forschung über ein realistisches Menschenbild verfügt. Diese Auffassung vom Menschen hat sich vor allem bewährt, wenn er die Probleme „beobachtet“, die in Folge von Masseneinwanderung in Deutschland entstanden sind.

Sara Tempel

2. Januar 2013 17:04

@ Löffelstiel
Sie haben mich richtig verstanden: Es ist unmöglich von unserer begrenzten menschlichen Wahrnehmung und einem eben solchen Vorstellungsvermögen zu objektiven Ergebnissn zu gelangen. Selbst mit den besten Messgeräten können wir das grundsätzlich nie beheben. Dazu kommt, dass die Fragestellung vor jedem Experiment stets an Interessen gebunden ist. Um nicht wieder bei einer religiösen Siicht zu landen, möchte ich zur Veranschaulichung des Höherstufigen auf den Film "Matrix" oder "Welt am Draht" von Fassbinder verweisen.
Ich glaube, da sind wir letztlich mit Herrn Bosselmann einer Meinung, der sich nur viel brillianter ausdrücken kann als ich, die etwas naiv an die Sache heran geht. Auch mir sind viele angegebene Autoren (z. B. Brunner, von Foerster, Luhmann) unbekannt, jedoch habe ich nicht den Anspruch diese alle verstehen zu wollen, da ich weiss, dass meine Ratio, die mit solchen Theorien angesprochen wird, bereits stark überentwickelt ist, im Verhältnis zur Intuition, Kreativität usw. (s. die Gehirnhälften).

Gottfried

3. Januar 2013 11:39

@ Heino Bosselmann

"Was wäre die Alternative?" Die Alternative zu Idealismus, Humanismus und Materialismus ist das ICH, das Subjekt. Der Standpunkt. Und das WIR. Mit wem bin ich verbunden, wie organisieren wir uns, wie wollen wir unsere Macht über unser Terrrain entfalten? Wer ist gegen uns?

Aber gerade nicht "Cogito ergo sum". Denken tue ich gerade NICHT in dem Moment, da ich versehentlich barfuß auf einen Glassplitter trete. Der Schmerz WIRKT auf mich, ich LEBE in der WIRKLICHKEIT (nicht etwa in der Realität, die freilich nach und nach dem Leben und seiner Wirklichkeit immer gefährlicher werden kann.)

Kant hat Verheerendstes mit seinem kategorischen Imperativ und mit seiner humanistischen Völkerrechtsüberlegung beigetragen.
Der Einzelne als Sklave der Ratio.

Leben geschieht so nicht. Die Ratio setzt a posteriori ein: "In Zukunft will ich vermeiden, auf Glassplitter zu treten." Als Sklave eines noch vorhandenen Instinktes und Lebenswillens ist die Ratio durchaus ein wertvolles Werkzeug.
(Die rückwärtsgewandte Rationalisierung, eine solche also, die a posteriori vernunftsfrömmelnd erklärt, warum man in der Vergangenheit etwas getan habe, lügt in der großen Mehrheit aller Fälle. Das meiste, was wir tun, basiert auf Mimikry oder auf instinktiven Entscheidungen, die "aus dem Kniegelenk heraus" erfolgen.)

Wenn der Lebenswille hingegen bereits völlig erloschen ist, dann kreisen allerlei leichenfahle humanistische Gedanken wie "Menschen kommunizieren mit Menschen" oder - mal auf BERTELSMANNESISCH zitiert - "Schule braucht Gesellschaft - Gesellschaft braucht Schule" um sich selbst

Wen auch das nicht mehr schmerzt, wer bei Lesen solcher philanthropischen Ergüsse keine Zahnfäule bekommt, dessen ICH ist bereits gänzlich verstorben.
Die Rivalen - die sich in Wirklichkeit in vielem glichen mit ihren Betrachtungen - Theodor Wiesengrund und Heidegger haben sich ja auch sehr ausgiebig zum Abhandenkommen des Subjektes geäußert.

Ein erzürnter sozialistischer Seelenforscher des letzten Jahrhunderts, der nur ein einziges Buch geschrieben hatte, verwendete (schuf?) in Bezug auf das Abhandenkommen des Subjektes auch den trefflichen "Objektivitätsfimmel."

Heino Bosselmann

3. Januar 2013 15:37

Ich gebe Ihnen vollkommen Recht! Deswegen betreiben wir Politik ja auch nicht aus Erkenntnistheorie heraus. Und was Ihre Verweise auf Kant und die Aufklärung anbelangt: Es wäre eine geistreiche Untersuchung wert, inwiefern die sog. "Grundvereinbarungen", die kaum je einer mit vereinbarte, im "Als-ob" formuliert wurden – wie so vieles. Zur Desillusionierung der Aufklärung gegenüber sich selbst haben wir ja bereits einige Schriften von Bedeutung zur Hand und müssen nicht auf den von Ihnen angesprochenen Autor zurückgreifen, obwohl ich "Objektivitätsfimmel" für einen Begriff halte, den von Glaserfeld unterschriebe. Mit Luhmann ist man so schnell auch nicht fertig, und von Bedeutung dürfte allein schon sein, wie er sich mit Jürgen Habermas auseinanderzusetzen verstand. – Ich fand Ihre Sätze sehr stark und bedanke mich: "Die rückwärtsgewandte Rationalisierung, eine solche also, die a posteriori vernunftsfrömmelnd erklärt, warum man in der Vergangenheit etwas getan habe, lügt in der großen Mehrheit aller Fälle. Das meiste, was wir tun, basiert auf Mimikry oder auf instinktiven Entscheidungen, die „aus dem Kniegelenk heraus“ erfolgen."

ene

3. Januar 2013 19:37

.. oder wie Nietzsche es auf seine so prägnante Art sagt:

Vor der Wirkung glaubt man an eine andere Ursache als nach der Wirkung

Sara Tempel

5. Januar 2013 17:38

“Die Glorie der Wissenschaft liegt nicht in einer Wahrheit, die ‘absoluter’ ist als die eines Bach oder Tolstoi, sondern im schöpferischen Akt selbst. Durch seine Entdeckung zwingt ein Wissenschaftler dem Chaos seine Ordnung auf, so wie ein Komponist oder Maler es tut – eine Ordnung, die sich immer auf begrenzte Aspekte der Realität bezieht, vom Bezugnehmen des Beobachters abhängig ist und sich von Epoche zu Epoche unterscheidet, wie ein Akt der Hand Rembrandts von dem eines Manet.”(Arthur Koestler: Der göttliche Funke 1966)

Georg Mogel

5. Januar 2013 20:38

In jüngeren Tagen war ich des Morgens froh,
Des Abends weint` ich; jetzt, da ich älter bin,
Beginn` ich zweifelnd meinen Tag, doch
Heilig und heiter ist mir sein Ende.

Friedrich Hölderlin

Marc

9. Januar 2013 07:42

Niklas Luhmanns soziologische (also wissenschaftliche) Theorie politisch verwenden zu wollen, ist eine sehr zwiespältige Angelegenheit. Seine Systemtheorie sieht sich ja gerade in der Ausdifferenzierung von wissenschaftlichem und politischem System nicht als geeignet an, von einem Funktionssystem einfach auf ein anderes übertragen zu werden.

Man kann Luhmann ganz hervorragend verwenden, um die Selbstbeschreibungen anderer politischer Ideologien als kontingent erfassen und deren blinde Flecke verdeutlichen zu können. Beispielsweise die Unterscheidung nach Klassen (Die Gesellschaft der Gesellschaft, S. 1055ff.). Gerade gegenüber einer normativen Gesellschaftsbeschreibung (also selbst Wissenschaft, Moral und Politik verknüpfend) der „Linken“ (diesen Begriff kann man im Rahmen dieser Theorie auch nur in Anführungszeichen setzen) kann man das anti-utopistische, sich auf den reinen Beobachterstandpunkt zurückgezogene Konzept der funktionalen Differenzierung sehr gut in Stellung bringen, was an der Auseinandersetzung mit Habermas nur allzu deutlich wird. Dies hat Luhmann dann auch den Vorwurf der „Linken“ als „affirmativ“ bzw. „konservativ“ eingebracht.

Allein, wer dann Luhmann zur Argumentation gegenüber der „Linken“ verwendet, muß sich darüber im Klaren sein, dass derselbe Vorwurf der Kontingenz der eigenen Position auch gegen sich selbst in Stellung gebracht werden kann. Luhmann verdeutlicht ebenso den Konstruktcharakter der Nation, welcher den weiterentwickelten Individualismus als Identitätskonstruktion in funktional ausdifferenzierten Gesellschaften nicht mehr vereinnahmen kann. Kommunikation anhand Unterscheidung von Nationen sieht Luhmann daher auch in der „Auslaufphase“ (Ebd., S. 1055).

Luhmanns Systemtheorie bleibt daher in erster Linie eine Kommunikation der Wissenschaft und dient der Beobachtung zweiter Ordnung, kaum aber der Entwicklung eigener Normen. Wer dies möchte, kann Luhmann höchstens polemisch verwenden und hoffen, dass der Argumentationsgegner weniger Luhmann kann als man selbst. Beim normalen „Gutmenschen“ (der also anhand der moralischen Unterscheidung kommuniziert und diese naiverweise absolut setzt) scheint dies natürlich problemlos möglich.

Persönlich muß ich allerdings auch sagen, dass meines Erachtens nach niemand den hier so oft propagierten „kalten, illusionslosen Blick“ derart konsequent durchzieht wie Niklas Luhmann. „Rechte“ Politik ist aber gerade deswegen mit ihm ebenso wenig zu machen wie „linke“, da sie natürlich gleichermaßen normativ ist. Es ist eben der „blinde Fleck“ der „Rechten“, zu behaupten, man wäre selbst illusionslos.

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