Hallo, Wien! (Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, Folge 3)

Der medienwirksame "Tanzüberfall" einer "identitären" Gruppe aus Wien hat nun Nachahmer in Deutschland gefunden.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Mit einem Mikro-Ghet­to­blas­ter bewaff­net haben mas­kier­te Akti­vis­ten im Zei­chen des “Lamb­da” für ein paar Minu­ten einen Mul­ti­kul­tur­kon­greß in Frank­furt am Main mit Hard­bass-Musik zugedröhnt.

Im Ver­gleich zu der Moschee­be­set­zung in Poi­tiers durch die fran­zö­si­schen Original-“Identitären” wir­ken der­ar­ti­ge Spaß-Gue­ril­la-Aktio­nen frei­lich noch etwas juve­nil und in Bezug auf die Bot­schaft dif­fus und all­ge­mein. Frag­lich ist auch, ob sich die Ver­wen­dung von Mas­ken in Hin­sicht auf die Außen­wir­kung nicht kon­tra­pro­duk­tiv aus­wir­ken könn­te. In die­se Fal­le sind auch die “unsterb­li­chen” Kam­mer­nos­sen vom soge­nann­ten “Natio­na­len Wider­stand” mit ihrem “Volkstod”-Spuk getappt.  Auf mich macht das gan­ze jeden­falls eher einen gru­se­li­gen als einen “lus­ti­gen” Eindruck.

Wäh­rend die Bas­te­lei am “Design” der iden­ti­tä­ren Inter­net-Wel­le auf Hoch­tou­ren läuft, hinkt die theo­re­ti­sche Ver­dich­tung und Ver­or­tung noch nach. Viel­leicht funk­tio­niert es aber auch so bes­ser als anders­rum? Eine gelun­ge­ne, attrak­ti­ve Ästhe­tik ist für poli­ti­sche Bewe­gun­gen oft schon die hal­be Mie­te. Beson­ders auf diver­sen Tumb­lr-Blogs wird zur Zeit am lau­fen­den Band iko­no­klas­ti­scher Agit­prop pro­du­ziert, und das mit einer Ver­ve und einem Witz, wie man ihn bis­her auf dem rech­ten Ufer eher sel­ten gese­hen hat.

Die Metho­de ist sim­pel: ein­mal kurz in der gro­ßen Kis­te der Pop­kul­tur gewühlt, pas­sen­des Stück her­aus­ge­fischt, “iden­ti­tä­ren” Logo-Stem­pel drauf, und schon ist das jewei­li­ge Bild annek­tiert.  Das ergibt manch­mal gera­de­zu sur­rea­le Effek­te.  Dabei gibt es nichts und nie­mand, das vor sei­nem Zugriff sicher wäre:  Brea­king Bad, South Park, Ava­tar, Fight Club, 300, Fritz Langs Nibe­lun­gen, Star Trek, Har­ry Pot­ter, Der Fluch der Kari­bik, Hei­no, Bela Lugosi,  Hel­ge Schnei­der, John Way­ne, Sophie Scholl… alles wird zu einem wil­den, inter­net­taug­li­chen, qua­si “post­mo­der­nen” Mix verrührt.

Ähn­lich haben es auch die euro­pa­weit stil­bil­den­den Poun­di­stas vor­ge­macht. 2009 tauch­ten in ganz Rom kryp­ti­sche Pos­ter mit dem Kon­ter­fei des 1980 ver­stor­be­nen lin­ken Lie­der­ma­chers Rino Gaet­a­no auf, ohne jeg­li­chen Kom­men­tar, nur ver­se­hen mit dem Schild­krö­ten-Emblem der “Casa Pound” – eine lako­ni­sche Pro­vo­ka­ti­on und “Ver­ein­nah­mung”, die sich für Inter­pre­ta­tio­nen elas­tisch hält.

Man mag nun eine gewis­se Iro­nie dar­in fin­den, daß Bewe­gun­gen, die sich “iden­ti­tär” nen­nen, über Codes und Iko­nen kom­mu­ni­zie­ren, die eher inter­na­tio­nal und uni­ver­sal sind, und noch dazu zu einem guten Teil ame­ri­ka­ni­scher Her­kunft.  Das gilt auch für die Ver­wen­dung von Guy-Faw­kes- oder Hal­lo­ween-Mas­ken, die welt­weit von Akti­vis­ten jeg­li­cher poli­ti­scher Cou­leur getra­gen wer­den. Eine iden­ti­tä­re Theo­rie müß­te berück­sich­ti­gen, daß wir Post-Abend­län­der heu­te von (sagen wir) Mos­kau bis San Fran­cis­co in einer Welt leben, über die sich das wei­te Dach einer gemein­sa­men Popu­lär­kul­tur spannt, an der wir täg­lich kon­su­mie­rend teil­neh­men, die uns täg­lich formt und beeinflußt.

Das iso­lier­te, sich scharf in sei­ner Eigen­art abgren­zen­de “Gal­lier­dorf” gibt es dage­gen schon lan­ge nicht mehr: heu­te sind wir alle mehr oder weni­ger “Römer”.  Wenn nun etwa die Wie­ner Iden­ti­tä­ren ver­su­chen wür­den, aus­schließ­lich über hei­mi­sche, zum Tou­ris­mus­kli­schee ver­kom­me­ne Iko­nen für ihre Sache zu wer­ben, wür­de die Num­mer schnell in einer Selbst­par­odie und einer “Mir-san-mir”-Klamotte enden (wobei in Öster­reich all­ge­mein dem Schick­sal der Ope­ret­te oder der Kaba­rett­num­mer kaum zu ent­rin­nen ist, unab­hän­gig davon, was man vor­hat. Man den­ke auch an den dau­er­ak­tu­el­len Wap­pen­spruch “Die Lage ist hoff­nungs­los, aber nicht ernst”.)

Dazu noch eine klei­ne Anek­do­te. Es muß wohl im Jahr 2005 gewe­sen sein. Ich hielt mich in Nie­der­ös­ter­reich auf und war­te­te eines Abends im Okto­ber auf einem klei­nen Pro­vinz­bahn­hof auf den Anschluß­zug nach Wien. Ich hat­te schlech­te Lau­ne, was sich noch ver­stärk­te, als ich auf dem Bahn­hof eine Grup­pe von drei etwa drei­zehn- bis vier­zehn­jäh­ri­gen, pas­siv-aggres­siv her­um­lüm­meln­den Jugend­li­chen sah, die alle­samt die berüch­tig­ten Geis­ter­mas­ken aus dem Film “Scream” zur Schau tru­gen. Daß mir nun ein paar auf­säs­si­ge Puber­tie­ren­de unge­fragt den Anblick die­ser Frat­zen zumu­te­ten, ver­schlim­mer­te mei­ne ohne­hin schon gereiz­te Stim­mung noch.

Dann fiel mir ein: rich­tig, heu­te war ja der 31. Okto­ber, also wur­de alle Welt genö­tigt, die cle­ve­re, frisch ein­ge­führ­te Geschäfts­idee  “Hal­lo­ween” zu kon­su­mie­ren, die sich in kür­zes­ter Zeit zum künst­lich implan­tier­ten Tra­di­ti­ons­sur­ro­gat hoch­ge­pö­belt hat­te. Die Kin­der fan­den es natür­lich toll, und die Erwach­se­nen taten will­fäh­rig so, als hät­te man das hier­zu­lan­de immer schon so gemacht. Kol­la­bo­rie­ren­de Kin­der­gärt­ne­rin­nen und Volkschul­leh­rer tru­gen das Ihri­ge zur Aus­brei­tung der Pest bei. Ich kann­te als Kind nur die aus­tria­kisch-alpi­ne Win­ter­nacht­va­ri­an­te “Kram­pus und Niko­lo”, die inzwi­schen lei­der ziem­lich an Popu­la­ri­tät und Attrak­ti­vi­tät ein­ge­büßt hat. War unser eige­ner Mum­men­schanz nicht mehr gut genug? Der ame­ri­ka­ni­sche Plun­der hat­te sich mal wie­der markt­dar­wi­nis­tisch durch­ge­setzt, und als “coo­ler” für die reiz­gie­ri­gen “Kids” erwie­sen. Das alles stand mir nun plas­tisch vor Augen. Mein Miß­mut wan­del­te sich in blan­ken Haß auf die mas­kier­te Bagage.

Der Zug fuhr ein, ich stieg ein, setz­te mich auf einen lee­ren Vie­rer­platz und ver­senk­te mich auf­at­mend in mei­ne teu­re “Jun­ge Frei­heit”, um mich men­tal für den wei­te­ren Kul­tur­kampf gegen die fort­schrei­ten­de Ame­ri­ka­ni­sie­rung zu stär­ken. Zu die­sem Zeit­punkt steck­te ich tief in mei­ner “Neofolk”-Phase, trug schwar­ze Leder­ja­cken, schwar­ze Roll­kra­gen­pul­lis, Mili­tär­stie­fel, und eine sizi­lia­ni­sche Sil­bert­ris­ke­le mit drei rotie­ren­den Bei­nen um dem Hals. Gera­de als ich dach­te, nun end­lich Ruhe zu haben vor der all­ge­gen­wär­ti­gen Hal­lo­ween-Deka­denz, setz­ten sich die drei “Kids” vom Bahn­stieg gezielt neben mich, offen­bar magisch ange­zo­gen wie die Kat­ze vom Kat­zen­haar­all­er­gi­ker. Nie­mand sonst war in dem Abteil außer uns; alle Sit­ze waren frei. Sie hat­ten es unzwei­fel­haft auf mich abgesehen.

Sie nah­men die Mas­ken ab, knöpf­ten die Jacken auf (“Bom­ber”- und “Lonsdale”-Stil) und ent­blöß­ten ihre “Skrewdriver”-T-Shirts. “Mei­ne Güte”, dach­te ich mit wach­sen­der Mis­an­thro­pie, “ein Skin­head­kin­der­gar­ten! Auch das noch!” Wäh­rend ich mich beharr­lich in die Zei­tung ver­grub, lie­ßen sie mit auf­fal­len­der Laut­stär­ke den bösen, bösen “Nazi” her­aus­hän­gen, gera­de so, als woll­ten sie mir ihre Bös­heit gezielt und mit aller Kraft unter die Nase rei­ben. “Schau, i hob ma wei­ße Schuh­ban­deln kauft! Des bedeu­tet ‘wei­ße Ras­se’!” – “Waaßt eh, der Opa von der Susi woar bei der SS, hot’s ma der­zöhlt.” -“Lei­wand!” Falls sie mich damit scho­cken woll­ten, bis­sen sie kläg­lich auf Gra­nit, denn als lang­jäh­ri­ger Death-in-June- und Boyd-Rice-Fan war ich natür­lich hart­ge­sot­ten gegen­über sol­chen Bürgerschrecknummern.

Wäh­rend der gan­zen etwa 15minütigen Fahrt igno­rier­te ich das Trio eisern. All­mäh­lich ging der Miß­mut aller­dings in Schmun­zeln über. End­lich am Ziel­bahn­hof, dach­te ich mich erlöst. Von wegen. Sie stie­gen an der­sel­ben Hal­te­stel­le aus, und ein paar Meter vor der Bahn­hofs­hal­le faß­te sich einer der Quäl­geis­ter ein Herz und sprach mich mit über­ra­schen­der Höf­lich­keit an. “Ent­schul­di­gung, derf I di wos fro­gen? Wos is denn dei Eins­töl­lung?” Ich sah ihn fra­gend an. “Weu du host do a ‘Blad änd Onner’ um an Hois.” Das war es also gewe­sen! Ich über­leg­te kurz. Mei­ne Ant­wort kam aus der tiefs­ten Tie­fe mei­ner generv­ten See­le: “Mei­ne Ein­stel­lung? Mei­ne Ein­stel­lung ist: in Öster­reich gibt’s ka Hal­lo­ween! Was soll die­ser ame­ri­ka­ni­sche Kommerzscheiß???”

Er zuck­te schuld­be­wußt zusam­men und recht­fer­tig­te sich has­tig: “Na, des is uns nur so eingfo­in, des is nur Spaß, des manen wir gor ned ernst!…” – “Das will ich schwer hof­fen!  Und ‘Blad änd Onner’ ist auch so ein ame­ri­ka­ni­scher Scheiß! Der Kram­pus ist das ein­zig Wah­re, Öster­rei­chi­sche, Patrio­ti­sche! Der Kram­pus! In einem Monat ist es wie­der soweit. Merk da des!” Ich wand­te mich ab und ging wei­ter.  Ich hof­fe, die päd­ago­gi­sche Wir­kung ist nicht ausgeblieben.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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