Schwarze Magie in der Wiener Straßenbahn

1912 schrieb Karl Kraus eine Satire über den "Untergang der Welt durch schwarze Magie", womit die per Druckerschwärze verübten Verbrechen an der deutschen Sprache in der zeitgenössischen Presse gemeint waren.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Ich habe Erschei­nun­gen vor dem, was ist. Ich mache aus einer Mücke einen Ele­fan­ten. Ist das kei­ne Kunst? Zau­be­rer sind die andern, die das Leben in die Mücken­pla­ge ver­wan­delt haben. Und der Mücken wer­den immer mehr. Oft kann ich sie nicht mehr unter­schei­den. Tau­send habe ich zu Hau­se und kom­me nicht dazu, sie zu über­schät­zen. Bei Nacht sehen sie wie Zei­tungs­pa­pier aus und jedes ein­zel­ne Stück lacht mich an, ob ich nun end­lich auch ihm die Ver­bin­dung mit dem Welt­geist gön­nen wol­le, von dem es stammt. Gegen die Pla­ge die­ser Eph­eme­ren gibt es kei­nen Schutz, als sie unsterb­lich zu machen. Das ist eine Tor­tur für sie und für mich. Doch wach­sen sie nach und ich wer­de nicht fertig.

Hun­dert Jah­re spä­ter geht es einem poli­ti­schen Blog­ger wie mir auch nicht viel anders. Die Phra­sen­ma­schi­ne pro­du­ziert jeden Tag neue Fre­vel gegen den com­mon sen­se, oder bes­ser gesagt, sie wie­der­holt unbe­irrt den Unsinn, den sie schon ges­tern und vor­ges­tern und vor­vor­ges­tern in die Welt gesetzt hat. Jeden Mor­gen sucht sich der wacke­re Blog­ger einen belie­bi­gen lecke­ren Kopf der Hydra aus, die mal wie­der dabei ist, ihm in den Mund und ins Hirn zu krie­chen, beißt ihn ab und speit ihn aus, wie in Zara­thus­tras Gleich­nis. Genau­so eklig ist das manch­mal. Tags dar­auf sind fünf neue Köp­fe nach­ge­wach­sen und das Spiel geht von vor­ne los.

Ob die gan­zen Schlag­wort­geis­ter, die einem im öffent­li­chen Raum per Pla­kat und Bild­schirm per­ma­nent ansprin­gen, nur Mücken sind, sei dahin­ge­stellt. Im Schwarm kön­nen sie sehr läs­tig sein, und zwei­fel­los bleibt die offe­ne oder sub­li­mi­na­le Dau­er­be­strah­lung nicht gänz­lich ohne Wir­kung auf die Köp­fe und Gemü­ter. Wenigs­tens kann die­ser sisy­phos­ar­ti­ge Sport des Schlan­gen­kopf­ab­schla­gens und Mücken­ver­trei­bens ab und zu auch durch­aus unter­halt­sam sein. In Öster­reich, wo ich gera­de wei­le, gibt es hier­für aller­hand kaba­rett­rei­fes Mate­ri­al, ja das gan­ze Land ist heu­te wie ein­zi­ges Live-Kaba­rett. Die eben­so kin­di­sche wie schwach­sin­ni­ge Ener­gie, mit der bei­spiels­wei­se das “Gen­der Main­strea­ming” umge­setzt wird, ist gera­de­zu berüchtigt.

Das gegen­der­te Bau­stel­len­schild etwa, auf dem ein eine männ­li­che Figur, – natür­lich haut­nah an der “All­tags­rea­li­tät”, wie es im ent­spre­chen­den Jar­gon heißt- durch eine Schutt schip­pen­de schlan­ke Dame mit Pfer­de­schwanz im kur­zen Rock und mit schi­cken knie­ho­hen Stie­feln ersetzt oder zumin­dest ergänzt wur­de, ist einer der gro­ßen Klas­si­ker des an sab­bern­den Idio­ti­en nicht gera­de armen Gen­res. Da wird die Selbst­par­odie gleich mit­ge­lie­fert, lei­der unbe­merkt von den Urhebern.

Ein min­des­tens eben­so gro­ßer Klop­fer  – und hier kom­men wir zur Mücke des Tages – sind die seit 2007 gegen­der­ten Wie­ner Stra­ßen­bahn­pik­to­gram­me.  Ich möch­te mir jedes­mal von Neu­em an den Kopf klat­schen, wenn ich in der Haupt­stadt bin und die Din­ger erbli­cke. Die Bild­chen hat­ten ursprüng­lich den Zweck, die Fahr­gäs­te zu ermah­nen, gege­be­nen­falls kör­per­lich bedürf­ti­gen Per­so­nen die Sitz­plät­ze zu über­las­sen. In der Ori­gi­nal­ver­si­on gab es also: einen alten Mann (mit Stock und Rau­sche­bart), einen blin­den Mann (mit Drei­punk­te­bin­de und Krü­cke, stell­ver­tre­tend für alle Behin­der­ten), eine Frau mit Baby auf dem Arm und eine schwan­ge­re Frau. So weit so ein­leuch­tend und so tri­vi­al. Jeder­mann und Jede­frau hat es ver­stan­den, nie­man­den und nie­fraun­den hat es je gestört.

 

Weil es aber offen­bar im glück­se­li­gen Wien kei­ne drin­gen­de­ren Pro­ble­me gibt, star­te­te der Magis­trat unter erheb­li­chem Auf­wand eine Kam­pa­gne mit dem Titel “Wien sieht’s anders”, in der die Bild­chen wie folgt aus­ge­tauscht wur­den: nun sieht man statt­des­sen eine alte Frau (mit Dutt und Geh­stock), eine blin­de, behin­der­te Frau (mit Krü­cke und Drei­punk­te­bin­de), eine schwan­ge­re Frau, und einen Mann mit D’Ar­ta­g­nan-Bart, Kurz­haar­fri­sur und Kind auf dem Arm.

 

Die von dem dama­li­gen Vize­bür­ger­meis­ter und der Frau­ent­stadt­rä­tin vor­ge­tra­ge­ne Begrün­dung: “Auch Män­ner mit Klein­kind oder älte­re Frau­en fah­ren mit den Öffis.” Eine wahr­haft epi­sche, über­ra­schen­de Ent­hül­lung. Ohne sie wäre die Mensch­heit wohl in der fins­ters­ten Bewußt­seins­ver­dun­ke­lung ver­küm­mert. “Die­se All­tags­rea­li­tät wird auf den neu­en Kle­bern abge­bil­det.” Das ist natür­lich eine rund­um geheu­chel­te Begrün­dung, denn um die “All­tags­rea­li­tät”, die ohne­hin jeder kennt, und die auf den alten Kle­bern hin­rei­chend sym­bo­li­siert wur­de, ging es dabei nicht im Geringsten.
Test

Drö­seln wir den Gedan­ken­kud­del­mud­del auf. Die alten Kle­ber zeig­ten zwei männ­li­che und zwei weib­li­che Lebe­we­sen, die bei­den Geschlech­ter waren also 50:50 ver­tre­ten. Kein Mensch, der den Sinn der Kle­ber ver­stan­den hat, wäre nun etwa sit­zen­ge­blie­ben, wenn statt einem alten Mann eine alte Frau die Stra­ßen­bahn betre­ten hät­te, oder auch nur ein alter Mann ohne Bart und ohne Geh­stock. Jedes Kind ver­steht, daß die bei­den männ­li­chen Figu­ren alle Gebrech­li­chen und alle Behin­der­ten mei­nen, egal, wel­ches Geschlecht sie haben. Alt und behin­dert kön­nen Män­ner wie Frau­en glei­cher­ma­ßen sein. Die bei­den ande­ren, weib­li­chen Figu­ren spre­chen dage­gen spe­zi­fisch weib­li­che Bedürf­tig­kei­ten an: es kann eben nur eine Frau schwan­ger sein, und Frau­en mit Babys und Kin­der­wä­gen sind nun mal eine übli­che­re Erschei­nung als Män­ner mit Babys und Kin­der­wä­gen. Man sieht auch gele­gent­lich Män­ner, die Babys tra­gen und Kin­der­wä­gen füh­ren, meis­tens aber in Beglei­tung einer Frau. Aber auch hier soll­te jeder Depp begrei­fen, daß es hier nicht in ers­ter Linie auf die Frau ankommt, son­dern auf das Kind, wel­ches qua­si die “Behin­de­rung” ist.

Die Neu­fas­sung zeigt nun also drei Frau­en und einen Mann, der eine typisch weib­li­che Tätig­keit aus­übt. Damit steht das Ver­hält­nis also (min­des­tens) 3: 1 zuguns­ten der Frau­en, womit die alten Kle­ber ein­deu­tig aus­ge­wo­ge­ner und “geschlech­ter­ge­rech­ter” waren. Aber auf “Gerech­tig­keit” kommt es denn Gen­der­ben­dern ja nicht an, son­dern um einen Kul­tur­kampf auf der Sym­bo­le­be­ne. Die­ser wird in jeden noch so unpo­li­ti­schen Win­kel hin­ein­ge­tra­gen. Die Kam­pa­gne ver­dreht den Sinn des Kle­bers (wie gesagt: die Ermah­nung der Fahr­gäs­te, kör­per­lich Bedürf­ti­gen die Sitz­plät­ze zu über­las­sen) und instru­men­ta­li­siert ihn zum Mos­ki­to der ideo­lo­gi­schen Beein­flus­sung und Gehirnwäsche.

Die Femi­ni­sie­rung des Man­nes gehört, gleich­wohl unaus­ge­spro­chen oder in euphe­mis­ti­sche Spra­che ver­packt, zu den Haupt­an­lie­gen und Haupt­er­geb­nis­sen des “Gen­der Main­strea­ming” , das im End­ef­fekt vor allem den neu­ro­ti­schen Selbst­haß bei­der Geschlech­ter schürt und aus die­sem wohl auch sei­ne haupt­säch­li­che Antriebs­kraft bezieht. Die Frau soll dabei weni­ger “ver­männ­licht” als “ent­müt­ter­licht” wer­den. Denn sieht man sich die Kle­ber­kam­pa­gne genau an, so war es eben offen­bar in ers­ter Linie die Dar­stel­lung einer Mut­ter mit Kind, die den Betrei­bern ein Dorn im Auge war. Die Umwand­lung des Seni­ors und des Blin­den in weib­li­che Gestal­ten bringt kei­ner­lei Aus­sa­ge und kei­ner­lei Aha-Effekt mit sich, führt in kei­ner Wei­se dazu, irgend etwas “anders zu sehen”, weil Alter und Blind­heit bekannt­lich nicht geschlechts­spe­zi­fisch sind. Die schwan­ge­re Frau muß eine Frau blei­ben, weil es (zum Leid­we­sen der Gen­der­fa­na­ti­ker) eben bio­lo­gisch nicht anders geht. Bleibt also nur eine Figur übrig: die gan­ze Kam­pa­gne wur­de mit ande­ren Wor­ten ledig­lich auf­ge­zo­gen , um das Bild einer um ihr Kind sor­gen­den Mut­ter aus dem öffent­li­chen Raum zu til­gen. Mit dem wei­te­ren Ergeb­nis, daß das Augen­merk des Kle­bers nun nicht mehr dem zu schüt­zen­den Klein­kind gilt, son­dern dem Mann und sei­ner neu zuge­dach­ten Rolle.

Wie wirk­sam ist die­se “schwar­ze Magie” tat­säch­lich? Als omni­prä­sen­te sub­li­mi­na­le Sug­ges­ti­ons­tak­tik habe die­se Klei­nig­kei­ten und Ideo­lo­gie­mü­cken gewiß einen Effekt auf die all­ge­mei­ne Bewußt­seins­bil­dung. Dadurch wird die Welt frei­lich nicht wesent­lich “anders” und schon gar bes­ser im Sin­ne der Sozi­al­in­ge­nieu­re, aber ein gutes Stück düm­mer, wir­rer und mür­ber. Ste­ter Trop­fen höhlt den Stein.  Ich fin­de immer wie­der von neu­em die Wider­stands­lo­sig­keit und Pas­si­vi­tät ver­blüf­fend, mit der heu­te der offen­sicht­lichs­te Unfug akzep­tiert und hin­ge­nom­men wird. Nicht nur in Öster­reich ist die Gesell­schaft von einer Art geis­ti­gen Immun­schwä­che befal­len, die inzwi­schen in eine epi­de­mi­sche Demenz über­geht, so lan­ge, bis bald kei­ner übrig­bleibt, dem der Witz noch auffällt.
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Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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