Die Wulffs dieser Republik

von Martin Höfer

Nicht etwa der Rücktritt des Staatsoberhauptes selbst, sondern vielmehr die kaum faßbare Unerheblichkeit dieses Vorgangs...

stimmt die­ser Tage nach­denk­lich. Herr Wulff gehört dem Schla­ge jener eigen­schafts­lo­sen Berufs­klas­sen­spre­cher an, unter denen die reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie zuneh­mend lei­det. Nun wird er ersetzt. Punkt.

Daß Medi­en und Poli­tik die Rück­tritts­for­de­run­gen allein auf den Ver­dacht der Vor­teils­nah­me stütz­ten, ist wei­ter nicht ver­wun­der­lich, feh­len doch eben die­sen bei­den Grup­pen schon seit gerau­mer Zeit die Sen­so­ren für poli­ti­sche Skan­da­le, die die­se Bezeich­nung tat­säch­lich ver­dient hät­ten. Ein Bun­des­prä­si­dent bei­spiels­wei­se, der den Islam als Teil der vater­län­di­schen Iden­ti­tät aner­kennt und sich dar­in gefällt, die „Bun­te Repu­blik Deutsch­land“ zu begrü­ßen, hät­te schon längst aus dem Amt gejagt wer­den müssen.

Die gro­ßen Mei­ner und deren Pro­to­kol­lan­ten ste­hen sich die­ser Tage nur schein­bar gegen­über, Medi­en­kam­pa­gnen stel­len nichts als rei­ne Geplän­kel dar. Die Medi­en berich­ten in gro­ßen Let­tern über Klei­nig­kei­ten, wäh­rend die tat­säch­li­che Kata­stro­phe, näm­lich der Aus­ver­kauf natio­na­ler Inter­es­sen und will­fäh­ri­ger Ver­rat des Eige­nen galant über­se­hen oder des­sen kri­ti­sche Erwäh­nung gar unter Ver­dacht gestellt wer­den, wodurch Poli­ti­ker freie Bahn erhalten.

Nichts offen­bar­te die­sen Schul­ter­schluß zwi­schen Medi­en und Poli­tik deut­li­cher als der Inhalt der letzt­jäh­ri­gen Weih­nachts­an­spra­che des Prä­si­den­ten sowie die hier­auf aus­blei­ben­de Kri­tik. Mit dem Inhalt der Anspra­che, die zum wie­der­hol­ten Male das Volk zu mehr Enga­ge­ment gegen Frem­den­feind­lich­keit auf­rief, wur­den erneut all jene unter Ver­dacht gestellt, die dies­be­züg­lich freund­li­che Zurück­hal­tung üben und ver­fem­te kon­klu­dent die weni­gen, die noch öffent­lich die Mei­nung zu äußern wagen, daß Frem­den­feind­lich­keit wohl eines der gerings­ten Pro­ble­me dar­stellt und der Prä­si­dent in einer gesun­den Repu­blik wenigs­tens mit glei­chem Nach­druck die Deut­schen­feind­lich­keit jun­ger Zuwan­de­rer hät­te anpran­gern müssen.

Sub­ti­ler indes ging man bei der Insze­nie­rung des Pres­se­pho­tos vor, des­sen Tra­gik­ko­mik kaum in Wor­te zu fas­sen ist.

In der Mit­te ist der Prä­si­dent dabei zu beob­ach­ten, wie er mit hoch­ge­zo­ge­nen Schul­tern sei­nen Wor­ten Gewicht zu ver­lei­hen sucht. Dabei wird er von den mög­lichst diver­si­fi­ziert aus­ge­wähl­ten Sta­tis­ten umringt.

Der Ein­druck auf den Zuschau­er die­ser Dar­stel­lung eth­ni­scher Mehr­heits­ver­hält­nis­se, die um Jah­re vor­greift und dem Volk der Deut­schen sei­ne bal­di­ge Ablö­sung durch eine mul­ti­eth­ni­sche Bevöl­ke­rung dank gelenk­ter Bevöl­ke­rungs­ent­wick­lung vor Augen führt, soll offen­bar durch die lebens­fremd anmu­ten­de Plat­zie­rung mög­lichst blon­der Kin­der in der Bild­mit­te gemil­dert wer­den. Den Ein­hei­mi­schen, unter ihnen die Gat­tin des Prä­si­den­ten und ein älte­rer Herr im Hin­ter­grund, fal­len zu die­ser erbärm­li­chen Sze­ne­rie neben einem nai­ven Lächeln nichts ein. Ein wei­te­res Detail: Zwei Trach­ten sind im Bild, eine ara­bi­sche und eine afri­ka­ni­sche. Für das tra­di­tio­nel­le Deutsch­land reicht es in der Bun­ten Repu­blik lei­der nicht ein­mal mehr zur Staffage.

Doch obwohl der­zeit die Selbst­ver­ges­sen­heit der deut­schen Eli­ten gren­zen­los erscheint, besteht Grund zu lei­ser Hoff­nung. Je grö­ßer näm­lich der Gegen­satz von All­tags­er­fah­run­gen auf der einen und offen­sicht­li­chem Autis­mus ver­öf­fent­lich­ter Mei­nung auf der ande­ren Sei­te wird, des­to deut­li­cher tre­ten auch dem Unbe­darf­ten die Untaug­lich­keit des der­zei­ti­gen Kur­ses und die Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit der Steu­er­män­ner vor Augen. Die wirt­schafts­gläu­bi­gen Kar­rie­ris­ten in der Poli­tik, aber auch die ehe­ma­li­gen Stei­ne­wer­fer, die mitt­ler­wei­le als flei­ßi­ge Schrei­ber den Kurs der Poli­tik unab­hän­gig vom Wahl­aus­gang ent­schei­dend mit­be­stim­men, mögen über Macht ver­fü­gen, doch lei­den sie an einem ent­schei­den­den Nach­teil: Ihre Talen­te eig­nen sich allen­falls zum Nie­der­rei­ßen gesell­schaft­li­cher Fun­da­men­te, deren voll­stän­di­ge Abtra­gung bald abge­schlos­sen sein wird; über die Fähig­keit, ent­spre­chend den Regeln gesell­schaft­li­cher Sta­tik ein trag­fä­hi­ges Pen­dant zu errich­ten oder ein vor­han­de­nes zu erhal­ten, ver­fü­gen sie indes nicht.

Das Kar­ten­haus, das nach Been­di­gung der Abriß­ar­bei­ten übrig zu blei­ben droht, dürf­te dem lau­es­ten Lüft­chen nicht mehr stand­hal­ten kön­nen. Unse­re ers­te und ein­zi­ge Sor­ge soll­te daher sein, mit Kel­le und Mör­tel bereit­zu­ste­hen, wenn es zum Ein­sturz kommt.

Die Wulffs die­ser Repu­blik indes dür­fen weder mit unse­rer Auf­merk­sam­keit noch mit unse­rer Ach­tung rech­nen, da sie im Gegen­zug mit jedem Wort und jeder Ges­te zu ver­deut­li­chen suchen, daß wir Deut­sche nicht mehr das vor­nehm­li­che Schutz­gut ihrer Poli­tik darstellen.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (20)

KW

21. Februar 2012 14:18

Herrlicher Artikel, herrliche Analyse, aus Selbstschutz schalten wir das Fernsehen um, wenn ethnisch Fremde auftauchen. Ein gesundes Volk verträgt einzelne Fremdkörper, aber keine Parallelgesellschaften wie heutzutage. Ich habe aber auch eine kleine Hoffnung, die Deutschen beginnen regional besser zusammenzuhalten. Für die Großstädte sehe ich allerdings schwarz. Und noch was. Leute wie wir sind Patrioten, rechts sind wir nicht, das wurde uns von den internationalistischen Meinungsführern aufgedrückt und ist verschlissen. Die DDR war patriotisch, es gab Pionierlieder von der Heimat, die man lieben soll. Vielleicht sollten wir DA anknüpfen, dann nimmt man den westdeutschen Volksverdünnern die Luft aus dem Segel.

PB

21. Februar 2012 15:35

Joachim Gauck wäre inmitten eines solchen Schmierentheaters jedenfalls kaum vorstellbar.

Die seltsame Aufstellung hatte unterschwellig auch etwas Rassistisches an sich. Christian Kracht könnte das bestimmt in elegante Worte fassen, etwa durch einen Hinweis auf Hagenbeck's Völkerschau.

https://tinyurl.com/75fzq8d

https://tinyurl.com/84wrhpb

Afrikaforscher

21. Februar 2012 15:37

Also Sezession enttäuscht hier doch schwer, dasselbe bringt der Mainstream auch. Meine Güte.
Das ganze Theater um Wulff wurde veranstaltet, weil er das ESM-Gesetz nicht unterschreiben wollte. Er hat in seinen Reden genug Anhaltspunkte dafür gegeben, dass er die Rettereien für mehr als bedenklich hält. Und jedenfalls wurde die ESM-Abstimmung, die schon Ende 2011 stattfinden sollte, verschoben - nun auf die Zeit nach seinem Rücktritt.
Mit Gauck hat sich die Politkaste soweit ersichtlich offenbar jemanden ins Boot geholt, der diese Enteignung durchwinken dürfte. Ich lasse mich natürlich gern vom Gegenteil überzeugen.

Es ging und geht immer nur darum, wer die faulen Forderungen der Neu-Yorker Spielbanken bezahlt .
Jetzt, nach Vertreibung des in dieser Hinsicht sturen und nicht kooperativen Präsidenten aus dem Amt, geht es darum, den Selbstbedienungsmechanismus ESM u.a. Instrumente, mit denen mglw. das gesamte deutsche Volksvermögen versenkt wird, durchzuwinken.
Deutschland wird erst einmal verarmen.
Und beim Geld hört bekanntlich der Spaß auf. Wenn der Michel merkt, dass seine „Vertreter“ seine Ersparnisse ins Ausland – konkret: an Spielbanken in Neu-York und London, um die USA über Wasser zu halten – verpfändet und damit verschenkt haben, kann das zum Weckruf werden.
Daher gutes Zeichen: Vom jetzigen System der Hochleistungsanforderungen verbunden mit Niedriglöhnen hat in Deutschland niemand mehr etwas, weder der einzelne noch das Land insgesamt: Das Ergebnis der deutschen Wirtschaftspolitik seit 1989 besteht darin, dass die ehemalige Deutschland-AG gegen US-Subprime-Schrott eingetauscht wurde.
.
Es besteht also die Chance zu einem Umbruch, und das ist immerhin zu begrüßen.

Petrus Urinus Minor

21. Februar 2012 18:26

"Das Kartenhaus, das nach Beendigung der Abrißarbeiten übrig zu bleiben droht, dürfte dem lauesten Lüftchen nicht mehr standhalten können. Unsere erste und einzige Sorge sollte daher sein, mit Kelle und Mörtel bereitzustehen, wenn es zum Einsturz kommt."

Unsere erste und einzige Sorge sollte sein, das ganze zum rechten Zeitpunkt mit einem kraftvollen Tritt zu Boden zu bringen.

Und der Obrigkeit danken, dass sie selbst schon die Hälfte der Arbeit getan hat.

Belsøe

21. Februar 2012 18:47

Mal wieder den eigenen Fokus mit zu wenig Tiefenschärfe versehen.

Dass Wulff gehen musste hat Gründe die auf ganz anderem Niveau angesiedelt sind. Sie wollen mir nicht ernsthaft erzählen, dass sie die Scheisshausparolen von Vorteilsnahme für den tatsächlichen Grund halten? Jede Wette: kein einziger Bundespolitiker zahlt alle Urlaube selbst oder den vollen Preis für seine geleaste Karosse. Macht es nicht richtiger, ist aber eben mitnichten eine singuläre Verfehlung.

Kleiner Tipp: Europa wird gerade massiv umgebaut, und zwar umgebaut in einem Sinne der wirklichen Konservativen das Herz zuschnüren müsste. Und die Rechte, selbsternannte? Schmeisst weiter mit Sandförmchen weil Wulff peinliche Fernsehbilder und Schwaller-Reden produziert hat. DAS halten sie für den wichtigsten Aspekt der Wulff-Affäre?

Dann noch viel Spass auf den Nebenschauplätzen.

Währenddessen unterschreibt Herr Gauck wie bestellt die nächsten Sargnägel der freien europäischen Nationen.

Afrikaforscher

21. Februar 2012 20:26

Die Chance auf einen Umbruch

Sich der Mainstream-Kampagne gegen Wulff anzuschließen, ist in der jetzigen Lage m.E. eher kontraproduktiv, wobei mir bewusst ist, dass diese dort aus völlig anderen Motiven und mit völlig anderen Begründungen betrieben wurde. Die Grundsatzaussagen im Artikel stimmen aber schon.

Das ganze Theater um Wulff wurde veranstaltet, weil er das ESM-Gesetz nicht unterschreiben wollte. Er hat in seinen Reden genug Anhaltspunkte dafür gegeben, dass er die Rettereien für mehr als bedenklich hält. Und jedenfalls wurde die ESM-Abstimmung, die schon Ende 2011 stattfinden sollte, verschoben – nun auf die Zeit nach seinem Rücktritt.
Mit Gauck hat sich die Politkaste soweit ersichtlich offenbar jemanden ins Boot geholt, der diese Enteignung durchwinken dürfte.
Politik ist die Kunst des Möglichen:
Solange der Bundespräsident im Amt war, bestand die Chance, durch Unterstützung Wulffs
– unabhängig von den Meinungsverschiedenheiten auf anderen Feldern –
der drohenden Finanzdiktatur eins auszuwischen. Die Deutschen haben sie nicht genutzt, die Konservativen unter ihnen offenbar auch nicht.
Dass man die im Artikel angesprochenen Missstände angehen muss, ist unbestritten. Hat aber mit der Kampagne gegen Wulff, der viele auf den Leim gegangen sind, absolut nichts zu tun.

Es ging und geht immer nur darum, wer die faulen Forderungen der Neu-Yorker Spielbanken bezahlt. Jetzt, nach Vertreibung des in dieser Hinsicht sturen und nicht kooperativen Präsidenten aus dem Amt, geht es darum, den Selbstbedienungsmechanismus ESM u.a. Instrumente, mit denen mglw. das gesamte deutsche Volksvermögen versenkt wird, durchzuwinken.
Deutschland wird erst einmal verarmen.
Und beim Geld hört bekanntlich der Spaß auf. Wenn der Michel merkt, dass seine „Vertreter“ seine Ersparnisse ins Ausland – konkret: an Spielbanken in Neu-York und London, um die USA über Wasser zu halten – verpfändet und damit verschenkt haben, kann das zum Weckruf werden.
Daher gutes Zeichen: Vom jetzigen System der Hochleistungsanforderungen verbunden mit Niedriglöhnen hat in Deutschland niemand mehr etwas, weder der einzelne noch das Land insgesamt: Das Ergebnis der deutschen Wirtschaftspolitik seit 1989 besteht darin, dass die ehemalige Deutschland-AG gegen US-Subprime-Schrott eingetauscht wurde.
.
Es besteht also die Chance auf einen Umbruch, und das ist immerhin zu begrüßen.

Löffelstiel

21. Februar 2012 23:20

'Kartenhaus'? Schön wär's. Autismus! Wie kann man den heilen?
Hoffnung gibt es in dem Jungen am rechten unteren Bildrand. Ist der nicht wie ein Raffaelengel, allerdings ohne Flügel?

TORTUGA

22. Februar 2012 08:47

Das Wulff dem ESM Widerstand geleistet hätte, halte ich allerdings auch für sehr... optimistisch.

eulenfurz

22. Februar 2012 09:44

Unglaublich, daß der sonst so effiziente Apparat nicht einmal mehr in der Lage ist, brauchbare Propagandashows zu drehen. Den Statisten - Botschaftspersonal und vielleicht noch ein paar Hausmeister und Empfangsdamen des Bellevue - sieht man ihre zugedachte Rolle sofort an, sie sollen als Trichter präsidialen Gesülzes dienen. Weiterhin stellt sich die Frage, woher die Kinder herangekarrt wurden, die Kinder der Statisten sind es wohl nicht und im Regierungsviertel laufen die Kleinen auch nicht einfach so auf der Straße herum.

In England ist man sowieso schon weiter, hier werden Kinder, die sich vermeintlich rassistisch oder homophob äußern, als Haßverbrecher erfaßt.

Eckard Eckstein

22. Februar 2012 10:10

Was sich mir als Freund der Antike bei der Betrachtung dieses Fotos sofort ununterdrückbar meiner Phantasie aufdrängte war ein anderes Bild, sehr sehr viel älter:

Ein spätantiker römischer Thronsaal in Ravenna, in der Bildmitte in dümmlicher Pose das letze "Kaiserlein" (Augustulus) des Westreiches Romulus, umstellt von blonden Recken des germanischen Magister Militum Odoaker - der den überflüssig Gewordenen dann einfach in Pension schickte -, und einigen servilen römischen Advokaten und Kirchenmännern.

Sic transit gloria mundi. Und alles wiederholt sich, nur werden diesmal die neuen Herren nicht blond sein.

tacitus

22. Februar 2012 10:17

@Afrikaforscher

Muttis Großer hätte sich seiner Mutti widersetzen wollen? Auf welchem fernen Planeten leben Sie denn?

Sebastian Pella

22. Februar 2012 10:26

In dem Gastbeitrag "Das Amt, die Würde und der Boulevard" (F.A.Z. vom 11. Januar 2012, S. N3) führte Barbara Stollberg-Rilinger die symbol- und medienpolitischen Aspekte der Causa "Wulff" höchst ansprechend aus:

"Mit einer Art lustvollem Schauer beobachten wir, wie die Medien einen Amtsinhaber, über dessen Durchschnittlichkeit nie ein Zweifel bestand, in seiner ganzen Mittelmäßigkeit vorführen (selbst die Affären sind von höchst mittelmäßigem Format) und beklagen zugleich mit einem gerüttelten Maß an Heuchelei, dass die Würde des Amtes verlorengeht."

Der Artikel kann vollständig im Netzarchiv der F.A.Z. rekapituliert werden:

Freedy

22. Februar 2012 13:00

Allein den Begriff der Fremdenfeindlichkeit muß man sich auf der Zunge zergehen lassen.

Menschen haben Freunde, Menschen haben auch Feinde, aber die Mehrzahl der Menschen sind und bleiben uns objektiv unbekannt, sind also Fremde.
Wie aber können Menschen, die uns fremd sind, zugleich unsere Freunde oder gar unsere Feinde sein? Gibt es auch Fremdenfreundlichkeit? Wie sieht die aus? Kann ich einem Menschen, den ich nicht im geringsten kennenlernen konnte, wie einen Freund behandeln, ihm (wem denn?) großes Vertrauen entgegenbringen, auf gemeinsame Erlebnisse und Erfahrungen bauen und sogleich erwarten, daß dieser völlig unbekannte Mensch (wer denn?) dieses Entgegenkommen erwidert?

Der Fremde, der Unbekannte, der nie Gesehene kann tatsächlich weder Freund noch Feind sein, Freunde oder Feinde kennen wir, Fremde aber kennen wir nicht. Einen fremden Freund und einen fremden Feind kann es demnach auf der persönlichen Ebene logisch nicht geben.

Der gewöhnlich als Vorwurf gegen Menschen gebrauchte Begriff der Fremdenfeindlichkeit ist demnach als Lügenwort erkennbar. Dieser Vorwurf ist – einmal angenommen - dementsprechend auch durch nichts zu entkräften, denn objektive Kriterien, nach denen ein Mensch nicht als fremdenfeindlich gelten kann, kann es nicht geben: Fremde gibt es immer, seine allgemeine Fremdenfreundlichkeit zu beweisen bleibt dem Menschen unmöglich.

m.dietl

22. Februar 2012 14:22

Hervoragend analysiert !

Man muß Ihnen ( / dem Redaktionsteam / ) dankbar sein !!
Gut, daß es wenigstens ein häufchen klar denkender Menschen in diesem Areal wo früher einmal Deutschland existierte gibt, die noch Augen im Kopf haben und sich mithilfe Ihres eigenen Verstandes unabhängig zu artikulieren trauen. Viel Erfolg und Motivation weiterhin.

M. Dietl

V.K.

22. Februar 2012 14:48

Ein großartiger und sehr wahrer Beitrag. Das rückt die Dinge wahrlich in ein anderes Licht bei Betrachtung des Bildes.

Markward von Annweiler

22. Februar 2012 16:37

Dass ausgerechnet Wulff seine Unterschrift unter die Ratifizierung des ESM Vertrages verweigert hätte, ist sehr unwahrscheinlich. Bisher erschien er doch vor allem als Karrierist und angepasster Befürworter der "bunten Republik." Den braven Bundespräsi nun auf einmal zum Gegner des ESM-Gesetzes zu adeln, widerspricht völlig der etablierten Mehrheitsmeinung im rechten Lager. Eben deshalb wurde die Behautung, Wulff habe wegen seines Widerstandes gegen den ESM zurücktreten müssen, wahrscheinlich auch aufgebracht: Der Journalist Gerhard Wisnewski, auf den dies meines Wissens zurückgeht, ist nämlich stets bemüht, seine potentiellen Leser durch die Formulierung unkonventioneller 'Wahrheiten' zu verblüffen.
Die Zitate, die Wisnewski zur Untermauerung seiner These anführt, können eine solche Absicht Wulffs aber keineswegs beweisen -abgesehen davon, dass die Reden höchstwahrscheinlich von irgendeinem Referenten geschrieben wurden.
Die Warnungen vor einer Aushöhlung der Rechte des Parlaments und der öffentlichen Verschuldung auf Kosten der nachfolgenden Generationen sind längst Allgemeinplätze geworden. Die von Wisnewski zitierten Passagen scheinen zwar eine kritische Haltung Wulffs zur gemeinsamen Aufnahme von Krediten und der Ausdehnung der Bonität zu Lasten Deutschlands zu belegen, aber dies kann auch als Unterstüzung der derzeitigen Position der Kanzlerin gedeutet werden, die der Forderung nach Eurobonds noch (hinhaltenden) Widerstand leistet. (Dass dies wahrscheinlich nur eine Verhandlungsposition ist, steht auf einem anderen Blatt.)

Waldgänger

23. Februar 2012 11:08

Keine Ahnung woher sich diese Empörung über die politische Realität in diesem Lande speist. Die BRD war, ebensowenig wie die DDR, ein souveräner Staat, Deutschland ist 1945 untergegangen und übrig geblieben sind die Verlierer und ihre Nachkommen - dieses ständig wiederkehrende Gerede von Rettung, Richtungswechsel entbehrt jeder Grundlage. Wo war die Rechte (nicht nur auf die BRD bezogen) in den letzten 40 Jahren um politischen Einfluss auszuüben. Lustigerweise kommt so eine Gestalt wie Wulff aus einem Hort, der gerne (von sich selbst, oder vom politischen "Gegner") mit Attributen wie konservativ u.ä. bezeichnet wurde. Wulff in seiner ganzen offenbaren (jedenfalls medial so wahrgenommenen) Mittelmäßigkeit steht nicht allein - man blicke ja nur mal auf die Gestalten der "Gegenseite" und den allgemeinen politischen Nachwuchs, er ist somit Prototyp des neuen BRD_Politikers. Auf Veränderungen innerhalb des Systems zu hoffen ist kompletter Blödsinn. Wo findet ein Diskurs über gesamtgesellschaftliche Streitfragen statt, weder in der Schule, noch Universität, dort werden sie so moderiert, dass letztlich das Ergebnis IMMER im Sinne der Herrschenden ausfallen, (rechte) Gegenmeinungen gerade in diesen Institutionen führen ins gesellschaftliche Abseits - und nur dort werden sie geduldet (solange bis man die rechtliche Grundlage zur Verfolgung geschaffen hat). Oder die Sarrazin-Debatte wird zum Ventil um aufgestauten Frust abzulassen. Wo sind die Alternativen, personell und erst Recht ideell?
Das das Eigene als so wenig schätzenswert erachtet wird, hat verschiedene Ursachen. Das in den Dreck ziehen des nationalen Erbes (was es auch noch näher zu definieren gilt) durch die "Linke" konnte doch nur auf fruchtbaren Boden fallen, weil es keine Verteidiger gab, oder die Argumente dieser zu schwach, zu wenig überzeugend waren. Ich für meinen Teil konnte mich weder mit meiner Eltern- noch Grosseltergeneration (in beiden Landesteilen), identifizieren. Wie es um die Anziehungskraft der Rechten bzw. einiger ihrer Protagonisten bestellt ist dürfte hinlänglich bekannt sein. Ganz ehrlich, auch wenn damals der Arte-Bericht über die Session arg verschnitten wurde, so wirkte das ganze auf mich eher komisch. Hausmusik. Wagner, Stauffenberg ...

Übrigens soll der Begriff "Fremdenfeindlichkeit" aufgrund seines die dahinter stehende Geisteshaltung eher verniedlichenden Charakters durch den des "Rassismus" zu ersetz werden, nach Wunsch von "Menschenrechtsaktivisten".

erwalf

23. Februar 2012 12:58

- Der Islam gehört historisch so zu Deutschland, wie auch ein Bundespräsident Christian Wulff einmal zu Deutschland gehörte. Ob die Deutschen in Zukunft noch zu Deutschland gehören, ist eine andere Frage.
- Kein Bundespräsident hat die faktische Macht, ein Gesetz auf Dauer zu verhindern. Das müssen die Parlamentarier schon selber tun. Wolfgang Bosbach zum Beispiel steigt in meiner Achtung.
- Spielgeld-Banken und Spekulanten zu bekämpfen, ist sicher wichtig und richtig; die neue Camping-Bewegung wie Gauck für Kinderkram zu halten jedoch auch, denn diese linken Freiluft-Okkupanten erstreben fern jeden Realitätssinns grenzenlose Vollversorgung für alle.

Agricola

23. Februar 2012 16:22

Mit dem unsäglichen Herrn W. ist ein Systemkarrierist gegangen worden ( Die Gründe liegen sicherlich nicht sofort auf der Hand, dürften aber mit seiner Naivität im Allgemeinen und insbesondere in Bezug auf seine hochfinanzfeindlichen Reden und Statements zurückzuführen sein!), der es verdient hatte in den Allerwertesten getreten zu werden, damit er schnell genug vom Hofe kommt! (Der "Alte Fritz" hätte die Reitpeitsche genommen!!) Er hat sich gegen die Lebensinteressen des eigenen Volkes - das er offensichtlich abgehakt hat- gestellt und gehört in die potenzielle Reihe der Volkszerstörer. Er wird einen "würdigen" Nachfolger finden, egal wie der heißt, und das ist das Allerschlimmste an der aktuellen politischen Situation. Die Masse der Bevölkerung ist geblendet durch Propaganda, den Rest regelt das System selbst in wahrer demokratischer Haltung!

herbstlicht

27. Februar 2012 18:14

Im Artikel geht es auch um die --- echte oder simulierte --- Traumtänzerei der herrschenden Cliquen. Hierzu will ich einen Zufallsfund aus Schweden berichten.

Die schwedischen ``Eliten'' unterscheiden sich nicht wesentlich von ihrem deutschen Gegenstück; der Artikel Vision von einer offenen Gesellschaft von Integrationsminister Erik Ullenhag mag einen Eindruck vermitteln (obwohl Schweden seit über 200 Jahren keinen Krieg mehr verlor und nur eine geringe Kolonialvergangenheit hat). Allerdings wird in Schweden die Freiheit der Meinungsäußerung deutlich höher geachtet als bei uns --- man hat nicht seit mindestens 1933 Übung, die Zunge zu hüten.

Vor einigen Wochen begann auf dem Website von Dagens Nyheter eine Debatte über die (angebliche) linkslastigkeit des Kulturbetriebs. In dieser äußerte sich auch Maria Sveland, links-feministische Journalistin, mit dem Artikel Hatet som gör mig politiskt deprimerad (``Der Haß, welcher mich politisch bedrückt''; Titelbild bereitet mir Vergnügen: Luftballonpaar PK, ``Politische Korrektheit'') in welchem sie ihre Angst schildert --- ``Schwedische Angst'', daß nun finstere Mächte die Herrschaft in Europa übernehmen, wie in den Dreißigern. Bei ihr äußert sich die Angst in körperlichen Beschwerden und sie schließt mit dem Satz: ``Die Grenzen haben sich verschoben, die Karte wird umgezeichnet und mein Herz klopft verzweifelt''.

Hierauf antwortete ein Politologe der Uni Göteborg mit dem Artikel Bo Rothstein: Vänstern måste rannsaka sig själv (``Die Linke muß sich selber prüfen'' von Bo Rothstein).

Rothstein stellt zunächst fest, daß das Schicksal der europäischen Linken in den Dreißigern durchaus unterschiedlich war --- während sie in vielen Ländern zerschlagen oder zurückgedrängt wurde, kam sie in Skandinavien und insbesondere Schweden an's Ruder --- und fragt weiter, warum dies so war.

Rothstein nennt dafür fünf Gründe: Erstens gab man den frontalen Klassenkampf auf, hörte auf den Gegner zu verteufeln. Zweitens gab man zu, daß Schweden ein Rechtsstaat ist in welchem nichts zum Rechtsbruch legitimiert; auch nicht die eigenen hehren Ziele. Drittens sah man ein, daß man über den Lohn verhandeln kann und daß Streik allen schadet. Viertens erkannte man, daß es tatsächlich ein nationales Ziel gibt: man sprach nicht mehr vom Klassenkampf sondern vom Volksheim (``Folkhemmet''; wohl ziemlich das gleiche wie die ``Volksgemeinschaft'' im deutschen NS-Staat.)

Den Rest des Artikels übersetze ich nachfolgend:

Hinzu kam der vielleicht beste Trick auf politischer Bühne, welchen unser Land je gesehen hat; nämlich, wie es dem damaligen Sozialminister Gustav Möller gelang, das klassische Paradepferd der Rechten, die Bevölkerungsfrage, zu einem linken Thema zu machen, welches das Fundament für den Bau des Wohlfahrtsstaates bildete unter dem Motto: ``Nur das Beste für unser Volk''. Hieraus resultierten in den Dreißigern nicht zuletzt eine Anzahl Reformen, welche die Stellung der Mütter und der Kinder erheblich stärkten.

Alle diese fünf Strategien, welche in den Dreißigern zur Vorherrschaft der Linken führten, beruhten darauf, daß man es wagte anzuerkennen, daß die Probleme, auf welche die Rechte, einschließlich der extremen Rechten, hinwies, tatsächlich existierten. Durch eigene radikale Lösungen für diese Probleme gelang es, nicht nur die extreme Rechte zu entwaffnen, sondern auch unsere gemäßigte Rechte. Hier haben wir einen völligen Gegensatz zur heutigen Linken, soweit es um Frage der Integration geht. Die Angst davor, auf irgend eine Weise mit Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit verknüpft zu werden, veranlaßt die Linke dazu, die Augen zu verschließen vor den tatsächlich bestehenden Problemen, welche die Leute alltäglich sehen und welche --- was schlimmer ist --- die Leute in die Arme der extremen Rechten treiben. Man kann das anhaltende Bestreiten von Gewalt um der Ehre willen [``Ehrenmord'' etc.] durch die feministische Linken herausgreifen; genauso die Stützung der Ansicht, daß es sich in jedem Fall, in welchem ein Einwanderer schlechter wegkommt als ein ethnischer Schwede, um Rassisimus handelt; man kann hinweisen auf den Verrat an jungen muslimischen Frauen welche unterdrückt werden und man kann auf die Weigerung hinweisen, den Zusammenhang zu sehen zwischen bestimmten Einwanderern und Kriminalität.

Maria Sveland hat vollkommen recht, daß Bengt Ohlsson eine Trivialdiskussion [über den Kulturbetrieb] begonnen hat. Die große Frage ist jedoch die: Eine Rechte, welche wieder die politische Hegemonie erlangen will, muß aufhören sich als Opfer zu verstehen und --- wie in den Dreißigern --- wagen, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen und damit ihre eigenen Tabus einer Prüfung unterziehen. Die Frage ist, wer den Mut haben wird, das zu machen.

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.