Der sympathische Anarchist Max L. und das allseitig wirksame Entertainment

von Martin Böcker

Wie waren die Walpurgisnacht und der 1. Mai in diesem Jahr? Friedlich wie seit langem nicht, ruhiger als erwartet. Der taz war es gar zu ruhig.

Und Ber­lins Innen­se­na­tor Ehr­hart Kör­ting ist zufrie­den. Wie schön.  Ein klit­ze­klei­nes biß­chen Ärger gab es aber doch: Wir dür­fen ver­mu­ten, daß wir das rela­tiv ruhi­ge Wochen­en­de nicht nur den fried­lie­ben­den Demons­tran­ten, son­dern auch dem mas­si­ven Poli­zei­auf­ge­bot zu ver­dan­ken haben. Der 1. Mai soll­te „repo­li­ti­siert“ wer­den, jeden­falls hat­ten die Ver­an­stal­ter sich das gewünscht, Schwer­punkt­the­ma: Gen­tri­fi­zie­rung. Im Gespräch mit der taz ver­mu­tet der „Bewe­gungs­for­scher“ Die­ter Rucht eine Mischung aus „Mobi­li­sie­rungs­kniff“ und „ehr­li­chem Anlie­gen“ hin­ter die­ser „Repo­li­ti­sie­rung“. Das klei­ne Fra­ge­zei­chen: War­um bewaff­nen die Demons­tran­ten sich mit Knüp­peln, schmei­ßen Schei­ben ein und prü­geln sich mit dem wahr­schein­lich ein­zig greif­ba­ren Geg­ner, der Poli­zei? Rucht ver­mu­tet ein Gemisch aus poli­ti­schen Moti­ven und Männ­lich­keits­ri­ten. Ja?! Dann sto­chern wir mal im Dun­keln und begin­nen zu fantasieren.

Am 29. April des ver­gan­ge­nen Jah­res fand die Bild in ihrer Druck­aus­ga­be die herr­li­che Wen­dung der bewaff­ne­ten “Chao­ten-Armee”: Gas­pis­to­le, Mache­te, Zwil­le, Base­ball-Schlä­ger, Pflas­ter­stein und Eisen­rohr. Auf einem Grup­pen­bild  posie­ren etwa 30 Mann, alle in schwarz, Anti­fa-Flag­gen, einer trägt ein T‑Shirt mit der Auf­schrift „Die Yup­pie-Scum“. Die mar­tia­lisch anmu­ten­den Her­ren sind also nicht nur gegen Faschis­mus, son­dern auch noch gegen die Gen­tri­fi­zie­rung ihres gelieb­ten Vier­tels – jeden­falls schmü­cken sie sich mit die­ser Attitude.

Wir dür­fen somit anneh­men, daß die „Chao­ten-Armee“ sich vor­nehm­lich aus jun­gen Män­nern rekru­tiert. Sicher sind da ein paar sen­sa­ti­on-see­ker und Mit­läu­fer bei. Aber es müs­sen doch wenigs­tens ein paar Land­ser, Por­te­pees und Gene­ra­le in der „Chao­ten-Armee“ die­nen, die nur das Bes­te wol­len. Ein paar Enga­gier­te, die ihren Kampf qua­si als Opfer für etwas Grö­ße­res ver­ste­hen, etwa für den End­sieg der auto­no­men Selbstverwaltung.

Da wäre zum Bei­spiel der fik­ti­ve Anar­chist Max L., 22 Jah­re jung. Auf­ge­wach­sen in der Klein­stadt, zog es den Gerech­tig­keits­fa­na­ti­ker nach Ber­lin. Dort ist er Stu­die­ren­der der Stadt­so­zio­lo­gie und ärgert sich über die Tou­ris­ten in sei­nem Kiez – immer­hin lebt er schon im drit­ten Semes­ter hier. Nach inten­si­ver Lek­tü­re von Andrej Holm, Neil Smith, Her­bert Mar­cu­se und Hen­ri Lefèb­v­re ist ihm „Der kom­men­de Auf­stand“ zwi­schen die Fin­ger gera­ten. Seit­dem ist er ein­fach nur noch wütend und vol­ler Hoff­nung, daß er tat­säch­lich etwas ändern kann. Außer­dem ist da die­se Mie­ze, die das Eigen­lo­gik-Semi­nar wie­der­ho­len muß­te, die mit dem Kapu­zen­pul­li und dem tol­len Hin­tern (völ­lig uns­exis­tisch natür­lich). Die fin­det es näm­lich klas­se, wenn er über Neo­li­be­ra­le motzt und Gegen­wehr ankündigt.

Als ihm bewußt wird, daß nicht nur Men­schen sei­nes Schla­ges sein Vier­tel hip fin­den, lernt die­ser gar nicht unsym­pa­thi­sche Kerl den yup­pie-scum zu ver­ach­ten. Die­se fer­tig stu­dier­ten Juris­ten und Wer­be­tex­ter trei­ben die Miet­prei­se nach oben. An denen liegt es näm­lich, daß er selbst die Mie­te nur mit Hil­fe sei­ner Eltern (lei­ten­de Ange­stell­te) auf­brin­gen kann. An denen und dem Staat natür­lich. Der will mit Woh­nungs­bau­gro­gram­men die volks­wirt­schaft­lich unin­ter­es­san­ten und in kauf­män­ni­scher Hin­sicht stö­ren­den Armen aus dem Vier­tel ver­trei­ben. Das ist sub­ti­le Gewalt! Und die­se Gale­ris­ten, Yup­pies und Sonste­wel­che machen mit. Ob frei­wil­lig oder unfrei­wil­lig ist egal, sie machen mit. Ange­sichts der Kon­sum­geil­heit und des Lebens­stils die­ser Leu­te, hält Max L. es mona­te­lang für krea­tiv, wäh­rend WG-Par­tys oder in Blog-Arti­keln wit­zi­ge Anspie­lun­gen auf Bio­na­de-Trin­ker, Lat­te Mac­chia­to-Müt­ter und 1000 Euro teu­re Kin­der­wa­gen zu machen. Er selbst trinkt natür­lich nur Astra, man gewöhnt sich an den Geschmack.

Fakt ist: Er befin­det sich mit sei­ner Crew in der Posi­ti­on der Unter­drück­ten, Stadt­teil­ar­beit dient letzt­lich nur dazu, die „all­sei­ti­ge und wirk­sa­me Ver­wal­tung“ (Mar­cu­se) noch tota­ler zu machen. Was bleibt? Das Natur­recht auf Wider­stand. Wenn man das alles zu Ende gedacht hat, dann geht’s nur noch Zack­zack­zack: „Anar­chie gegen Rechts Kreuz­berg-Ost, Grup­pe Süd e.V.“ ange­mel­det, zack! Schnell Accounts bei Blog­sport und Twit­ter ange­legt, zack! Yup­pie-Scum-Shirt im Online­shop bestellt, zack! Schwar­ze Bril­le, schwar­ze Base­cap, zack­zack­zack! Land­ser Max L. mel­det sich zum Dienst in der „Chao­ten-Armee“. Er ist fest ent­schlos­sen, einen Poli­zei­be­am­ten… Ver­zei­hung… einen Bul­len zu schub­sen und eine Magne­si­um­fa­ckel in den Strahl des Was­ser­wer­fers zu halten.

Nun soll sei­ne Empö­rung gar nicht so sehr ins Lächer­li­che gezo­gen wer­den, eben­so wenig wie das Phä­no­men der Gen­tri­fi­zie­rung. Eine Ein­stel­lung à la „Irgend­et­was müs­sen wir doch unter­neh­men!“ ist halt nicht die schlech­tes­te. So ein Gut­mei­nen­der wäre lern­fä­hig, wür­de zu Ende stu­die­ren und sich irgend­wann mal ent­schei­den. Für den Staat: Will­kom­men im Räder­werk. Gegen den Staat: Auch ok, auf gute Feind­schaft. Jeden­falls wäre er dann nicht mehr einer die­ser lächer­li­chen Rekru­ten der „Chao­ten-Armee“, die sich – im Glau­ben, etwas Muti­ges zu unter­neh­men – an die­sem Enter­tain­ment der Mai­kra­wal­le betei­li­gen. Wenn die RTL2-News wie­der eine bren­nen­de Müll­ton­ne zei­gen, und wir uns vorm Fern­se­her gru­seln, dann wird Max L. an die all­sei­tig wirk­sa­me Ver­wal­tung den­ken, die sei­nen Stein­wurf pro­vo­ziert hat­te. Viel­leicht kommt er im sel­ben Gedan­ken­gang auch auf das all­sei­tig wirk­sa­me Enter­tain­ment, des­sen Prot­ago­nis­ten er und sei­ne Kame­ra­den mit gro­ßem Eifer waren.

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