Faschismus – links

von Karlheinz Weißmann

Der Begriff fascisti - „Faschisten"  entstand nicht erst, als Mussolini die Fasci di Combattimento gr

ünde­te; fascio – „Bund” war viel­mehr die übli­che Bezeichnung …

… der ita­lie­ni­schen Lin­ken für „Bewe­gun­gen” ohne Par­tei­ch­a­rak­ter. Die ers­ten „Faschis­ten”  im enge­ren Sinn gehör­ten zu Mus­so­li­nis Fasci d’ Azio­ne Rivo­lu­zi­o­na­ria, den „Revo­lu­tio­nä­ren Akti­ons­bün­den”, die er 1915 gebil­det hat­te, um die lin­ken „Inter­ven­tio­nis­ten” Ita­li­ens zu sam­meln. Vor­an­ge­gan­gen war ein dra­ma­ti­scher Fron­ten­wech­sel, bei dem er, der als sozia­lis­ti­scher Füh­rer gera­de noch mit dem Gene­ral­streik für den Fall des Kriegs­ein­tritts Ita­li­ens gedroht hat­te, vom radi­ka­len Geg­ner zum eben­so radi­ka­len Befür­wor­ter der Par­tei­nah­me wurde.

Die Nati­on, so lau­te­te jetzt sei­ne For­de­rung, müs­se auf der Sei­te der Entente gegen die „reak­tio­nä­ren” Mit­tel­mäch­te kämp­fen, im Krieg wer­de das Pro­le­ta­ri­at gestählt für die kom­men­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen und bewei­sen, daß es zur Füh­rung des Lan­des fähig und beru­fen sei.
Die fascis­ti wand­ten sich gegen alle Befür­wor­ter der Neu­tra­li­tät, ganz gleich, ob sie sozia­lis­ti­sche, libe­ra­le oder christ­li­che Moti­ve ins Feld führ­ten. Eine Welt­an­schau­ung im eigent­li­chen Sinn besa­ßen sie nicht, aber eine tie­fe Ver­ach­tung für Bür­ger­lich­keit und Pazi­fis­mus, was gut zur ideo­lo­gi­schen Prä­gung Mus­so­li­nis paß­te, die stär­ker von Nietz­sche, der Lebens­phi­lo­so­phie über­haupt und den Ideen Sor­els als von einer Schu­lung an Marx oder ande­ren Klas­si­kern der Arbei­ter­be­we­gung bestimmt war.

Die Ent­schei­dung für den Inter­ven­tio­nis­mus zog den Bruch Mus­so­li­nis mit der sozia­lis­ti­schen Par­tei Ita­li­ens nach sich, als deren kom­men­der Füh­rer – duce – ihn vie­le schon betrach­tet hat­ten. Bei Ende des Krie­ges war sei­ne Zukunft ent­spre­chend unsi­cher. In die frü­he­re poli­ti­sche Hei­mat konn­te er nicht zurück­keh­ren, ein Über­tritt auf die Gegen­sei­te lag ihm fern und nur der tumul­tua­ri­sche „Nach­krieg” eröff­ne­te ihm eine Per­spek­ti­ve. Unter dem Ein­druck der bei­den „roten Jah­re” 1919 / 1920, als an den Mau­ern der Städ­te “Viva Lenin!” stand, die Arbei­ter die Fabri­ken besetz­ten und rote Fah­nen auf­zo­gen und sich die sozia­lis­ti­sche Par­tei der Kom­mu­nis­ti­schen Inter­na­tio­na­le anschloß, sam­mel­te Mus­so­li­ni sei­ne alten und neue Anhän­ger, nicht nur, um einen ita­lie­ni­schen Okto­ber zu ver­hin­dern, son­dern auch, um die Ablö­sung der schwa­chen bür­ger­li­chen Ord­nung durch eine star­ke, natio­na­lis­ti­sche zu erreichen.

Der Ur-Faschis­mus war dabei nicht kon­ter­re­vo­lu­tio­när, son­dern pro­pa­gier­te eine ande­re Revo­lu­ti­on, ver­knüpf­te den Wunsch nach Grö­ße des Vater­lan­des und „Ver­tei­di­gung des Sie­ges” mit radi­kal­de­mo­kra­ti­schen und radi­kal­so­zia­lis­ti­schen Ideen, ver­lang­te die Her­ab­set­zung des Wahl­al­ters, die Eman­zi­pa­ti­on der Frau­en, die Ein­füh­rung von Räten in den Betrie­ben, die Sozia­li­sie­rung der Indus­trie, die Ent­eig­nung der Kir­che und die Besei­ti­gung des König­tums. Zeev Stern­hell hat davon gespro­chen, daß die­ser Faschis­mus im Grun­de aus einer “Revol­te lin­ker Non­kon­for­mis­ten” ent­stand, die an der Ver­bür­ger­li­chung des Pro­le­ta­ri­ats lit­ten, eine neue revo­lu­tio­nä­re Kraft such­ten und die­se im Natio­na­lis­mus fanden.
Der Ver­such, sozia­lis­ti­sche und natio­na­lis­ti­sche, eher „lin­ke” und eher „rech­te” Ele­men­te zu ver­schmel­zen, war des­halb ein Merk­mal aller faschis­ti­schen Bewe­gun­gen, typisch wie die Tat­sa­che, daß die Ver­schmel­zung nie voll­stän­dig gelang, daß der Faschis­mus als Bewe­gung immer stär­ker auf die lin­ke Pro­gram­ma­tik setz­te, wäh­rend der Faschis­mus als Regime den Akzent in die Gegen­rich­tung ver­schob. Das heißt aber nicht, daß die lin­ken Kon­zep­te in Ita­li­en nach dem „Marsch auf Rom” ganz ver­schwun­den wären. Sie wur­zel­ten zu tief in der Geschich­te des ita­lie­ni­schen Faschis­mus, und die war eng mit der des ita­lie­ni­schen Sozia­lis­mus ver­wo­ben. Aller­dings reagier­te die Par­tei­lin­ke ent­täuscht auf Mus­so­li­nis Anpas­sungs­kurs und die Schwä­chen des Kor­po­ra­tiv­sys­tems. In den drei­ßi­ger Jah­ren träum­te sie von einem „neu­en Faschis­mus”, der das Kapi­tal zum Feind erklä­ren und den Faschis­mus zur Sache der Arbei­ter machen sollte.

Erfolg hat­ten die Dis­si­den­ten damit nicht, da das Regime auf den Aus­gleich mit den alten Eli­ten setz­te. Es war des­halb fol­ge­rich­tig, daß einer der füh­ren­den Köp­fe des „neu­en Faschis­mus”, Tul­lio Cia­net­ti, zu den Fron­deu­ren gehör­te, die am 25. Juli 1943 die Abset­zung Mus­so­li­nis durch den Groß­rat der Par­tei erzwan­gen. Das Ergeb­nis – eine Art gezähm­ter Faschis­mus – stell­te Cia­net­ti aber noch weni­ger zufrie­den als das Sys­tem Mus­so­li­ni und er wech­sel­te erneut die Sei­ten, stell­te sich der „Ita­lie­ni­schen Sozi­al­re­pu­blik” zur Ver­fü­gung, die im Nor­den unter deut­schem Schutz für eini­ge Mona­te exis­tier­te. Cia­net­ti hoff­te wie vie­le Links­fa­schis­ten, mit dem „Pro­gramm von Vero­na” wie­der an das von 1919 anschlie­ßen zu kön­nen und das Pro­le­ta­ri­at zu gewin­nen. Die faschis­ti­sche Repu­blik als „Pro­duk­tiv­staat” plan­te tat­säch­lich die Über­nah­me von Groß­un­ter­neh­men in Arbei­ter­re­gie und ent­wi­ckel­te eine Agi­ta­ti­on, die den Krieg zum erwei­ter­ten Klas­sen­kampf zwi­schen den haves – den West­mäch­ten – und den have nots – Ita­li­en und Deutsch­land – stilisierte.

Bemer­kens­wer­ter Wei­se pfleg­te die faschis­ti­sche Lin­ke in den drei­ßi­ger Jah­ren Sym­pa­thie für das NS-Regime, als Mus­so­li­ni noch Distanz zu Deutsch­land hielt. Unter den Anhän­gern des „neu­en Faschis­mus” glaub­ten vie­le, daß  jen­seits der Alpen die Macht der Arbeit­ge­ber gebro­chen sei und bewun­der­ten die deut­sche Wohl­fahrts­po­li­tik. Dabei waren die ent­schie­de­nen Natio­nal-Sozia­lis­ten von Hit­ler längst aus der Par­tei gedrängt wor­den (Otto Stras­ser, Wal­ter Sten­nes, Ernst Röhm), und eine inner­par­tei­li­che Oppo­si­ti­on dul­de­te er anders als Mus­so­li­ni nicht. Nur wer zur Unter­ord­nung bereit war, konn­te blei­ben, etwa Joseph Goeb­bels, der ein­mal mit der KPD gelieb­äu­gelt und Hit­ler einen „klei­nen Bour­geois” geschimpft hat­te, sich aus Oppor­tu­nis­mus anpaß­te, aber den „tota­len Krieg” sofort als Mög­lich­keit begriff, sein brau­nes Jako­bi­ner­tum doch noch umzusetzen.

Die Vor­stel­lung vom Krieg als Revo­lu­ti­on hat­te schon die Faschis­ten der ers­ten Stun­de beschäf­tigt, sie spiel­te auch für die Inter­pre­ta­ti­on des Zwei­ten Welt­kriegs eine Rol­le. Als die deut­schen Trup­pen Brüs­sel besetz­ten, begrüß­te sie de Man mit den Wor­ten, daß ihnen gelun­gen sei, wor­an der bel­gi­sche Pro­le­ta­ri­er schei­ter­te: die Besei­ti­gung der bür­ger­li­chen Herr­schaft. Und Jac­ques Dori­ot, der­Füh­rer des faschis­ti­schen Par­ti Popu­lai­re Fran­çai­se (PPF),  erklär­te nach der Nie­der­la­ge Frank­reichs, die kom­men­de “Natio­na­le Revo­lu­ti­on”  müs­se die Revo­lu­ti­on von 1789 fort­set­zen und vollenden.
Es spiel­te bei de Man wie bei Dori­ot eine Rol­le, das sie ähn­lich vie­len Füh­rern des  ita­lie­ni­schen (Rober­to Fari­n­ac­ci, Ser­gio Panun­zio), fran­zö­si­schen (Geor­ges Valo­is, Mar­cel Déat, Pierre Laval), spa­ni­schen (Oné­si­mo Redon­do) und eng­li­schen Faschis­mus (Oswald Mos­ley) ursprüng­lich von der Lin­ken kamen und die­se Ver­gan­gen­heit nie ganz abstreif­ten. Im Prin­zip gilt der Befund auch für den deut­schen Fall (Otto Stras­ser, Roland Freis­ler, in gewis­sem Sinn Goeb­bels), und die neue­re For­schung hat über­zeu­gend nach­ge­wie­sen, daß selbst Hit­ler – ent­ge­gen sei­ner Fama und der Auf­fas­sung sei­ner Haupt­bio­gra­phen – nach dem Zusam­men­bruch des Kai­ser­reichs vor­über­ge­hend mit der Lin­ken sym­pa­thi­sier­te und im revo­lu­tio­nä­ren Mün­chen als Gefolgs­mann von USPD oder Mehr­heits­so­zi­al­de­mo­kra­tie galt.

Bezeich­nend ist schließ­lich, daß der mas­si­ve Anti­kom­mu­nis­mus der Faschis­ten oft mit einer ver­deck­ten Sym­pa­thie für das feind­li­che Sys­tem ein­her­ging. Selbst­ver­ständ­lich blieb nicht ver­bor­gen, wie sehr der “Sowjet­pa­trio­tis­mus” des “Gro­ßen Vater­län­di­schen Krie­ges” faschis­ti­schen oder eigent­lich natio­nal-sozia­lis­ti­schen Ent­wür­fen ähnel­te. Das erklärt zum Teil, war­um es nach dem Zusam­men­bruch der faschis­ti­schen Regime nicht nur zu oppor­tu­nis­ti­schen Anpas­sun­gen kam, son­dern auch zu ech­ten Bekeh­run­gen. Der Füh­rer der mar­gi­na­len “All­rus­si­schen Faschis­ti­schen Par­tei” etwa, Kon­stan­tin Rod­zew­ski, stell­te sich 1946 frei­wil­lig den sowje­ti­schen Behör­den und mein­te, er habe nun erst begrif­fen, daß Sta­lin die­sel­ben Zie­le ver­fol­ge wie er, daß Sta­li­nis­mus eigent­lich Faschis­mus sei. Genützt hat die Kon­ver­si­on nicht, Rod­zew­ski wur­de hingerichtet.

Glimpf­li­cher ging es für jene Reprä­sen­tan­ten des NS-Regimes ab, die sich in der Nach­kriegs­zeit der DDR zur Ver­fü­gung stell­ten. Das Spek­trum reich­te von Vin­cenz Mül­ler, Gene­ral der Wehr­macht und Rit­ter­kreuz-Trä­ger, der die „Kaser­nier­te Volks­po­li­zei” (KVP) auf­bau­te und zum stell­ver­tre­ten­den Innen­mi­nis­ter ernannt wur­de, über Sieg­fried Dall­mann, NS-Stu­den­ten­füh­rer in Thü­rin­gen, 1950 bis 1952 Finanz­mi­nis­ter des Lan­des Bran­den­burg, ab 1967 Prä­si­dent der „Natio­nal­de­mo­kra­ti­schen Par­tei Deutsch­lands” (NDPD), die man für die „Ehe­ma­li­gen” geschaf­fen hat­te, bis zu Karl Kurt Ham­pe, „Alter Kämp­fer”, Par­tei­chef von Gör­litz, spä­ter für die „Ent­ju­dung” der Pres­se in Sach­sen zustän­dig, dann Chef­re­dak­teur der Natio­nal-Zei­tung der NDPD. Die SED hat­te schon seit 1947 ver­sucht, die „klei­nen Nazis” mit dem Argu­ment zu gewin­nen, daß das, was der „Faschis­mus” an sozia­ler Gerech­tig­keit nicht habe errei­chen kön­nen, nun vom Kom­mu­nis­mus ver­wirk­licht wer­de; ihr pro­non­ciert natio­na­ler Kurs mag zu der Vor­stel­lung bei­getra­gen haben, hier wer­de nur mit ande­rem Wort­schatz, ande­rer Fah­nen- und Uni­form­far­be fort­ge­setzt, was 1933 begon­nen wur­de. Anfang der fünf­zi­ger Jah­re hat­ten von den 5833 SED-Funk­tio­nä­ren, die in den DDR-Minis­te­ri­en beschäf­tig waren, immer­hin 940 ein NSDAP-Par­tei­buch beses­sen. In ein­zel­nen Bezirks­ver­bän­den der Par­tei lag der Anteil der „Ehe­ma­li­gen” bei mehr als drei­ßig Prozent.

Ohne Zwei­fel war die deut­sche Situa­ti­on auf Grund der Spal­tung und der Block­kon­fron­ta­ti­on eine beson­de­re, aber der Blick auf Ita­li­en zeigt doch über­ra­schen­de Ähn­lich­kei­ten. Vor allem intel­lek­tu­el­le Links­fa­schis­ten schlos­sen sich nach dem Zusam­men­bruch dem Kom­mu­nis­mus an, von Gior­gio Streh­ler und Pao­lo Gras­si über Cur­zio Mala­par­te und Igna­zio Silo­ne bis zu Feli­ce Chilan­ti. Selbst­ver­ständ­lich haben Sta­li­nis­ten auf sol­che und ande­re Bekeh­run­gen nur hin­ge­wie­sen, wenn ihnen das tak­tisch klug erschien und immer her­vor­ge­ho­ben, daß davon der prin­zi­pi­el­le Unter­schied zum Faschis­mus unbe­rührt blei­be. Des­sen lin­ken Ursprung woll­te man ver­ges­sen machen. Das war in den Zei­ten des Kamp­fes anders gewe­sen. 1936, als das faschis­ti­sche Regime von Dau­er und der Anti­fa­schis­mus zur Ohn­macht ver­ur­teilt schien, hat­te das Zen­tral­ko­mi­tee des PCI einen Appell an die Faschis­ten ver­öf­fent­licht, in dem es unter ande­rem hieß: „Ita­lie­ni­sches Volk! Faschis­ten der alten Gar­de! Jung­fa­schis­ten! Die Kom­mu­nis­ten machen sich das faschis­ti­sche Pro­gramm von 1919 zu eigen, das ein Pro­gramm des Frie­dens, der Frei­heit, der Ver­tei­di­gung der Arbei­ter­inter­es­sen ist, und sagen euch: Kämp­fen wir zusam­men für die Ver­wirk­li­chung die­ses Programms.”

Die Abbil­dun­gen von oben nach unten: Bro­schü­re des ita­lie­ni­schen Kor­po­ra­ti­ons­mi­nis­te­ri­ums in deut­scher Spra­che, wahr­schein­lich 1940er Jah­re, abge­bil­det ist der “Hof”, auf dem Mus­so­li­ni auf­ge­wach­sen war; Auf­nah­men von Ver­an­stal­tun­gen Dori­ots, nach­dem er die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Frank­reichs ver­las­sen und einen gro­ßen Teil sei­ner pro­le­ta­ri­schen Anhän­ger im PPF gesam­melt hat­te; Kle­be­zet­tel der NSDAP von 1930.

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