Rote Handschuhe

von Claus Wolfschlag

Als ich letzte Woche in Rumänien weilte, fand sich auch die Zeit für ein persönliches Gespräch mit dem bekannten siebenbürgischen Schriftsteller Eginald Schlattner.

Schlatt­ners Wer­ke fin­det man in wohl jeder trans­syl­va­ni­schen Buch­hand­lung, eben­so in rumä­ni­schen Schul­bü­chern für den Deutsch­un­ter­richt. Er lebt nahe Hermannstadt/Sibiu als Pfar­rer einer fast auf­ge­lös­ten deutsch-evan­ge­li­schen Gemein­de in dem Dorf Rothberg/Rosia, das heu­te weit­ge­hend von Roma-Fami­li­en besie­delt ist.

Ich hat­te bei mei­nem Besuch Schlatt­ners auto­bio­gra­phisch ange­lehn­ten Roman „Rote Hand­schu­he“ im Gepäck, der das Grau­en der Häft­lin­ge in den Gefäng­nis­sen des kom­mu­nis­ti­schen Secu­ri­ta­te-Geheim­diens­tes beschreibt. Kositza und Kubit­schek hat­ten mir zu der Lek­tü­re gera­ten. Beson­ders das Zusam­men­spiel zwi­schen dem gefan­ge­nen Prot­ago­nis­ten und den ihn ver­hö­ren­den Geheim­dienst-Offi­zie­ren emp­fand ich dar­in einer­seits als erschüt­ternd und zugleich als sehr erhel­lend für das Ver­ständ­nis der Denk­struk­tu­ren in geschlos­se­nen, fak­tisch tota­li­tä­ren Sys­te­men. Und all das erin­ner­te mich natür­lich sofort an man­che heu­ti­gen Cha­rak­ter­bil­der, etwa jene von der „anti­fa­schis­ti­schen“ Indok­tri­na­ti­on in Schu­len und Medi­en geprägten.

Der Secu­ri­ta­te-Offi­zier stellt dem Häft­ling Fra­gen zu einer angeb­li­chen Ver­schwö­rung gegen das Regime, doch die Ant­wor­ten spie­len gar kei­ne Rol­le. Wür­de der Häft­ling alle „Verschwörungs“-Vorwürfe, die ihm zur Last gelegt wer­den, zuge­ben, wäre das die Bestä­ti­gung des para­no­iden Sys­tems. Strei­tet er alles ab, so ist das eben nur geschick­te Täu­schung und Tar­nung – und die Ver­hö­re müs­sen wei­ter­ge­hen. Gibt er Belang­lo­sig­kei­ten von sich, so wird in die­sen Wort­kru­men nach jenen Ele­men­ten gesucht, die die Ängs­te und Denk­struk­tu­ren des Anklä­gers stets nur bestätigen.

Das erin­nert mich an zahl­rei­che eige­ne Beob­ach­tun­gen. Als ein Bei­spiel sei nur eine Bege­ben­heit der frü­hen Jugend genannt, also der Zeit vom Ende der Schul­zeit bis zu den ers­ten Semes­tern des Stu­di­ums. Damals hat­te ich ein­mal Besuch vom Bekann­ten einer Bekann­ten. Es war einer jener ganz spe­zi­el­len Juso-Typen, mit denen ich damals öfters zu tun hat­te (es gab natür­lich auch ganz ande­re), und die zu ande­ren Zei­ten durch­aus das Zeug zum Secu­ri­ta­te-Offi­zier oder Sta­si-Spit­zel gehabt hätten.

Irgend­wie war ich ihm damals wohl als „kon­ser­va­tiv“ oder „rechts“ den­kend bekannt, viel­leicht weil ich mich nicht in Sta­mo­kap-Theo­rien ver­tieft hat­te, und folg­lich stö­ber­te er mit Jäger­mie­ne gewich­tig durch mein Jugend­zim­mer. Und stets wur­de er natür­lich auch fün­dig, stock­te dann bei etwas, von dem er eigent­lich par­tout kei­ne Ahnung hat­te, zeig­te dann etwa auf die „Edda“ im Bücher­re­gal, die ich von einer ver­stor­be­nen frü­he­ren Nach­ba­rin geerbt hat­te, und leg­te dann eine Sor­gen­mie­ne auf oder stell­te dumm-pro­vo­zie­ren­de Fragen.

Daß etwa im sel­ben Buch­re­gal auch „Lenin für Anfän­ger“ oder das „Kom­mu­nis­ti­sche Mani­fest“ zu fin­den war, inter­es­sier­te gar nicht. Es wur­de gesucht und gefun­den, was der Bestä­ti­gung der Suche dien­te. Es hät­te auch ein Kugel­schrei­ber, ein Wer­be­ge­schenk des ört­li­chen Geträn­ke­mark­tes, sein kön­nen, der zufäl­li­ger­wei­se die Farb­kom­bi­na­ti­on Schwarz-Rot-Gold oder gar Schwarz-Weiß-Rot auf­wies. Der Stö­be­rer fin­det stets und hat­te irgend­wann aus­rei­chend Stoff, um mit dem gewünsch­ten Ver­hör los­le­gen zu können.

Aus der his­to­ri­schen Fer­ne gele­sen, erschei­nen die Bege­ben­hei­ten in Schlatt­ners Roman in absur­dem Licht, weiß man doch um das drei Jahr­zehn­te spä­ter nahen­de Ende des Secu­ri­ta­te-Regimes. Auch wenn, wie im gesam­ten Ost­block, die Täter sel­ten bestraft wur­den und sich statt des­sen noch Pen­sio­nen oder lukra­ti­ve Pos­ten sicher­ten. Doch stellt sich die Situa­ti­on für Betrof­fe­ne ganz anders dar, wenn sie direkt in der Para­noia ihrer Zeit drin­ste­cken, wenn das Sys­tem-Ende noch nicht abseh­bar ist, statt des­sen eher das eige­ne Ver­schwin­den in den Müh­len der Repres­si­on sehr kon­kret erscheint.

Inter­es­sant an Schlatt­ners Sezie­rung des Kom­mu­nis­mus ist dabei, daß die Täter, sofern sie sich als Aus­füh­ren­de in bestimm­ten Struk­tu­ren befin­den, offen­bar von der größ­ten Angst ange­trie­ben wer­den. Sie sind zwar blind in ihrem Glau­ben an die Vor­se­hung, wis­sen aber zugleich um die Gefähr­lich­keit des Sys­tems. Auch und vor allem wer oben ist, kann aus nich­ti­gen Grün­den schnell abstür­zen und sich sel­ber als „Klas­sen­feind“ in einer klei­nen Zel­le wie­der­fin­den. Viel­leicht läßt sich auch das zum Teil auf eini­ge der heu­ti­gen grup­pen­dy­na­mi­schen Pro­zes­se, die im Zuge so man­cher „poli­ti­cal cor­rect­ness“ statt­fin­den, übertragen.

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