Sophie Scholl war keine Tanzmaus

pdf der Druckfassung aus Sezession 36 / Juni 2010

Es jährte sich 2010 zum 67. Mal der Tag, an dem Roland Freisler Hans und Sophie Scholl köpfen ließ. Während über Hans Scholl als Hauptverantwortlichem der »Weißen Rose« noch immer keine Biographie vorliegt, wurde das Leben seiner Schwester Sophie vielfach beleuchtet. Nun liegt die erste umfassende Beschreibung ihres Lebens vor.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Es ist Bar­ba­ra Beuys anzu­rech­nen, daß sie kein Schind­lu­der treibt mit Sophie Scholl. Ande­re haben ver­sucht, die Wider­ständ­le­rin als »Kom­mu­nis­tin « zu sti­li­sie­ren (weil sie Pro­vi­ant der ihr unter­stell­ten Mädel mit unter­schied­li­cher Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit ein­zu­sam­meln und pari­tä­tisch zu ver­tei­len pfleg­te); sie wur­de als flot­te Tanz­maus dar­ge­stellt, als Erz-Femi­nis­tin ohne­hin, und – von Sön­ke Zan­kel in sei­nen Büchern über die Scholls – als dro­gen­süch­ti­ge Anti­ju­da­is­tin. Das alles tut ihr Beuys nicht an. Ihre Sophie Scholl ist eine erlö­sungs­hung­ri­ge Gott­su­che­rin. Dut­zen­de Brie­fe und Tage­buch­ein­trä­ge bele­gen dies in der Tat.
Den­noch ist das dicke Werk, anders als man es von die­ser her­vor­ra­gen­den Bio­gra­phin gewohnt ist, nicht rund­um zufrie­den­stel­lend. Dabei tritt Beuys, die erst­mals den 2005 eröff­ne­ten Nach­laß der Scholl-Schwes­ter Inge (1917–1998) aus­wer­tet, den Scholls wirk­lich mit offe­nen Armen ent­ge­gen. Wie weit ihr Ver­ständ­nis geht, ist erstaun­lich. Inge, Hans und Sophie, die drei ältes­ten Scholl-Geschwis­ter mit bün­di­schem Hin­ter­grund, haben weit über die »Kampf­zeit« hin­aus die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Poli­tik mit­ge­tra­gen. Inge lob­te 1933 in ihrem Tage­buch, daß Hit­ler sämt­li­che Jugend­bün­de auf­lö­sen will: »Die HJ erstürmt ein Heim nach dem ande­ren. Das ist gut. Da wird Deutsch­land immer eini­ger.« Hans strei­tet zur glei­chen Zeit mit dem hit­ler­feind­li­chen Vater. Der – zehn Jah­re jün­ger als sei­ne streng­gläu­bi­ge Gat­tin, zudem Athe­ist mit außer­ehe­li­chem Kind, wie Beuys nach­spürt – hängt die »fei­ne Radie­rung« mit Hit­lers Por­trait über dem Bett des Soh­nes wie­der­holt ab, Hans hängt sie wie­der auf. 1937 tre­ten Hans und Sophie als ein­zi­ge unter den Kon­fir­man­den in der Ulmer Pau­lus­kir­che in brau­ner Uni­form vor den Altar: Beuys wer­tet dies bereits als Akt des Wider­stands – weil ande­re Par­tei­gän­ger sich ja von der Kir­che abge­wen­det hät­ten. Als Füh­rer ihrer HJGrup­pen tra­ten die Scholls extrem schnei­dig auf, Hans for­der­te toll­küh­ne Mut­pro­ben (etwa sich von Ast zu Ast aus den Wip­feln hoher Fich­ten her­ab­fal­len zu las­sen), Sophie ging noch win­ters in Söck­chen. Zeit­zeu­gen zähl­ten die blau­ge­fro­re­nen Bei­ne der stren­gen Füh­re­rin zu ihren Markenzeichen.
Die Bio­gra­phin unter­läßt nichts, um die treue Ein­ge­bun­den­heit der Scholl-Kin­der ins Sys­tem zu rela­ti­vie­ren. Heißt: sie in Bezie­hung zu set­zen; zur Stim­mung der Zeit, zum Tem­pe­ra­ment der Scholls, ja, zu deren Gläu­big­keit. »Gut und Böse lie­gen nicht säu­ber­lich getrennt vor unse­ren Augen«, schreibt Beuys, sie ver­weist immer wie­der auf sys­tem­op­por­tu­ne Par­al­le­len zu aner­kann­ten Wider­ständ­lern wie Stauf­fen­berg und selbst Hein­rich Böll. Sol­che Her­an­ge­hens­wei­se ist red­lich und lobenswert.
Und doch blei­ben Fra­gen offen, wäh­rend­des­sen breit aus teils kind­li­chen, teils kin­di­schen Brie­fen der jun­gen Sophie zitiert wird, die der Erwäh­nung nicht bedürf­ten. Wann und war­um genau die Scholls mit dem Sys­tem gebro­chen haben, bleibt unklar. Sophie besuch­te noch bis 1942 BDM-Aben­de! Ihre Brie­fe spre­chen von gene­rell emp­fun­de­nem Außen­sei­ter­tum, von Lie­bes­nö­ten (sie lehn­te kör­per­li­che Lie­be ab) und, zuneh­mend inten­si­ver, von ihrer Got­tes­su­che. Poli­tik kommt bis zum Schluß nur am Ran­de vor, und dann eher all­ge­mein, als Hoff­nung etwa, daß der Krieg bald ende. Zudem stö­ren Nach­läs­sig­kei­ten: Ein­mal ist das sechs­te Kind der Eltern Scholl mit drei Jah­ren ver­stor­ben, Hun­der­te Sei­ten vor­her wur­de es kein Jahr alt. Fritz Hart­na­gel, Jahr­gang 1917, sei acht Jah­re älter als sei­ne Freun­din Sophie – Jahr­gang 1921. Und wie kommt die Zahl von 4000 bei Katyn von den Sowjets getö­te­ten pol­ni­schen Offi­zie­ren zustan­de? Hans wur­de 1937 nicht nur wegen »bün­di­scher Umtrie­be « ver­haf­tet, son­dern auch wegen Ver­stoß gegen §175. Letz­te­rem wird von der Bio­gra­phin nicht nach­ge­gan­gen, obwohl Hin­wei­se auf eine spät­pu­ber­tä­re Lie­bes­be­zie­hung zwi­schen Hans (ähn­li­ches gilt für den jün­ge­ren Bru­der Wer­ner) und einem Kame­ra­den vor­lie­gen und sich Beuys den hete­ro­se­xu­el­len Freund­schaf­ten des spä­te­ren Frau­en­schwarms gründ­lich wid­met. Daß auf einen Fuß­no­ten­ap­pa­rat ver­zich­tet wird, mag der Les­bar­keit die­nen – häu­fig jedoch ist nicht erkenn­bar, ob es sich bei Aus­sa­gen der Autorin um Zita­te oder Aus­le­gun­gen handelt.
Auch die­sen Satz Sophie Scholls – ein hal­bes Jahr vor ihrem Tod – ver­dan­ken wir dem guten, aber eben nicht makel­lo­sen Buch: »Aber unse­re Kin­der wer­den sich viel­leicht unter­ein­an­der rüh­men: Ätsch, mein Vater war im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger, mei­ne Mut­ter hat im Gefäng­nis gesessen …«

(Bar­ba­ra Beuys: Sophie Scholl. Bio­gra­phie, Mün­chen: Han­ser 2010, 493 S. mit Abb., 24.90 €)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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