Klischees über Kirche und Kindesmißbrauch

Es gibt, frei nach Carl Schmitt, auch einen pro-katholischen Affekt. Jedenfalls stellt dieser sich bei mir als römisch-katholischem Agnostiker zuverlässig ein, ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… wenn das Kir­chen­bas­hing mal wie­der der­art en vogue ist und laut­stark auf­tritt, daß es ver­däch­tig wird. Seit Wochen wer­de ich auf der Start­sei­te mei­nes E‑Mail-Accounts (GMX) täg­lich mit Papst­bild­chen und Miß­brauchs­mel­dun­gen ver­sorgt (was ist bloß aus Paris Hil­ton gewor­den??), die einen Ton­fall pfle­gen, als hät­te man einen Mafia-Ring aus­ge­ho­ben oder als wür­de der Vati­kan kurz vor dem Zusam­men­bruch stehen.

Da der Gesprächs­stoff aus­zu­ge­hen droht, wur­de heu­te eine Mel­dung über Bischof Mixa nach­ge­scho­ben, der Heim­kin­der in Augs­burg geschla­gen haben soll, das Gan­ze ein­ge­bet­tet in den übli­chen Cele­bri­ty-Quark (“Ricky Mar­tin outet sich als schwul”,  “Mariah Careys Mega-Geschenk von Nick Can­non”) und Info­tain­ment-Fluff (“War­um Psy­cho­tests Spaß machen”).

Gott sei Dank, um es ein­mal zynisch zu sagen, hat sich inzwi­schen par­al­lel die Oden­wald-Affä­re rela­ti­vie­rend dazwi­schen­ge­schal­tet, und dem all­ge­mei­nen Bru­ha­ha der Kir­chen­ver­äch­ter einen Dämp­fer gege­ben. Hier (wie übri­gens auch in Fäl­len, in denen sich die Täter aus dem jüdi­schen Kle­rus rekru­tie­ren) wird aller­dings von den meis­ten Medi­en nicht so doll auf die Tube gedrückt wie im Fal­le der katho­li­schen Kir­che – was ver­ständ­lich ist, macht es doch mehr Spaß, das Feu­er auf einen kapi­ta­le­ren Bock zu eröffnen.

Der Papst, so her­un­ter­ge­kom­men er ver­gleichs­wei­se sein mag, ist eben immer noch der Papst, und in all den Atta­cken der letz­ten Wochen kann man leicht die­sen gewis­sen hämi­schen Unter­ton wahr­neh­men: eines Tages bekom­men wir dich doch noch. Man will sozu­sa­gen den Papst end­lich der Häre­sie über­füh­ren. Ein ähn­li­ches Schau­spiel konn­te man wäh­rend der Kam­pa­gne um den tra­di­tio­na­lis­ti­schen Bischof Wil­liam­son beob­ach­ten. Die hoch­ge­schau­kel­te Empö­rung über des­sen zivil­re­li­giö­se Blas­phe­mi­en wur­de als Keil benutzt, um die Kir­che als Insti­tu­ti­on selbst zum Wackeln zu brin­gen. Der­glei­chen läuft stets nach dem Mus­ter der Drey­fus-Affä­re ab: abge­se­hen davon ob der Ange­klag­te schul­dig oder unschul­dig ist, bleibt sei­ne Tat der Nagel, an dem die Streit­par­tei­en eine über­grei­fen­de Agen­da auf­zu­hän­gen und durch­zu­set­zen versuchen.

Doch der Papst­stuhl steht noch immer, trotz der immer fre­cher wer­den­den Anma­ßung von sei­ten diver­ser klein­ka­rier­ter, berufs­op­por­tu­nis­ti­scher Kanail­len. Die offen­sicht­li­che Lust, mit der sol­che Angrif­fe durch­ge­führt wer­den, strotzt deut­lich vor Res­sen­ti­ment, Neid und Scha­den­freu­de und ist zumin­dest ein untrüg­li­ches Zei­chen dafür, daß allein die Exis­tenz einer so “unde­mo­kra­ti­schen” Sache wie dem Papst­amt ein Ärger­nis bleibt. Und das ist alle­mal schon ein Grund, im Zwei­fels­fall die Par­tei der Kir­che zu ergrei­fen. Dies ganz unab­hän­gig davon, ob deren Miß­stän­de ihre Ursa­che in zuviel oder zuwe­nig Libe­ra­li­sie­rung haben.

Davon abge­se­hen, schei­nen die kir­chen­feind­li­chen Gemein­plät­ze,  die zur Zeit in aller Mun­de sind, wenig fak­ti­sche Grund­la­ge zu haben. Dazu führ­te Cice­ro ein Inter­view mit dem Kri­mi­nal­psy­cho­lo­gen Hans-Lud­wig Kröber:

KRÖBER: Man wird (…) rein sta­tis­tisch gese­hen eher vom Küs­sen schwan­ger, als vom Zöli­bat pädophil. (…)

CICERO: Laut einer Zäh­lung des SPIEGEL sind seit 1995 ins­ge­samt min­des­tens 94 Ver­dachts­fäl­le von Miß­brauch durch Kle­ri­ker und Lai­en bekannt gewor­den …

KRÖBER: Also, wenn Der Spie­gel mit 94 Tat­ver­däch­ti­gen in 15 Jah­ren kommt, dann ist das für jeman­den, der sich kri­mi­no­lo­gisch ein biß­chen aus­kennt, eine ver­blüf­fend gerin­ge Zahl. Das hie­ße, daß das aktu­el­le Risi­ko des sexu­el­len Miß­brauchs in Ein­rich­tun­gen der katho­li­schen Kir­che noch viel gerin­ger ist, als ich das zuerst ver­mu­tet hät­te. Im Jahr wer­den durch­schnitt­lich etwa 15.000 Fäl­le von Kin­des­miß­brauch poli­zei­lich gemel­det. Die Kir­che selbst hat etwa 600.000 Bediens­te­te, das sind rund 1, 8 Pro­zent der Bevöl­ke­rung. Und dar­un­ter 94 Fäl­le seit 1995, das ist im Kon­trast zu den alten Fäl­len eine dra­ma­ti­sche Ver­bes­se­rung der Situation.

Abge­se­hen davon fin­det weit mehr als die Hälf­te des sexu­el­len Miß­brauchs in Fami­li­en statt. Noch mehr gilt das für die Gewalt­ta­ten. In der Debat­te um die katho­li­sche Kir­che wur­de jetzt sexu­el­ler Miß­brauch und Prü­gel­päd­ago­gik, die es damals unstrei­tig an allen Schu­len gab, so oft ver­mischt, daß man das Gefühl hat­te, man will die Zah­len strecken.

CICERO: Um der Kir­che gegen den Kar­ren zu fahren? 

KRÖBER: Also, ich nei­ge sehr zu der The­se, die schon Man­fred Lütz in der FAZ ver­tre­ten hat: Daß die Leu­te sich ein holz­schnitt­ar­ti­ges Bild der Kir­che machen, auch wenn sie kaum je eine Kir­che von innen gese­hen haben, ein Bild, was sich ide­al als Papp­ka­me­rad und Prü­gel­kna­be eig­net, um die eige­ne Fort­schritt­lich­keit zu demonstrieren. (…)

CICERO: Sind sie sel­ber eigent­lich katholisch?

KRÖBER: Nein. Ich bin von Haus aus ein mili­tan­ter Luthe­ra­ner, aller­dings nicht gott­gläu­big. Wenn ich in einer katho­li­schen Mes­se bin, was sel­ten genug pas­siert, kommt mir das immer noch ein wenig wie Hokus­po­kus vor. Auf der ande­ren Sei­te haben mich mei­ne Auf­ent­hal­te als Exper­te im Vati­kan und in der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz schon sehr beein­druckt. Ich habe vie­le Ver­gleichs­mög­lich­kei­ten mit ande­ren Insti­tu­tio­nen, auch weil ich mich mit ande­ren Wis­sen­schaft­lern und For­schungs­grup­pen aus­tau­sche, und die Bischö­fe im Vati­kan, die sich mit die­sem The­ma beschäf­tig­ten, waren die klügs­te und auf­merk­sams­te Grup­pe, vor der ich zum The­ma sexu­el­ler Miß­brauch jemals gespro­chen habe.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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