Schreibtisch, Garten, Alltag (III): Wagner in Bayreuth, Wagner in Mannheim

Kam dem täglichen Schwund unter den Hühner-Küken auf die Schliche: Es ist ein Elstern-Duo, das die kleinen Hühner...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

anfliegt, eines von der Glu­cke trennt, ihm den Kopf mit weni­gen Schna­bel­hie­ben abhackt und sich danach krei­schend auf der nahen Pap­pel nie­der­läßt. Nichts wei­ter: kein Ver­zehr der Beu­te, nie zwei Küken an einem Tag; jeden­falls nahm die­ses Ritu­al heu­te mor­gen einen für die Els­tern ein­drück­lich ande­ren Verlauf.

War ver­gan­ge­ne Woche in der seit 1957 nur unwe­sent­lich ver­än­der­ten Mann­hei­mer Insze­nie­rung des “Par­si­fal” von Richard Wag­ner und will nach die­ser in jeder Hin­sicht dem Werk “die­nen­den” Auf­füh­rung ab sofort kei­nem Expe­ri­ment mehr bei­woh­nen. Der “Par­si­fal” Ste­fan Her­heims, den ich 2010 auf Ein­la­dung eines Lesers in Bay­reuth ver­fol­gen konn­te, erscheint “nach Mann­heim” erst recht als das, was er ist: eine die Musik erwür­gen­de, pha­sen­wei­se an einen MTV-Clip erin­nern­de, kei­ne nahe­lie­gen­de Anspie­lung und Pro­vo­ka­ti­on aus­las­sen­de Überladung.

Gründ­li­cher kann man die Absicht Wag­ners nicht zer­stö­ren: Die Ver­wand­lung von Raum, Zeit und Per­sön­lich­keit durch die Wei­ter­ga­be eines Auf­trags, eines Amtes, einer Wür­de ver­langt nach ruhi­gem Bild­wech­sel, nach Schlicht­heit und kla­rer Sym­bol­spra­che. In Bay­reuth wird aus Ent­wick­lung durch Her­heim seit 2008 chao­ti­sches Wuchern, in Mann­heim ist die Wand­lung des nai­ven Par­si­fal zum Erneue­rung des Grals­rit­ter­tums unmit­tel­bar ein­leuch­tend, und: War­um sich recht­fer­ti­gen dafür, daß etwas so bestehen bleibt, wie es für gül­tig befun­den wird, und zwar Jahr für Jahr wie­der an Kar­frei­tag und Fron­leich­nam von jeweils 1200 Zuschau­ern, die aus ganz Deutsch­land anrei­sen, um Wag­ners “Büh­nen­weih­fest­spiel” nicht zer­fetzt zu sehen?

Das ist über­haupt eine Beob­ach­tung, die man – her­un­ter­ge­dimmt – auch auf Mit­tel­al­ter­märk­ten machen kann: Dort, wo es um die Sub­stanz des Deut­schen geht, sind wir Deut­schen unter uns, und man weiß her­nach wie­der genau, wer man ist (ohne daß mans auf­drö­seln oder erklä­ren könn­te). So hat es mich auch nicht gewun­dert, daß mich in Mann­heim (wie vor zwei Mona­ten auch schon in Ber­lin, wo Har­ry Kup­fers “Tris­tan und Isol­de” wie­der in den Spiel­plan auf­ge­nom­men wur­de) Leser der Sezes­si­on anspra­chen. Es scheint Treff­punk­te zu geben, zu denen wir an Fäden ent­lang finden.

Wer in Mann­heim teil­ha­ben möch­te, muß sich früh um Kar­ten bemü­hen. Und wer wis­sen möch­te, wel­che Magie von einer Stab­über­ga­be aus­ge­hen kann, höre in die­ser Ein­spie­lung des Vor­spiels ab etwa 7.20 den Wech­sel von Holz­blä­sern zu Strei­chern, dann zu Hör­nern und zuletzt zu den Blech­blä­sern: Auf­trags­er­tei­lung – sanft, aber den­noch unmiß­ver­ständ­lich und auswegslos.

Wer weiß eigent­lich, daß der Lei­ter des Par­la­men­ta­ri­schen Bera­tungs­diens­tes der NPD im Säch­si­schen Land­tag, Karl Rich­ter, ein wirk­lich her­vor­ra­gen­des Buch über Wag­ner ver­faßt hat? Visio­nen. Werk, Welt­an­schau­ung, Deu­tung heißt es im Unter­ti­tel, man kann die Aus­ga­be von 1993 für wenig Geld gebraucht kau­fen.

Test

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

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Kommentare (13)

Trost

14. Juni 2012 23:49

Erst einmal Danke für den Tipp Mannheim.
Wenn ich etwas über die Aufführungen in Bayreuth höre, fällt mir als erstes die Aussage von Maria Furtwängler-Burda ein, die ja sagte "wenn man die Augen schloss war es ganz schön" (Gedächtnisprotokoll). Das denke ich fast es ganz gut zusammen.
Ich muss allerdings auch mal Darmstadt unter John Dew loben, bisher habe ich die Meistersinger und den Ring gesehen und beide waren sehr gut in der Aufführung.

Michael Paulwitz

15. Juni 2012 02:32

Das weckt Erinnerungen an all die Parsifal-Abende in der Münchner Staatsoper, Ende der 80er, Anfang der 90er, mit Rene Kollo als Parsifal und dem klugen und balsamischen Baß Kurt Molls als Gurnemanz (hier, nicht in München, mit Siegfried Jerusalem: https://www.youtube.com/watch?v=DwdYZWFrBBM). Außer bisweilen zu den Festspielen wurde der Parsifal nur dreimal im Jahr gegeben, Palmsonntag, Gründonnerstag, Ostersonntag; in manchem Jahr mußten's alle drei Vorstellungen sein. Die alte Münchner Inszenierung (vor 1995) hatte noch etwas von Neu-Bayreuther Bühnenbild-Entrümpelung; die Tuchsäulen, die sich von Bäumen im Gralswald zu Kathedralenpfeilern wandelten, ein Echo von Karajans Salzburger Lichtdom. Mythos will zeitlos inszeniert sein, ohne zwanghafte Aktualisierung und Firlefanz, sonst wird er vom Geschwätz verschüttet.

Michael Paulwitz

15. Juni 2012 02:35

Nachschrift: Die Empfehlung, Karl Richters Wagner-Buch von 1993 wieder zur Hand zu nehmen, kann ich uneingeschränkt unterstreichen.

Lilo Müller

15. Juni 2012 08:27

"Der neue Ring" in Mannheim ist in diesem Sinne Horror pur: verkrampfte besinnungslose "Dekonstruktion" von allem und jedem, Hitler muss natürlich auch vielfach geklont aufmarschieren. Liegt's daran, dass die Zuschauerzahlen sehr gering sind?

Ein Fremder aus Elea

15. Juni 2012 10:14

Habe bisher noch nicht Parsifal auf der Bühne gesehen. Einmal Tristan und Isolde in Hamburg, war enttäuschend. Und einmal den Ring in Kiel. War streckenweise exzellent, beispielsweise das Gespräch der Nornen zu Beginn der Götterdämmerung, auch der Trauermarsch war ordentlich, der Herzschlag als solcher erkennbar, wird sonst ja regelmäßig derartig gestreckt, daß es sich nach gar nichts mehr anhört, wohingegen das Waldweben im Siegfried zu mechanisch rüberkam. Ich glaube irgendein russischer Dirigent hat vor nicht allzu langer Zeit den Ring im Furtwängler Stil dirigiert, aber ich habe nur Ausschnitte davon gehört und kann mich auch an den Namen nicht mehr erinnern. Hat aber meinen Segen, besser imitieren als vermurksen.

Ich kann leider nicht behaupten, so etwas wie einen Lieblingsparsifal zu haben, soweit es die Musik betrifft, aber diese Aufführung finde ich musikalisch und inszenatorisch, soweit ich sie kenne, insbesondere die Wahl der Stimmen, doch sehr gelungen:

https://www.youtube.com/watch?v=DwdYZWFrBBM
https://www.youtube.com/watch?v=RX5f0ZYO7d8

Für mich steht übrigens weniger das Amt im Mittelpunkt von Parsifal als die gewandelte Gläubigkeit.

KUNDRY
(neigt langsam das Haupt; dann bringt
sie, rauh und abgebrochen, hervor)
Dienen... dienen!

GURNEMANZ:
(den Kopf schüttelnd)
Das wird dich wenig mühn!
Auf Botschaft sendet sich's nicht mehr;
Kräuter und Wurzeln
findet ein jeder sich selbst.
Wir lernten's im Walde vom Tier.

Einen Zustand, welchen Parsifal zementiert, indem er Kundry tauft. (Nun ja, was auch immer man davon hält, so hat Wagner den Parsifal aber wohl gemeint, nicht wahr?)

Etwas ausführlicher dazu:

https://bereitschaftsfront.blogspot.com/2011/03/parsifal.html

Christoph Mike Dietel

15. Juni 2012 11:40

Sehr geehrter Herr Kubitschek,

als Konsument Ihrer Schreibarbeit, versetze ich mich nicht ohne Neid in ihre Existenz als Rittergutsbesitzer und Bauer.....diese Naturnähe verschafft Erkenntisvorsprünge. Sie konnten also beobachten, daß Elstern tatsächlich humane Züge haben und offenbar nicht nur aus Hungersnot töten, sondern mit Lust morden. Täten sie das auch mit ihren Artgenossen, würde man ihnen Menschlichkeit und Menschenrechte kaum noch versagen können.....insoweit bleibt zu hoffen, daß Sie dem Federvieh nicht etwa mit Blei zu Leibe gerückt sein werden.

antwort kubitschek:
nein, mit einer holz-rätsche, mit der mir ein knatternder überfall gelang. die elstern haben das weite gesucht. ich werde den vorgang wiederholen.

Spengler

15. Juni 2012 14:22

Widerspruch
Sehr geehrter Herr Kubitschek,
ich habe die 2011 er Aufführung von Herheims Parsifal in Bayreuth ganz anders aufgenommen. Sein Panoptikum der deutschen Geschichte( ja es war manchmal platt) hatet einen interessanten Schluss, der zum Nachdenken provoziert. Auch die vielgerühmte bundesrepublikanische Grundordnung vergeht und ist nicht das Ende der Geschichte. Ich denke Herheim hat durchaus nichtlinks und nicht PC korrekt eine zaghafte Antwort zur ach so einseitigen Geschichtsklitterung der deuschen Medien gefunden. Ob das allerdings dem wagnerischen Erlösungsgedanken gerecht wird habe ich mich auch gefragt. Wer erlöst das deutsche Volk von seiner Blindheit und Taubheit?

Lars

15. Juni 2012 15:13

Vielen Dank für Tip! Buch ist bestellt und Mannheim werde ich mir merken. Alles Gute für Sie!

wutausliebe

15. Juni 2012 23:34

An Spengler (aber nicht nur):

"Wer erlöst das deutsche Volk von seiner Blindheit und Taubheit?"

Jeder einzelne von uns sollte dies tun!

Und wieder bleibt die Frage: wer tut es denn tatsächlich?
Wenn alle die sehen und hören können, in ihrem kleinen oder größeren direkten Umfeld aufklären, verstehen helfen, wachrütteln und mutig die Dinge beim Namen nennen... Herrschaften, dann sind wir bereits mitten drin in unserer Revolution!

Bitte, kritisieren Sie nun nicht mich und meinen Glauben an die Sache, gehen Sie alle, jeder für sich ihrer Wege und sprechen Sie aus was gesagt werden muß.

(Ich tue es jedenfalls auf Teufel komm raus, und der ist garantiert schon unterwegs... xD)

Meinen tiefempfundenen Dank jedem, der es wagt.

Honoré de la Canardière

17. Juni 2012 21:06

Herr Kubitschek, Sie sprechen mir aus der Seele.

Am Gründonnerstag 2009 hatte ich noch das Glück einen hochklassischen Parsifal in Wien zu erleben; Peter Schneider beherrschte in seinem vorletzten Jahr das Werk hervorragend.
Daß die hübsche und schlanke Angela Denoke (Kundry) dabei ihre Brust entblößte, störte mich – nicht nur als Mann, sondern auch als Ästheten – gar nicht, im Gegenteil.

Umso enttäuschter war ich dieses Jahr nicht nur von der „modernen“ Inszenierung, sondern auch von Christian Thielemann, der das Werk so schnell erledigte wie ein italienischer Dirigent (hatte er es an diesem Abend eilig?).

Auch zu erwähnen: Am Karfreitag 2011 sorgte Markus Stenz – ein Kraftpaket – für eine sehr gelungene Aufführung an der Oper Köln.

Alchemilla mollis

18. Juni 2012 13:39

Als klingenden Dank für Ihren Mannheim-Verweis, Herr Kubitschek, das Parsifal-Vorspiel unter Furtwängler, erklungen am 15.3.1938, für meine Ohren ein Traum, begleitet von Gemälden Hermann Hendrichs:
Teil I:
https://www.youtube.com/watch?v=GlIbqzSeIeE
Teil II:
https://www.youtube.com/watch?v=EIuewebfd_8&feature=relmfu

antwort kubitschek:
danke dafür. wiisen Sie, daß es derzeit bei zweitausendeins eine wagner-sammlung sämtlicher opern in istorischen aufnahmen gibt, die älteste von 1944? der preis von 32.99 euro ist absurd niedrig: https://www.zweitausendeins.de/richard-wagner-the-complete-opera-collection.html

Alchemilla mollis

18. Juni 2012 14:14

Danke auch für diesen Tip. Ich hab's soeben bestellt, hatte bisher nur die Einspielungen mit Birgit Nilsson/Wolfgang Windgassen gesammelt.
Was Sie übrigens über Ihr Elster-Problem berichteten, erinnert mich an Name und Symbol dieses irrsinnig logischen Steuerklärungssystems des Finanzamtes. Wer dem diesen Namen verpaßt hat, hatte jedenfalls Sinn für Humor.

Dirk

19. Juni 2012 15:57

Neben dem inszwischen legendären Mannheimer Parsifal
kann man das leider in seiner Existenz bedrohte
https://www.wagner-festival-wels.net/ empfehlen.
Inszenierungen aus dem Geist der Partitur und nicht
die Profilneurosen des neokonventionellen Regietheaters.
Desweiteren wird im November die letzte ansehenswerte
Wagner-Inszenierung in Wien wiederaufgenommen:
"Die Meistersinger von Nürnberg" in der Regie von
Otto Schenk, der auch persönlich die Wiederaufnahme
leitet. Als letztes sei noch auf die
www.wagner-gesellschaft.de verwiesen, die seit 35 Jahren
gegen den Regie-Irrsinn kämpft.

PS. Das Richter-Buch hat seinerzeit ein Skandälchen
ausgelöst, was für die Qualität des Werkes spricht

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