Mishima – Der letzte Samurai

Vor zwei Jahren erschien dieses Buch, aber ich habe es erst jetzt in die Hände bekommen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Trotz mei­ner lang­jäh­ri­gen Fas­zi­na­ti­on für Yukio Mishi­ma war mein Inter­es­se an dem Comic­band Der letz­te Samu­rai von Feder­i­co Goglio (Text) und Mas­si­mi­lia­no Lon­go, erschie­nen im Hydra-Ver­lag, bis dato nicht all­zu groß. Die Aus­zü­ge, die in Sezes­si­on 99 vor­ab­ge­druckt waren, gefie­len mir zwar recht gut, reiz­ten mich jedoch nicht zum Kauf.

Nach der Lek­tü­re ahne ich, was mich abhielt: Es war wohl ein inne­res Ver­haf­tet­sein an das Mishi­ma-Bild, das Paul Schr­a­der (Regie) und sein Bru­der Leo­nard (Dreh­buch) in dem Film Mishi­ma – A Life in Four Chap­ters aus dem Jahr 1985 gezeich­net haben, und das sich mir uner­schüt­ter­lich ein­ge­prägt hat, seit ich den Film als Sech­zehn­jäh­ri­ger zum ers­ten Mal im Fern­se­hen gese­hen habe.

Der Film ist so gut, daß es viel­leicht etwas unfair ist, ihn als Ver­gleich her­an­zu­zie­hen. Frei­lich hat auch er sei­ne Schwä­chen: Der Haupt­dar­stel­ler Ken Oga­ta hat phy­sisch und phy­sio­gno­misch kaum Ähn­lich­keit mit Mishi­ma, und das fällt beson­ders dann ins Gewicht, wenn er mit nack­tem Ober­kör­per gezeigt wird, der im Gegen­satz zu jenem des Vor­bilds nur mäßig trai­niert ist.

Vor­teil des Comics ist wie­der­um, daß er Mishi­ma optisch auf eine Wei­se zum Leben erweckt, die im Film so nicht mög­lich ist. Der wohl unver­meid­li­che Ein­fluß von A Life in Four Chap­ters macht sich indes an etli­chen Stel­len bemerk­bar: So haben Goglio und Lon­go sei­ne Rück­blen­den­struk­tur über­nom­men, die den schick­sals­haf­ten 25. Novem­ber 1970, den Tag von Mishi­mas thea­tra­lisch insze­nier­tem Selbst­mord durch Seppu­ku, an den Beginn, ans Ende und in die Mit­te der Erzäh­lung stellt, als eben jenen dra­ma­ti­schen Flucht­punkt, auf den das Leben des Dich­ters mit unheim­li­cher Kon­se­quenz zusteuert.

Eben­so augen­fäl­lig sind aller­dings auch die Unter­schie­de. Der Mishi­ma des Comics ist deut­lich anders akzen­tu­iert als der Mishi­ma des Films. Er erscheint ganz und gar als idea­li­sier­te rech­te Iko­ne. Das Schwer­ge­wicht liegt auf sei­ner poli­ti­schen Bot­schaft und sei­nem Trach­ten, die Idea­le des Bus­hi­dō auch in der moder­nen Welt zu erfüllen.

In Schr­a­d­ers Film ist Mishi­ma in ers­ter Linie der obses­si­ve Künst­ler und schil­lern­de Selbst­dar­stel­ler, getrie­ben von einer tie­fen Sehn­sucht nach Schön­heit, Voll­kom­men­heit und dem Tod. Sei­ne poli­ti­sche Ideo­lo­gie, eine Art roman­ti­scher, ultra-natio­na­lis­ti­scher Neo-Impe­ria­lis­mus und Kai­ser­kult, erscheint als Mas­ke tie­fer sit­zen­der Lei­den­schaf­ten, als Kos­tü­mie­rung für ein kom­pli­zier­tes Stück, in dem Kunst und Leben, “Feder und Schwert” durch einen gewalt­sa­men, frei­wil­li­gen Tod ver­schmel­zen sollen.

 

 

Die Stär­ke des Films besteht aller­dings dar­in, daß er sich trotz­dem jeg­li­chem Reduk­tio­nis­mus ver­wei­gert. Die Dop­pel­bö­dig­kei­ten und Wider­sprü­che Mishi­mas ver­meh­ren nur das Geheim­nis um sei­ne Per­son. Die Schr­a­d­ers nah­men ihn als Men­schen und Künst­ler ernst und setz­ten ihm gera­de dadurch ein Denk­mal – anders als etwa Kōji Wakamatsu in sei­nem Film 11:25 The Day He Cho­se His Own Fate (2012), der ihn eher zu ent­zau­bern, wenn nicht gar lächer­lich zu machen ver­such­te (die Beset­zung der Haupt­rol­le mit einem gänz­lich unmus­ku­lö­sen, char­me­lo­sen Schau­spie­ler, der Schwä­che, Ver­bis­sen­heit und Unsi­cher­heit aus­strahlt, scheint mit Absicht gesche­hen zu sein.)

Der letz­te Samu­rai ist bei­spiel­haft für ein Comic-Sub­gen­re, das bei den ita­lie­ni­schen Rech­ten sehr beliebt ist: Ähn­li­che Bän­de wie den vor­lie­gen­den gibt es über D’An­nun­zio und sein Fiume-Aben­teu­er, die Ver­tei­di­gung des Alka­zar oder Beni­to Mus­so­li­ni im Schüt­zen­gra­ben (eben­falls von Feder­i­co Goglio). Natür­lich dür­fen auch die Foi­be-Mas­sa­ker und die Unta­ten der Roten Bri­ga­den in den “anni di piom­bo” nicht fehlen.

Hier geht es vor­ran­gig um Heroi­sie­rung und Mythen­pfle­ge, um “roman­ti­schen Dün­ger” für das Gedei­hen einer spe­zi­fi­schen Sub­kul­tur. Der letz­te Samu­rai bil­det dies­be­züg­lich kei­ne Aus­nah­me, und das ist auch der Grund, war­um ich mit dem Ergeb­nis letzt­lich nicht ganz zufrie­den bin. Gogli­os und Lon­gos Mishi­ma erscheint mir all­zu gera­de gebo­gen, von Uneben­hei­ten und Schla­cken befreit, und dadurch “fla­cher”, weit­aus weni­ger inter­es­sant als das “Ori­gi­nal”. Dies wird beson­ders durch den Ver­gleich mit Schr­a­d­ers Film deut­lich (der gewiß sei­ner­seits ein Bild zeich­net, das auf ande­re Wei­se idea­li­sie­rend wirkt).

Mishi­mas beklem­men­de Kind­heit als schwäch­li­cher, sozi­al iso­lier­ter Jun­ge in der eff­emi­ni­sie­ren­den Gei­sel­haft sei­ner kränk­li­chen Groß­mutter wird eben­so aus­ge­spart wie sei­ne Scham über sei­ne phy­si­sche Unzu­läng­lich­keit als jun­ger Mann, die ihn um die Chan­ce brach­te, wäh­rend des Krie­ges einen ech­ten “Hel­den­tod” für den Kai­ser zu ster­ben (wäre dies gesche­hen, wür­de heu­te nie­mand sei­nen Namen kennen).

Ins­be­son­de­re in Mishi­mas frü­her Kind­heit mag man den Schlüs­sel zu sei­ner stark aus­ge­präg­ten Miso­gy­nie und “kopf­las­ti­gen” Ent­frem­dung von sei­nem Kör­per wie der mate­ri­el­len Welt über­haupt fin­den, die er spä­ter mit Body­buil­ding, Kara­te und Ken­dō zu über­win­den suchte.

Aus­ge­spart wird auch sein schon früh ent­wi­ckel­tes Ver­lan­gen nach “Tod und Nacht und Blut” und sei­ne teils sado­ma­so­chis­ti­sche, teils pla­to­nisch ver­klär­te Homo­se­xua­li­tät, die er in Foto­bän­den wie Ordeal by Roses oder Death of a Man auf ziem­lich unzwei­deu­ti­ge und mit­un­ter scho­ckie­ren­de Wei­se in Sze­ne setzte.

Die­ses zen­tra­le Antriebs­mo­ment in Mishi­mas Leben hat auch Schr­a­der nur andeu­tungs­wei­se und impli­zit dar­ge­stellt, was nichts­des­to­trotz zu einer Inter­ven­ti­on der Wit­we des Autors und zu einem Auf­füh­rungs­ver­bot sei­nes Films in Japan führte.

Als Kon­trast­pro­gramm zu dem gesäu­ber­ten Mishi­ma-Bild emp­feh­le ich die­sen pole­mi­schen Arti­kel von Andrew Joy­ce,  der Mishi­mas poli­ti­sche Akti­vi­tät gänz­lich auf sei­ne devi­an­te Sexua­li­tät zu redu­zie­ren und somit zu dis­kre­di­tie­ren ver­sucht (Gegen­po­si­tio­nen von anglo­pho­nen Rech­ten gibt es hier).

Ich tei­le Joy­ces Schluß­fol­ge­run­gen nicht, hal­te etli­che sei­ner Ein­wän­de jedoch für beden­kens­wert, um den ein­sei­ti­gen Mythos zu kor­ri­gie­ren, der sich auf der Rech­ten um Mishi­ma gebil­det hat. (Kei­ne Sexua­li­tät ist nur Sexua­li­tät, son­dern zielt auch immer, mal in gerin­ge­rem, mal in grö­ße­rem Maße, auf etwas Meta­phy­si­sches. Ins­be­son­de­re bei Künst­lern spielt das Patho­lo­gi­sche, nicht nur im sexu­el­len Bereich, eine bedeu­ten­de Rol­le als Quel­le oder Antriebs­fe­der der Schöpferkraft.)

Die Unsi­cher­heit über die tat­säch­li­che Sub­stanz des poli­ti­schen Ideo­lo­gen Mishi­ma mag auch damit zusam­men­hän­gen, daß die meis­ten sei­ner dies­be­züg­li­chen Essays bis­lang nicht über­setzt vor­la­gen. Eine Lücke, die inzwi­schen von die­ser Sub­stack-Sei­te gefüllt wird, die kon­ti­nu­ier­lich eng­li­sche Über­set­zun­gen von Tex­ten bringt, die außer­halb Japans so gut wie unbe­kannt sind. Sie schei­nen mir den im Grun­de apo­li­ti­schen Cha­rak­ter von Mishi­ma eher zu bestä­ti­gen; Poli­ti­sche Ideen, Mythen und japa­ni­sche Tra­di­tio­nen haben ihn offen­bar nur inso­fern inter­es­siert, als sie ihm die Mög­lich­keit boten, eine sehr per­sön­li­che, extre­mis­tisch-ästhe­ti­sche Visi­on zu verfolgen.

Des­halb hal­te ich Gogli­os Urteil für etwas fragwürdig:

Mit sei­ner letz­ten Tat lehr­te uns Mishi­ma, dass all das, was er an mate­ri­el­len Din­gen besaß – und wonach die Men­schen so ver­zwei­felt stre­ben – kei­ner­lei Bedeu­tung hat, wenn man es mit nur einem ein­zi­gen, ein­zig­ar­ti­gen und plötz­li­chen Akt vol­ler Hel­den­tum kon­fron­tiert, der im Namen eines wahr­haf­ten, frei­en und sou­ve­rä­nen Japans began­gen wird.

Die Dar­stel­lung von Mishi­mas Seppu­ku im Buch selbst scheint mir die­se Auf­fas­sung (unbe­wußt?) zu kon­ter­ka­rie­ren. Wie auch Schr­a­der par­al­le­li­sie­ren Goglio und Lon­go den rea­len Tod des Dich­ters mit dem Tod sei­nes Hel­den Isao aus dem Roman Unter dem Sturm­gott. Film und Comic schlie­ßen mit dem Zitat:

Genau in dem Augen­blick, in dem die Klin­ge sich in sein Fleisch bohr­te, stieg der rote Feu­er­ball der auf­ge­hen­den Son­ne hin­ter sei­nen Augen­li­dern empor.

A Life in Four Chap­ters endet mit einem Bild die­ser auf­ge­hen­den Son­ne, Der letz­te Samu­rai hin­ge­gen zeigt in fron­ta­ler Groß­auf­nah­me das iko­nen­ar­ti­ge Ant­litz Mishi­mas, umge­ben von einer son­nen­ar­ti­gen Aura. Sein Gesichts­aus­druck ist ent­spannt und ent­schlos­sen zugleich (wäh­rend er in Wahr­heit sei­ne letz­ten Atem­zü­ge in unvor­stell­ba­rer Ago­nie getan hat), aus sei­nem Mund tritt Blut. Ging es also tat­säch­lich nur um ihn selbst und den Auf­gang sei­ner eige­nen Son­ne der Selbst­tran­szen­denz, nicht etwa der Son­ne Nip­pons oder des Tenno?

Die­ses Aus­bü­geln der Fal­ten führt bei Goglio und Lon­go dazu, dem Cha­rak­ter Mishi­ma wie auch sei­ner fina­len, schier unglaub­li­chen Tat wesent­li­ches an inne­rer und äuße­rer Span­nung zu rau­ben. Im Kon­trast hier­zu ist die Anspan­nung in Schr­a­d­ers Film am Tage des “Put­sches” nahe­zu uner­träg­lich: In etli­chen ris­kan­ten Momen­ten läuft der Plan Mishi­mas und sei­ner Getreu­en in Gefahr zu schei­tern, wodurch er einer ewi­gen Lächer­lich­keit preis­ge­ge­ben und sei­nem Lebens­werk der so lan­ge erträum­te Höhe­punkt schmäh­lich ver­sagt geblie­ben wäre.

Die­se Span­nung zieht sich im Film bis zum ent­schei­den­den Moment, in dem ein schweiß­glän­zen­der Mori­ta mit zitt­ri­gen Hän­den das anti­ke Schwert hält, das in weni­gen Sekun­den den Kopf sei­nes Sen­s­ei abtren­nen soll. (Und tat­säch­lich hat er, was der Film nicht zeigt, die­ses Ziel zwei­mal ver­fehlt, sodaß ein ande­rer Schild­wäch­ter ein­sprin­gen mußte.)

 

 

Beson­ders bezeich­nend für Gogli­os und Lon­gos Absich­ten scheint mir ihre Dar­stel­lung von Mishi­mas letz­ter Rede auf einer Balus­tra­de der Ichi­ga­ya-Kaser­ne zu sein. In der Rea­li­tät wur­de sie von Hub­schrau­ber­lärm und dem Sire­nen­heu­len von Blau­licht­fahr­zeu­gen über­tönt, ging unter im Gejoh­le der Sol­da­ten, die zwangs­wei­se ver­sam­melt wur­den, um sich Mishi­mas quichotte’schen Auf­ruf zu einer mili­tä­ri­schen Erhe­bung für das Japan “der Geschich­te und der Tra­di­tio­nen” anzuhören.

Schr­a­der zeigt dies als einen demü­ti­gen­den Strich durch Mishi­mas Rech­nung. Wäh­rend ihm die Kon­trol­le über sei­ne Insze­nie­rung ent­glei­tet, ringt er um Fas­sung, schreit sich wild ges­ti­ku­lie­rend ver­geb­lich die See­le aus dem Leib. Wie die damals Anwe­sen­den, bekom­men wir nur Bruch­stü­cke der Rede zu hören, wäh­rend sich die Kame­ra gleich­sam von der häß­li­chen, pein­li­chen Rea­li­tät ent­fernt und in den Him­mel flüch­tet, wo sie in einer Rück­blen­de einen eksta­ti­schen Mishi­ma zeigt, der in einem Flug­zeug ein Wol­ken­meer über­quert (die gesam­te Schluß­se­quenz des Films kann man hier sehen).

Goglio und Lon­go hin­ge­gen las­sen ihren Mishi­ma sei­ne Rede, die aus­führ­lich zitiert wird, in aller Ruhe hal­ten, bevor nach drei Sei­ten die Sol­da­ten end­lich zu schimp­fen und zu rebel­lie­ren begin­nen. So haben die Autoren ihrem Hel­den im Comic gege­ben, was ihm in Wirk­lich­keit miß­lang oder zumin­dest eine weit­aus heik­le­re Grat­wan­de­rung war.

Ich hal­te das für einen kolos­sa­len Irr­tum. Der Inhalt der Rede, den man in zwei Sät­zen zusam­men­fas­sen könn­te, ist völ­lig unin­ter­es­sant, wenn nicht irrele­vant. Sie hat­te wohl vor allem eine dra­ma­tur­gi­sche Funk­ti­on. Die ableh­nen­de Reak­ti­on der Sol­da­ten war mit Sicher­heit von Mishi­ma ein­kal­ku­liert. Wären sie wun­der­sa­mer­wei­se sei­nem Auf­ruf gefolgt, hät­te er kei­nen Anlaß mehr gehabt, Seppu­ku zu begehen.

Im Comic ver­stei­nert sein Gesicht ange­sichts der Buh-Rufe, gefriert in einen Aus­druck der Ent­täu­schung und kal­ten Ver­ach­tung. Er wen­det sich ab, spricht nun mehr zu sich selbst als zu der Menge:

Nein… ihr wer­det euch nicht mit mir erhe­ben. Ich habe fest dar­an geglaubt, dass in den Jie­tai Japans letz­te Hoff­nung liegt, die letz­te Fes­tung des nip­pon­schen Geistes.

Das läßt sich schwer­lich anders deu­ten als Thea­ter­spiel. Ähn­lich auch der Satz, mit dem der fünf­te Teil des Buches abschließt. “Was haben Sie vor? Es reicht? Auf­hö­ren, auf­hö­ren!”, beschwört ihn der gefan­gen­ge­nom­me­ne Gene­ral Mas­hi­ta. Mishi­ma ant­wor­tet mit ruhi­gem, hoch­mü­ti­gem Gesichts­aus­druck: “Ich muß es tun. Es ist mei­ne Pflicht.”

Hier las­sen die Autoren ihre Geschich­te “offi­zi­ell” enden, indem sie den eigent­li­chen Akt des Seppu­ku in einen vier­sei­ti­gen “Epi­log” packen (eine unnö­tig prä­ten­tiö­se Ent­schei­dung). Dadurch wird der Akt der Selbst­tö­tung bei­na­he zu einer Neben­sa­che gemacht.

Auch das hal­te ich für einen schwe­ren Irr­tum, nicht zuletzt ange­sichts der über­aus detail­lier­ten Dar­stel­lun­gen des Hara­ki­ri sowohl in der Novel­le “Patrio­tis­mus” (Yuko­ku) als auch in ihrer Film­ver­si­on aus dem Jahr 1965, in der Mishi­ma selbst die Haupt­rol­le unter eige­ner Regie spiel­te. Die grau­si­ge Rea­li­tät des Seppu­ku scheint mir nicht uner­heb­lich zu sein, um zu begrei­fen, was sich Mishi­ma unter einer “heroi­schen Schön­heit” tat­säch­lich kon­kret vorstellte.

Die­se Ent­schei­dung der Autoren fügt sich fol­ge­rich­tig in das Mus­ter einer “berei­nig­ten”, wenn nicht gar ent­keim­ten Iko­ni­sie­rung Mishi­mas, die einer­seits sei­ner Eigen­sti­li­sie­rung all­zu sehr auf den Leim geht, ande­rer­seits aber doch um eini­ges “glat­ter” ist, als das wesent­lich kom­ple­xe­re und abgrün­di­ge­re Bild, das er selbst der Öffent­lich­keit auf oft exhi­bi­tio­nis­ti­sche Wei­se dar­bot, in sei­nen Wer­ken eben­so wie in sei­nem exzen­trisch schil­lern­den Leben.

Trotz all die­ser Kri­tik­punk­te emp­feh­le ich die­sen Band allen, die an Mishi­ma inter­es­siert sind, allein wegen der über­aus schö­nen und ele­gant-schwung­vol­len schwarz­wei­ßen Zeich­nun­gen. Lesens­wert sind auch die schwär­me­ri­schen, aber mate­ri­al­rei­chen Bonus-Essays von Feder­i­co Goglio, die ein viel­schich­ti­ge­res Bild Mishi­mas zeich­nen als sein eige­nes Comic-Drehbuch.

Feder­i­co Goglio/ Mas­si­mi­lia­no Lon­go: Yukio Mishi­ma – Der letz­te Samu­rai, Hydra Comics 2021, gebun­den, 212 Sei­ten, 30 Euro, hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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Kommentare (13)

ede

2. Mai 2023 22:20

Nur eine kleine Anmerkung zum apollinischen idealen Körperbild des Protagonisten, hier wohl nur leicht überzogen dargestellt:
https://m.imdb.com/name/nm0592758/
Breite Schultern, schmale Hüften ist aber Hollywood und gerade nicht Samurai. Die asiatischen Kampfsportarten ziehen ihre Wirkung alle aus tiefen Schwerpunkt und Rumpfmuskulatur (und Technik natürlich). Sieht etwas bauchig aus. 

RMH

2. Mai 2023 22:28

Paul Schraders Film ist m.M.n. wirklich sehenswert. Die Lektüre Mishimas Werke sollte aber hinter seinem finalen Kunstwerk nicht zurückbleiben (Feder und Schwert, Rilke lässt grüßen). Leider kann ich - mangels Sprachkenntnisse - überhaupt nicht beurteilen, ob die Übersetzungen Mishima gerecht wurden/werden. Ich kann mich noch gut an die Lektüre des Bandes "Gesammelte Erählungen", erschienen im Rowohlt Verlag, erinnern. Sie erzeugten bei mir eine ähnliche Stimmung, wie der Schrader Film.
Auf Mishima bin ich über den Umweg meines kleinen "Death in June" Fimmels gekommen, den ich Anfang der 90er Jahre entwickelte und der sich mittlerweile gelegt hat (wer im Sezessions-Umfeld hatte den Ende der 80er bis in 90er hinein eigentlich nicht?).  Damals gab es Mishima ab 1.- Mark in der "Verschiedenes"- Ecke im Antiquariat. Jetzt ist vieles gar nicht mehr erhältlich und auch die Antiquariate verlangen deutlich mehr.

ML: In der Tat, die Taschenbücher der Tetralogie "Meer der Fruchtbarkeit" zB findet man, wenn überhaupt, nur mehr zu Preisen von 30-40 Euro aufwärts... hab die alle in den frühen 2000ern in Berlin um ein paar Euro zusammengekauft.

MarkusMagnus

3. Mai 2023 06:55

@ ede
Beim Karate ist eigentlich fast jede Technik tödlich. Es ist die Kunst mit einem Schlag zu töten.
In heutigen Karateschulen wird sowas natürlich nicht mehr gelernt. Im Prinzip gehen alle Techniken von Karate (Aus China übernommen) auf die Vitalpunkte. Kehlkopf, Schläfe, Genitalien, Solarplexus...
Jede Abwehr kann auch als Angriffschlag verwendet werden. 
Als ich in Kassel 2001 beim KWEA zur Musterung angetreten bin meinte die Ärztin (russischer Akzent) : Sie sind aber gut in Form. Betreiben Sie Karate. 
Ich: Ja
Sie: Das sieht man. Es gibt nichts Besseres.
Laut Wikipedia ist das früher wohl auch japanischen Ärzten aufgefallen die Musterungen durchgeführt haben. Diese Rekruten waren topfit.
Auch für das Selbstbewusstsein. Wenn man weiss das man jeden Typ mit einem Schlag umbringen könnte, macht das was mit einem.
Und bei den Japanern kommt die Kraft und der Geist auch aus dem Bauch.
Früher haben so Leute wie Haldenwang und seine Handlanger sowas selbst noch beherrscht.
Ich sage nur "Die Geheimpolizei der Adlerklaue". 
 
 

RMH

3. Mai 2023 07:50

"Wenn man weiss das man jeden Typ mit einem Schlag umbringen könnte, macht das was mit einem."
Ja, ganz deutlich erkennbar macht das was mit einem ....man redet bspw. am Thema vorbei. Das kann nur noch durch Ansehen des Films von Schrader, Anhören der Platte "The World, that Summer" von D.i.J. und mindestens der Lektüre der Erzählung "Tod im Hochsommer" flankiert von "Patriotismus" (zzgl. ansehens des gleichnamigen Films - hier sieht man M. in der Rolle des Lieutenant Shinji) evtl. kurriert werden.

Hesperiolus

3. Mai 2023 20:14

Zu Mishima auch sein Essay 文化防衛論, dessen deutsche Übertragung im Rahmen einer Dissertationsschrift 2014 bei De Gruyter (leider wie üblich hochpreisig) publiziert wurde. Es gibt im Französischen und Englischen günstigere Ausgaben; bei allem Vorbehalt auch einen längeren deutschen Wikipedia Artikel dazu. Maurice Pinguets „Über den Freitod in Japan“ mit dem Konzept der japanischen Immanenz wäre hier anzuschließen, gewisse Einsichten bei Kojève, Löwith und Kerr ebenso. Überhaupt bieten das kokutai und nihonjinron-Denken wichtige Anregungen für eine ethnoplurale Stereoskopie. Geopolitisch Umesao Tadao, den man in offener Gegenspannung zu Gumilijow rezipieren müsste, oder von Heidegger her mit dem ethno-klimatologischen aidagara-Begriff bei Watsuji Tetsuro das „Hinausstehen-ins-Klima“. - Weil der geschätzte Autor vorgängig kommentierend den dystopischen Linkola nannte, ein in japonicis schönerer Hinweis auf Kurosawas 水車のある村. 

ML: Das kommt ein bißchen protzig rüber.

Hesperiolus

3. Mai 2023 21:33

@ ede
„bauchig“ - Da ich hier recht nebenbei und freihändig kommentiere und zuweilen im Anschluss daran zu dem dazu im Netz omnibus Vorhandenen „nachgoogele“, bin ich auf einen Text von Josef Amrein gestossen, der zu dieser Bauchbeobachtung passt: „Europäer, welche gerne schnell und schmerzlos sterben, können einer derart harten und in die Länge gezogenen Suizidmethode nicht viel abgewinnen. Dem Japaner hingegen verhalf das masochistische Erleiden grösster körperlicher Qualen zur «moralischen Apotheose». Der Bauch (hara) galt moralisch-anatomisch als Sitz des Lebens und des Willens. Bauch und Gesicht verhalten sich zueinander wie Sein und Schein: Das Gesicht beziehungsweise der Mund können lügen, der Bauch ist der Sitz der Wahrheit und der handelnden Kraft

ede

3. Mai 2023 23:41

@Hesperiolus 21:33:
Ja, da haben Sie eine typische lyrische Beschreibung des "Hara" gefunden. Das Wort wird auch unentwegt weltweit im Karatetraining als Bezeichnung für den korrekten Ausgangspunkt einer Bewegung /Technik genutzt. 
Allerdings "begreift" erstaunlicherweise nur eine verschwindende Minderheit, das es sich dabei nicht um fernöstliche Mystik, sondern um den Kern der Karatetechniken geht - neben Atmung und Spannung/Entspannung (halbwegs gute Boxer haben das im Blut). Nebenbei der Hauptgrund warum das nix für Kinder ist. 
Um aufs Thema zurück zu kommen, ich weiß nichts von Mishima, Lichtmesz hat Gründe sich mit ihm zu befassen. Die öffentliche Inszenierung seiner eigenen Selbsttötung zur Würdigung oder zum Erwecken verloren geglaubter Werte ist so alltäglich ja nicht - und mindestens bedenkenswert. 
Mich haben ja nur die Bilder irritiert. 
 

FraAimerich

4. Mai 2023 08:30

@ Hesperiolus
 
[敬礼] Finde das immer interessant, wenn einer in wenigen Zeilen so kundig und anregend "protzen" kann. - Danke!

ML: Snobs unter sich!

Hesperiolus

5. Mai 2023 00:15

@ Fra Aimerich,
danke für Ihren Zuspruch, für mich bedeutsamen, da ich SiN und kommentierendes Sympathisat durchweg (von geschwätzigen Anekdoten über initialen GV abgesehen) schätze, ML aber besonders; mag sein, daß meine Beiträge, wortsinnlich nur bei-tragendes, hinwerfendes, weniger kundiges als anregendes, worum es allerdings mir geht, - aus persönlichem Defekt pretentiös erscheinen. Kojève übrigens wird mit einer Bemerkung kolportiert: „Japan,das sind 24 Millionen Snobs“ - Und noch schöner: „Neben dem japanischen Volk ist die englische High Society ein Sammelsurium von betrunkenen Seeleuten“. -  Wunderbar, nicht wahr? So ist es. - Als also ebenso japanophilem wie anglophobem Leser mochte ich mich hier der Wortmeldung nicht enthalten. Sollte aus vollem Hausrecht zurechtweisender Verfasser, an dessen Text eine, z.B. meine als unzulängliche, kommentierende Anheftung ja nur parasitiert, hier einen Mißklang finden, tut es mir in dem Fall wirklich leid. Aufrichtig wohlmeinenden Gruß an beide! - Letztlich gehört das alles ja auch nicht in eine Kommentarspalte, Und ich lese begeistert weiter.

ML: Bitte nicht mißverstehen: Ich freue mich über sachkundige Kommentare, es wäre halt hilfreich, leserfreundlich und nicht zuletzt in weitaus größerem Maße anregend, wenn sich diese nicht auf hingeworfene esoterische Andeutungen und Namedropping für Fortgeschrittene beschränken würden. zB die japanischen Titel unübersetzt lassen, grenzt fast schon an Schikane, o Sensei!

Franz Bettinger

5. Mai 2023 01:21

文化防衛論 Frage mich immer, wenn ich japanische (oder chinesische) Hieroglyphen sehe (lesen kann ich's nicht), wie praktisch diese Schriftzeichen wohl sind, für deren Niederschrieben man sicher 5-9 mal länger braucht als bei Benutzung des lateinischen Alphabets. Rätselhaft, dass ein so fortgeschrittenes Volk wie das der Japaner so eine Schrift kultivieren kann. Die bräuchten einen Atatürk. 

RMH

5. Mai 2023 10:40

"Wir sprechen noch Deutsch, aber schreiben nicht mehr Deutsch, sondern lateinisch."
Es gibt keine genuin deutsche Schrift. Germanisch würden wir schreiben, wenn wir Runen verwenden würden. Das, was Sie als "deutsche Schrift" verkaufen wollen, ist nur eine Schriftart, eine Variante des Lateinischen, da es das gleiche Alphabet und im wesentlichen (Ausnahmen bestätigen die Regel) die gleichen Buchstabengrundformen benutzt. Daher kann auch wirklich jeder recht schnell Gedrucktes in der Schriftart "deutsch" (oder Fraktur oder was auch immer es für Namen bekommen hat) lesen. Anders schaut es bei der geschriebenen Schrift aus, die früheren Kurrentschriften sind für uns heutige oft nur schwer lesbar. 

dojon86

5. Mai 2023 12:27

@Franz Bettinger und andere. Ein Vorteil der Schriftsysteme der Chinesen und Japaner ist, dass ein Kind, welches in jungen Jahren in dieser Schrift trainiert wird, bezüglich seiner graphischen Merkfähigkeit den meisten westlich erzogenen Kindern überlegen sein wird. Das ist gerade in einem Erziehungssystem, welches vor allem die korrekte Wiedergabe von Textinhalten belohnt, von unschätzbarem Vorteil. Jede Westküsten Universität der Vereinigten Staaten kann das bestätigen. Man schafft es dort nur mit manipulatorischen Tricks eine Dominanz der Ostasiaten zu verhindern um doch noch genügend Schwarze vor allem über die Schienen Sport und Musik in das System zu bekommen.

Hesperiolus

5. Mai 2023 15:14

In der Aprilausgabe der Sezession (Nr. 13) geht Preusse (Die afrikanische Misere) kurz auf die Entwicklungsbedeutung der in Schwarzafrika weitgehend ausgebliebenen Schriftlichkeit ein. In der dort angeführten Studie von Lynn / Vanhanen (ib., S. 35) stehen die Ostasiaten obenan. Darunter sind aber genauso die Koreaner, von denen erstaunlich viele nur recht wenige hanja (chinesische Schriftzeichen) kennen, deren eigene Buchstabenschrift bzw. phonographische Silbenschrift, das geniale Hangul - Alphabet, aber anders als Katagana und Hiragana in wenigen Minuten zu erlernen ist. In heute geringerem, neuerdings wieder zunehmendem Ausmaß gibt es allerdings eine vergleichbare Mischschrift (kukhanmun). Anschließend an vieles was über die kulturkonservative Bedeutung der Schriftzeichen bemerkt worden ist, erscheinen sie selbst als eine unaufgebbare Verteidigungslinie dieser Kultur.