Wilfried Grießer: Flucht und Schuld. zur Architektonik und Tiefenstruktur der »Willkommenskultur«

Wilfried Grießer: Flucht und Schuld. Zur Architektonik und Tiefenstruktur der »Willkommenskultur«, Graz: Ares 2017, 159 S., 16.95 €

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

Was kommt dabei her­aus, wenn ein Autor über die Migra­ti­ons­kri­se schreibt, der sowohl over­se­xed als auch Hege­lia­ner ist? Ein ver­rück­tes, kom­pli­zier­tes, über­stei­ger­tes, wider­sprüch­li­ches Buch, ein inter­es­san­tes Buch.

Grie­ßer, Jahr­gang 1973, FPÖ-Man­da­tar in Möd­ling, nähert sich als Phi­lo­soph der gegen­wär­ti­gen Situa­ti­on und muß fest­stel­len: Nicht mehr ein prä- bezie­hungs­wei­se krypto­fa­schis­to­ider »Geist«, son­dern die Men­schen­rech­te gel­ten heu­te als die unhin­ter­geh­ba­re Basis auch für alles Philosophieren.

Dar­aus folgt, daß »der Mensch«, oder in der ver­zück­ten For­mu­lie­rung links­grü­ner Poli­ti­ker: »Es sind Men­schen!«, alles ist – und, jetzt kommt Hegels Dia­lek­tik: damit auch nichts mehr ist. Jeder Begriff wird leer, setzt man ihn abso­lut und macht das Gegen­teil undenk­bar. Die »Es-sind-Menschen«-Erlösungstheologie im Deutsch­land nach 2015 zu erken­nen, ist eine Stär­ke des Buches.

Grie­ßer gelingt es, durch Auf­drö­seln der Dop­pel­sei­tig­keit aller in der »Will­kom­mens­kul­tur« tot­ge­rit­te­nen Begrif­fe ihre inne­re Dia­lek­tik zu zei­gen: Die »Flucht« als das gro­ße mora­li­sche The­ma ist eine Flucht der Deut­schen vor sich selbst. Flucht und Schuld oszil­liert zwi­schen ganz kon­kre­ter Lage­be­schrei­bung und Begriffs­ana­ly­se sowie hoch­ge­schraub­ter bis manch­mal hoch­not­pein­li­cher Theo­lo­gie der »Schuld«, der »Frau«, der »Sohn­schaft«, der »Erlö­sung« und der »Scham«.

Dia­lek­tik als Denk­an­satz hat dabei den Vor­teil, daß man sie immer noch einen Zacken höher­schrau­ben kann, und das tut der Autor mit Freu­den. Stre­cken­wei­se gerät er damit in Teu­fels Küche der heil­lo­sen Über­trei­bung, bis­wei­len zeigt aber genau die­se Über­trei­bung (dia­lek­tisch!), wie absurd die geis­ti­ge Lage ist. Zwei Bei­spie­le: Es ist mit die­sem wil­den Den­ken mög­lich, Rolf Peter Sie­fer­les The­se einer Syn­the­se zuzu­füh­ren: »Der Flücht­ling, der kein Zuhau­se mehr hat, der hei­mat­los ist, beerbt den ›hei­mat­lo­sen Juden‹ und ist Pro­jek­ti­ons­flä­che für das eige­ne Unter­wegs-Sein. In der Figur des Flücht­lings wird es mög­lich, sich zugleich mit dem Juden zusam­men­zu­schlie­ßen und mit der all­ge­mei­nen Schuld des Men­schen (theo­lo­gisch gespro­chen: der Erb­sün­de) die his­to­ri­sche Schuld zu til­gen.« Doch bekannt­lich bleibt die his­to­ri­sche Dia­lek­tik ja bei Syn­the­sen nie­mals stehen.

Die Deut­schen, und mit ihnen halb Euro­pa, sind selbst auf der Flucht: auf der Flucht vor der eige­nen Täter­schaft. Und solan­ge die­ser tief ver­wur­zel­te Kom­plex nicht gelöst ist, wird Deutsch­land ver­su­chen, immer mehr »Gutes zu tun«, und sich um so mehr selbst ver­leug­nen. »Wir« sind damit aber die »neu­en Juden«, ohne dies direkt aus­spre­chen zu müs­sen. Das »aus­er­wähl­te Volk« zu sein, kann das deut­sche Volk auf die­se Wei­se stän­dig erneu­ern. Das gibt Selbst­ver­trau­en: Wir schaf­fen das!

Ange­la Mer­kel wird für Grie­ßer in die­ser extre­men Abs­trak­ti­on »die Frau schlecht­hin«, zu der alle Welt strömt, in die alle Welt sich ergießt, die »deut­sche Mut­ter«, die Mil­lio­nen von Män­nern anlockt. An so einer Text­stel­le wird einem als Leser mul­mig bis schwind­lig: Sexu­ell graust es einen, meta­phy­sisch schau­dert es einen, ver­nünf­ti­ger­wei­se wird einem schwind­lig, das ist näm­lich Unsinn.

Merk­wür­dig ist die Selbst­ver­or­tung des Autors: Er fin­det näm­lich kei­nes­wegs, daß er ein Rech­ter sei. Die »Rech­ten« blei­ben für ihn als Pro­jek­ti­ons­fo­lie immer die ande­ren, die »völ­ki­schen Rechts­extre­mis­ten«, die ein »mus­li­mi­sches Sex-Mons­ter« kon­stru­ier­ten und in der Mas­sen­in­va­si­on das Gute sähen, daß die BRD niedergehe.

Man kann ihm getrost ver­si­chern: Er ist selbst ein Rech­ter, für das Voll­bild fehlt nur noch, daß er die Sys­tem­lo­gik des Islams ken­nen­lernt. Viel­leicht bie­tet die­se nähe­re Beschäf­ti­gung ihm auch will­kom­me­nen Stoff für über­stei­ger­te sexu­el­le Beset­zun­gen. Auf einen hege­lia­ni­schen Blick auf das Inne­re des Islams und des­sen his­to­ri­sche und begriff­li­che Wider­sprü­che könn­te man sich als Leser jeden­falls freu­en. Grie­ßer ist ein inter­es­san­ter Gedankenverdreher.

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Wil­fried Grie­ßers Flucht und Schuld kann man hier bestel­len.

Caroline Sommerfeld

Caroline Sommerfeld ist promovierte Philosophin und dreifache Mutter.

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