Artamanen-Alarm

von Heino Bosselmann

Es ist hier weniger über die Artamanen-Bewegung zu reden (über diese enthusiastische und völkische Siedlerbewegung des frühen 20. Jahrhunderts),...

son­dern eher über den Umgang mit deren Fort­läu­fern, die in Meck­len­burg seit eini­ger Zeit neu sie­deln und an ihre Tra­di­tio­nen anzu­schlie­ßen ver­su­chen. Die Zivil­ge­sell­schaft ist längst alar­miert und sieht ihr Heil in gewohn­ten Ab- oder eher Ausgrenzungsversuchen:

Pau­scha­li­sie­ren, stig­ma­ti­sie­ren, patho­lo­gi­sie­ren. Dies alles rau­nen­den Tons und vor allem mit einer Ana­ly­se, die sich größ­ten­teils auf blo­ßes Hören­sa­gen ver­läßt und die offe­ne Aus­ein­an­der­set­zung scheut wie eine Infektionsgefahr.

Gera­de eben berich­tet Deutsch­land­ra­dio Kul­tur davon, wie die Wal­dorf­schu­le Ros­tock offen­bar Kin­der der Sied­ler abweist. Erstaun­lich nur, daß sogar das Bei­spiel eines Schul­ei­ters aus Lalen­dorf bei Güs­trow auf­ge­grif­fen wird, der einen sol­chen Umgang mit Anders­den­ken­den fei­ge fin­det und immer­hin nach Umgangs­for­men und sogar Ritua­len sucht, das mitt­ler­wei­le Ver­pön­te zu pfle­gen, das Natio­na­le näm­lich, was sich so sub­stan­ti­viert kaum jemand mehr aus­zu­spre­chen wagt.

Die Zeit ver­such­te sich in unver­wech­sel­ba­rem Stil an einer Klä­rung der Ursa­chen:

Freie Bau­ern gibt es in Ostel­bi­en seit dem Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg nicht mehr. Der Boden ist von jeher in der Hand von Groß­grund­be­sit­zern, die Land­be­woh­ner waren jahr­hun­der­te­lang Leib­ei­ge­ne. Karl-Georg Ohse, Ein­hei­mi­scher, Vater, und bis vor kur­zem Chef des Regio­nal­zen­trums für demo­kra­ti­sche Kul­tur in Lud­wigs­lust, sagt: ‚Es gibt hier immer noch eine hohe Affi­ni­tät zu auto­ri­tä­ren Struk­tu­ren. Ket­ten von Befehl und Gehor­sam haben sich hier über Jahr­hun­der­te gehal­ten.’ Die DDR-Zeit ver­hieß Auf­bruch. Man sie­del­te Indus­trie­un­ter­neh­men und Armee­stütz­punk­te an, Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat­te 1989 die jüngs­te Bevöl­ke­rung aller Bun­des­län­der. Heu­te ist es die ältes­te. Die Demo­kra­tie hat den Men­schen baby­po­po­glat­ten Stra­ßen­asphalt gebracht, McDo­nalds und Nutel­la. Und den­noch fehlt etwas.

Was fehlt? Vor allem die qua­li­fi­zier­te Urteils­kraft, nicht immer die glei­chen Kli­schees zu bemü­hen, son­dern kri­tisch hin­zu­se­hen, was mit einer Regi­on geschieht, in der PIO­NEER-Mais bis zum Hori­zont und dahin­ter PIO­NEER-Raps ange­baut wird, in der eine hoch­ef­fi­zi­en­te Groß­flä­chen­wirt­schaft tech­ni­siert und che­mi­siert die Res­sour­cen des einst arten­rei­chen Lan­des für Bio-Gas und Bio-Sprit ver­schleißt, wäh­rend die Rest­po­pu­la­tio­nen der Dör­fer von der Trans­fer-Gesell­schaft ali­men­tiert wer­den und ihren Lebens­rhyth­mus nach den Öff­nungs­zei­ten der Dis­coun­ter und dem Pri­vat­fern­se­hen ein­rich­ten. Ein Land, das ganz im Gegen­satz zu sei­ner lan­gen Geschich­te mor­gens lan­ge schläft, weil all­zu vie­le all­zu wenig gebraucht wer­den. Neue Groß­agra­ri­er, vor­zugs­wei­se auf dem Wes­ten und Hol­land, Unter­neh­mer, gegen die sich frü­he­re Guts­be­sit­zer wie Klein­sied­ler aus­näh­men und die hier nur ihre Inspek­to­ren ein­set­zen, kau­fen gegen­wär­tig jeden Hekt­ar, den sie bekom­men kön­nen, weil dank „Bio-Ener­gie“ wie­der Flä­chen sehr pro­fi­ta­bel in die Repro­duk­ti­ons­kreis­läu­fe gewor­fen wer­den kön­nen, für die es in den Neun­zi­gern nur Stil­le­gungs­prä­mi­en gab. Brach­land, das aber wenigs­tens der Öko­lo­gie tat­säch­lich guttat.

Wo der neo­li­thi­sche Impuls, das Bäu­er­li­che, längst an die Agrar­in­dus­trie ver­lo­ren ist, wo kaum mehr einer sät oder ern­tet, son­dern Groß­un­ter­neh­men unauf­ge­regt Bio­mas­se pro­du­zie­ren und Zig­tau­sen­de unglück­li­che Schwei­ne hal­ten, deren Gül­le die Gewäs­ser eutro­phiert, fin­den wie zum Hohn gera­de über­all Ern­te­fes­te statt – folk­lo­ris­tisch anmu­ten­de Ver­an­stal­tun­gen mit dem über­all glei­chen, aus je drei Stroh­bal­len bestehen­den Bau­ern­paar­fi­gu­ren, die mit irgend­wel­chem rus­ti­kal wir­ken­den Tin­nef dra­piert sind. Vom letz­ten Geld sind die Häu­ser mit Bau­markt­qua­li­tä­ten in Schuß gebracht, adi­pö­se jun­ge Män­ner fah­ren auf Rasen­trak­to­ren Krei­se ins Gras ihrer Rest­grund­stü­cke, Schu­le, Knei­pe, Kir­che haben dicht­ge­macht, meist in die­ser Fol­ge, nur noch der Ziga­ret­ten­au­to­mat funk­tio­niert bei Voll­jäh­rig­keits­be­wei­sen, und diens­tags und don­ners­tags kommt ein Bus, den kaum einer nimmt. Ja, auch dies sind Kli­schees, aller­dings dicht an der Realität.

Eine „Zivil­ge­sell­schaft“, die die­sen Namen ver­dient, müß­te für einen kri­ti­schen Dis­kurs über eine Lan­des­po­li­tik sor­gen, die die beschwo­re­ne Demo­kra­tie durch eine gera­de rea­li­sier­te Ver­wal­tungs­re­form immer wei­ter von den Men­schen ent­fernt, indem sie regio­na­le Struk­tu­ren und einen Rest Sub­si­dia­ri­tät in Mega-Land­krei­sen von der Grö­ße des Saar­lan­des auf­löst und so den Bür­ger immer wei­ter sei­ner legis­la­ti­ven Ver­tre­tung und Exe­ku­ti­ve ent­frem­det. Da es sich so ver­hält, grün­de sich wie als Reflex „von unten auf“ neue und das Eige­ne in die Hand neh­men­de Initia­ti­ven, dar­un­ter auch rech­te. Was aber immer mehr spür­bar wird, ist eine neue Nach­bar­schafts­hil­fe, ja eine Soli­da­ri­tät in den Dör­fern, die nicht mehr auf Dekre­te war­tet, son­dern das, was mög­lich ist, selbst gestal­tet, ohne lan­ge nach finan­zi­el­len Mit­teln zu fra­gen. Wer dabei mit anpackt, leis­tet eine Men­ge mehr als die Pau­schal­pro­pa­gan­dis­ten Auf­klä­rungs­funk­tio­nä­re einer Demo­kra­tie, die mitt­ler­wei­le vom plat­ten Land wenig weiß.

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