Wie wichtig ist ein Begriff? – Teil 1 eines Gesprächs mit Dieter Stein und Karlheinz Weißmann

Die jäh in Internet-Foren aufgeworfene Frage nach Sinn oder Unsinn des politischen Begriffs "Neue Rechte" war Auslöser...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

eines Gesprächs mit Die­ter Stein (Jun­ge Frei­heit) und Karl­heinz Weiß­mann (Sezes­si­on) über die­se poli­ti­sche Bezeich­nung. Ich habe die­ses Gespräch Anfang Janu­ar geführt. Die Text­fas­sung ist von bei­den Gesprächs­part­nern auto­ri­siert und zur Ver­öf­fent­li­chung frei­ge­ge­ben und erscheint in zwei Tei­len heu­te und mor­gen. Eine pdf-Datei mit dem voll­stän­di­gen Gespräch wird mor­gen beigegeben.

SEZESSION: Die­ter, du lehnst den Begriff „Neue Rech­te“ für die Posi­ti­ons­be­stim­mung der Jun­gen Frei­heit ab und hast im Kul­tur­auf­ma­cher dei­ner Zei­tung, Aus­ga­be 3/2009, den Her­aus­ge­bern unse­rer Zeit­schrift vor­ge­wor­fen, wir spiel­ten mit unse­rer beharr­li­chen Ver­wen­dung des Wor­tes ein gefähr­li­ches Spiel. Was ist gefähr­lich am Begriff „Neue Rechte“?

STEIN: Nicht gefähr­lich – unbrauch­bar ist die­ser Begriff. Man muß wis­sen, wann man sich für wel­che poli­ti­schen Begrif­fe zur Selbst­ver­or­tung ent­schei­det. Ich habe schon vor zwan­zig Jah­ren den immer wie­der auf­kom­men­den Begriff einer „Neu­en Rech­ten“ als pro­ble­ma­tisch ver­wor­fen und blei­be dabei. Sicher muß man wohl damit leben, daß man durch den poli­ti­schen Geg­ner ein Eti­kett ver­paßt bekommt. Wer die­ses für char­man­ter hält als den Begriff einer „Alten Rech­ten“, der irrt: Der Begriff der „Neu­en Rech­ten“ ist ein Kampf­be­griff, der der Denun­zia­ti­on dient. Er wur­de letzt­lich von Ver­fas­sungs­schutz­be­hör­den und lin­ken Poli­tik­wis­sen­schaft­lern durch­ge­setzt, um ein poli­ti­sches Milieu zu mar­kie­ren, das als extre­mis­ti­sches „Brü­cken­spek­trum“ denun­ziert wer­den soll. Die­se Begriffs­de­fi­ni­ti­on hat sich fak­tisch durch­ge­setzt, und es ist eine Illu­si­on zu mei­nen, daß man die­sen Gehalt aus einer Außen­sei­ter­po­si­ti­on her­aus posi­tiv umdeu­ten könn­te. Die Denun­zia­ti­on mit­tels des ver­füh­re­ri­schen Begrif­fes „Neue Rech­te“ ist Teil der Stra­te­gie, einen legi­ti­men kon­ser­va­ti­ven, demo­kra­tisch-rech­ten Fak­tor aus dem öffent­li­chen Dis­kurs und der Demo­kra­tie auszuschließen.

SEZESSION: Karl­heinz, du könn­test direkt dar­auf antworten.

WEISSMANN: Viel­leicht soll­te ich auch eine klei­ne bio­gra­phi­sche Vor­be­mer­kung machen: Als ich mich in den sieb­zi­ger Jah­ren zu poli­ti­sie­ren begann, war „Neue Rech­te“ kein geläu­fi­ger Begriff. Mit der Nou­vel­le Droi­te in Frank­reich hat­te ich ideo­lo­gisch nichts am Hut, Grup­pen wie die „Akti­on Neue Rech­te“ kann­te ich nicht. Aller­dings merk­te ich auch rasch, daß ich nicht „kon­ser­va­tiv“ in dem Sin­ne war, in dem das damals noch rela­tiv vie­le waren. Mir ging es nicht pri­mär um die Gren­zen von 1937, die Wie­der­her­stel­lung der Ver­hält­nis­se von Vor-Acht­und­sech­zig, ich war kein Kind von Hei­mat­ver­trie­be­nen, Ade­li­gen, geho­be­nen Bür­gern, from­men Pro­tes­tan­ten oder katho­li­schen Kirch­gän­gern. Außer­dem habe ich früh gemerkt, daß die­ses Kon­ser­va­tiv-Sein oft etwas Vor­der­grün­di­ges hat­te, nicht ganz ernst gemeint, son­dern abhän­gig von den Milieus war, in denen man auf­ge­wach­sen ist. Dage­gen hat­te ich eine bewuß­te poli­ti­sche Ent­schei­dung gesetzt, und mein Miß­trau­en gegen­über den „Kon­ser­va­ti­ven“ wuchs in dem Maße, in dem ich beob­ach­te­te, wie sie sich mit den Ver­hält­nis­sen abfan­den. „Kon­ser­va­tis­mus“ ist nicht erst seit ges­tern eine Abfin­dungs­for­mel, und des­halb war mir Armin Moh­lers Frech­heit sym­pa­thisch, der sich als „rechts“ bezeich­ne­te. In sei­nem Umfeld haben sich alle als Teil einer „neu­en Rech­ten“ emp­fun­den, und auch sein Anti­po­de Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner hat eine „neue Rech­te“ für not­wen­dig gehal­ten. Jeden­falls erschien uns „Neue Rech­te“ als Hilfs­be­zeich­nung nütz­lich, um unser Mei­nungs­la­ger zu benen­nen, das wur­de uns nicht von außen auf­ge­zwun­gen. Wir woll­ten im übri­gen kei­ne Mehr­hei­ten gewin­nen, son­dern unse­re intel­lek­tu­el­le Selb­stän­dig­keit erhal­ten und eine Grenz­li­nie zu den Oppor­tu­nis­ten und den Geg­nern zie­hen. Unter dem Aspekt der „Anschluß­fä­hig­keit“ war das natür­lich unklug, aber wann wäre eine prin­zi­pi­el­le Alter­na­ti­ve je zustan­de gekom­men durch Klug­heits­er­wä­gun­gen? Damit zu einem letz­ten Aspekt: Wenn nun schon Kon­sens ist, daß mit Carl Schmitt poli­ti­sche Begrif­fe pole­mi­sche Begrif­fe sind, dann hat das Pole­mi­sche pri­mär nichts mit Denun­zia­ti­on zu tun, son­dern mit dem ago­na­len Cha­rak­ter des Poli­ti­schen. Wenn im poli­ti­schen Kampf „rechts“ nega­tiv kon­no­tiert ist, dann weil die Lin­ke die kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Macht besitzt. Wenn ich die­sen Macht­be­sitz in Fra­ge stel­len will – vor­aus­ge­setzt ich will das –, muß ich eine hin­rei­chend kla­re Alter­na­ti­ve bezeich­nen. Die­se wird von den Macht­ha­bern bekämpft wer­den, das ist poli­ti­sche Nor­ma­li­tät und ver­gleich­ba­re Situa­tio­nen hat es immer wie­der gege­ben. Ob und unter wel­chen Bedin­gun­gen eine Ver­än­de­rung der Macht­ver­hält­nis­se mög­lich ist, kann man nicht aus Faust­re­geln ablei­ten: „Geu­se“, also Bett­ler, war ein Schimpf, mit dem die Spa­ni­er die hol­län­di­schen Frei­heits­kämp­fer bezeich­ne­ten, und die haben einen Ehren­na­men dar­aus gemacht. „Social­de­mo­krat“ war im Zwei­ten Reich ein Begriff, viel schlim­mer als „Rech­ter“ heut­zu­ta­ge, aber Wer­ner Som­bart schrieb, daß in sei­ner Stu­den­ten­zeit plötz­lich alle „Socia­lis­ten“ sein woll­ten. Ein „Lin­ker“ zu sein, war in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik ganz und gar kein Spaß, aber als ich jung war, gab es unter den Jun­gen prak­tisch nur noch Lin­ke. Wenn ich also die Mög­lich­keit eines Umschlags nicht für denk­bar hiel­te, wür­de ich Die­ter zustim­men; da ich aber an die­ser Mög­lich­keit fest­hal­te, bin ich fürs Stand­hal­ten, und wenn es kei­ne ande­re Fah­ne gibt, dann eben die, auf der „Neue Rech­te“ steht. Nur neben­bei: auch der Begriff „rechts“ – ohne Adjek­tiv – oder „demo­kra­tisch-rechts“ ist kei­ne Alter­na­ti­ve, der ers­te löst eh die übli­che Asso­zia­ti­ons­ket­te „rechts – rechts­ra­di­kal – Nazi – Ausch­witz“ aus, der zwei­te ist unge­füg und jeden­falls als Paro­le ungeeignet.

STEIN: Als ich 1982 bei der „Jun­gen Uni­on“ Mit­glied wer­den woll­te, frag­te mich der Kreis­vor­sit­zen­de als ers­tes in einem Gespräch, wo ich denn poli­tisch stün­de. In aller Nai­vi­tät ant­wor­te­te ich: „Rechts“. Irri­tiert hak­te er noch ein­mal nach: „Weißt du, wir hat­ten in der letz­ten Zeit manch­mal Pro­ble­me mit Jungs, die sich als ‚rechts’ bezeich­ne­ten.“ Unbe­leckt von irgend­wel­chen Kennt­nis­sen einer „rech­ten Sze­ne“ hat­te ich im demo­kra­ti­schen Links-Rechts-Spek­trum die SPD links und die CDU selbst­ver­ständ­lich „rechts“ ein­ge­ord­net. Für mich war Franz Josef Strauß damals ein „Rech­ter“. Das „Kon­ser­va­ti­ve“ war mir sehr wohl sym­pa­thisch, ich ver­band damit die Wer­te, die ich im Eltern­haus ken­nen­ge­lernt hat­te. Natio­nal­be­wußt­sein, Dienst am Vater­land – mein Vater war Berufs­sol­dat –, christ­li­ches Bekennt­nis, Fami­li­en­be­wußt­sein. Nach der „Wen­de“ zu Kanz­ler Kohl 1982 dann das böse Erwa­chen: Die CDU bezog gar kei­ne kon­ser­va­ti­ven Posi­tio­nen. Einen „Roll­back“ unter dem Stich­wort einer „Geis­tig-mora­li­schen Wen­de“ gab es nicht. Ein Freund und Klas­sen­ka­me­rad war ein Heid­eg­ger-Enkel, mit dem ich viel poli­ti­sier­te. Bei Haus­be­su­chen lern­te ich durch den Vater, Her­mann Heid­eg­ger, von ihm bezo­ge­ne kon­ser­va­ti­ve Zeit­schrif­ten wie „Mut“, „Cri­ticón“ oder „Deutsch­land-Maga­zin“ ken­nen. Ich war elek­tri­siert, daß es eine teils par­tei­un­ab­hän­gi­ge, mehr oder weni­ger kri­ti­sche Publi­zis­tik von „rechts“ gab – und so tas­te­te ich mich vor­an. Nach mei­nem Über­tritt von der JU zu den aus Pro­test gegen einen von Franz Josef Strauß ein­ge­fä­del­ten DDR-Mil­li­ar­den­kre­dit von CSU-Abtrün­ni­gen gegrün­de­ten Repu­bli­ka­nern, wo ich 1984/85 Mit­glied war, erleb­te ich dort einen ers­ten Rich­tungs­streit, der unter dem Eti­kett „Neue Rech­te“ lief. Franz Schön­hu­ber, zunächst nur stell­ver­tre­ten­der Bun­des­vor­sit­zen­der, hat­te Mit­te der acht­zi­ger Jah­re in der Zeit­schrift Cri­ticón einen Text publi­ziert, in dem er an den von Armin Moh­ler for­cier­ten Begriff „Neue Rech­te“ andock­te. Er hat­te die Absicht, aus der durch den nie­der­baye­ri­schen Lokal­ma­ta­dor Franz Hand­los initi­ier­ten For­ma­ti­on eine Par­tei zu machen, die nicht ledig­lich eine „bes­se­re CSU“ sein soll­te. Ent­schei­dend war, daß er die Par­tei für Funk­tio­nä­re der NPD öff­ne­te – wes­halb es dann schon 1985 zu einer Spal­tung kam. Damit ver­band ich den Begriff einer „Neu­en Rech­ten“ schon damals mit einer Öff­nung zur NPD, in deren Umfeld ja bekannt­lich die „Akti­on Neue Rech­te“ 1972 als NPD-Abspal­tung ent­stan­den war. Eine erfolg­lo­se Unter­neh­mung übri­gens. Das zu einer bio­gra­phi­schen Kon­stan­te: Mir ist immer ein rechts­ra­di­ka­les Milieu fremd gewe­sen, das sich aus Tra­di­ti­ons­be­zü­gen zum Natio­nal­so­zia­lis­mus nicht lösen konn­te. Die NPD ist selbst­ver­ständ­lich bis heu­te Kris­tal­li­sa­ti­ons­punkt die­ses Milieus geblie­ben. Wobei ich vie­le ken­nen­lern­te und auch Freun­de gewann, die ein­mal in der NPD gewe­sen waren, aber sich aus die­sem Grund von die­sem Ver­ein ver­ab­schie­det hat­ten. Ich erin­ne­re mich gut, wie wir im Kreis derer, die 1989–1993 in Frei­burg die JF als Stu­den­ten gemacht haben, über die Links-Rechts-Fra­ge und den Begriff der „Neu­en Rech­ten“ dis­ku­tiert haben. Er war schon damals als Sam­mel­be­griff für natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Split­ter­grup­pen und völ­ki­sche Zir­kel teils schon das, was in mei­nen Augen eigent­lich die „Alte Rech­te“ war, etwa Gra­bert-Ver­lag oder Nati­on Euro­pa. Auf der ande­ren Sei­te pro­ble­ma­ti­sier­ten wir inten­siv in Gesprä­chen selbst den Begriff „Rechts“, weil für uns das Leit­mo­tiv eigent­lich die Nati­on war. War­um soll­te das Natio­na­le eigent­lich „rechts“ sein? Was war mit der Opti­on einer natio­na­len Lin­ken, für die Wolf­gang Ven­ohr, Peter Brandt und Her­bert Ammon stan­den? Soll­ten wir uns nicht für eine Über­win­dung des simp­len Rechts-Links-Sche­mas ein­set­zen, das wir von der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on geerbt haben? Allein letz­te­res ein Argu­ment, den Begrif­fen distan­ziert gegen­über­zu­ste­hen. Wer die JF auf­merk­sam liest, dem wird auf­fal­len, daß sie den Begriff „rechts“ weit­ge­hend mei­det und eher hilfs­wei­se ver­wen­det. Ich habe jeden­falls mit „Kon­ser­va­ti­ven“ typi­scher­wei­se nie Men­schen ver­bun­den, die sich mit den Ver­hält­nis­sen abfin­den. Wie lan­ge hält die „Frech­heit“ vor, wenn man sich „rechts“ oder gar „neu-rechts“ nennt? Ich kann mir noch eine Men­ge Begrif­fe vor­stel­len, deren Ver­wen­dung eine Frech­heit ist und bei denen man in der Lage ist, sich in einer Par­al­lel­welt abzu­kap­seln. Was ist eigent­lich gewon­nen durch die­se eigen­ar­ti­ge Selbstbezeichnung?

(Teil 2 des Gesprächs: mor­gen, 10.00 Uhr)

Götz Kubitschek

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