Freund oder Feind. Zur Aktualität Carl Schmitts

sez_nr_1von Erich Vad -- pdf der Druckfassung aus Sezession 1 / April 2003

Der 1985 im Alter von 97 Jah­ren ver­stor­be­ne Carl Schmitt hat sich nicht nur mit Staats- und Ver­fas­sungs­recht, son­dern auch mit grund­sätz­li­chen Fra­gen der Kriegs­theo­rie, der Geo- und Sicher­heits­po­li­tik beschäf­tigt. Dabei wur­de sein Den­ken nach­hal­tig von der Erfah­rung des „Euro­päi­schen Bür­ger­kriegs“ (Ernst Nol­te) geprägt, vor allem durch die spe­zi­fisch deut­sche Bür­ger­kriegs­la­ge zwi­schen 1919 und 1923 sowie die Gefahr ihrer Wie­der­ho­lung in den Jah­ren 1932 bis 1934. Schmitts Natio­na­lis­mus und sein Ein­tre­ten für einen star­ken Staat las­sen sich aus die­sem Zusam­men­hang eben­so erklä­ren wie sei­ne Ent­schei­dung zu Guns­ten der staat­li­chen Ord­nung, die not­falls unter Bruch der Ver­fas­sung gewahrt wer­den soll­te, oder sei­ne Ent­schei­dung für eine zeit­wei­se Kol­la­bo­ra­ti­on mit dem NS-Regime, das allein in der Lage schien, den voll­stän­di­gen Zusam­men­bruch zu verhindern.

Wegen die­ser Kol­la­bo­ra­ti­on mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus hat man Schmitt immer wie­der beschimpft, als „geis­ti­gen Quar­tier­ma­cher“ (Ernst Nie­kisch) Hit­lers, als „cha­rak­ter­lo­sen Ver­tre­ter eines ori­en­tie­rungs­lo­sen Bür­ger­tums“ (René König) oder als „Schreib­tisch­tä­ter des deut­schen Unheils“, so etwa Chris­ti­an Graf von Kroc­kow, der aber auch zugab, daß Schmitt, „… der bedeu­tends­te Staats­rechts­leh­rer des 20. Jahr­hun­derts“ gewe­sen sei. Eine Beur­tei­lung, die noch über­bo­ten wur­de von dem Reli­gi­ons­phi­lo­so­phen und Rab­bi­ner Jacob Tau­bes, der über Schmitt sag­te, die­ser ver­kör­pe­re eine „… geis­ti­ge Potenz, die alles Intel­lek­tu­el­len­ge­schreib­sel um Haup­tes­län­ge über­ragt“. Schließ­lich sei noch Ray­mond Aron erwähnt, der in sei­nen Lebens­er­in­ne­run­gen äußer­te: „Er gehör­te zur gro­ßen Schu­le der Gelehr­ten, die über ihr Fach­ge­biet hin­aus alle Pro­ble­me der Gesell­schaft samt der Poli­tik umfas­sen und somit Phi­lo­so­phen genannt zu wer­den ver­die­nen, so wie es auch Max Weber auf sei­ne Wei­se war.“
Die­se Wert­schät­zung Schmitts erklärt sich vor allem aus des­sen epo­che­ma­chen­der Leh­re vom Poli­ti­schen, das er im Kern bestimmt sah durch die Unter­schei­dung von Freund und Feind. Dabei mein­te Schmitt „Feind“ im Sin­ne des latei­ni­schen hos­tis, das heißt den öffent­li­chen, den Feind des Staa­tes, nicht ini­mi­cus im Sin­ne von pri­va­ter Geg­ner; eine Dif­fe­ren­zie­rung, wie es sie auch im Grie­chi­schen mit pole­mi­os und ech­thros gibt. Gegen alle Ver­su­che, die fun­da­men­ta­le Schei­dung von Freund und Feind zu umge­hen, wie sie vor allem in Deutsch­land nach 1945 üblich wur­den, behaup­te­te Schmitt, daß ein Volk nur durch Ver­leug­nung sei­ner eige­nen poli­ti­schen Iden­ti­tät dahin kom­men kön­ne, die Ent­schei­dung zwi­schen Freund und Feind ver­mei­den zu wol­len. In sei­nem berühm­ten, zuerst 1927 erschie­ne­nen Essay Der Begriff des Poli­ti­schen hieß es: „Solan­ge ein Volk in der Sphä­re des Poli­ti­schen exis­tiert, muß es, wenn auch nur für den extrems­ten Fall – über des­sen Vor­lie­gen es aber selbst ent­schei­det – die Unter­schei­dung von Freund und Feind sel­ber bestim­men. Dar­in liegt das Wesen sei­ner poli­ti­schen Existenz.“
Wenn man die­sen Satz auf unse­re Lage bezieht, ergibt sich sofort der denk­bar schlech­tes­te Ein­druck von der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik der gegen­wär­ti­gen Bun­des­re­gie­rung. Innen­po­li­ti­sche Pro­ble­me und Par­tei­in­ter­es­sen bei Wahl­kämp­fen wir­ken stär­ker auf das Regie­rungs­han­deln als rea­le Bedro­hun­gen des Lan­des und lang­fris­ti­ge Stra­te­gien zur Wah­rung natio­na­ler Inter­es­sen. Im Glau­ben an einen herr­schafts­frei­en Dis­kurs auch in den Außen­be­zie­hun­gen nimmt man bei aku­ten inter­na­tio­na­len Kri­sen selbst­ge­fäl­li­ge, nur schein­bar über­le­ge­ne mora­li­sche Posi­tio­nen ein, um dann mit­tels uto­pi­scher Pro­blem­lö­sungs­ver­su­che die eige­ne Hand­lungs­un­fä­hig­keit zu ver­de­cken. Man begnügt sich mit der Rol­le des inzwi­schen als unzu­ver­läs­sig gel­ten­den Met­öken, der gera­de noch in der Lage ist, mili­tä­ri­sche Ein­rich­tun­gen von Bünd­nis­part­nern im eige­nen Land zu bewa­chen, ihnen Über­flug- und Lan­de­rech­te zu gewäh­ren und ande­re Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen gera­de so weit zur Ver­fü­gung zu stel­len, daß eine Kabi­netts- und Regie­rungs­kri­se ver­mie­den wird.

Die Kern­fra­ge war für Schmitt immer die, wie wir als Erben der uralten brü­der­li­chen Feind­schaft von Kain und Abel mit dem zen­tra­len Kri­te­ri­um des Poli­ti­schen umge­hen sol­len. In dem Zusam­men­hang ist ein von ihm hand­schrift­lich kom­men­tier­tes Tagungs­pro­gramm der Evan­ge­li­schen Aka­de­mie Ber­lin auf­schluß­reich, das sich in sei­nem Nach­laß erhal­ten hat. Die Ver­an­stal­tung, die zwi­schen dem 26. und dem 28. Novem­ber 1965 statt­fand, hat­te das The­ma „Feind – Geg­ner – Kon­kur­rent“. In der Ein­füh­rung zum Pro­gramm eines „Freun­des­krei­ses jun­ger Poli­to­lo­gen“ („Freun­des­kreis“ von dem selbst­ver­ständ­lich nicht gela­de­nen Schmitt rot mar­kiert) wur­de die Fra­ge auf­ge­wor­fen, ob noch die Berech­ti­gung bestehe, vom Feind zu spre­chen, oder ob nicht an sei­ne Stel­le „Der Part­ner poli­ti­scher und ideo­lo­gi­scher Aus­ein­an­der­set­zung“ oder „Der Kon­kur­rent im wirt­schaft­li­chen Wett­be­werb“ getre­ten sei. Schmitt notier­te am Ran­de pole­misch: „Der Ermor­de­te wird zum Kon­flikt­part­ner des Mörders?“
Er woll­te damit zei­gen, daß die hier geäu­ßer­ten Vor­stel­lun­gen die Exis­ten­tia­li­tät mensch­li­cher Aus­nah­me­la­gen nicht tref­fen konn­ten. Und mehr als das: Der Pro­gramm­text war für Schmitt auch eine indi­rek­te Bestä­ti­gung sei­ner The­se von der not­wen­di­gen Freund-Feind-Unter­schei­dung, inso­fern als man fort­wäh­rend Begrif­fe ver­wen­de­te, die auf ele­men­ta­re Gegen­sätz­lich­kei­ten hin­wie­sen, wie zum Bei­spiel „Ideo­lo­gie“, „Theo­lo­gie“, „der Ande­re“, „Lie­be“, „Dia­ko­nie“ etc. Daß sich die Ver­an­stal­ter des­sen nicht bewußt waren, mach­te die Sache nicht bes­ser. Schmitt bezeich­ne­te ihre mora­li­sie­ren­den, auf Ver­schleie­rung des pole­mi­schen Sach­ver­halts abzie­len­den For­mu­lie­run­gen in einer Mar­gi­na­lie als „Ent­ker­nung des Pudels durch Ver­pu­de­lung des Kerns“.
Schmitts Bestim­mung des Poli­ti­schen durch die Unter­schei­dung von Freund und Feind gilt auch heu­te noch, trotz aller anders­lau­ten­den Beteue­run­gen. So, wenn die Ver­ein­ten Natio­nen ein Land wie den Irak fak­tisch aus der Völ­ker­ge­mein­schaft aus­schlie­ßen und damit eine hos­tis-Erklä­rung im Sin­ne Schmitts abge­ben, so, wenn die USA nach den Anschlä­gen vom Sep­tem­ber 2001 den inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus und die ihn unter­stüt­zen­den poli­tisch unkal­ku­lier­ba­ren Staa­ten als Feind bestimm­ten. Eine mit moderns­ten Waf­fen ope­rie­ren­de Gue­ril­la oder eine welt­weit ver­netz­te, orga­ni­sier­te Kri­mi­na­li­tät kön­nen, auch wenn sie nicht selbst staa­ten­bil­dend wir­ken, durch­aus als Fein­de im poli­ti­schen Sinn betrach­tet wer­den. Über­haupt ist die nicht­staat­li­che und pri­va­ti­sier­te Form der Gewalt, also alles, was die low inten­si­ty con­flicts kenn­zeich­net, nichts grund­sätz­lich Neu­es. Thuky­di­des beschrieb sie bereits im Pelo­pon­ne­si­schen Krieg, ähn­li­ches gilt für Clau­se­witz oder die stark von ihm beein­fluß­ten Theo­re­ti­ker und Prak­ti­ker des revo­lu­tio­nä­ren Krie­ges wie Fried­rich Engels, Wla­di­mir I. Lenin, Mao Tse-Tung, den Viet­na­me­sen Vo Nguy­en Giap oder Che Gue­va­ra. Die Wan­del­bar­keit des Krie­ges war sogar schon einem sei­ner frü­hes­ten Theo­re­ti­ker, dem Chi­ne­sen Sun Tze, bewußt, der vor 2500 Jah­ren zu der Fest­stel­lung kam: „Der Krieg gleicht dem Was­ser. Wie Was­ser hat er kei­ne fes­te Form.“
Der Kampf heu­ti­ger Ter­ro­ris­ten ist aller­dings im Gegen­satz zu dem, was Schmitt in sei­ner Theo­rie des Par­ti­sa­nen aus­führ­te, nicht mehr „tel­lurisch“ ver­ort­bar, son­dern glo­bal ange­legt. Mus­ter­bei­spiel dafür sind die raum­über­grei­fen­den Ope­ra­tio­nen der al-Qai­da in Afgha­ni­stan, auf dem Bal­kan, dem Kau­ka­sus und in den zen­tral­asia­ti­schen Staa­ten oder die ter­ro­ris­ti­schen Anschlä­ge auf ame­ri­ka­ni­sche Bot­schaf­ten und Ein­rich­tun­gen in Afri­ka oder am Golf. Der Plan für die Ter­ror­an­grif­fe gegen die USA wur­de in den Ber­gen Afgha­ni­stans und im euro­päi­schen Hin­ter­land erdacht und dann auf einem ande­ren Kon­ti­nent exe­ku­tiert. Das Flug­zeug, das Trans­port­mit­tel der Glo­ba­li­sie­rung par excel­lence, setz­te man als Waf­fe ein. Pla­nung und Ope­ra­ti­on der Ter­ror­ak­ti­on hat­ten glo­ba­le Maß­stä­be. Welt­weit ope­rie­ren­de war­lords wie Osa­ma Bin Laden könn­ten bevor­zug­te Akteu­re die­ser neu­en Form des bewaff­ne­ten Kampfs werden.

Es spricht vie­les dafür, daß die Zukunft des Krie­ges eher von Ter­ro­ris­ten, Gue­ril­las, Ban­di­ten und nicht­staat­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen bestimmt sein wird, als von klas­si­schen, kon­ven­tio­nel­len Streit­kräf­ten. Dort, wo die Macht immer noch aus Gewehr­läu­fen kommt, füh­ren zuneh­mend irre­gu­lä­re For­ma­tio­nen in Pri­vat­und Söld­ner­ar­meen Krieg. Reli­giö­ser oder poli­ti­scher Mythos, gene­ral­stabs­mä­ßi­ge Pla­nung und üppi­ge Finanz­res­sour­cen bil­den die Vor­aus­set­zun­gen eines ver­än­der­ten Kriegs­bilds. In sei­ner erwähn­ten Theo­rie des Par­ti­sa­nen nahm Schmitt die­sen Aspekt der heu­ti­gen Sicher­heits­la­ge durch­aus zutref­fend vor­weg, vor allem, wenn er die Bedeu­tung des Fana­tis­mus als Waf­fe her­vor­hob: „Der moder­ne Par­ti­san erwar­tet vom Feind weder Recht noch Gna­de. Er hat sich von der kon­ven­tio­nel­len Feind­schaft des gezähm­ten und geheg­ten Krie­ges abge­wandt und sich in den Bereich einer ande­ren, der wirk­li­chen Feind­schaft bege­ben, die sich durch Ter­ror und Gegen­ter­ror bis zur Ver­nich­tung steigert.“
Wie soll man auf die­sen Wan­del reagie­ren, oder, – um die kri­ti­schen Fra­gen Schmitts auf­zu­grei­fen: Wer hat jetzt das Recht, den Feind zu defi­nie­ren und gegen ihn mit allen Mit­teln – das heißt unter den gege­be­nen Umstän­den auch mit Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen – vor­zu­ge­hen? Wer darf Stra­fen gegen den defi­nier­ten Feind ver­hän­gen und sie – not­falls prä­ven­tiv – durch­set­zen? Und wie schafft man ein inter­na­tio­na­les Recht und die Fähig­keit, es not­falls mit Hil­fe von Gewalt durch­zu­set­zen? Schließ­lich: Wie ver­hin­dert man die Instru­men­ta­li­sie­rung des Völ­ker­rechts für natio­na­le Macht- und Einflußpolitik?
Schmitt war grund­sätz­lich skep­tisch gegen­über allen Ver­su­chen ideo­lo­gi­scher und das heißt auch men­schen­recht­li­cher Legi­ti­ma­ti­on des Krie­ges. Der Krieg, so Schmitt, sei im Kern nur zu begrei­fen als Ver­such „… der seins­mä­ßi­gen Behaup­tung der eige­nen Exis­tenz­form gegen­über einer eben­so seins­mä­ßi­gen Ver­nei­nung die­ser Form“. Und wei­ter: „Es gibt kei­nen ratio­na­len Zweck, kei­ne noch so rich­ti­ge Norm, kein noch so idea­les Pro­gramm, kei­ne Legi­ti­mi­tät oder Lega­li­tät, die es recht­fer­ti­gen könn­te, daß Men­schen sich dafür töten.“
Die Legi­ti­mi­tät des Krie­ges bei einer vor­lie­gen­den „seins­mä­ßi­gen Ver­nei­nung“ der eige­nen Exis­tenz­form bekommt durch die moder­nen Bedro­hungs­sze­na­ri­en, ange­sichts des inter­na­tio­na­len Ter­ro­ris­mus einer­seits und der Pro­li­fe­ra­ti­on von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen ande­rer­seits, eine neue Dimen­si­on. Das Wesen des Poli­ti­schen bleibt aber unbe­rührt. Dar­über belehrt auch jeder genaue Blick auf die Ver­faßt­heit des Men­schen, der in dau­ern­der Aus­ein­an­der­set­zung mit ande­ren Men­schen lebt und nur aus Grün­den der Selbst­er­hal­tung und der Ver­nunft bereit ist, den „Krieg aller gegen alle“, den Schmitt wie Tho­mas Hob­bes als natür­li­chen Zustand des Men­schen betrach­te­te, durch einen staat­lich garan­tier­ten Frie­dens­zu­stand zu überwinden.
In Der Begriff des Poli­ti­schen schrieb Schmitt: „Man könn­te alle Staats­theo­rien und poli­ti­schen Ideen auf ihre Anthro­po­lo­gie prü­fen und danach ein­tei­len, ob sie, bewußt oder unbe­wußt, einen ›von Natur bösen‹ oder einen ›von Natur guten‹ Men­schen vor­aus­set­zen.“ Gera­de mit Blick auf den heu­ti­gen Men­schen­rechts­uni­ver­sa­lis­mus und die gleich­zei­ti­ge Ver­fü­gung über Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen wird die tie­fe Pro­ble­ma­tik jeder Leh­re von der natür­li­chen Güte des Men­schen deut­lich. Denn der mög­li­che Ein­satz von Mas­sen­ver­nich­tungs­waf­fen nötigt zur vor­her­ge­hen­den Dis­kri­mi­nie­rung des Fein­des, der nicht mehr als Mensch erschei­nen darf – denn die Ver­wen­dung so furcht­ba­rer Waf­fen wider­spricht der Idee der Men­schen­rech­te –, son­dern nur noch als Objekt, das aus­ge­löscht wer­den muß, als Unmensch oder Glied eines „Schur­ken­staa­tes“.
Schmitt sah die­se furcht­ba­re Kon­se­quenz moder­ner Poli­tik deut­lich ab, die so uner­bitt­lich ist, weil sie im Namen hehrs­ter Prin­zi­pi­en vor­geht: „Die Mas­se der Men­schen müs­sen sich als Schlag­in­stru­ment in Hän­den grau­en­haf­ter Macht­ha­ber füh­len“ – schrieb er nach dem Krieg und mit Blick auf sei­ne per­sön­li­che Situa­ti­on. Und hin­sicht­lich des Gel­tungs­an­spruchs uni­ver­sa­ler For­de­run­gen nach Huma­ni­tät kam Schmitt zu der bit­te­ren Erkennt­nis: „Wenn das Wort ›Mensch­heit‹ fällt, ent­si­chern die Eli­ten ihre Bom­ben und sehen sich die Mas­sen nach bom­ben­si­che­rem Unter­stand um“.

Schmitt mein­te, daß die Rei­deo­lo­gi­sie­rung des Krie­ges im 20. Jahr­hun­dert zwangs­läu­fig den tota­len, auch und gera­de gegen die Zivil­be­völ­ke­rung gerich­te­ten Krieg her­vor­ge­bracht habe. Para­do­xer­wei­se ermög­lich­te die mora­li­sche Äch­tung des Kriegs als Mit­tel der Poli­tik den „dis­kri­mi­nie­ren­den Feind­be­griff“ und damit die Denun­zia­ti­on des Geg­ners, der nicht mehr als Kon­tra­hent in einem poli­tisch-mili­tä­ri­schen Kon­flikt ange­se­hen wur­de, son­dern als Ver­bre­cher. Erst der tota­le Krieg schuf den tota­len Feind und die Ent­wick­lung der Waf­fen­tech­nik sei­ne mög­li­che tota­le Vernichtung.
Die­se Ein­sicht Schmitts ist so wenig über­holt wie jene ande­re, die weni­ger mit Krieg und mehr mit Frie­den zu tun hat. Sein Ende der drei­ßi­ger Jah­re ent­wi­ckel­tes Kon­zept des „Groß­raums“ und des Inter­ven­ti­ons­ver­bots für „raum­frem­de Mäch­te“ war, trotz offi­zi­el­lem Tabu, nach 1945 und selbst in der Hoch­pha­se des Kal­ten Krie­ges das unge­schrie­be­ne Prin­zip der außen- und sicher­heits­po­li­ti­sche Kon­zep­te bei­der Super­mäch­te. Dar­an hat sich auch in Fol­ge des Zusam­men­bruchs der Sowjet­uni­on wenig geän­dert. Nach wie vor kön­nen Staa­ten, denen es ihr poli­ti­sches, mili­tä­ri­sches und wirt­schaft­li­ches Poten­ti­al ermög­licht, eige­ne Ein­fluß­sphä­ren auf­bau­en und durch ange­mes­se­ne geo­po­li­ti­sche und geo­stra­te­gi­sche Maß­nah­men schützen.
Mit sei­nen Schrif­ten Der Levia­than, Völ­ker­recht­li­che Groß­raum­ord­nung und der „welt­ge­schicht­li­chen Betrach­tung“ Land und Meer such­te Schmitt ange­sichts des Auf­tre­tens neu­er, „raum­über­win­den­der“ Mäch­te und einer nach­hal­ti­gen Infra­ge­stel­lung der tra­di­tio­nel­len Staat­lich­keit die Fak­to­ren einer neu­en Sicher­heits­po­li­tik zu bestim­men. Beim Blick auf die his­to­ri­sche Ent­wick­lung, ins­be­son­de­re des Auf­stiegs der See­mäch­te Eng­land und Nord­ame­ri­ka, erkann­te er die Bedeu­tung des Groß­raums und einer ent­spre­chen­den Ord­nung. Die ame­ri­ka­ni­sche Mon­roe-Dok­trin von 1823, die die west­li­che Hemi­sphä­re als Inter­es­sen­ge­biet der USA bestimmt hat­te, gewann für Schmitt Vor­bild­cha­rak­ter im Hin­blick auf eine euro­päi­sche Konzeption.
Daß die­ses Pro­jekt eines „euro­päi­schen Groß­raums“ seit­dem immer wie­der geschei­tert ist, sagt wenig gegen sei­ne Not­wen­dig­keit. Euro­pa bil­det wie ande­re geo­po­li­ti­sche Räu­me eine Ein­heit auf Grund von Welt­bild und Lebens­be­din­gun­gen, Tra­di­tio­nen, Über­lie­fe­run­gen, Gewohn­hei­ten und Religionen.
Es ist nach Schmitt „ver­or­tet“ und „geschicht­lich kon­kret“ und es muß des­halb, um auf Dau­er zu bestehen, einen adäqua­ten Macht­an­spruch erhe­ben und welt­an­schau­lich begrün­den. Im Bereich des Poli­ti­schen sind sol­che Welt­an­schau­un­gen nichts ande­res als „Sinn-Set­zun­gen für Groß­pla­nun­gen“, ent­wor­fen von Eli­ten in einem bestimm­ten his­to­ri­schen Moment, um sich selbst und den von ihnen zu len­ken­den Mas­sen den geis­ti­gen Bezugs­rah­men poli­ti­schen Han­delns zu schaffen.

Die Aktua­li­tät der Über­le­gun­gen Schmitts zur Bedeu­tung sol­cher „geis­ti­ger Zen­tral­ge­bie­te“ ist im Hin­blick auf einen „Kampf der Kul­tu­ren“ (Samu­el Hun­ting­ton) offen­sicht­lich: In bei­na­he zwei­hun­dert Natio­nal­staa­ten der Welt exis­tie­ren meh­re­re tau­send Kul­tu­ren. Sie bil­den die Grund­la­ge „geis­ti­ger Zen­tral­ge­bie­te“ und schaf­fen damit auch das Bezugs­feld für Krie­ge. Was das „Zen­tral­ge­biet“ inhalt­lich bestimmt, mag sich ändern, an dem Tat­be­stand selbst ändert sich nichts. So mar­kier­te der Grund­satz cui­us regio eius reli­gio eben ein reli­giö­ses Zen­tral­ge­biet, das nach der Glau­bens­spal­tung des 16. Jahr­hun­derts von Bedeu­tung war, wäh­rend das Prin­zip cui­us regio eius natio nur vor dem Hin­ter­grund der Natio­nal­staats­bil­dung im 19. Jahr­hun­dert zu ver­ste­hen ist und die For­mel cui­us regio eius oeco­no­mia ihre Erklä­rung fin­det in der enorm gestei­ger­ten Bedeu­tung inter­na­tio­na­ler Wirt­schafts­ver­flech­tun­gen seit dem Beginn des 20. Jahr­hun­derts. Ent­spre­chend haben sich die Krie­ge fort­ent­wi­ckelt von Reli­gi­ons- über Natio­nal­krie­ge hin zu den moder­nen Wirt­schafts- und Handelskriegen.
Die Krie­ge mit­be­stim­men­den „geis­ti­gen Zen­tral­ge­bie­te“ waren für Schmitt stets Kampf­zo­nen sich ablö­sen­der, mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren­der und kämp­fen­der Eli­ten. Sie kön­nen nie­mals nur Sphä­re des Geis­ti­gen und ein Ort des fried­li­chen Nach­den­kens und Dis­kur­ses sein. Das gilt trotz der in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit so stark gewor­de­nen Erwar­tung, daß der Krieg gebannt sei. Schmitt hat früh die Ver­geb­lich­keit sol­cher Hoff­nun­gen erkannt und etwas von ihrer furcht­ba­ren Kehr­sei­te geahnt: „Wir wis­sen, daß heu­te der schreck­lichs­te Krieg nur im Namen des Frie­dens, die furcht­bars­te Unter­drü­ckung nur im Namen der Frei­heit und die schreck­lichs­te Unmensch­lich­keit nur im Namen der Mensch­heit voll­zo­gen wird.“
Ein wesent­li­ches Kenn­zei­chen des moder­nen Kriegs ist gera­de sei­ne unkrie­ge­ri­sche Ter­mi­no­lo­gie, sein pazi­fis­ti­sches Voka­bu­lar, das die Aggres­si­on aber nur ver­deckt, nicht besei­tigt. Die „fried­li­chen“ Metho­den der moder­nen Kriegs­füh­rung sind die viel­fäl­ti­gen Mög­lich­kei­ten finanz- und wirt­schafts­po­li­ti­scher Pres­si­on, das Sper­ren von Kre­di­ten, das Unter­bin­den der Han­dels­we­ge und der Roh­stoff- oder Nah­rungs­mit­tel­zu­fuhr. Wer­den mili­tä­ri­sche Maß­nah­men als not­wen­dig erach­tet, bezeich­net man sie nicht als Krie­ge, son­dern als Exe­ku­ti­on, Sank­ti­on, Straf­ex­pe­di­ti­on, Frie­dens­mis­si­on etc. Vor­aus­set­zung für die­se Art „pazi­fis­ti­scher“ Krieg­füh­rung ist immer die tech­ni­sche Über­le­gen­heit des eige­nen Appa­rats. Das moder­ne Völ­ker­recht folgt die­ser Ent­wick­lung, indem es die Begrif­fe zur Sta­bi­li­sie­rung des poli­ti­schen Sta­tus Quo lie­fert und die Kon­trol­le von Stö­rern der inter­na­tio­na­len Ord­nung juris­tisch begrün­det. Es ist das Kenn­zei­chen von Welt­mäch­ten, wie sie seit dem Ende des Ers­ten Welt­kriegs auf­tre­ten konn­ten, Rechts­be­grif­fe mit uni­ver­sa­lem Anspruch zu defi­nie­ren und dann sou­ve­rän zu ent­schei­den, was Recht und was Unrecht ist. Die aktu­el­le Irak­kri­se zeigt auch hier, wie zutref­fend die Ein­schät­zung Schmitts war.
Die Zukunft der gro­ßen Staa­ten Chi­na, Indi­en, Ruß­land, aber auch der Ver­ei­nig­ten Staa­ten ist unge­wiß. Wir kön­nen kaum ein­schät­zen, wel­che Kon­stel­la­tio­nen sich ent­wi­ckeln wer­den. Viel­leicht ent­wer­fen die USA für den asia­ti­schen Raum eine ähn­li­che balan­ce of power-Dok­trin wie Groß­bri­tan­ni­en sie im 19. Jahr­hun­dert gegen­über den euro­päi­schen Staa­ten besaß. Viel­leicht gelingt es Washing­ton, die Annä­he­rung Ruß­lands an die NATO wei­ter vor­an­zu­trei­ben und es wie Indi­en in eine Geo­stra­te­gie für den pazi­fi­schen Raum zwecks Ein­däm­mung Chi­nas ein­zu­bin­den. Wei­ter muß die Fra­ge beant­wor­tet wer­den, ob Euro­pa Teil des atlan­ti­schen Groß­raums bleibt oder sich hier Ten­den­zen in Rich­tung auf eine gleich­be­rech­tig­te Part­ner­schaft mit Ame­ri­ka ver­stär­ken. Deutsch­land spielt in die­sem Zusam­men­hang aller­dings kaum eine Rol­le, da sich sei­ne der­zei­ti­ge poli­ti­sche Füh­rung bei außen­po­li­ti­schen Pro­ble­men regel­mä­ßig an der Innen­po­li­tik ori­en­tiert, Bedro­hun­gen igno­riert oder den Vor­ga­ben ande­rer anschließt.

Die von Schmitt im Zusam­men­hang mit sei­ner Theo­rie der Staa­ten­welt ana­ly­sier­ten Verteilungs‑, Qua­ran­tä­ne- und Freund­schafts­li­ni­en, die auch zivi­li­sa­to­ri­sche Kon­flikt­li­ni­en sein kön­nen, dro­hen heu­te zu Gren­zen zwi­schen unver­söhn­li­chen Geg­nern zu wer­den. Wir wis­sen nicht erst seit den Ter­ror­an­schlä­gen auf das World Trade Cen­ter, daß sich die west­li­che Welt mit ande­ren Zivi­li­sa­tio­nen in Kon­kur­renz befin­det. Die wich­tigs­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Zukunft schei­nen an den Gren­zen auf­zu­tre­ten, die Kul­tur­krei­se von­ein­an­der tren­nen. Hier könn­ten die Brenn­punk­te von Krie­gen sein, die sich durch Regel­lo­sig­keit, Ent-Hegung und Rebar­ba­ri­sie­rung aus­zeich­nen. Hier ent­wi­ckeln sich mili­tä­ri­sche und poli­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen glo­ba­len Aus­ma­ßes, denen nur auf dem Wege eines neu­en inter­na­tio­na­len Ord­nungs­sys­tems und eines erwei­ter­ten Ver­ständ­nis­ses von Sicher­heit begeg­net wer­den kann.
Die gestie­ge­ne Wahr­schein­lich­keit eines Ernst­falls, die für Deutsch­land nach den Angrif­fen vom 11. Sep­tem­ber 2001 sehr deut­lich gewor­den und die Trag­wei­te der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik deut­lich gemacht zu haben schien, hat tat­säch­lich vor allem die Hand­lungs­un­fä­hig­keit einer nach­bür­ger­li­chen poli­ti­schen Klas­se gezeigt, deren Welt­bild sich pri­mär aus ree­du­ca­ti­on, aus den erstarr­ten Ritua­len der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und Acht­und­sech­zi­ger-Mytho­lo­gie speist. Die­se geis­ti­gen Ver­ir­run­gen bedür­fen eines Gegen­mit­tels, und in der poli­ti­schen Phi­lo­so­phie Carl Schmitts könn­te das zur Ver­fü­gung stehen.
Wie Hob­bes im 17. ent­fal­te­te Schmitt im 20. Jahr­hun­dert ein poli­ti­sches Den­ken, das von der unnor­mier­ten Lage, das vom Aus­nah­me­zu­stand und der stän­di­gen Mög­lich­keit inner- und zwi­schen­staat­li­cher Anar­chie und Gewalt aus­ging. Ein sol­cher Ansatz steht im Gegen­satz zur idea­lis­ti­schen Uto­pie einer welt­wei­ten Ent­fal­tung der Men­schen­rech­te, eines fried­li­chen Aus­gleichs der Kul­tu­ren und Zivi­li­sa­tio­nen sowie frei­zü­gi­ger, offe­ner und mul­ti­kul­tu­rel­ler Gesell­schaf­ten. Anders als vie­le hof­fen, sind gera­de die­se Gesell­schafts­kon­zep­te poten­ti­el­le Kon­flikt­her­de. Eine Gefahr, der man nicht durch mora­li­sche Appel­le begeg­nen kann, son­dern nur durch Gefah­ren­sinn, poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Rea­lis­mus und durch ratio­na­le Ant­wor­ten auf die kon­kre­ten Her­aus­for­de­run­gen der Lage.

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