1979 – Der Sommer der Nouvelle Droite

pdf der Druckfassung aus Sezession 31 / August 2009

sez_nr31Ein Gespräche mit Alain de Benoist
mit einer Einleitung von Karlheinz Weissmann

Xavier Jardin, ein französischer Politologe, der sich besonders mit Geschichte und Gegenwart der Rechten seines Landes beschäftigt, hat unlängst in einem Interview mit Le Monde die These aufgestellt, daß alles, was man als »neue Rechte« bezeichne, im Grunde eine Reaktion auf den »Mai ’68« sei.

Die­se ver­brei­te­te Auf­fas­sung erklärt sich vor allem aus dem Bedürf­nis der Gesell­schafts­wis­sen­schaf­ten nach sys­te­ma­ti­schen Erklä­run­gen und ein­fa­chen Ablei­tun­gen. Dabei zeigt eine genaue­re Unter­su­chung der his­to­ri­schen Zusam­men­hän­ge, daß die Ent­wick­lung kom­pli­zier­ter war und jeden­falls nicht einem simp­len Ursa­che-Wir­kung-Sche­ma folgte.
Der »rote Mai« stand am Ende einer etwa zehn Jah­re dau­ern­den, tur­bu­len­ten, manch­mal an den Rand des Bür­ger­kriegs füh­ren­den Ent­wick­lung. Begon­nen hat­te alles mit der Alge­ri­en­kri­se und dem Kol­laps der Vier­ten Repu­blik, und der Amts­an­tritt de Gaulles hat­te sowe­nig wie die Grün­dung der Fünf­ten Repu­blik zu einer tat­säch­li­chen Beru­hi­gung der Lage geführt. Neben einer radi­ka­len Lin­ken, die seit »Befrei­ung« und »Säu­be­rung« eine sehr star­ke Posi­ti­on besaß, ent­stand eine radi­ka­le anti­gaul­lis­ti­sche oder »natio­na­lis­ti­sche« Frak­ti­on, deren Anhän­ger zum Teil zu den Ver­lie­rern von 1945, vor allem aber zu den­je­ni­gen gehör­ten, die sich nicht mit dem Ver­lust des empire abfin­den woll­ten. Damals bil­de­te sich im Milieu der fran­zö­si­schen Gym­na­si­as­ten und Stu­den­ten eine »Sze­ne« aus, die Ver­bin­dung zu die­sem Flü­gel der Rech­ten hat­te, aber eige­ne orga­ni­sa­to­ri­sche Ansät­ze aus­bil­de­te. Die waren oft kurz­le­big und jeden­falls insta­bil, führ­ten aber doch zur Ent­ste­hung von zwei deut­li­cher getrenn­ten Strö­mun­gen: die »Ideo­lo­gen« um die Zeit­schrift Cahiers Uni­ver­si­taires, dann Euro­pe Action und die »Mili­tan­ten« des Mou­ve­ment Occi­dent. Letz­te­re zeig­te eine auf­fäl­li­ge Nei­gung zur »direk­ten Akti­on«, und im Quar­tier Latin kam es ab 1964/65 regel­mä­ßig zu Schar­müt­zeln zwi­schen »Kom­man­dos« von Occi­dent auf der einen, Anhän­gern der KP oder klei­ne­rer trotz­kis­ti­scher Grup­pen auf der ande­ren Sei­te. Die zuneh­men­de Radi­ka­li­sie­rung hat­te schließ­lich das Ver­bot der Grup­pie­rung am 1. Novem­ber 1968 zur Folge.
Was den Mou­ve­ment Occi­dent von der Grup­pe um Euro­pe Action vor allem unter­schied, war das theo­re­ti­sche Des­in­ter­es­se auf der einen, das theo­re­ti­sche Inter­es­se auf der ande­ren Sei­te. Schon die Grün­dung der Zeit­schrift durch Domi­ni­que Ven­ner und dann die Mit­ar­beit Alain de Benoists waren ein Signal für die Distanz gegen­über dem land­läu­fi­gen Natio­na­lis­mus: Man war für Euro­pa und gegen den fran­zö­si­schen Eta­tis­mus, für Grie­chen­land und die alten Göt­ter und gegen die abend­län­di­sche und die katho­li­sche Tra­di­ti­on. Zwar hielt der Kreis um Euro­pe Action anfangs an der Vor­stel­lung fest, Theo­rie und Pra­xis zu ver­knüp­fen, aber nach dem Schei­tern der Prä­si­dent­schafts­kam­pa­gne für den Rechts­po­pu­lis­ten Tixier-Vignan­cour, 1965, voll­zog Benoist den letz­ten Schritt weg von den alten Loya­li­tä­ten. Nach der Ein­stel­lung von Euro­pe Action und der Tren­nung von Ven­ner grün­de­te er mit einer klei­nen Grup­pe von Gesin­nungs­ge­nos­sen die Zeit­schrift Nou­vel­le Eco­le, deren Titel schon die Aus­rich­tung andeu­te­te: eine »neue Schu­le« im Sin­ne einer Denk­ge­mein­schaft, die sich aus­drück­lich an den Prin­zi­pi­en kri­ti­scher Ratio­na­li­tät aus­rich­ten soll­te, um eine moder­ne rech­te Welt­an­schau­ung zu begrün­den. Benoist hat im Rück­blick dar­auf hin­ge­wie­sen, daß er damals eine »posi­ti­vis­ti­sche Pha­se« durch­lau­fen habe, die Rede der klas­si­schen Rech­ten von den »ewi­gen Geset­zen«, auf die man letzt­lich ver­trau­en dür­fe, für ana­chro­nis­tisch hielt und ver­su­chen woll­te, zu einem »Null­punkt« zurück­zu­keh­ren, um die vier­tau­send­jäh­ri­ge euro­päi­sche Über­lie­fe­rung auf­zu­neh­men, ohne einem der ver­brei­te­ten ideo­lo­gi­schen Vor­ur­tei­le zu folgen.
Es ist hier nicht der Ort, der wei­te­ren Ent­wick­lung nach­zu­ge­hen, die vor allem im Janu­ar 1969 zur Bil­dung des GRECE als orga­ni­sa­to­ri­schem Kern führ­te. Ent­schei­dend ist aller­dings, daß die Ziel­set­zung immer eine kon­se­quent meta­po­li­ti­sche blieb, was zwangs­läu­fig zu wach­sen­der Distanz gegen­über der »Alten Rech­ten« führ­te, die Benoist denn auch bis heu­te als »soge­nann­ten Rech­ten« apo­stro­phiert. Dahin­ter stand die Über­zeu­gung, daß man der Lin­ken und dem Libe­ra­lis­mus nur begeg­nen konn­te, indem man sie auf ihrem eige­nen Feld – der Kul­tur – bekämpf­te und besieg­te. Zehn Jah­re schien die­ser Weg bemer­kens­wert erfolg­reich, dann kam der »Som­mer der Nou­vel­le Droi­te«

Sezes­si­on-Gespräch mit Alain de Benoist

Sezes­si­on
: Den Som­mer 1979 hat das fran­zö­si­sche Maga­zin Le Nou­vel Obser­va­teur den »Som­mer der Nou­vel­le Droi­te« genannt. Könn­ten Sie kurz erklä­ren, wie es dazu kam?
de Benoist: Mit Arti­keln im Wochen­blatt Le Nou­vel Obser­va­teur (»Die neu­en Klei­der der Nou­vel­le Droi­te«) und in der Tages­zei­tung Le Mon­de (»Die Nou­vel­le Droi­te nimmt den Betrieb auf«) begann im Juni 1979 eine kon­zer­tier­te Kam­pa­gne. Sie griff bald um sich wie ein Lauf­feu­er. Den gan­zen Som­mer lang erschie­nen stän­dig neue Arti­kel, ins­ge­samt mehr als tau­send. Dann folg­ten Auf­sät­ze, Bücher, Radio- und Fern­seh­sen­dun­gen und so wei­ter. Aus die­ser Zeit stammt die Gewohn­heit, mit dem Begriff »Nou­vel­le Droi­te« eine Denk­schu­le zu bezeich­nen, die bereits seit elf Jah­ren exis­tier­te und zuvor nie­mals auf den Gedan­ken gekom­men wäre, sich sel­ber so zu nennen.
Die Ent­ste­hung die­ser Denk­schu­le läßt sich auf Febru­ar 1968 datie­ren, als – eini­ge Mona­te vor den Ereig­nis­sen im Mai – die ers­te Aus­ga­be der Zeit­schrift Nou­vel­le Eco­le erschien. Ein Jahr danach wur­de der Ver­band GRECE gegrün­det (Grou­pe­ment de recher­che et d’études pour la civi­li­sa­ti­on euro­pé­en­ne), dem sich eine Anzahl von Sym­pa­thi­san­ten und Lesern anschloß, zumeist Stu­den­ten. 1972 erfolg­te dann die Grün­dung der Zeit­schrift Elé­ments, zunächst als inter­nes Ver­bands­or­gan für GRE­CE-Mit­glie­der. Dar­aus wur­de aber bald ein Maga­zin unab­hän­gi­gen Den­kens, das im Kiosk­ver­kauf erhält­lich war und sich an eine sehr viel brei­te­re Leser­schaft wand­te als die Nou­vel­le Eco­le. Es fan­den zahl­rei­che Tagun­gen, Tref­fen und Vor­trä­ge statt, die vor­nehm­lich von den Regio­nal- und Zen­tral­sek­tio­nen des GRECE orga­ni­siert wur­den. Zusätz­lich zu den Zeit­schrif­ten ent­stand ein Ver­lag, so daß zahl­rei­che Bücher ver­öf­fent­licht wer­den konn­ten. Ich sel­ber knüpf­te Freund­schaf­ten mit vie­len Aka­de­mi­kern, Phi­lo­so­phen, Intel­lek­tu­el­len, dar­un­ter Thier­ry Maul­nier, Arthur Koest­ler, Lou­is Rou­gier, Geor­ges Dumé­zil, um nur eini­ge zu nen­nen. Die »Nou­vel­le Droi­te« war 1979 also nicht wirk­lich neu, aber durch die dama­li­ge Kam­pa­gne wur­de sie auch den­je­ni­gen ein Begriff, die zuvor noch nie etwas von ihr gehört hatten.

Sezes­si­on: Es war ein kur­zer Som­mer, und die Nou­vel­le Droi­te wur­de zum Opfer einer nicht nur fran­zö­si­schen, son­dern euro­päi­schen Pres­se­kam­pa­gne. Viel­leicht han­delt es sich über­haupt um das ers­te Bei­spiel für ein so koor­di­nier­tes Vor­ge­hen gegen eine miß­li­e­bi­ge Ideen­strö­mung. Was war die Ursa­che die­ser Vehe­menz, Ihrer Mei­nung nach?
de Benoist: Die­se Fra­ge ist heu­te immer noch schwie­rig zu beant­wor­ten. Das vor­ran­gi­ge Ziel bestand zwei­fels­oh­ne dar­in, das wei­te­re Vor­drin­gen unse­res Gedan­ken­gu­tes zu behin­dern. Solan­ge die »Nou­vel­le Droi­te« mit intel­lek­tu­el­len Zeit­schrif­ten, deren Auf­la­ge bei ein paar tau­send Exem­pla­ren lag, nur ein begrenz­tes Publi­kum erreich­te, war nie­mand beun­ru­higt. Jedoch hat­ten eini­ge ihrer Ver­tre­ter, dar­un­ter auch ich, uns sehr früh dem Jour­na­lis­mus zuge­wandt und begon­nen, Schlüs­sel­po­si­tio­nen bei »gro­ßen« Zei­tun­gen zu beset­zen. Ich sel­ber war seit 1970 regel­mä­ßi­ger Mit­ar­bei­ter der Wochen­zei­tung Valeurs actu­el­les, die sei­ner­zeit von Ray­mond Bour­gi­ne gelei­tet wur­de. Rich­tig ins Rol­len kam die Sache, als Lou­is Pau­wels, ein sehr bekann­ter Schrift­stel­ler und Jour­na­list, der mir bereits Ende der sech­zi­ger Jah­re sei­ne akti­ve Unter­stüt­zung bekun­det hat­te, eine Wochen­end­bei­la­ge zur Tages­zei­tung Le Figa­ro ins Leben rief. Aus die­ser Bei­la­ge, die unter dem Titel »Figa­ro-Diman­che« erst­mals im Okto­ber 1977 erschien, wur­de im Mai 1978 ein rich­ti­ges, sehr üppig auf­ge­mach­tes Maga­zin namens Le Figa­ro-Maga­zi­ne. Pau­wels hat­te die Ver­ant­wor­tung für die inhalt­li­che Gestal­tung die­ses Maga­zins größ­ten­teils Mit­glie­dern der Nou­vel­le Droi­te anver­traut, die es natür­lich als Platt­form zur Ver­brei­tung der eige­nen Stand­punk­te benutz­ten. Noch im sel­ben Jahr wur­de mein Buch Vu de droi­te mit dem Gro­ßen Essay­preis der Aca­dé­mie fran­çai­se aus­ge­zeich­net. Le Figa­ro-Maga­zi­ne, das damals sehr gut gemacht war, erreich­te dank des Talents der betei­lig­ten Jour­na­lis­ten schnell eine Auf­la­ge von fast einer Mil­li­on. Erst­mals in der fran­zö­si­schen Geschich­te ver­füg­te eine non­kon­for­me Denk­schu­le über der­ar­ti­ge Mit­tel, ihr Ideen­gut öffent­lich zu machen. Aus Sicht ihrer Geg­ner ergab sich dar­aus die Not­wen­dig­keit, sie mög­lichst zum Schwei­gen zu bringen.

Zwei­fel­los ist dies nicht der ein­zi­ge Fak­tor. Man­che der Angrif­fe gegen Lou­is Pau­wels wegen sei­ner Ver­bin­dun­gen zur Nou­vel­le Droi­te rich­te­ten sich ver­mut­lich indi­rekt auch gegen den Figa­ro-Inha­ber Robert Hers­ant, dem vor­ge­wor­fen wur­de, ein regel­rech­tes Pres­se-Impe­ri­um geschaf­fen zu haben (man nann­te ihn den »papi­vo­re«, den Papier­fres­ser), aber auch gegen den dama­li­gen Staats­prä­si­den­ten Valé­ry Gis­card d’Estaing, für den Pau­wels gewis­se freund­schaft­li­che Gefüh­le heg­te – nicht zufäl­lig war er auf dem Titel­blatt der ers­ten Aus­ga­be von Le Figa­ro-Maga­zi­ne abgebildet.

Sezes­si­on: Wie schät­zen Sie heu­te, im Rück­blick, den Vor­stoß zwi­schen 1968 und 1979 ein?
de Benoist: Von 1968 bis 1979 ent­wi­ckel­te die Nou­vel­le Droi­te sich ziem­lich regel­mä­ßig, nach einem sozu­sa­gen metho­di­schen Sche­ma. Die Kam­pa­gne von 1979 hat ihr zwei­fel­los schwer zuge­setzt. Per­sön­lich habe ich viel dar­aus gelernt: Damals habe ich zum ers­ten Mal gewis­ser­ma­ßen von innen die Ent­wick­lung einer der­art breit ange­leg­ten Pres­se­kam­pa­gne mit­er­lebt. Das Inter­es­san­te ist, daß der Nou­vel­le Droi­te sei­tens ihrer Geg­ner haupt­säch­lich ihr »Den­ken« vor­ge­wor­fen wur­de, also ihre Eigen­schaft als intel­lek­tu­el­le und kul­tu­rel­le Bewe­gung. Damals ging man all­ge­mein davon aus, daß die Rech­te aus der Per­spek­ti­ve der Theo­rie nicht mehr rele­vant sei: »Links­in­tel­lek­tu­el­ler« galt als Pleo­nas­mus, »Rechts­in­tel­lek­tu­el­ler« als Oxy­mo­ron. So ver­öf­fent­lich­ten Mona Ozouf und Jean-Paul Ent­ho­ven bei­spiels­wei­se am 2. Juli 1979 in Le Nou­vel Obser­va­teur einen Arti­kel zur Nou­vel­le Doi­te unter dem Titel »Wenn die Rech­te denkt …« Wenn es aller­dings dar­um ging, die Inhal­te die­ses Den­kens zu benen­nen, wur­den selbst­ver­ständ­lich die wil­des­ten Hypo­the­sen in die Welt gesetzt.
Man soll­te sich hier aber vor ana­chro­nis­ti­schen Ver­glei­chen hüten. Von eini­gen Rand­er­schei­nun­gen abge­se­hen han­del­te es sich bei der Kam­pa­gne gegen die Nou­vel­le Droi­te im Som­mer 1979 nicht um einen Aus­druck des »Anti­fa­schis­mus« in jenem Wort­sinn, wie er heu­te in Deutsch­land gebräuch­lich ist. (Zumal damals der Front Natio­nal längst noch nicht die poli­ti­sche Bedeu­tung hat­te, die ihm spä­ter zukam.) Hät­te es sich so ver­hal­ten, hät­te man zwei­fel­los einen ande­ren Namen als »Nou­vel­le Droi­te« gewählt. Denn die­ser Begriff ist eher neu­tral und hat an sich nichts Dif­fa­mie­ren­des. Er miß­fiel uns aber, weil er einen all­zu deut­li­chen poli­ti­schen Bei­klang hat­te, der mir unan­ge­mes­sen erschien zur Bezeich­nung einer Denk­strö­mung, die sich nie­mals als tages- oder par­tei­po­li­ti­scher Akteur ver­ste­hen woll­te. Aber die Pres­se hät­te sich ein­deu­tig Schlim­me­res ein­fal­len las­sen kön­nen. Mehr­fa­che Ver­su­che unse­rer­seits, die Alter­na­ti­ve »Nou­vel­le Cul­tu­re« zu eta­blie­ren – auch dies ein recht miß­ver­ständ­li­ches Eti­kett –, blie­ben ohne gro­ßen Erfolg. Per­sön­lich habe ich mich bemüht, dem ers­ten Wort (»Nou­vel­le«) stär­ke­res Gewicht zu ver­lei­hen als dem zwei­ten (»Droi­te«). Uns ging es näm­lich dar­um, uns in aller Deut­lich­keit von der »alten Rech­ten« zu distan­zie­ren. Aber selbst­ver­ständ­lich gab es seit der Ent­ste­hung des Begriffs man­cher­lei Bemü­hun­gen zu bewei­sen, daß die »Nou­vel­le Droi­te« nicht neu sei (»Neue Rech­te oder alles beim alten?« frag­te René Rémond in einem Arti­kel, der am 20. Juli 1979 in Le Mon­de erschien) – oder aber, daß sie nicht rechts ist!
Sezes­si­on: Wel­che Fol­gen hat­te kon­kret die Ver­drän­gung aus der bür­ger­li­chen Pres­se und der Öffentlichkeit?
de Benoist: Zunächst muß man die Fra­ge nach dem Erfolg oder Miß­er­folg der Kam­pa­gne von 1979 stel­len. Die Ant­wort fällt zwangs­läu­fig zwie­späl­tig aus. Einer­seits hat die­se Kam­pa­gne der Nou­vel­le Droi­te eine außer­or­dent­li­che Bekannt­heit ver­schafft. Wenn man im heu­ti­gen Zeit­al­ter etwas oder jeman­den ins Gere­de bringt – und sei es auch, daß man noch so schlecht über ihn redet –, ver­schafft man ihm damit eine öffent­li­che Wir­kung, die ihm unwei­ger­lich zunut­ze kommt. Töd­lich ist im Grun­de nur das Schwei­gen (daher das deut­sche Verb »tot­schwei­gen«, für das es lei­der im Fran­zö­si­schen kei­ne genaue Ent­spre­chung gibt). Dank jener Kam­pa­gne wur­de ich in zahl­rei­che Fern­seh­sen­dun­gen ein­ge­la­den, mei­ne Bücher konn­ten bei grö­ße­ren Ver­la­gen erschei­nen, ich arbei­te­te etwa zehn Jah­re lang bei France-Cul­tu­re mit, dem wich­tigs­ten Kul­tur­sen­der im öffent­lich-recht­li­chen Radio. Ande­rer­seits hat­te die Kam­pa­gne eine recht uner­war­te­te und uner­wünsch­te nega­ti­ve Wir­kung. Sie brach­te der Nou­vel­le Droi­te den Zulauf einer gan­zen Rei­he von Men­schen, die dort nichts zu suchen hat­ten, ent­we­der weil sie ihre Ideen nicht wirk­lich teil­ten oder weil sie sich ein fal­sches Bild von ihren Absich­ten mach­ten. Um zu ihrem eigent­li­chen, natür­li­chen Publi­kum zurück­zu­fin­den, muß­te die Nou­vel­le Droi­te eine Selek­ti­on in ihren eige­nen Rei­hen vornehmen.
Ab 1981 sorg­ten Lou­is Pau­wels’ jähe Bekeh­rung zum Libe­ra­lis­mus (und zum Chris­ten­tum) und der immer stär­ker wer­den­de Druck, den die Wer­be­agen­tu­ren auf Robert Hers­ant aus­üb­ten, dafür, daß die Jour­na­lis­ten der Nou­vel­le Droi­te der Rei­he nach beim Figa­ro-Maga­zi­ne aus­schie­den. Zwei­fel­los hät­ten wir dies ver­mei­den kön­nen, indem wir unse­re Stand­punk­te abge­mil­dert hät­ten, aber genau dies wei­ger­te ich mich zu tun. Also hat die Nou­vel­le Droi­te ihren Kurs wei­ter­ver­folgt und sich wie­der auf ihre eige­nen Akti­vi­tä­ten kon­zen­triert, ins­be­son­de­re auf ihre eige­nen Ver­öf­fent­li­chun­gen. Zugleich hat sie dabei die zahl­rei­chen Bezie­hun­gen inten­si­viert, die man bereits auf euro­päi­scher Ebe­ne geknüpft hat­te, vor allem in Ita­li­en, Spa­ni­en, Deutsch­land, Flan­dern und anderswo.

Sezes­si­on: Gab es so etwas wie lang­fris­ti­ge Erfol­ge im »Kul­tur­krieg«?
de Benoist: Auch hier kann die Ant­wort nur zwie­späl­tig aus­fal­len. Sicher­lich ist es uns nicht gelun­gen, den Lauf der Din­ge oder die Ent­wick­lung der Welt zu ändern, ja nicht ein­mal die bedeu­ten­den Ent­schei­dungs­trä­ger unse­rer Zeit dau­er­haft zu beein­flus­sen! Dafür glau­be ich behaup­ten zu kön­nen, daß die theo­re­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die wir ange­sto­ßen haben, eine Men­ge zum Kampf um die Ideen bei­getra­gen haben – und auch wei­ter­hin bei­tra­gen –, der sowohl in Frank­reich wie im Aus­land geführt wird: um die deut­sche Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on (die den Fran­zo­sen vor allem dank der Nou­vel­le Droi­te über­haupt ein Begriff ist), um den The­men­kom­plex Iden­ti­tät und Ver­wur­ze­lung, um geo­po­li­ti­sche Über­le­gun­gen, um Regio­na­lis­mus und euro­päi­schen Föde­ra­lis­mus, um US-kri­ti­sche Posi­tio­nie­run­gen, um eine Absa­ge an markt­wirt­schaft­li­che Wer­te, Uti­li­ta­ris­mus und als axio­ma­tisch gesetz­ten Eigen­nutz und so wei­ter. Man müß­te all dies aber natür­lich im ein­zel­nen untersuchen.

Sezes­si­on: Sie leh­nen den Begriff »Neue Rech­te« als Selbst­be­zeich­nung heu­te ab. Wenn es dabei nicht nur um ein Spiel mit Wor­ten geht: In wel­cher Hin­sicht haben Sie Ihre Posi­tio­nen seit 1979 so geän­dert, daß sie nicht mehr »rechts« sind?
de Benoist: Dabei han­delt es sich kei­nes­wegs um ein Spiel mit Wor­ten, son­dern viel­mehr um die Wei­ge­rung, Wor­te zu benut­zen, die aus­ge­dient und kaum noch etwas mit der Wirk­lich­keit zu tun haben. Die Unter­schei­dung zwi­schen Links und Rechts ist mit der Moder­ne auf­ge­kom­men, im post­mo­der­nen Zeit­al­ter spielt sie kei­ne Rol­le mehr. Im Lau­fe der ver­gan­ge­nen zwei­hun­dert Jah­re hat sie dazu gedient, Anord­nun­gen oder Pola­ri­sie­run­gen des öffent­li­chen Raums zu beschrei­ben, die heu­te jeg­li­che Rele­vanz ver­lo­ren haben. Anders aus­ge­drückt, gab es his­to­risch all­zu vie­le ver­schie­de­ne For­men der Rech­ten wie der Lin­ken, als daß man sich heu­te als »rechts« oder »links« bezeich­nen könn­te, ohne sich Miß­ver­ständ­nis­sen aus­zu­set­zen. Wer sich »rechts« nennt, kann heu­te Demo­krat oder Anti­de­mo­krat sein, Atlan­ti­ker oder Anti-Ame­ri­ka­ner, über­zeug­ter Euro­pä­er oder Anti-Euro­pä­er, Libe­ra­ler oder Anti­li­be­ra­ler, für oder gegen den Kapi­ta­lis­mus, Revo­lu­tio­när oder Kon­ter­re­vo­lu­tio­när, Uni­ver­sa­list oder Feind jedes poli­ti­schen Uni­ver­sa­lis­mus und so weiter.
Über­dies muß man sich des his­to­ri­schen Moments bewußt sein, in dem man lebt. Sich 1968 als »rechts« zu bezeich­nen, hieß zuvor­derst gegen die intel­lek­tu­el­le Hege­mo­nie der extre­men Lin­ken zu pro­tes­tie­ren, die damals beson­ders stark aus­ge­prägt war. Heut­zu­ta­ge haben wir vor allem eine libe­ra­le Hege­mo­nie, was die Lage nicht ver­bes­sert hat. Stär­ker noch als die »lin­ken« sind es »rech­te« Regie­run­gen, die die Glo­ba­li­sie­rung, die Abschaf­fung von Gren­zen, die Ver­nich­tung von Volks­kul­tu­ren und ange­stamm­ten Lebens­wei­sen, die Beherr­schung der Welt durch die Logik des Kapi­tals und die Macht des Gel­des vor­an­trei­ben. Je libe­ra­ler die Rech­te wird, des­to mehr stim­me ich mit dem kri­ti­schen Den­ken der Lin­ken über­ein. Das hin­dert mich nicht dar­an, den meis­ten der Grund­sät­ze zuzu­stim­men, die Karl­heinz Weiß­mann in sei­nem Kon­ser­va­ti­ven Mini­mum auf­führt. Aber dazu brau­che ich nicht unter einem poli­ti­schen Ban­ner zu kämp­fen. Kon­kre­te Inhal­te inter­es­sie­ren mich mehr als abs­trak­te Behältnisse.

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Kommentare (12)

Toni Roidl

14. August 2009 14:27

Einerseits hat sich das politische Koordinatensystem seit Ende der 1980er Jahre so verschoben, dass es manchmal unmöglich ist, Anschauungen anhand der Kategorien »links« bzw. »rechts« zu verorten. Andererseits braucht man aber ein »Banner«, wie Benoist es nennt, um darum Anhänger zu scharen und ihnen eine Identifikationsmöglichkeit bieten zu können.

d.n.

14. August 2009 17:20

Die angebliche Rückständigkeit der Begriffe „rechts“ / „links“, die Benoist nun schon seit Jahren anhand einer Differenzierung von Kriterien wie pro-/contra-Demokratie, pro-/contra-Westbindung, pro-/contra-Europa, pro-/contra-Liberalismus usf. festmachen möchte, erscheint mir relativ gekünstelt. Besagte Kriterien sind keine dezidiert trennenden; sie stellen lediglich einen natürlichen Pluralismus innerhalb des jeweiligen politischen Spektrums dar. Die hieraus zwangsläufig resultierenden Überschneidungen zwischen links und rechts stellen noch lange keinen gemeinsamen Block, zumal kein Hinwegtäuschen über dezidiert Trennendes dar: die Einstellung zur Nation, die Frage nach der Betonung des Eigenen.

Auch wenn diesbezügliche Debatten nicht die Tagespolitik bestimmen, mitunter gar inopportun sind, liegt hierin mehr natürlich trennendes bzw. einigendes Potential als etwa in der Frage nach der Westbindung oder dem Lissabon-Vertrag (ohne deren politische Bedeutung schmälern zu wollen).

Ich vermag nicht zu beurteilen, ob das Denken in nationalen Dimensionen bei fortwährendem Voranschreiten des EU- und Multikulti-Wahns einst obsolet sein wird; angesichts Letzterem dürfte die Frage nach der nationalen Identität vordem jedoch eine neue Blüte erwarten.

Hesperiolus

14. August 2009 19:13

Zur metapolitischen Invarianz dieser Entgegensetzung bitte in Ernst Jüngers Sprache und Körperbau den Abschnitt Die Hand, Rechts und Links lesen.

Nihil

15. August 2009 04:35

@d.n.: Diese Standpunkte sind derart unvereinbar, daß bei einem Einigungsversuch das politische Profil zur Beliebigkeit verkommen würde. Mit einem Binnenpluralismus hat das nichts mehr zu tun, wenn die einen in eine Richtung und die anderen in die entgegengesetzte marschieren. Bspw. die Einstellung zu den USA ist mehr als eine bloß pragmatisch-taktische Anlegenheit - womöglich auf militärische Bündnisfragen reduziert (Zeitmaschine: 1980er). Hier geht es um das "Ganze": die sog. "Aufklärung", den Liberalismus und die Kultur überhaupt. Das Trennende ist hier so groß, daß man schon fast gar nicht mehr von politischen Differenzen sondern vielmehr von völlig entgegengesetzten Kulturen sprechen muß. "USA" ist natürlich bitte nur als Symptom/Synonym zu verstehen - das geht logischwerweise weiter und ist schon im angelsächsischen Positivismus und Objektivismus zu finden. Und dieser Aspekt (USA: j/n) ist nur einer, den Benoist angesprochen hat. Man könnte mit den anderen ebenso fortfahren.

PS: Und ja: für wirkliche politische Menschen ist ein ernsthaftes Nachdenken über so Angelegenheiten wie den "Vertrag von Lissabon" nicht nur inopportun, sondern eine grobe Beleidigung!

PPS: Ich verstehe diese reflexhafte Kritik/Ablehnung von Benoist in Deutschland überhaupt nicht. Dabei ist Benoist nur ein Reimport deutschen (und damit ureuropäischen) Denkens. Greift hier ein antifranzösischer Reflex? Oder ist der Deutsche nach wie vor zu bieder um "neu" zu denken? Ich befürchte das Schlimmste: eine Mischung aus beidem.

d.n.

15. August 2009 18:37

@ Nihil:

Die unterschiedlichen, von Benoist genannten Standpunkte mögen – radikal zu Ende gedacht – unvereinbar sein: Sie betreffen jedoch eher politisch-philosophische Themen, theoretische Fragen, hinsichtlich derer in der gegenwärtigen Politik ein gewisses Abweichlertum, gewisse gegenteilige Positionen geduldet werden (siehe etwa die Unvereinbarkeit zwischen Gauweiler und der CSU bzgl. des Lissabon-Vertrages oder die der SPD und der Linkspartei bzgl. deren USA-Politik). Natürlich verkommt bei diesem opportunistischen Taktieren, diesen Einigungsversuchen das politische Profil zur Beliebigkeit (ein Parteiaustritt hier oder der Bruch der Koalition dort wären sicherlich konsequenter…). Dies spricht jedoch nicht für Benoist, sondern gegen die heutige Politik.

Die von Benoist genannten Kriterien haben nicht die Kraft, einheitliche Kräfte zu bilden. Warum stößt die USA- und Kapitalismuskritik eines Jürgen Schwab oder Christian Worch in linken Kreisen auf taube Ohren, obwohl diesbezügliche Thesen dort sicherlich konsensfähig sind? Warum stimmt Frankreichs Linke stets pflichtbewußt für bürgerliche Politiker, wenn es darum geht, einen Bürgermeister oder Staatspräsidenten des Front National zu verhindern – obwohl der FN hinsichtlich USA-Kritik usf. der Linken deutlich näher steht? Selbst im jeweils äußersten politischen Spektrums kommen derartige Bündnisse nicht zustande: Die RAF hat stets die ausgestreckte Hand rechtsextremer terroristischer Vereinigungen abgelehnt, obwohl deren Ziele und Grundgedanken (Anti-Kapitalismus, Anti-Amerikanismus) identisch waren.

Die letzten Jahrzehnte zeigen: Entlang der von Benoist aufgezeigten Bruchlinien werden kluge Gespräche geführt, interessante Bücher geschrieben und reizvolle Bündnisideen gehegt. Die entscheidenden Schlachten werden jedoch weiterhin an den bewährten (führwahr: keinesfalls trennscharfen) Kategorien rechts – links geführt.

PS: Mit einer reflexhaften Kritik / Ablehnung Benoists oder gar anti-französischen Reflexen hat dies wahrlich nichts zu tun. Ich schätze Benoist als radikalen und selbständigen Denker sehr, auch wenn ich nicht all seine Auffassungen teile.

Honoré de la Canardière

16. August 2009 09:46

@ Nihil:

Ich stimme Ihnen zu, daß A de B eher ein Reimport deutschen (und damit ureuropäischen) Denkens ist. Innerhalb der G.R.E.C.E. herrscht eine ausgeprägte Deutschfreundlichkeit, die in Frankreich sonst unüblich ist – als hätte sich das ganze deutschfreundliche Frankreich um A de B versammelt.

Die 2 wesentlichen Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Rechte sehe ich in:

1. Religion: in Frankreich bekennt man sich entschieden zum Heidentum und nicht zuletzt A de B sieht – in Anlehnung an Nietzsche – den Ursprung des Totalitarismus in der Bibel, sprich im Christentum (ein einziger und wahrer Gott, ein einzige Wahrheit, alles andere ist falsch und böse, muß ausgerottet werden, usw.)

2. Das Wort „bourgeois“ (Bürger) ist im französischen fast ein Schimpfwort.
In Deutschland wie in anderen germanischen Ländern (Schweden, usw.) scheint das „bürgerliche Lager“ als sinnverwand für die Rechte allgemein angenommen zu sein, und zwar – für einmal – sogar eher positiver belegt (vielleicht auch, weil es harmloser klingt).

Dabei sollten wir nie vergessen, daß beide Länder auch unterschiedliche Erfahrungen in ihrer jeweiligen Vergangenheit gemacht haben. Leute wie A de B und Karlheinz Weißmann wissen das, viele andere dagegen nicht.

Thomas

17. August 2009 14:37

"Wer sich »rechts« nennt, kann heute Demokrat oder Antidemokrat sein, Atlantiker oder Anti-Amerikaner, überzeugter Europäer oder Anti-Europäer, Liberaler oder Antiliberaler, für oder gegen den Kapitalismus, Revolutionär oder Konterrevolutionär, Universalist oder Feind jedes politischen Universalismus und so weiter."

Hier formuliert de Benoist so pauschal, daß man zumindest teilweise widersprechen muß:
Ein Rechter auf dem europäischen Festland kann kein Atlantiker sein. Soll man Friedbert Pflüger, Volker Rühe oder Wolfgang Schäuble allen Ernstes als "Rechte" bezeichnen? Rechte werden immer ein gesundes Mißtrauen gegen die politischen und kulturellen Hegemonialansprüche der USA haben und ebenso gegen die in den USA rührige Israel-Lobby. Allerdings können innerhalb der Rechten durchaus Unterschiede bestehen zwischen realpolitischem Pragmatismus, der die Vorherrschaft der USA zur Kenntnis nimmt (ohne sie gutzuheißen) und punktuelle Übereinstimmungen zur Stärkung der eigenen Position zu nutzen versucht und einem grundsätzlichen Anti-Amerikanismus, der theoretisch begründet sein mag, praktisch aber wirkungslos bleiben wird.

Ebensowenig kann ein Rechter gleichzeitig Liberaler oder Kapitalist sein, dazu bestehen in Hisicht auf Kultur- und Menschenbild zu große Unterschiede. Es kann zwischen Rechten und Liberalen allenfalls Koalitionen - im geistigen oder konkret politischen Sinn - geben.

Infwiefern Rechte auch "Anti-Europäer" sein können, müßte de Benoist schon genauer erklären. Europäische Rechte werden meiner Meinung nach immer "Europäer" im besten Sinne dieses Wortes sein, auch wenn man die eigene Nation oder das eigene Volk gegen Ansprüche anderer europäischer Völker und Nationen gelegentlich verteidigen muß.

Abgesehen davon konnte ich mit der radikal anti-christlichen Einstellung de Benoists nie etwas anfangen. Zum einen ist sie nicht genügend durchdacht. Wenn de Benoist inhaltlich von "Christentum" spricht, steht ihm inhaltlich das calvinistische Christentum vor Augen. Er ignoriert dagegen die prinzipielle Offenheit des Katholizismus für gewisse Aspekte heidnischer Kultur. (Nicolás Gómez Dávila hatte das Heidentum sogar als "Zweites Altes Testament" der katholischen Kirche bezeichnet.) Gleichzeitig kritisiert er den Universalismus der Katholischen Kirche, ohne den innerkirchlichen Pluralismus zu berücksichtigen. Aus dieser Vermengung calvinischen Inhalts und katholisch-globaler Institution konstruiert er ein Feindbild "Christentum" dem er sein angeblich positives Heidentum gegenüberstellt.

Zum andern kann man nicht eine mehr als eineinhalbtausend Jahre währende Symbiose zwischen griechisch-römischer Antike, germanischer Welt und christlicher Religion rückgängig machen. Eben diese Symbiose macht aber Europa aus.

Nihil

18. August 2009 17:39

Soll man Friedbert Pflüger, Volker Rühe oder Wolfgang Schäuble allen Ernstes als „Rechte“ bezeichnen?

Der politische Mainstream (Linksliberale) würde sie so bezeichnen - also sind sie "Rechte" (gewissermaßen). Die Frage ist also vielmehr: kann man gegen derartige Deutungshoheiten anstinken oder hat man besseres zu tun? (Benoist hat besseres zu tun).

Abgesehen davon konnte ich mit der radikal anti-christlichen Einstellung de Benoists nie etwas anfangen. Zum einen ist sie nicht genügend durchdacht.

Ich fürchte die Kritik, die Benoist übt, wurde nicht wirklich verstanden (wurde sie überhaupt gelesen?). Wenn Weißmann in der aktuellen Sezession schreibt, daß Benoist antikatholisch wäre so ist das - aus meiner Sicht - völlig falsch (da könnte man ja daraus schließen, daß er etwa Sympathien für den Protestantismus hat - es ist eher umgekehrt). Benoist geht viel weiter und hält sich sicher nicht mit "christlichen Erscheinungen" wie der katholischen Kirche auf. Seine Kritik des Christentums ist eine absolute inhaltliche(!) Fundamentalkritik (vgl. Nietzsche). Das Christentum ist seinem Wesen nach eine orientalische Religion (Gott als Herrscher, Strafrichter, Gesetzgeber, Naturauffassung = Wüste, usw.) und die damit einhergehende Ethik verhält sich sich zu ureuropäischen (antiken) ethischen Vorstellungen völlig diametral. Die Kirchen zeigen diesen Widerspruch perfekt und zerbrechen heute auch daran (das Kirchenestablishment - zumindest das r.-k. - ist noch in dieser widersprüchlichen Mischung verhaftet, die Laienbewegungen sind aber schon längst wahrhaft christlich geworden [eine Entwicklung die sicher durch die laizistischen Folgeerscheinungen des Christentums beschleunigt oder überhaupt erst ermöglicht wurde]).

Er ignoriert dagegen die prinzipielle Offenheit des Katholizismus für gewisse Aspekte heidnischer Kultur.

Was interessieren mich heidnische Versatzstücke die in ständigem Widerstreit zur Bibel stehen oder überhaupt "nur" die Ästhetik betreffen? Wozu soll ich mich mit dem Katholizismus aufhalten, wenn ich "ganz" "heidnisch" sein kann? Ich verstehe den zitierten Satz nicht wirklich anders als eine schlechte Kirchenwerbung.

Gleichzeitig kritisiert er den Universalismus der Katholischen Kirche, ohne den innerkirchlichen Pluralismus zu berücksichtigen.

Nein, Benoist kritisiert nicht den "Universalismus der Katholischen Kirche" sondern "den" Universalismus überhaupt! Benoist ist gegen jede Form des Universalismus ...

Aus dieser Vermengung calvinischen Inhalts und katholisch-globaler Institution konstruiert er ein Feindbild „Christentum“ dem er sein angeblich positives Heidentum gegenüberstellt.

Leider wieder falsch. Benoist, setzt sich mit der Substanz des Christentums - seiner ethischen Lehre, seiner Zeitauffassung, seiner Weltauffassung - auseinander. Die Kirchen werden nur am Rande erwähnt.

Zum andern kann man nicht eine mehr als eineinhalbtausend Jahre währende Symbiose zwischen griechisch-römischer Antike, germanischer Welt und christlicher Religion rückgängig machen.

Das klingt ja gar nicht dogmatisch ("Symbiose", man "kann nicht"). Natürlich kann man! Das Christentum ist entstanden, es kann auch wieder verschwinden. Und es ist gerade dabei im Linksliberalismus aufzugehen - und das ist kein Zufall. Die Synergieeffekte sind einfach frappierend.

Eben diese Symbiose macht aber Europa aus.

Für Dich vielleicht, für mich macht Europa was anderes aus: seine Völker, seine ureuropäischen Wurzeln, eine spezifische Art zu denken. Und das alles ist leider nicht erst seit heute bedroht ....

So wie es sehr viele Gefühlslinke gibt, befürchte ich, daß es innerhalb der "Konserverativen" auch einige "Gefühlschristen" gibt. Das hat nichts mit dem Intellekt, eher was mit Charakter zu tun. Grob lassen sich die rechten "Gefühlschristen" in zwei Lager einteilen (obwohl es natürlich auch eine Schnittmenge gibt): jene die ihre eigene Biographie (Ausbildung, Sozialisation, usw.) nicht in Frage stellen können/wollen (was persönlich durchaus nachvollziehbar ist, aber für mich nie eine Option war; auch Weißmann gehört hier dazu: jemand der Theologie studiert hat, wird schwerlich sich damit abfinden können, daß er "nur" das "Andere" studiert hat [um Mißverständnissen vorzubeugen: ich schätze Weißmann ansonst sehr!]) und jene die (ebenso verständlich) ihr religiöses Bedürfnis stillen wollen, aber (das ist der Fehler!) den Weg des geringsten Widerstandes gehen und das annehmen was einfach angeboten wird (dann kommt da vielleicht noch die oberflächliche Gleichung Konservativ = Chrstlich dazu).

Ohne Religion (die die Grundlage jeder Kultur ist; ohne Religion ist es IMHO keine Kultur) ist es wirklich schwer zu leben, aber so etwas kann man eben nicht schlagartig ändern. Eine Kultur kann man weder am Reißbrett konstruieren, noch sich zu Hause basteln (denn ist sie "individuell" ist es keine Kultur). Was aber ist die Konsequenz? In den warmen Schoß der falschen Religion zurückkehren? Oder einsam in kalter Umgebung darum ringen, daß es nicht so bleibt? Für mich gibt es nur den Weg Nr. 2 und bin dankbar für Nietzsches Zarathustra, wo dieser Weg genial reflektiert wird.

PS: Find es immer wieder paradox, fast amüsant, pro Benoist (bzw. seiner Positionen) argumentieren zu "müssen", obwohl ich ihn gerade durch die JF (und ihr Umfeld) kennengelernt habe :-)

Thomas

19. August 2009 11:13

Der politische Mainstream (Linksliberale) würde sie so bezeichnen – also sind sie „Rechte“ (gewissermaßen).

Aha. Der poltische Mainstream bezeichnet sie so, also sind sie es gewissermaßen. Nur daß es de Benoist (und ebenso mir) gar nicht um Bezeichnungen durch den politischen Mainstream ging, sondern um die Frage der Selbstbezeichnung!

Benoist geht viel weiter und hält sich sicher nicht mit „christlichen Erscheinungen“ wie der katholischen Kirche auf. Seine Kritik des Christentums ist eine absolute inhaltliche(!) Fundamentalkritik (vgl. Nietzsche).

Der Katholizismus ist mehr als eine christliche "Erscheinung". Und de Benoist berücksichtigt meines Erachtens die binnenchristlichen inhaltlichen Unterschiede zu wenig.

Das Christentum ist seinem Wesen nach eine orientalische Religion (Gott als Herrscher, Strafrichter, Gesetzgeber, Naturauffassung = Wüste, usw.) und die damit einhergehende Ethik verhält sich sich zu ureuropäischen (antiken) ethischen Vorstellungen völlig diametral.

Schon das Judentum zur Zeit Jesu war nicht mehr streng "orientalisch" sondern massiv von der griechischen Philosophie beeinflußt. Und das Christentum selbst integrierte erst recht griechische Gedanken in seine Lehre. (Calvins Reformation kann man dagegen - übersptitzt formuliert - als der Versuch einer Re-Judaisierung des Christentums sehen, gegen die sich Lutheraner und Katholiken wehrten.) Umgekehrt hatte sich das griechische Denken auch für monotheistische Vorstellungen geöffnet. Nicht zuletzt deshalb war das Christentum in der antiken Welt auch auf offene Türen. Nur wenn man die Antike auf den Stand der Vorsokratiker einfrieren und ausschließlich durch eine nietzscheanische Brille betrachten will, kann man von einer prinzipiellen Unvereinbarkeit zwischen Christentum und Antike sprechen.

Was interessieren mich heidnische Versatzstücke die in ständigem Widerstreit zur Bibel stehen oder überhaupt „nur“ die Ästhetik betreffen? Wozu soll ich mich mit dem Katholizismus aufhalten, wenn ich „ganz“ „heidnisch“ sein kann? Ich verstehe den zitierten Satz nicht wirklich anders als eine schlechte Kirchenwerbung.

Falsch verstanden. Es geht nicht um Kirchenwerbung, sondern um Kritik an der These der prinzipiellen Unvereinbarkeit zwischen Christentum und Heidentum. Ja, es gibt (inhaltlich) beträchtliche Unterschiede, es gibt aber auch (inhaltlich) Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte. Natürlich kann, wer will, "ganz heidnisch" sein. Es ist aber drollig, wie manche Neu-Heiden zwar einerseits die christlichen Dualismen (Himmel-Hölle, gut-böse, Gott-Schöpfung usw.) attackieren, dann aber selbst in einen fast schon dogmatischen Dualismus verfallen, wenn es um die Abgrenzung zum Christentum geht.

Das klingt ja gar nicht dogmatisch („Symbiose“, man „kann nicht“). Natürlich kann man! Das Christentum ist entstanden, es kann auch wieder verschwinden. Und es ist gerade dabei im Linksliberalismus aufzugehen – und das ist kein Zufall. Die Synergieeffekte sind einfach frappierend.

Das Christentum kann aus Europa verschwinden, nur wird dann Europa nicht mehr Europa sein. Und das Christentum wird sicher nicht im Linksliberalismus aufgehen. Darin hat schon Mohler geirrt. Es gibt starke linksliberale Tendenzen in den kirchlichen (katholischen und evangelischen) Institutionen, das ist aber im Wesentlichen eine Ein-Generationen-Problem. In dem Maß, in dem die 68er in Pension gehen und die Kirchensteuermittel schrumpfen, wird sich das weitgehend von selbst erledigen. Im übrigen gehört die (katholische) Kirche zu den wenigen, die auch inhaltlich dem Linksliberalismus in Europa den Fehdehandschuh hingeworfen haben.

Hesperiolus

19. August 2009 22:27

Vielleicht können wir als Spätlinge eines irreligiösen Weltstädtertums das - von Spengler überzeugend gegen ein magisches unterschiedene - faustische Christentum unserer Ahnen nicht mehr glauben, aber lieben sollten wir es! In einem Sinne tieferer Ästhetik, des Ursymbols unserer Kultur. Abendländer vs. Atlantiker oder Wüste-Wald vs. Arabien-Gotik...da wäre einiges auszuführen.

Hesperiolus

19. August 2009 22:45

Lag nicht in der Anti-Gotik der Rechten im tiefsten Sinn ein Motiv ihres Scheiterns? Was wäre bis in die weitgreifendsten Entscheidungen aus expressionistischer und nordischer Weltanschauung geworden, statt der elenden Gipsgriecherei von Rosenberg bis Riefenstahl?

Nihil

20. August 2009 15:54

@Thomas:
Auf die Kritik Nietzsches oder Benoists am Christentum wird hier leider nicht eingangen. Es heißt immer: "aber es gibt auch Berührungspunkte". Ja, die gibt es wohl, aber nicht im Kern(!) - die Berührungspunkte sind an der Peripherie, nicht im substantiellen Bereich. Oder es heißt: "das ist so" - mit dieser dogmatischen Verirrung kommen wir doch nicht weiter. Und ich bin mir nicht sicher ob wir beide es noch erleben werden, aber was die endgültige Integration des Christentums in den "Linksliberalismus" betrifft würde ich um sehr viel wetten! :-)

Man könnte zu jedem Pt. noch viel schreiben, aber nur zum letzten: wenn Du tatsächlich interessierter Katholik wärst, würdest Du wissen, daß die Integration des Christentums in den Linksliberalismus (letztlich in die sog. "Aufklärung") mit den 68ern nur bedingt zu tun; es gibt zahlreich innerkirchlich einschlägige Literatur von vor 68 (ev. hat hier sogar der zusammengebrochene NS einen Schub verliehen) - das gesamte Vaticanum II war vor 68! Und diese Entwicklung wird auch nicht mit der Pensionierung einer Generation urplötzlich aufhören; alleine diese naive Idee zeugt von wenig Realitätssinn. Gs. stoppt keine Entwicklung abrupt, selbst wenn "nur" die 68er als Ursache in Frage kämen wäre es naiv zu glauben, daß es dort keinen ideologischen Nachwuchs gibt. Und ich gehe weiter: der kirchliche Nachwuchs ist fast ausschließlich in diesem rein christlichen Geist aufgewachsen, da nutzen auch die Rückzugsgefechte im vatikanischen Bunker herzlich wenig - auch ein hierarchisches Gebilde kommt ohne Laien/Gläubige nicht aus.

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