Necla Kelek und ihre Feinde

pdf der Druckfassung aus Sezession 13 / April 2006

sez_nr_13von Wiggo Mann

In den letzten beiden Monaten lief ein regelrechtes Kampagnenduell in der deutschen Öffentlichkeit ab. Es begann am 1. Februar mit einem Appell von sechzig „Migrationsforschern“ in der Wochenzeitung Die Zeit und endete vorerst am 10. März mit einem „Deutschen Manifest der 12“ in der Zeitschrift Emma. Die zentrale Figur in diesem Schlachtengemälde heißt Necla Kelek.


Gebo­ren 1957 in Istan­bul als mitt­le­re Toch­ter einer aus Ost­ana­to­li­en stam­men­den tscher­kes­si­schen Fami­lie, bei der die Mut­ter noch für den Preis von zwei Och­sen an die Fami­lie des Vaters ver­kauft wor­den war, gelang­te Kelek 1966 nach Deutsch­land, wo es zu einem Zer­würf­nis mit dem sich zuneh­mend auto­ri­tä­rer ver­hal­ten­den Vater kam, in des­sen Fol­ge die­ser die Fami­lie ver­ließ und nach Ana­to­li­en zurück­ging. Erst die Abwe­sen­heit des Vaters ermög­lich­te Kelek ab ihrem sieb­zehn­ten Lebens­jahr eine mehr oder weni­ger „nor­mal­deut­sche“ Sozia­li­sa­ti­on. Sie mach­te eine Aus­bil­dung zur tech­ni­schen Zeich­ne­rin und hol­te auf dem zwei­ten Bil­dungs­weg das Abitur nach. Ihre poli­ti­schen Spo­ren ver­dien­te sie sich in der Gewerk­schafts­be­we­gung, als Jugend­ver­tre­te­rin der IG Metall. Den dort begeis­tert auf­ge­nom­me­nen Mar­xis­mus-Leni­nis­mus-Schu­lun­gen ließ sie ein Stu­di­um der Volks­wirt­schaft und Sozio­lo­gie fol­gen, im Zuge des­sen sie Teil­ha­be­rin am weit­ver­zweig­ten aka­de­mi­schen Netz­werk der von „Alt-Sta­li­nis­ten“ (Kelek) durch­setz­ten west­deut­schen Migra­ti­ons­for­schung wur­de. Brav gehorch­te sie den ideo­lo­gi­schen Regeln die­ses Betrie­bes und beteu­er­te 2002 in ihrer Dis­ser­ta­ti­on über „Islam im All­tag“, daß der Islam sich an die Moder­ne ange­paßt habe, unter ande­rem weil eine „Sub­jek­ti­vie­rung“ der Tra­di­ti­on bei tür­ki­schen Jugend­li­chen zu ver­zeich­nen sei. Den Bruch mit einer Kar­rie­re nach übli­chem migra­ti­ons­po­li­ti­schem Mus­ter voll­zog Kelek nach eige­nen Anga­ben erst auf­grund des Fal­les Feresh­ta Ludin, dem „Kopf­tuch­streit“: „Seit­dem war mir klar, daß der Islam als poli­ti­sches Instru­ment auch in Deutsch­land miß­braucht wird und daß mit Beschwich­ti­gung nichts mehr zu errei­chen ist.“
Die­ser Bruch wur­de auch auf der ideo­lo­gi­schen Ebe­ne voll­zo­gen. Kelek ver­knüpf­te ihren libe­ra­len Indi­vi­dua­lis­mus mit alteman­zi­pa­to­ri­schem Gedan­ken­gut, um die­se Koali­ti­on gegen den Mar­xis­mus-Leni­nis­mus der Lin­ken, der die Ungleich­heit der Geschlech­ter ledig­lich als „Neben­wi­der­spruch“ betrach­tet, ins Feld füh­ren zu kön­nen. Durch die­se ideo­lo­gi­sche Kon­stel­la­ti­on erklärt sich auch die merk­wür­di­ge Arbeits­tei­lung zwi­schen den bür­ger­li­chen Blät­tern FAZ und Welt und der Emma, deren „Auf­ruf der 12“ gegen einen neu­en isla­mis­ti­schen Tota­li­ta­ris­mus auch Per­sön­lich­kei­ten wie Hans-Peter Rad­datz und Hel­mut Mark­wort unterzeichneten.
Dem vor­an­ge­gan­gen war der publi­zis­ti­sche „Weck­ruf“ von sech­zig „Migra­ti­ons­for­schern“ in der Zeit, der sich gegen Kel­eks auto­bio­gra­phisch gefärb­te „Ent­hül­lun­gen“ über Miß­stän­de in den Gesell­schafts- und Fami­li­en­struk­tu­ren tür­ki­scher Migran­ten (Die frem­de Braut. Ein Bericht aus dem Inne­ren des tür­ki­schen Lebens in Deutsch­land, Köln: Kie­pen­heu­er und Witsch 2005, geb., 269 S., 18.90 €; Die ver­lo­re­nen Söh­ne. Plä­doy­er für die Befrei­ung des tür­kisch­mus­li­mi­schen Man­nes, Köln: Kie­pen­heu­er und Witsch 2006, geb., 208 S., 18.90 €) sowie ihre dar­aus abge­lei­te­ten gesell­schafts­po­li­ti­schen For­de­run­gen (ver­stärk­ter Inte­gra­ti­ons­druck, Ein­bür­ge­rungs­tests, Säku­la­ri­sie­rungs­druck auf den Islam, Locke­rung der tür­ki­schen Fami­li­en­clan­struk­tu­ren) rich­te­te. Aus rech­ter Sicht sind die ers­te­ren als weit­ge­hend bekannt und die letz­te­ren als weit­ge­hend illu­so­risch zu beur­tei­len. Wirk­lich span­nend erscheint dage­gen die detail­lier­te und unge­wohnt kri­ti­sche Durch­leuch­tung des gesam­ten migra­ti­ons­po­li­ti­schen Kom­ple­xes der Bun­des­re­pu­blik im Zuge der nach die­sem Weck­ruf ein­ge­lei­te­ten Gegen­kam­pa­gne. Kelek durf­te ihre teil­wei­se scharf vor­ge­tra­ge­ne Kri­tik in zahl­rei­chen Inter­views, auch und gera­de in den lin­ken Stamm­blät­tern der Migra­ti­ons­lob­by (Frank­fur­ter Rund­schau, taz) ver­brei­ten und wur­de dabei in den bür­ger­li­chen Blät­tern von Mari­am Lau, Thea Dorn (bei­de Welt) und Regi­na Mönch (FAZ) sekun­diert.

Die Demon­ta­ge der Gegen­par­tei gestal­te­te sich auf­grund die­ser güns­ti­gen Vorraus­set­zun­gen stel­len­wei­se wirk­lich ver­hee­rend. Es geriet nicht nur die ein­schlä­gi­ge aka­de­mi­sche Migra­ti­ons­for­schung als Gan­zes in den kri­ti­schen Blick der Öffent­lich­keit, Necla Kelek und ihre feuil­le­to­nis­ti­schen Mit­strei­te­rin­nen scheu­ten auch nicht davor zurück, ein­zel­ne For­scher direkt ad homi­nem anzugreifen.
Yase­min Kara­ka­so­glu zum Bei­spiel, Mit­in­itia­to­rin des „Weck­rufs“, in dem Kelek auch die unwis­sen­schaft­li­che Ver­all­ge­mei­ne­rung von Ein­zel­fäl­len vor­ge­wor­fen wor­den war, hat­te in ihrer Dis­ser­ta­ti­on die Ergeb­nis­se von Inter­views mit nur fünf­zehn mus­li­mi­schen Päd­ago­gik­stu­den­tin­nen ihres eige­nen Insti­tuts aus­ge­wer­tet. Auf die­ser Grund­la­ge kam sie zum „wis­sen­schaft­li­chen“ Ergeb­nis, daß das Kopf­tuch ein Zei­chen des neu­en Selbst­be­wußt­seins moder­ner Mus­li­min­nen sei, ein Ergeb­nis, das sie zur Gut­ach­te­rin vor dem Ver­fas­sungs­ge­richt im „Kopf­tuch­streit“ qua­li­fi­zier­te, wo sie maß­geb­lich zur win­del­wei­chen Ent­schei­dung des Gerichts bei­trug. Kara­ka­so­glu, die in Bre­men den ers­ten Lehr­stuhl für „Inter­kul­tu­rel­le Bil­dung“ inne­hat und im Vor­stand der Mus­li­mi­schen Aka­de­mie in Ber­lin sitzt, stellt einen wich­ti­gen Bau­stein im jüngst in von Ali­ce Schwar­zer in der FAZ por­trä­tier­ten Netz­werks der „Freun­de und Freun­din­nen der bär­ti­gen Brü­der“ (Schwar­zer) dar.
Ein wei­te­rer Bau­stein ist Kel­eks Dok­tor­mut­ter Ursu­la Neu­mann, Lei­te­rin des Insti­tuts für Inter­kul­tu­rel­le Päd­ago­gik in Ham­burg, Freun­din der Grü­nen Chris­ta Sager und Marie-Lui­se Beck und Mit­un­ter­zeich­ne­rin des Auf­rufs gegen Kelek, ihre eige­ne Pro­mo­ven­din. Als Aus­län­der­be­auf­tra­ge unter dem rot-grü­nen Ham­bur­ger Senat von 1999–2002 plä­dier­te sie für den Dia­log mit dem Bünd­nis Isla­mi­scher Gemein­den (BIG), einer Unter­grup­pe der isla­mis­ti­schen Mil­li Görüs. Im Zuge der Kam­pa­gne gegen Kelek wur­de auch ihr zwei­fel­haf­tes wis­sen­schaft­li­ches Geba­ren in meh­re­ren Fäl­len ans Licht der Medi­en­öf­fent­lich­keit gezerrt.
Schließ­lich ging es auch um den Doy­en der Migra­ti­ons­for­schung, den Eth­no­lo­gen Wer­ner Schiff­au­er, der den Ber­li­ner Innen­se­na­tor in Sachen Islam berät. Schiff­au­er hat die „Meis­ter­er­zäh­lung“ der deut­schen Migra­ti­ons­for­schung ent­wor­fen, eine melan­cho­li­sche, von Ador­no inspi­rier­te Geschich­te über den Ver­lust der Iden­ti­tät des Migran­ten in der Moder­ne, die Schiff­au­er anhand der Lebens­we­ge von acht ana­to­li­schen Bau­ern auf­roll­te (Die Migran­ten aus Sub­ay. Tür­ken in Deutsch­land: eine Eth­no­gra­phie, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 1991). Der Mann war zu klug, um selbst sei­ne Unter­schrift unter den offe­nen Brief in der Zeit zu set­zen, aller­dings wur­de er unwei­ger­lich in die Debat­te hin­ein­ge­zo­gen, weil Kelek immer wie­der osten­ta­tiv sei­ne Kern­the­se in Fra­ge stell­te, daß der Anpas­sungs­pro­zeß von Migran­ten aus vor­mo­der­nen Kon­tex­ten an die moder­ne Kul­tur in den Auf­nah­me­län­dern gera­de­zu auto­ma­tisch ver­lau­fen wer­de und man eher Anstren­gun­gen zum Schutz der gefähr­de­ten Aus­gangs­iden­ti­tät die­ser Men­schen unter­neh­men sol­le als sol­che zur for­cier­ten Integration.
Nun schallt es all die­sen „Wis­sen­schaft­lern“ aus dem Mund von Necla Kelek ent­ge­gen: „Sie haben das Leid ande­rer zuge­las­sen!“, „Sie haben Angst um ihre For­schungs­mit­tel“, „Es sind gera­de die­se Migra­ti­ons­for­scher, die seit 30 Jah­ren für das Schei­tern der Inte­gra­ti­ons­po­li­tik ver­ant­wort­lich sind“ und „Ich kann die­se Men­schen, die in ihren Insti­tu­tio­nen die Mit­tel haben, nur auf­for­dern, sich end­lich die Rea­li­tät anzu­se­hen und die Zah­len zu lie­fern.“ Im kon­ser­va­ti­ven Lager soll­te man mit einer gewis­sen Genug­tu­ung regis­trie­ren, wie eine neu­eman­zi­pa­to­ri­sche Wei­ber­ban­de den aka­de­mi­schen Migra­ti­ons­lob­by­is­mus mit all den längst über­fäl­li­gen publi­zis­ti­schen Atta­cken über­zieht, zu denen man selbst auf­grund noto­ri­scher Zugangs­schwie­rig­kei­ten zu den eta­blier­ten Medi­en bis­her nicht in der Lage gewe­sen ist. Das cou­ra­gier­te Enga­ge­ment der Kelek gegen eine mäch­ti­ge, der indi­vi­du­el­len Frei­heit feind­lich gegen­über­ste­hen­de gesell­schaft­li­che Strö­mung ist bewun­derns­wert. Kelek reiht sich damit ein in eine Rie­ge von fremd­stäm­mi­gen Pro­mi­nen­ten (Aya­an Hir­si Ali, Cerap Cile­li, Sey­ran Ates, Bassam Tibi, Ibn Warr­aq, Sal­man Rush­die), wel­che geneigt sind, die Libe­ra­li­tät des Wes­tens erns­ter zu neh­men, als die­ser selbst es ver­mag. Es darf aller­dings bezwei­felt wer­den, daß einem in vie­ler Hin­sicht deka­den­ten, durch exzes­si­ven Selbst­haß geschwäch­ten west­li­chen Staat wie Deutsch­land aus die­ser Rich­tung wirk­lich noch ein­mal ein ret­ten­des Kor­sett gegen den end­gül­ti­gen Zer­fall ein­ge­zo­gen wer­den kann. Wenn das gesche­hen soll, dann müs­sen wir schon selbst Hand anlegen.

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