Anthony McCarten: funny girl

Anthony McCarten: funny girl, Zürich 2014. 384 S., 15,95 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

McCar­tens Geschich­te über Azi­me, die welt­weit ers­te bur­ka­tra­gen­de Komö­di­an­tin (»Come­di­an«), mag sich nicht glas­klar ins Gen­re der Hoch­li­te­ra­tur fügen. Sie ist nichts­des­to­we­ni­ger ein viel­schich­ti­ger Lese­genuß, der sich nicht zuletzt der Über­set­zungs­leis­tung durch Man­fred Allié und Gabrie­le Kempf-Allié ver­dankt. Fun­ny girl ist einer die­ser Roma­ne, auf die das Kli­schee­wort vom Nicht-weg­le­gen-Kön­nen zutrifft.

Azi­me ist zwan­zig, in Lon­don als Kind kur­di­scher Eltern gebo­ren. Die fami­liä­re Situa­ti­on ist recht typisch – die Eltern füh­ren eine arran­gier­te, zufrie­de­ne Ehe, der Vater hat sich als Möbel­händ­ler (»tür­ki­scher Barock«) selb­stän­dig gemacht, er han­delt mit Möbeln, die nach Azi­mes Mei­nung »bes­ser aus­sa­hen, wenn man die Plas­tik­hül­le drum­ließ.« Azi­mes Bru­der ist ein patri­ar­cha­li­scher Ger­ne­groß, die neun­jäh­ri­ge Schwes­ter möch­te Hirn­chir­ur­gin oder Top­mo­del wer­den, schwenkt aber nach dem ein­mo­na­ti­gen »Kopf­tuch-auf-Pro­be« mit guten Grün­den auf die fami­liä­re Sit­te ein.

McCar­ten beschreibt ein­drück­lich, war­um die Macht der Tra­di­ti­on so groß und ver­füh­re­risch ist. Aus Azi­mes nach­voll­zieh­ba­rer Sicht ist sie erdrü­ckend und hei­me­lig zugleich. »Wenn man sei­nen Platz in der lan­gen Tra­di­ti­ons­rei­he ein­nahm und sich den Gebo­ten der alten Kul­tur beug­te, dann bekam man das Gefühl, daß das Leben nicht aus vie­len klei­nen Schub­la­den bestand, son­dern daß man ein voll­stän­di­ger Mensch war, Bestand­teil eines grö­ße­ren, schö­ne­ren Ganzen.«

Azi­me liebt die kur­di­schen Gepflo­gen­hei­ten. Sie trägt sel­ten Kopf­tuch, spürt einem mut­maß­li­chen Ehren­mord an einer Schul­ka­me­ra­din nach, sie ist Jung­frau-bis-zur-Ehe aus Über­zeu­gung – und sie führt ein klei­nes unmus­li­mi­sches Son­der­le­ben, vor allem, seit sie aus Zufall in die­sen volks­hoch­schul­ar­ti­gen Come­dy-Kurs gera­ten ist. Sie beschließt, zelt­för­mig auf­zu­tre­ten. Ihr einer­seits loses, ande­rer­seits doch mus­li­misch-loya­les und bei aller Schlag­fer­tig­keit eher mäßig wit­zi­ges Mund­werk begeis­tert die Zuhö­rer – allein auf­grund des Rah­mens, des stof­fe­nen Rah­mens, aus dem die Wor­te ans Ohr der Zuhö­rer dringen.

Was für ein Zünd­stoff! Eine Bur­ka­frau liest Levi­ten! Es hagelt Mord­dro­hun­gen; die Eltern, bis­lang arg bemüht, das nach deren Ein­schät­zung alte Mäd­chen unter die Hau­be zu krie­gen, wol­len sich von der Toch­ter los­sa­gen. Allah hat die­se Art Wit­zig­kei­ten unter­sagt! Azi­me fühlt sich zerrissen.

»Im 21. Jahr­hun­dert lebt in so einem Land jeder in der Hoff­nung, daß er nie in eine Situa­ti­on kommt, in der er Zivil­cou­ra­ge zei­gen muß«, das ist ihr Emp­fin­den. Azi­me wird nicht mit ihren Leu­ten bre­chen. Sie neigt sich mit den Frau­en in der Moschee »tief, rich­tet sich auf und ver­neigt sich wie­der, wie trä­ge arbei­ten­de Ölpum­pen«, aber sie läßt sich nicht kon­ta­mi­nie­ren, weder von dem kleb­ri­gen Gut der einen noch der ande­ren Sei­te. Gut!

Antho­ny McCar­tens fun­ny girl kann man hier bestel­len. 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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