Steffen Kopetzky: Risiko. Roman – eine Rezension

Steffen Kopetzky: Risiko. Roman, Stuttgart: Klett-Cotta 2015. 725 S., 24.95 €

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Es gab vor 30 Jah­ren – in jener weit ent­fern­ten Zeit ohne Com­pu­ter und Inter­net – drei stra­te­gi­sche Brett­spie­le, mit denen man ver­reg­ne­te Tage ver­brin­gen konn­te: Schach und Stra­te­go für zwei Spie­ler, für grö­ße­re Run­den Risiko.

Seit der Lek­tü­re des Romans Risi­ko von Stef­fen Kopetz­ky ist man über die Ent­ste­hung und Ver­fei­ne­rung des gleich­na­mi­gen Spiels im Bil­de. Die Grund­idee soll ein Major an der Mili­tär­aka­de­mie in Pots­dam ent­wi­ckelt haben, der sei­nen Schü­lern die »Theo­rie der Frik­ti­on« von Clau­se­witz ver­deut­li­chen wollte:

Aus einer Grund­auf­stel­lung her­aus wur­den Stra­te­gien ent­wi­ckelt, Trup­pen­kon­zen­tra­tio­nen her­bei­ge­führt und Koali­tio­nen gebil­det, die am Ende zum mili­tä­ri­schen Erfolg füh­ren soll­ten. In den Offi­ziers­ka­si­nos sei Risi­ko dann wei­ter­ent­wi­ckelt wor­den, bis es zuletzt – aus­ba­lan­ciert zwi­schen stra­te­gi­schem Geschick und Wür­fel­glück – wie­der­um als Anschau­ungs­ma­te­ri­al die Mäch­ti­gen in Kabul 1915 dazu ver­an­laßt habe, dem Wunsch der deut­schen Abge­sand­ten zu fol­gen und das eng­lisch besetz­te Indi­en anzugreifen …

In Wirk­lich­keit war es so: Der fran­zö­si­sche Film­re­gis­seur Albert Lamo­ris­se hat Risi­ko (damals: »Welt­erobe­rung«) 1955 erfun­den. Etap­pen der Ver­fei­ne­rung führ­ten zu der bun­ten Welt­kar­te aus dem Hau­se Par­ker, auf der man frem­des Land »erober­te« und geg­ne­ri­sche Armeen, Rei­ter­schwa­dro­nen und Artil­le­rie­bri­ga­den »ver­nich­te­te«. In den Schach­teln, die der­zeit im Han­del sind, wird das Ter­ri­to­ri­um nur mehr »befreit« und die frem­de Armee wird »auf­ge­löst« – eine pazi­fi­zie­ren­de Sprach­ver­schie­bung rüh­ren­den Aus­ma­ßes im Zeit­al­ter des Ego­shoo­ters, der am Tag locker ein­tau­send Fein­de am Bild­schirm – »reso­zia­li­siert«?

Sei’s drum: Kopetz­kys Roman ver­mengt his­to­ri­sche Bege­ben­heit mit Phan­ta­sie und Fik­ti­on zu einer tol­len Geschich­te. Wahr ist, daß sich die deut­sche Regie­rung bald nach dem Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs von einer Auf­wie­ge­lung der bri­tisch besetz­ten Gebie­te Ara­bi­ens, vor allem aber Indi­ens, eine Ent­las­tung der West­front erhoff­te: Die Kolo­ni­al­trup­pen wür­den ihre Haut nicht mehr vor Ver­dun, son­dern lie­ber in Rich­tung Bag­dad oder vor Karat­schi und end­lich gegen die bri­ti­schen Besat­zer zu Mark­te tra­gen. Füh­rer des deut­schen Expe­di­ti­ons­korps, das 1915 bis nach Kabul vor­stieß, war Oskar Rit­ter von Nie­der­may­er (1885–1948).

Es gelang ihm nicht, den Emir Habi­bull­ah zu einer Akti­on gegen die Bri­ten zu bewe­gen, und auch in Kopetz­kys Roman gelingt das nicht – jedoch stirbt dort der Emir, weil ihm der Mari­ne­leut­nant Stich­no­te das Genick bricht. Der Nef­fe des Emirs befiehlt den Auf­stand, der die afgha­ni­schen Stäm­me ganz West­in­di­en erobern läßt – wäh­rend in Ber­lin 1916 noch die Olym­pi­schen Spie­le abge­hal­ten wer­den und sich Frank­reich und das Deut­sche Reich über die­sem Völ­ker­fest ver­söh­nen, um ein karo­lin­gi­sches Kerneu-ropa zu grün­den, kul­tu­rell das groß­ar­ti­ge »Alte Euro­pa« reprä­sen­tie­rend, wäh­rend Eng­land als das »per­fi­de Albi­on« samt sei­nem US-ame­ri­ka­ni­schen Hin­ter­land außen vor bleibt … Dies ist – zusam­men­ge­faßt – das sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Ende einer gut erzähl­ten Geschichte.

Die Not­wen­dig­keit der Hand­lungs­fort­schrei­bung ist recht oft in Roma­nen eine Schwä­che: Eigent­lich will jemand einen Erzähl­tep­pich weben, will auf klei­nem Raum die Fäden durchs Gewe­be schie­ßen und sei­ne Figu­ren mit­ein­an­der ver­knüp­fen. Auch im Fal­le Kopetz­kys ver­wei­sen Erzähl­lust und ‑kunst auf das Talent des Autors, abge­schlos­se­ne Sze­nen wirk­lich­keits­ge­sät­tigt zu gestal­ten. Ob das die Hafen­ta­ge an der Küs­te des frisch gegrün­de­ten Staa­tes Alba­ni­en sind, ob es die Lei­den­schaft des jun­gen Mari­ne­of­fi­ziers Dönitz für das Risi­ko­spiel ist oder die eines Maschi­nis­ten für den koh­le­ge­speis­ten Antrieb tief im Innern des Kriegs­schiffs: Das alles ist mit Empa­thie, Detail­wis­sen und Men­schen­kennt­nis geschil­dert. Zu Kopetz­kys und des Lesers Leid­we­sen müs­sen die Figu­ren sich ab und an erhe­ben, müs­sen auf­bre­chen, um das Ziel des Romans zu erreichen.

Ganz neben­bei wird ein wenig Kapi­ta­lis­mus­kri­tik geübt. Ein Waf­fen­schie­ber erzählt, wie er sich vom Sozi­al­re­vo­lu­tio­när zum Mit­spie­ler des Groß­ka­pi­tals ent­wi­ckelt habe und nach gründ­li­chem Blick auf die öko­no­mi­sche Macht hin­ter der poli­ti­schen zu einem Anwalt der klei­nen Leu­te gewor­den sei. (»Ich weiß, daß nichts auf der Welt der deut­schen Arbei­ter­schaft gleicht.«) Vor allem sie näm­lich kämen in der rasen­den Fahrt der Kapi­tal­an­häu­fung unter die Räder, und sein Ver­mö­gen häu­fe er nur zu einem Zweck an: »Die Brem­se zie­hen. Den Zug auf­hal­ten. Für einen Feh­ler sor­gen. Eine Frik­ti­on her­bei­füh­ren, um die Mecha­nik des Kapi­tals zu stop­pen.« Selbst­re­dend gewährt Kopetz­ky die­ser geläu­ter­ten Figur einen Auf­tritt im Rah­men der Befrie­dung des Krie­ges bereits im Jah­re 1916.

Kopetz­ky, selbst Mit­glied der SPD, will sol­che Bot­schaf­ten unter­brin­gen. Bes­ser hät­te er dar­auf ver­zich­tet. Jedoch ist es nicht schwie­rig, ihm die­sen Tick zu verzeihen.

Stef­fen Kopetz­kys Risi­ko kann man  hier bestel­len.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (3)

Der Gutmensch

22. Juni 2015 10:08

Hm. Wirklich sehr großzügig, den Leuten den Tick zu verzeihen, den Clausewitz gelesen und verinnerlicht zu haben. Aber ich gebe zu - als Botschaft taugt das nichts. Wenn man so etwas vorhat, muss man seine eigene Eitelkeit zurückstellen können.

Ein Leser

22. Juni 2015 17:19

Wer sich für die wahren Begebenheiten interessiert, dem sei "Östlich von Konstantinopel" (im Original "Like Hidden Fire: The Plot to Bring Down the British Empire") von Peter Hopkirk empfohlen.

Reinhild

24. Juni 2015 20:39

Bei aller Liebe zu historischen Fakten - manchmal ist ein guter Roman einfach ein guter Roman. Ein Roman der einen in den Bann zieht, mit großer Lust ein farbenprächtiges Gemälde entspinnt, vor dem man staunend stehen bleibt.

Und im Nachgang mag dann das Nachforschen anfangen, die Nachlese, in der man dann die genauen Umstände und "wahren Begebenheiten" erfährt. Aber auch das hätte man nie getan, wenn nicht ein guter Autor ein in meinen Augen sehr gutes Buch geschrieben hätte.

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