Stein und Zeit – eine Rezension

pdf der Druckfassung aus Sezession 64 / Februar 2015

Wenige wissen, daß in Deutschland eine kleine Mönchsgemeinschaft existiert, die kirchlich zur bulgarisch-orthodoxen Metropolie von West- und Mitteleuropa gehört und sich als Traditionskern eines deutschen orthodoxen Christentums versteht. Die vier Väter des Dreifaltigkeitsklosters leben zurückgezogen unter Leitung des Abtes Johannes im selbstgebauten Heiligtum in Buchhagen im Weserbergland. Im Selbstverlag des Klosters ist bereits 2012 das vorliegende Buch Stein und Zeit (424 S., 18 €) erschienen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Sein Autor, der 1951 in Frank­furt am Main gebo­re­ne Gott­fried Böh­me, Leh­rer an einem evan­ge­li­schen Gym­na­si­um in Leip­zig, ist selbst Pro­tes­tant und hält sich laut Vor­wort nicht gera­de für einen beson­ders from­men oder reli­gi­ös eifern­den Men­schen. Das hin­dert ihn nicht dar­an, in Glau­bens­fra­gen einen dezi­dier­ten Stand­punkt ein­zu­neh­men und, durch­aus mit Schlei­er­ma­cher als Ahn­herrn, die Sache der Reli­gi­on gegen­über den »Gebil­de­ten unter ihren Ver­äch­tern« zu vertreten.

Sein Buch ist nicht zuletzt die Frucht einer lang­jäh­ri­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­nen Schü­lern im »Drei­län­der­eck zwi­schen Phi­lo­so­phie, Theo­lo­gie und Natur­wis­sen­schaf­ten«; einer von ihnen ist unter dem Namen »Vater Laza­rus« Mönch in Buch­ha­gen gewor­den und hat ein lesens­wer­tes Nach­wort bei­gesteu­ert, das die von sei­nem ehe­ma­li­gen Leh­rer auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen aus der Sicht der Ortho­do­xie zu beant­wor­ten versucht.

In der Tat baut Böh­me nicht nur auf evan­ge­lisch-refor­mier­te Auto­ri­tä­ten wie Karl Barth, son­dern nicht min­der auf den Geist des Ber­ges Athos oder auf die mys­tisch-phi­lo­so­phi­sche Schau sei­nes Namens­vet­ters Jacob Böh­me. Pas­send dazu zeigt das Umschlag­bild eine im elf­ten Jahr­hun­dert aus Elfen­bein geschnitz­te Dar­stel­lung der »Jakobs«-Leiter, die den Auf­stei­gen­den in »eine ande­re Sphä­re der Wirk­lich­keit« führt. Böh­me wen­det sich gegen die Ent­ker­nung des christ­li­chen Glau­bens, die heu­te vor allem von zwei Angrei­fern betrie­ben wird: einer­seits von den Ver­tre­tern der Natur­wis­sen­schaf­ten, ande­rer­seits – und hier nennt Böh­me eini­ge nie­der­schla­gen­de Bei­spie­le – von den Ver­tre­tern der evan­ge­li­schen Kir­che selbst.

Denn die­se sind heu­te nur all­zu bereit, den Eck­stein, auf dem ihr Gebäu­de ruht, zu zer­trüm­mern oder zumin­dest sei­ne Exis­tenz zu ver­schwei­gen und mit aller­lei rhe­to­ri­schen Män­tel­chen zu behän­gen. Das besag­te Fun­da­ment aber ist immer noch das­sel­be, das Pau­lus im 1. Korin­ther­brief als Zen­trum des Glau­bens mar­kier­te: »Gibt es kei­ne Auf­er­ste­hung der Toten, so ist auch Chris­tus nicht auf­er­stan­den. Ist aber Chris­tus nicht auf­er­stan­den, so ist unse­re Pre­digt ver­geb­lich, so ist auch euer Glau­be vergeblich.«

Der Gekreu­zig­te war, ist und bleibt »den Juden ein Ärger­nis, den Grie­chen eine Tor­heit«. An die­ser Stel­le bleibt Böh­me uner­bitt­lich, und er zeigt, wie sich die Wür­den­trä­ger der Kir­che, die Theo­lo­gen und Reli­gi­ons­leh­rer um das Bekennt­nis zu die­sem »kleins­ten Kate­chis­mus« hart­nä­ckig her­um­win­den. Die gan­ze Mise­re demons­triert er anhand des beson­ders pfif­fig und modern auf­tre­ten­den Reli­gi­ons­lehr­bu­ches Elf-­Zwölf Reli­gi­on. Ent­de­cken – ver­ste­hen – gestal­ten aus dem Jah­re 2008.

Böh­me bil­ligt sei­nen Machern zu, daß es mit Intel­li­genz und Geschmack gestal­tet wur­de, weist aber nach, daß es mit sei­nem Über­ge­wicht an »har­ten« reli­gi­ons­kri­ti­schen Tex­ten und sei­ner offe­nen Her­ab­las­sung gegen­über »bibli­zis­ti­schen« Posi­tio­nen und den von ihnen gepräg­ten Gläu­bi­gen eher unter­mi­nie­re, was es zu för­dern vorgebe.

Man kön­ne ein Lehr­buch wie die­ses, dem schlicht­weg die Bereit­schaft fehlt, für die Sache des Glau­bens ein­zu­ste­hen, in der Tat als Doku­ment der Kapi­tu­la­ti­on wer­ten. Dabei ren­ne es ohne­hin offe­ne Türen ein: Die Argu­men­te der Reli­gi­ons­kri­tik sei­en Gemein­plät­ze gewor­den, an die im Grun­de heu­te fast jeder­mann »glaubt«. Die Gedan­ken von Feu­er­bach, Dar­win, Marx, Freud und Nietz­sche sei­en inzwi­schen in den letz­ten Hin­ter­wäld­ler­kopf gesi­ckert – wenn er auch die Namen ihrer Urhe­ber noch nie gehört habe.

Böh­me nennt die wich­tigs­ten reli­gi­ons­kri­ti­schen Säu­len, die in ihrer heu­ti­gen Form vor allem auf Denk­strö­mun­gen des 19. Jahr­hun­derts zurück­ge­hen: Die Evo­lu­ti­ons­theo­rie bie­tet eine modell­haf­te Erklä­rung über Dasein und Ent­ste­hung der auf der Welt leben­den Arten, die ohne die Idee einer »Schöp­fung« und eines »Schöp­fers« aus­kommt; die »Leben-Jesu-For­schung« hat die his­to­ri­sche Fak­ti­zi­tät der bibli­schen Über­lie­fe­run­gen bestrit­ten; und die moder­ne Neu­ro­lo­gie hat Gott und die Reli­gi­on end­gül­tig zu blo­ßen Hirn­ge­spins­ten gemacht. Die Natur­wis­sen­schaf­ten, die nur eine rei­ne, mate­ri­el­le Imma­nenz aner­ken­nen, haben damit aller­dings die Wirk­lich­keit um Dimen­sio­nen beraubt, die jahr­tau­sen­de­lang Gül­tig­keit hat­ten und als eigent­li­ches Signum des Mensch­seins galten.

Böh­me zeigt, daß mit der Abschaf­fung Got­tes als per­so­na­ler Wesen­heit auch der Mensch als Per­son zuneh­mend abge­schafft wird. Auch er wird als ein nur schein­bar Gan­zes betrach­tet, das sich in eine Viel­zahl von Teil­sum­men und funk­tio­na­len Bezie­hun­gen auf­lö­sen läßt. In der Theo­rie der Neu­ro­wis­sen­schaft­ler und Bio­lo­gen wird er zu einem zufäl­li­gen Arran­ge­ment gene­ti­scher Kom­bi­na­tio­nen, das am Ende nicht mehr als sei­ne Syn­ap­sen und neu­ro­na­len Pro­zes­se »ist«. Dabei ahnen jene, die unter Beru­fung auf sol­che »wis­sen­schaft­li­che« Argu­men­te unun­ter­bro­chen ver­kün­den, sowohl Gott als auch das Ich sei­en end­gül­tig erle­digt, in der Regel nicht, am Ran­de wel­chen Abgrunds sie eigent­lich tanzen.

Böh­me wider­spricht nun der weit­ver­brei­te­ten Vor­stel­lung, daß »intel­lek­tu­el­le Red­lich­keit« zwangs­läu­fig zu athe­is­ti­schen, szi­en­tis­ti­schen Posi­tio­nen füh­re müs­se – sei­ne »Demon­ta­ge eines über­schätz­ten Begriffs« gehört zu den Höhe­punk­ten sei­ner weni­ger pole­mi­schen als viel­mehr kon­tem­pla­ti­ven Schrift. Den Gehirn­for­schern unter­stellt er man­gel­haf­te phi­lo­so­phi­sche Bil­dung, die sie dazu ver­füh­re, aus ihren Meß­ergeb­nis­sen fol­gen­schwe­re und fal­sche Rück­schlüs­se zu zie­hen – Irr­tü­mer, vor denen sie etwa das Stu­di­um Huss­erls und Heid­eg­gers bewah­ren könnte.

Hier liegt auch das Schlacht­feld von Böh­mes zen­tra­lem Waf­fen­gang, einer Kri­tik des neu­zeit­li­chen Zeit­be­grif­fes, den er als »reduk­tio­nis­tisch« bezeich­net, weil er die Dimen­si­on der Ewig­keit oder des Ewi­gen aus sei­nem Denk­ho­ri­zont ver­bannt hat – womit wohl­ge­merkt nicht eine »ewi­ge« Dau­er gemeint ist, son­dern eine gänz­lich von der linea­ren Zeit unter­schie­de­ne Zeit­qua­li­tät, in der Kate­go­rien wie Ver­gan­gen­heit, Gegen­wart und Zukunft gleich­sam »auf­ge­ho­ben« sind. Die natur­wis­sen­schaft­li­che Beob­ach­tung hat­te zwar dar­in recht, Gott aus dem Raum zu »ver­trei­ben«: das pto­le­mäi­sche Welt­bild, das Sphä­ren kennt, in denen Gott und die Men­schen »woh­nen«, beschreibt indes nicht die sinn­li­che Welt, und ein Feh­ler war es, dies zu verkennen.

Ein noch schwe­re­rer Feh­ler war es, auch das »Wirk­lich­keits­ele­ment« der Zeit von Gott zu »rei­ni­gen«, womit nicht nur Gott der Ewig­keit beraubt, son­dern auch die Mög­lich­keit sei­nes Ein­bruchs in die linea­re Zeit – etwa im mys­ti­schen Zuspruch – theo­re­tisch ver­neint wird. »Die Ver­kür­zung des Zeit­be­grif­fes scheint mir für den Bereich der Natur­wis­sen­schaf­ten der neu­zeit­li­che Sün­den­fall schlecht­hin zu sein. Wer es grund­sätz­lich aus­schließt, daß aus einer ver­bor­ge­nen Ewig­keit Zei­chen zu uns drin­gen, wer sol­che geheim­nis­vol­len Bezü­ge zwi­schen Ewig­keit und Zeit­lich­keit nicht mehr als mög­li­che Kon­sti­tu­en­te der durch­aus irdi­schen Wirk­lich­keit ansieht, wirft nicht nur die Per­son und die Frei­heit aus der Wirk­lich­keit her­aus, son­dern auch Gott. Inso­fern läßt sich der schlei­chen­de Athe­is­mus unse­res Kon­ti­nents mit einer Reduk­ti­on des Wirk­lich­keits­ver­ständ­nis­ses in Ver­bin­dung bringen.«

Der Rezen­sent ist über­zeugt, daß die­se Aus­höh­lung der inne­ren wie äuße­ren, zeit­li­chen wie ewi­gen Wirk­lich­keit auf lan­ge Frist das Ende die­ses Kon­ti­nents besie­geln wird. Der Glau­be aber ist für Böh­me der »ver­wor­fe­ne Stein des euro­päi­schen Hau­ses«, ohne den es sei­nen Halt ver­liert und vom Sand ver­schlun­gen wird. Sein Buch bie­tet klar und kohä­rent aus­ge­brei­te­tes, »intel­lek­tu­ell red­li­ches« Rüst­zeug in Fül­le, um der athe­is­ti­schen Argu­men­ta­ti­on zu begegnen.

Wie stets in die­ser Aus­ein­an­der­set­zung muß der ein­zel­ne sei­ne grund­le­gen­de Ent­schei­dung jedoch schon zuvor getrof­fen haben: alles hängt davon ab, ob er an die Wirk­lich­keit der »ande­ren Sphä­ren« glau­ben will und kann, und ob er bereit ist, sei­ne eige­nen dies­be­züg­li­chen Erfah­run­gen nicht als Selbst­ge­sprä­che, son­dern als wahr­haf­te Begeg­nun­gen und Berüh­run­gen zu ver­ste­hen. Genau hier setzt das Nach­wort von Vater Laza­rus an.

Gott­fried Böh­me: Stein und Zeit, Ver­lag des hei­li­gen Drei­fal­tig­keits­klos­ters Buch­ha­gen, 424 Sei­ten, 18 €, hier bestel­len.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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