Mittendrin im Wagner-Jahr

55pdf der Druckfassung aus Sezession 55 / August 2013

von Siegfried Gerlich

Der Literaturwissenschaftler Dieter Borchmeyer und der Politikwissenschaftler Udo Bermbach zählen zu den profiliertesten und produktivsten Wagnerforschern unserer Zeit.

Bei­de haben meh­re­re gewich­ti­ge Bücher zu Wag­ner vor­ge­legt, die längst als Refe­renz­wer­ke gel­ten, und über­dies geben sie das inter­dis­zi­pli­nä­re Wag­ner­spek­trum her­aus, des­sen jüngs­te Aus­ga­be »jüdi­schen Wag­ne­ria­nern« gewid­met ist (Bd. 17, Würz­burg: Königs­hau­sen & Neu­mann 5/2013. 328 S., 18 €). Es ist daher kaum ver­wun­der­lich, daß ihre neu­es­ten, zum Wag­ner­jahr erschie­ne­nen Bücher kei­ne ganz neu­en Per­spek­ti­ven mehr eröff­nen, son­dern eher gelas­se­ne Resü­mees ihrer jahr­zehn­te­lan­gen For­schungs­ar­bei­ten bie­ten. Gera­de damit aber emp­feh­len sie sich als – vor­züg­lich sich ergän­zen­de – Ein­füh­run­gen in Wag­ners Werk und Wirken.

Wäh­rend Borchmey­er das künst­le­ri­sche Schaf­fen ins Zen­trum sei­ner kul­tur­his­to­risch ver­sier­ten Bio­gra­phie Richard Wag­ner. Werk – Leben – Zeit (Stutt­gart: Reclam 2013. 404 S., 22.95 €) stellt, kon­zen­triert sich Berm­bach in sei­ner ideo­lo­gie­his­to­ri­schen Rekon­struk­ti­on des viel­ge­stal­ti­gen Mythos Wag­ner (Ber­lin: Rowohlt 2013. 336 S., 19.95 €) auf des­sen ein­schlä­gi­ge Wir­kungs­ge­schich­te. Mit Sei­ten­blick auf die zeit­ge­nös­si­sche Sekun­där­li­te­ra­tur kommt frei­lich auch Borchmey­er nicht um die Fest­stel­lung her­um, daß Wag­ner bis heu­te »ein Ärger­nis« geblie­ben ist: »An ihm arbei­tet sich das schlech­te Gewis­sen der unheil­vol­len deut­schen Geschich­te des 20. Jahr­hun­derts ab, auf ihn pro­ji­ziert sich die Scham über jene Geschich­te als deren Mene­te­kel, ihren bedroh­li­chen Vor­bo­ten und fins­te­ren Schatten.« 

In Anbe­tracht sol­cher Befan­gen­hei­ten, die viel­fach zu reduk­tio­nis­ti­schen Kurz­schlüs­sen vom Leben aufs Werk ver­lei­tet haben, weist Borchmey­ers Bio­gra­phie umso ent­schie­de­ner den gras­sie­ren­den Bio­gra­phis­mus zurück und unter­nimmt es statt­des­sen, Wag­ners Lebens­sta­tio­nen und ‑peri­pe­ti­en von der Ideen­welt sei­ner Kunst­my­then her zu deu­ten. So wird den Büh­nen­wer­ken ihre ästhe­ti­sche Auto­no­mie und uto­pi­sche Potenz zurück­er­stat­tet, ohne daß dar­über Wag­ner als Mensch in sei­nem All­zu­mensch­li­chen aus­ge­blen­det wür­de. Sei­nem noto­ri­schen Anti­ju­da­is­mus etwa gibt Borchmey­er die dia­lek­ti­sche Deu­tung, Wag­ner habe die für ihn selbst bedroh­li­chen Ele­men­te sei­ner künst­le­ri­schen Moder­ni­tät auf das Juden­tum pro­ji­ziert, um einer auf den Nihi­lis­mus zusteu­ern­den Moder­ne durch ein ästhe­tisch geläu­ter­tes und kul­tur­mes­sia­nisch umge­deu­te­tes Chris­ten­tum über­zeu­gen­der Ein­halt gebie­ten zu können.

Umsich­tig zeigt sich auch Udo Berm­bach, der schon des­halb auf kei­ne aggres­si­ve Ent­zau­be­rung des Wag­ner-Mythos abhebt, weil er von des­sen nach Kriegs­en­de bereits voll­zo­ge­ner Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung als einer his­to­risch irrever­si­blen Tat­sa­che aus­geht. Zwar zeich­net Berm­bach noch ein­mal die »reak­tio­nä­re« Ideo­lo­gi­sie­rung Wag­ners vom Zwei­ten bis zum Drit­ten Reich nach, doch setzt er den »revo­lu­tio­nä­ren« Idea­lis­mus Wag­ners nicht mehr so enthu­si­as­tisch dage­gen ab wie in frü­he­ren Arbei­ten. Nun­mehr nimmt Berm­bach auch die von Wag­ner sel­ber schon betrie­be­ne Selbst­my­tho­lo­gi­sie­rung in den Blick, wel­che den chao­ti­schen Bar­ri­ka­den­kämp­fer zu einem cha­ris­ma­ti­schen Heils­brin­ger wer­den ließ, der schließ­lich in Bay­reuth eine »Ersatz­mon­ar­chie« errich­ten wollte. 

Indes­sen weiß Berm­bach die sym­bol­träch­ti­gen und mythen­taug­li­chen Ereig­nis­se und Epi­so­den von Wag­ners Leben so geschickt auf­zu­ru­fen und anzu­ord­nen, daß er ins­ge­heim sei­ner­seits am Nor­nen-Seil die­ses Lebens­schick­sals wei­ter­zu­we­ben scheint – gera­de so, als woll­te er sei­ner eige­nen Auf- und Abge­klärt­heit erzäh­le­risch ent­ge­gen­wir­ken. Kaum zufäl­lig läßt Berm­bach sein Buch mit Wag­ners Tod in Vene­dig begin­nen, der schon Gabrie­le D’Annunzio dazu ver­führ­te, die hoch­herr­schaft­li­che Über­füh­rung des Leich­nams nach Bay­reuth roman­haft auf­zu­be­rei­ten. Am Ende scheint der Mythos Wag­ner, der neben Sym­bo­len natio­na­ler Erneue­rung und ästhe­ti­scher Erlö­sung immer auch Alle­go­rien kul­tu­rel­len Ver­falls bereit­ge­hal­ten hat, sei­nen eige­nen Unter­gang über­lebt zu haben.

Zu den weni­gen Autoren, die dar­an erin­nern, daß auch Wag­ners Gegen­spie­ler Gui­sep­pe Ver­di in die­sem Jahr sei­nen 200. Geburts­tag fei­ert, gehört der preu­ßi­sche His­to­ri­ker Eber­hard Straub. Sei­ne Dop­pel­bio­gra­phie Wag­ner und Ver­di. Zwei Euro­pä­er im 19. Jahr­hun­dert (Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2013. 352 S., 24.95 €) fei­ert denn auch zwei euro­päi­sche Patrio­ten, die erst die Nach­welt zu glü­hen­den Natio­na­lis­ten erklärt und als Natio­nal­kom­po­nis­ten ein­ge­mein­det habe. Ein­lei­tend erin­nert Straub an den musisch gebil­de­ten und für ein demo­kra­ti­sches Euro­pa der Völ­ker kämp­fen­den Risor­gi­men­to-Revo­lu­tio­när Giu­sep­pe Mazzini, in des­sen Filoso­phia del­la musi­ca sich bereits die Idee eines »Gesamt­kunst­werks« vor­ge­dacht fin­det, wie Wag­ner und Ver­di sie auf ihre jeweils ein­zig­ar­ti­ge Wei­se ver­wirk­li­chen sollten. 

Vor die­sen kon­zep­tio­nel­len Gemein­sam­kei­ten ver­liert für Straub nicht nur die kli­schee­haf­te Gegen­über­stel­lung von erns­ter deut­scher Musik­dra­ma­tik und hei­te­rer ita­lie­ni­sche Opern­kunst an Bedeu­tung, son­dern auch jenes mensch­lich Tren­nen­de, daß die bei­den Tita­nen, die ihren Ruhm wech­sel­sei­tig kri­tisch beäug­ten, sich doch trotz mehr­fa­cher Gele­gen­hei­ten nie Aug in Aug begeg­nen woll­ten. Immer­hin lern­te Ver­di Mazzini noch per­sön­lich ken­nen, und Wag­ner bewun­der­te den ita­lie­ni­schen Frei­heits­kämp­fer zumin­dest aus der Fer­ne. In der Art, wie Straub die per­sön­li­chen Lebens­schick­sa­le sei­ner Prot­ago­nis­ten in die poli­ti­schen Schick­sa­le Deutsch­lands und Ita­li­ens ein­bet­tet, bewährt sich sei­ne Pro­fes­si­on: hier schiebt kein Bio­graph his­to­ri­sche Kulis­sen, son­dern ein kun­di­ger His­to­ri­ker weist in gedie­ge­ner Spra­che Wag­ner und Ver­di als künst­le­ri­sche Expo­nen­ten der weg­wei­sen­den Kräf­te ihres Zeit­al­ters aus, nicht ohne so zugleich die deutsch-ita­lie­ni­sche Wahl­ver­wandt­schaft in Erin­ne­rung zu bringen.

Eher für Fort­ge­schrit­te­ne bestimmt ist dage­gen Rüdi­ger Jacobs’ Stu­die Richard Wag­ner. Kon­ser­va­ti­ver Revo­lu­tio­när und Anarch (Graz: Ares 2013. 332 S., 29.90 €), die eine stren­ge Inter­pre­ta­ti­on von Wag­ners theo­re­ti­schen Schrif­ten leis­tet, denen der Autor sogar phi­lo­so­phi­sche Digni­tät zuer­kennt. Dabei weiß Jacobs sei­ne schon im Titel for­mu­lier­te The­se eben­so ein­fach wie ein­leuch­tend zu begrün­den: das »Kon­ser­va­ti­ve« in Wag­ners Den­ken lie­ge in der Sehn­sucht nach dem »Immer­gül­ti­gen«, einem herr­schafts­frei­en »Rein­mensch­li­chen« beschlos­sen, wel­ches der his­to­ri­sche Staat und die bür­ger­li­che Gesell­schaft unter sich begra­ben hät­ten; und ent­spre­chend zie­le Wag­ners mit­nich­ten lin­ke »Re-volu­ti­on« buch­stäb­lich auf eine »Rück-wen­dung« von einer fort­schritt­lich zer­fal­len­den Moder­ne zu einem zeit­los wah­ren und schö­nen Mensch­heits­zu­stand. Von die­ser anarcho-ästhe­ti­zis­ti­schen Meta­po­li­tik Wag­ners bahnt sich Jacobs, aben­teu­er­lich beherzt, schließ­lich einen Weg zu Ernst Jün­gers Typus des »Anar­chen«.

Dem­ge­gen­über bewegt sich Gott­fried Wag­ner auf dem aus­ge­tre­te­nen Tram­pel­pfad, der von Wag­ner zu Hit­ler führt. Sein neu­es Buch Du sollst kei­ne ande­ren Göt­ter haben neben mir. Richard Wag­ner – ein Minen­feld (Ber­lin: Pro­py­lä­en 2013. 304 S., 19.99 €) nimmt sich wie eine poli­ti­sche Ratio­na­li­sie­rung jener bio­gra­phisch erklär­li­chen Schuld­kom­ple­xe aus, die der Autor bereits vor Jah­ren bekennt­nis­haft aus­ge­brei­tet hat. Aber gera­de im Jubi­lä­ums­jahr wähn­te sich Wag­ners Uren­kel beru­fen, als pro­phe­ti­scher Mah­ner unter die all­zu sorg­los Fei­ern­den zu tre­ten und ihnen die Fest­tags­sup­pe gehö­rig zu ver­sal­zen: das Wag­ner­sche Erbe sei eine »ticken­de Bom­be« – nicht nur »anti­se­mi­tisch« und »ras­sis­tisch«, son­dern oben­drein noch »auto­ri­tär«, »anti­de­mo­kra­tisch« und »frau­en­ver­ach­tend«. Als »mit den Grund­sät­zen mensch­li­cher Ethik unver­ein­bar« ver­femt er ins­be­son­de­re Wag­ners umfang­rei­ches Schrift­tum, die­sen »strah­len­den Gift­schrank aus einer Ver­gan­gen­heit, die es ver­ant­wor­tungs­voll zu ent­sor­gen gilt.« 

Und um die Musik­dra­men gleich mit zu ent­sor­gen, ent­blö­det sich der Autor nicht, den Dich­ter-Kom­po­nis­ten für die im Ring vor­fal­len­den Gewalt- und Sexu­al­ver­bre­chen allen Erns­tes als »Täter« anzu­kla­gen und sei­ne Klang­wel­ten zu einer auf den »Orgas­mus des Publi­kums« berech­ne­ten »Dro­gen­mu­sik« zu ent­wer­ten. Indem er die Freu­de an Wag­ners Musik, die er selbst ein­ge­stan­de­ner­ma­ßen nicht emp­fin­den kann, not­haft auch deren Lieb­ha­bern ver­gäl­len muß, läßt Gott­fried Wag­ner einem neid­erfüll­ten Sadis­mus frei­en Lauf, der sei­nem inqui­si­to­ri­schen Hyper­mo­ra­lis­mus ins­ge­samt sei­ne destruk­ti­ve Ener­gie ver­leiht. Ersicht­lich hat dem pro­mo­vier­ten Musik­wis­sen­schaft­ler ein fami­li­en­neu­ro­ti­sches Res­sen­ti­ment nicht nur den Ver­stand, son­dern auch Gefühl und Gehör rui­niert. In sei­nem um wis­sen­schaft­li­che Serio­si­tät unbe­küm­mer­ten Ent­lar­vungs­fu­ror stellt die­ses Buch frag­los einen Tief­punkt in der tra­di­ti­ons­rei­chen Geschich­te wag­ner­feind­li­cher Publi­zis­tik dar. Die Anhän­ger Wag­ners dürf­ten sich dar­über amü­sie­ren, die Gebil­de­ten unter sei­nen Ver­äch­tern aber wer­den sich dafür schä­men – und, weil frü­her alles, auch der Anti­wag­ne­ris­mus, bes­ser war, viel­leicht ein­mal wie­der in Nietz­sches Fall Wag­ner oder Ador­nos Ver­such über Wag­ner schmökern.

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