Neue Christliche Rechte – Wie aus “vergessenen Amerikanern” die “Moralische Mehrheit” wurde

pdf der Druckfassung aus Sezession 18/Juni 2007

sez_nr_18von Josef Daum

Seit über einem Vierteljahrhundert wütet ein Kampf um die Seele von Onkel Sam. Es ist der Kampf zwischen dem konservativ-religiösen Amerika, den amerikanischen Liberalen (die in etwa den europäischen Sozialdemokraten entsprechen) und der Neuen Linken. In den letzten zwei Jahrzehnten mußten die liberals eine Reihe bitterer Niederlagen und den Verlust der politischen Dominanz, die sie zwischen Roosevelt und Johnson ausgeübt hatten, hinnehmen. Von einer kulturellen Hegemonie der „Christlichen Rechten" kann indes nicht die Rede sein. Allerdings hat die Mobilisierung dieser politischen „Reservetruppen" die Rechtskonservativen aus der Defensive gebracht und vor einer Marginalisierungwie in Europa bewahrt.


Am Anfang die­ser Ent­wick­lung stand eine sozia­le Sezes­si­on. In den zwan­zi­ger Jah­ren des vori­gen Jahr­hun­derts hat­te sich Ame­ri­ka ver­än­dert. Zum ers­ten Mal leb­ten mehr Men­schen in den Städ­ten als auf dem Land. Wis­sen­schaft und Fort­schritt ver­grö­ßer­ten nicht nur den Wohl­stand, sie lie­ßen auch die Tra­di­tio­nen der Grün­der­vä­ter in vie­len Punk­ten frag­wür­dig erschei­nen. Für die kon­ser­va­ti­ven Chris­ten kul­mi­nier­te die­se Ent­wick­lung in einem kul­tur­po­li­ti­schen Schlüs­sel­er­leb­nis. Der Leh­rer John Tho­mas Sco­pes hat­te gegen das Gesetz des Staa­tes Ten­nes­see ver­sto­ßen, das die Unter­rich­tung der Evo­lu­ti­ons­leh­re in den öffent­li­chen Schu­len unter­sag­te. So kam es 1925 zu dem Gerichts­ver­fah­ren, das mit einer schwe­ren mora­li­schen Nie­der­la­ge der Fun­da­men­ta­lis­ten ende­te. Tief gede­mü­tigt zogen sie sich in ihre Gemein­den und Kir­chen im Süden und Mitt­le­ren Wes­ten, dem soge­nann­ten Bible Belt zurück. Fünf­zig Jah­re soll­ten ver­ge­hen, bis die vom Zeit­geist Ver­fem­ten auf die poli­ti­sche Büh­ne der USA zurück­kehr­ten, wei­te­re zwan­zig Jah­re bis sie die Macht in der repu­bli­ka­ni­schen Par­tei ergrif­fen hat­ten und ins Zen­trum der poli­ti­schen Macht vor­ge­sto­ßen waren. Wie konn­te es zu die­ser über­ra­schen­den Wen­dung kommen?
Bis Ende der sech­zi­ger Jah­re wur­den die USA von Poli­ti­kern aus der Tra­di­ti­on des libe­ra­len Pro­tes­tan­tis­mus und des New Deal geführt. Der Mann, der als ers­ter ernst­haft das Fun­da­ment die­ses Kon­sen­ses in Fra­ge stell­te, war ein fast geschei­ter­ter anti­kom­mu­nis­ti­scher Poli­ti­ker: Richard M. Nixon. Nixon hat­te die Visi­on einer „neu­en Mehr­heit” rechts von der Mit­te. Die Spal­tung der Nati­on durch den Viet­nam­krieg ebne­te dem bei zwei Wah­len durch­ge­fal­le­nen Hard­li­ner den Weg zur Prä­si­dent­schaft. Nixon ver­sprach einen „ehren­haf­ten Frie­den” in Viet­nam und ver­such­te hin­ter die­ser Idee eine neue kon­ser­va­ti­ve Wäh­ler­al­li­anz zu sam­meln. Nixon beschloß, die ein­fa­chen, die „ver­ges­se­nen Ame­ri­ka­ner” gegen die Pro­test­be­we­gung von links zu mobi­li­sie­ren und damit aus der Wäh­ler­al­li­anz der Demo­kra­ten zu lösen. Wäh­rend der schwe­ren Unru­hen in Fol­ge der Bom­bar­die­rung Kam­bo­dschas appel­lier­te Nixon in einer Fern­seh­an­spra­che direkt an die „schwei­gen­de Mehr­heit” der Ame­ri­ka­ner und bat die­se um Hil­fe. Sein Ruf blieb nicht unge­hört (Robert Mason: Richard Nixon and the Quest for a New Majo­ri­ty, Cha­pel Hill 2004, 289 S.).
Ein Bap­tis­ten­pre­di­ger aus Vir­gi­nia war einer der Zuschau­er, die Nixons Appel­le tief beein­druckt am Fern­se­her ver­folg­ten. Noch Mit­te der sech­zi­ger Jah­re hat­te der jun­ge Rever­end Jer­ry Fal­well (1933–2007) jedes poli­ti­sche Enga­ge­ment kate­go­risch abge­lehnt. Zehn Jah­re spä­ter, 1976, dem Jahr, in dem der Demo­krat Jim­my Car­ter Nixons Nach­fol­ger Ford ablös­te, hat­te Fal­well sei­ne Mei­nung grund­le­gend geän­dert: „Die Idee, daß Reli­gi­on und Poli­tik nicht zusam­men­ge­hö­ren, ist die Ein­ge­bung des Teu­fels, um Chris­ten davon abzu­hal­ten, über ihr eige­nes Land zu bestim­men.” Die Her­aus­for­de­rung von links, die Fern­seh­bil­der bren­nen­der Flag­gen, geschla­ge­ner Sol­da­ten, die Berich­te von Dro­gen, Kri­mi­na­li­tät und Abtrei­bung hat­ten zur Poli­ti­sie­rung und Radi­ka­li­sie­rung eines Teils jener gro­ßen Bevöl­ke­rungs­grup­pe geführt, die lan­ge Zeit nichts weni­ger sein woll­te als politisch.

Jer­ry Fal­well wur­de als Fern­seh­pre­di­ger berühmt und orga­ni­sier­te bereits grö­ße­re reli­gi­ös-patrio­ti­sche Mas­sen­kund­ge­bun­gen, als er 1979 Besuch von Paul Wey­rich erhielt. Wey­rich hat­te 1973 mit dem Bier­kö­nig Joseph Coors und Ed Feul­ner die Heri­ta­ge Foun­da­ti­on, eine der ein­fluß­reichs­ten kon­ser­va­ti­ven Denk­fa­bri­ken, gegrün­det und gilt daher als Vater der Neu­en Rech­ten in den USA. Im Juni 1979 bau­te Fal­well zusam­men mit Wey­rich und einer Grup­pe von Geist­li­chen die Moral Majo­ri­ty (Mora­li­sche Mehr­heit) auf, die sich zur wich­tigs­ten Mas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on der reli­giö­sen Rech­ten ent­wi­ckel­te. Sie fand die Unter­stüt­zung von 110.000 Pas­to­ren und 392 Radio­sta­tio­nen, die ihre reli­giö­se und poli­ti­sche Bot­schaft ver­brei­te­ten. In die­ser Zeit wur­de der Begriff „Mora­li­sche Mehr­heit” häu­fig zur Bezeich­nung der gesam­ten „Neu­en Christ­li­chen Rech­ten” ver­wen­det. Die­se nutz­te den Begriff wie­der­um zur Beschrei­bung des gesam­ten ame­ri­ka­ni­schen Vol­kes (Sharon Lin­zey Geor­gi­an­na: The Moral Majo­ri­ty and Fun­da­men­ta­lism. Plausa­bi­li­ty and Dis­so­nan­ce, Lewis­ton 1989, 179 S.).
Die „Neue Christ­li­che Rech­te” wur­de Teil jener Koali­ti­on, die die Prä­si­dent­schaft Ronald Rea­gans trug. Mit die­ser „Rea­gan-Koali­ti­on” war Nixons Visi­on einer neu­en Mehr­heit Wirk­lich­keit gewor­den. Das hete­ro­ge­ne Bünd­nis reich­te von der christ­li­chen Rech­ten über den „Mili­tä­risch-Indus­tri­el­len Kom­plex”, eta­blier­te kon­ser­va­ti­ve Real­po­li­ti­ker wie Geor­ge Bush sen. und James Bak­er bis zum Markt­ra­di­ka­lis­mus eines Arthur Laf­fer und Mil­ton Fried­man (John W. Slo­an: The Rea­gan-Effect. Eco­no­mics and Pre­si­den­ti­al Lea­der­ship, Law­rence 1999, 311 S.).
Jede cha­ris­ma­ti­sche Mas­sen­be­we­gung erfährt mit der Teil­ha­be an der Macht die frus­trie­ren­de Distanz zwi­schen ihrer poli­ti­schen Uto­pie und dem har­ten Brot der Tages­po­li­tik. Die poli­ti­schen Ama­teu­re der christ­li­chen Rech­ten sahen sich bald von den eta­blier­ten Poli­ti­kern an die Wand gespielt. Außer­dem wur­de die mora­li­sche Auto­ri­tät der Fern­seh­pre­di­ger von einer Rei­he spek­ta­ku­lä­rer Sex-Skan­da­le unter­mi­niert. Die dra­ma­ti­sie­ren­de Unter­gangs­rhe­to­rik der Rech­ten ver­lor an Über­zeu­gungs­kraft, so daß zwi­schen 1985 und 1989 fast alle Orga­ni­sa­tio­nen ein­schließ­lich der Moral Majo­ri­ty auf­ge­löst wur­den. Die Frus­tra­ti­on über die „Libe­ra­len” in der Par­tei hat­te inzwi­schen so sehr zuge­nom­men, daß mit Pat Robert­sen 1987 ein eige­ner fun­da­men­ta­lis­ti­scher Kan­di­dat im Ren­nen um die Prä­si­dent­schafts­no­mi­nie­rung antrat. Zwar hat­te er gegen Geor­ge Bush sen. kei­ne Chan­ce, die Kan­di­da­tur wirk­te jedoch wie ein Fanal, das eine Neu­for­mie­rung der evan­ge­li­ka­len Rech­ten einläutete.
Der gro­ße inno­va­ti­ve Kopf der zwei­ten Wel­le war der His­to­ri­ker Ralph Reed, den das Time Maga­zi­ne 1995 auf ihrem Cover zur „rech­ten Hand Got­tes” kür­te. Er wur­de der ers­te Gene­ral­se­kre­tär der Chris­ti­an Coali­ti­on, die in den neun­zi­ger Jah­ren die Rol­le über­nahm, die in den acht­zi­ger Jah­ren die Moral Majo­ri­ty gespielt hat­te. Reeds Zau­ber­for­mel für die Über­win­dung der Kri­se hieß Pro­fes­sio­na­li­sie­rung. Unter sei­ner Lei­tung stieg die Zahl der Mit­glie­der von 25.000 im Jahr 1990 auf über zwei Mil­lio­nen zur Zeit sei­nes Rück­tritts 1997. Zu den neu­en Stra­te­gien der Christ­li­chen Rech­ten in den Neun­zi­gern gehör­te die sys­te­ma­ti­sche Infil­tra­ti­on der Repu­bli­ka­ni­schen Par­tei. Im Jahr 1994 kon­trol­lier­te sie die Repu­bli­ka­ni­sche Par­tei bereits in acht­zehn Bun­des­staa­ten, das heißt sie stell­te mehr als fünf­zig Pro­zent des Par­tei­vor­stan­des. In drei­zehn wei­te­ren Bun­des­staa­ten ver­füg­te die Christ­li­che Rech­te über fünf­und­zwan­zig bis fünf­zig Pro­zent der Vor­stands­sit­ze. Die Zahl die­ser Staa­ten unter „mode­ra­tem Ein­fluß” der Christ­li­chen Rech­ten ver­dop­pel­te sich bis zum Jahr 2000 auf sech­und­zwan­zig (Man­fred Brok­ker: Pro­test – Anpas­sung – Eta­blie­rung. Die Christ­li­che Rech­te im poli­ti­schen Sys­tem der USA, Frank­furt a.M. 2004, 386 S.).
Die Kul­tur­re­vo­lu­ti­on der Neu­en Lin­ken und die Gegen­re­vo­lu­ti­on der Neu­en Christ­li­chen Rech­ten haben zu einem Patt geführt. In die­sem Umstand liegt begrün­det, daß die gegen­wär­ti­ge Kul­tur der USA einem Janus­kopf gleicht. Auf abseh­ba­re Zeit blei­ben die Ver­ei­nig­ten Staa­ten das Land der Por­no­gra­phie und der Prü­de­rie, des radi­ka­len Femi­nis­mus eben­so wie der mili­tan­ten Abtrei­bungs­geg­ner, des Rela­ti­vis­mus eben­so wie der wört­li­chen Aus­le­gung der Bibel, des Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus und God’s own coun­try.

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