Das war’s. Diesmal mit: Coolen Eltern, Herrn Holle und der Frage, ob man Kindern lieber Puschkin oder Homosexualität nahebringen sollte

15.12. 2013

Merkwürdiges Zwischenreich entdeckt beim Besuch eines Hallenbades in der Provinz.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

War mit den Klei­nen plan­schen in einem vor­ort­mä­ßi­gen Groß­dorf namens Main­tal. Zwi­schen Schwim­mer­be­cken und Klein­kind­be­reich ste­hen zwei Rega­le. Dar­in nicht etwa die übli­chen Lese­zir­kel­aus­ga­ben mit Gala und Bun­te, son­dern eine knap­pe Hun­dert­schaft ech­ter Bücher. Im win­zi­gen Hallenbad:

zwei­mal Kon­sa­lik, ein­mal Utta Danella, also das maxi­mal erwart­ba­re, aber dane­ben: Ina Sei­del, drei­mal E.T.A. Hoff­mann, eine Pracht­aus­ga­be Der Vater von Jochen Klep­per, zwei­mal Joa­chim Fer­n­au, Bren­ta­no, Nova­lis, Gus­tav Mey­rink, dann, schluck, zwei Land­ser-Aus­ga­ben, fer­ner Coet­ze­es Schan­de und zwei­mal Ches­ter­ton. Alles ohne Was­ser­rän­der. Ein Welträtsel.

16.12. 2013

Damals im Wes­ten, als mei­ne Gro­ßen klein waren, gab es so was: Spiel- und Sin­ge­grup­pen für Müt­ter mit klei­nen Kin­dern. Nun, Osten, Pro­vinz, ist es so, daß die Klei­nen ab dem Alter von sechs Mona­ten von staat­li­chen Insti­tu­tio­nen bespielt wer­den. Bin also den Kon­takt mit Mut­ter- und- Kind seit Jah­ren völ­lig entwöhnt.

Nun die geball­te Ladung im ICE-Kin­der­ab­teil, gleich drei schi­cke Groß­stadt­müt­ter (alle Ber­lin) mit hübsch retro­benams­ten Kin­dern. Bio­kek­se, Bio­gum­mi­bä­ren und Bio­tee auf dem Tisch: Upper­class­moms. Erstel­le heim­lich wäh­rend der drei­stün­di­gen Fahrt eine Rang­lis­te der zur Spra­che gekom­me­nen, an die Kin­der gerich­te­ten Inter­jek­tio­nen: Cool! (27 mal), Ssu­per / boah, ssuper/ssupa! (ins­ge­samt 23 mal), geil! (11 mal) oh nö, bit­te! (9 mal).

17.12. 2013

Im Musik­un­ter­richt wird die Hei­li­ge Zeit ein­ge­läu­tet, berich­tet die Elf­jäh­ri­ge. Geschöpft wird aus dem Vol­len: Wie alle Jah­re wie­der Last Christ­mas mit allen Stro­phen, außer­dem, eben­so unver­meid­lich, der X‑mas-Eman­zi­pa­ti­ons­song Herr Hol­le:

Herr Hol­le, Herr Hol­le, der schüt­telt jetzt die Bet­ten aus, die Bet­ten aus,
denn er hilft sei­ner Frau im Haus, denn er hilft sei­ner Frau im Haus:
Herr Hol­le, Herr Hol­le, das wird ja Zeit, das wird ja end­lich Zeit.
Vie­le hun­dert Jah­re lang hat er sich gedrückt,
dar­um streut er heut den Schnee auch noch ungeschickt.
Hier schneit es zu wenig, dort schneit alles ein.
Doch ihr wisst ja, nur wer übt,
Der wird ein Meis­ter sein.

„Und, haben alle artig den Mund auf­ge­macht?“ – „Hm… nja… die Jungs sin­gen ja eh nicht so gern…“

18.12. 2013

An wen, an was erin­ner­te mich die alar­mie­rend-auf­ge­reg­te Mäd­chen­stim­me im Deutsch­land­funk, die ges­tern abend von der Pres­se­kon­fe­renz zum „Fall Valery Ger­giev“ berich­te­te? Heu­te früh fällt´s mir ein: In genau die­sem Ton spricht ein mir eng ver­trau­tes Fräu­lein, wenn sie zwecks eige­ner mora­li­scher Bes­ser­stel­lung eines ihrer Geschwis­ter anschwär­zen will. Dann schallt es ihr im Chor ent­ge­gen: „Pet­ze, Pet­ze ging in´ Laden, wollt´ für´n Gro­schen Knack­wurst haben…“

Gro­schen gibt´s längst nicht mehr, und der Chor steht heu­te auf Sei­ten der Pet­zer. Die wer­fen Ger­giev, dem künf­ti­gen Chef­di­ri­gen­ten des Münch­ner Phil­har­mo­ni­ker nicht vor, Putins Gesetz gegen „nicht-tra­di­tio­nel­le Lebens­for­men“ unter­stützt zu haben – hat Ger­giev defin­tiv nicht – son­dern: nicht dezi­diert gegen sei­nen Lands­mann Stel­lung zu bezie­hen. So weit sind wir schon.

Empört und ein biß­chen schau­pro­zeß­geil berich­te­te das DLF-Fräu­lein, Ger­giev habe „einen Eier­tanz“ voll­führt beim Bemü­hen sich aus der Affä­re zu zie­hen. In der Süd­deut­schen Zei­tung lese ich heu­te: „Auf die Fra­ge, ob er es für rich­tig hal­te, vor Kin­dern über das The­ma Homo­se­xua­li­tät zu reden, mein­te Ger­giev: Es ist wich­ti­ger, in bestimm­ten Pha­sen der Kind­heit über Pusch­kin und Mozart zu reden.“ Salo­mo­ni­sche Worte.

19.12. 2013

Irgend­wann hat­ten wir es auf­ge­ge­ben, die sonn­täg­li­chen Fami­li­en­kon­zer­te in Hal­le zu besu­chen. Das war zwar meis­tens sehr schön und kind­ge­recht, Peer Gynt, den Kar­ne­val der Tie­re oder Peter und der Wolf  didak­tisch auf­be­rei­tet von der Staats­phil­har­mo­nie vor­ge­führt und erläu­tert zu bekom­men. Aber ers­tens änder­te sich das Ange­bot ins Moder­ne und Häpp­chen­haf­te, nach­dem der auto­ri­tär-cha­ris­ma­ti­sche „Mode­ra­tor“ Prof. Her­mann Gro­ße Jäger abge­dankt hat­te, zwei­tens war es so, daß sich das tol­le Klas­sik-Erklär­an­ge­bot zum Super­preis vor allem unter Senio­ren rum­ge­spro­chen hat­te. Dann stan­den wir an der Kon­zert­kas­se, hör­ten „lei­der längst aus­ver­kauft“ und wuß­ten, an wen: vor allem an die Gene­ra­ti­on 70plus, die zuletzt fast die Mehr­heit im Saal aus­ge­macht hatte.

Seit­her sind Schü­ler­kon­zer­te unser Geheim­tip. Die sind natür­lich vor­mit­tags und kom­men außer für Schü­ler und Rent­ner nur für Haus­frau­en und Selb­stän­di­ge in Betracht. Heu­te: Kon­zert für Vio­li­ne und Orches­ter von Anto­nin Dvor­ák. Ers­te Rei­he, fünf Euro pro Nase, was für ein Luxus! Ein Segen! Als wir zuletzt ein Schü­ler­kon­zert im Gewand­haus besucht hat­ten, spiel­te das welt­be­rühm­te Orches­ter für sechs, sie­ben Klas­sen, heu­te ist der Saal Drei­vier­tel voll. Hier sind auch Jugend­li­che, die viel­leicht ohne die­ses Ange­bot nie in den Genuß eines klas­si­schen Kon­zerts kämen. Ob sie´s goutieren?

Die klei­ne Toch­ter: „Guck mal, der! Mit den lila Haa­ren und den rie­si­gen Ohr­lö­chern!! Ob dem das über­haupt gefällt?“ Der Sohn, in wei­ser Gene­ro­si­tät: „Man hört nur mit dem Her­zen gut, gell? Viel­leicht kam dem das beson­ders lei­se vor. Oder beson­ders laut. Viel­leicht haben die­se Ohr­din­ger aber auch gar kei­ne Bedeu­tung oder Funk­ti­on. Wis­sen wir ja nicht.“

20.12. 2013

Aus der Münch­ner Abend­zei­tung, online:

Über­ra­schen­de Wen­dung im Fall Ger­giev: Kurz vor der Demons­tra­ti­on schwul­les­bi­scher Akti­vis­ten am Gas­teig wur­de ges­tern nach­mit­tag ein Brief des Diri­gen­ten an den Kul­tur­re­fe­ren­ten Hans-Georg Küp­pers bekannt. Ger­giev ver­si­chert dar­in, sich an die Anti-Dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en der Stadt zu hal­ten. Außer­dem kün­digt er an, sich mit Ver­tre­tern schwul­les­bi­scher Orga­ni­sa­tio­nen tref­fen zu wol­len: Er hal­te es für sinn­voll, „bei einem mei­ner nächs­ten Auf­ent­hal­te in Mün­chen ein Gespräch mit der Com­mu­ni­ty zu füh­ren“, schreibt Gergiev.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (12)

Sascha

21. Dezember 2013 01:32

"Gergiev versichert darin, sich an die Anti-Diskriminierungsrichtlinien der Stadt zu halten. Außerdem kündigt er an, sich mit Vertretern schwullesbischer Organisationen treffen zu wollen: Er halte es für sinnvoll, „bei einem meiner nächsten Aufenthalte in München ein Gespräch mit der Community zu führen“"

Unter Stalin hieß sowas "Kritik und Selbstkritik".

Joseph von Sternberg

21. Dezember 2013 08:57

Wenn Gergiev beim Händeschütteln einen Geschirrhandschuh anzieht wäre die Sache für mich vom Tisch. Wenn der Gasteig nicht so hässlich wäre, würde ich sogar über einen kartenkauf nachdenken...

Das mit dem Schwimmbad und der seltsamen Lektüre... Hat Familie Kositza einen Ausflug gemacht?

Was Herrn Holle betrifft... Ist Frau Holle nicht die Frau Venus aus dem Tannhäuser? Als deutscher Exportschlager hat er in der angelsächsischen Welt gewisse Modifikationen erlitten. Aus Frau Holle wurde dann Herr Holle - oder wie Oliver Stone ihn benannte Thulsa Doom! Der schüttelt aber keine Betten, sondern hat eine maoartige Freude am massakrieren - in seinem Berg... in dem weder Frau Venus noch Tannhuser mehr wohnen:

https://www.youtube.com/watch?v=V41fLweroZc

p.s. eigentlich alles nicht zum lachen, aber ich krieg das nicht so hin wie Collin Liddel

Schon länger besorgt

21. Dezember 2013 11:59

Nun, der russische Dirigent denkt wohl, im Irrenhaus müsse man sich den Irren anpassen, wenn die das Geld verwalten.
Sascha hat wohl leider recht. Einfach schade. Über die erste Äußerung des Dirigenten hatte ich mich richtig gefreut.
Ist das alles eigentlich wahr?

Carsten

21. Dezember 2013 13:04

Meine Frau schaltet jeden morgen in der Küche DLF ein - und ich schalte es wieder aus, weil ich nässenden Ausschlag kriege, wenn ich diese "Volksaufklärung und Propaganda" höre. Der einzige Sender, der noch hörbar ist, ist WDR III.

Die Geschichte mit dem Schwimmbad ist wirklich sehr merkwürdig. Hm.

Der K&K-Familie, allen Autoren und Kommentatoren ein friedliches Weihnachtsfest.

willanders

21. Dezember 2013 13:21

Diese Chose mit dem Dirigenten erinnert tragisch an die Kulturrevolution in China... Mannmannmann, so weit sind wir schon wieder, oder - zur Jahreszeit passend: Wie schnell die Zeit doch vergeht!

Jens

21. Dezember 2013 14:04

"Herr Holle" - das ist pathologisch. Frau Holle geht meines Wissens doch auf die nordische Hel zurück und ist zugleich auch die Entsprechung für "Hölle" in der nordischen Mythologie. Vielleicht hört man demnächst auch etwas von einer "Göttermutter" oder "Fenriswölfin" etc. Wundern würde mich nichts mehr.

Kwasir

21. Dezember 2013 19:21

Das mit "Herrn Holle" lese ich zum ersten Mal. Dieses Lied wird wirklich gesungen? Ich hab ja schon Ausschlag bekommen als man mir versuchte klar zu machen das man nicht mehr "Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann" spielt.
Zum Thema Literatur: In unserer Stadtbibliothek (von mir nur wegen der hervorragenden Leistungen auf dem Sektor Fernleihe besucht) habe ich letztens einen Tisch mit Büchern zum kostenlosen mitnehmen entdeckt.
Beute, drei fast neuwertige Bücher von Knut Hamsun. Mir stellte sich die Frage, durch was diese Bücher ersetzt wurden.

ene

21. Dezember 2013 22:04

Das Bücherregal im Schwimmbad wird so etwas sein wie eine "Villa Libris" genannte umfunktionierte Telefonzelle in Berlin am Rüdesheimer Platz.
Jeder kann hineinstellen, was er nicht mehr haben möchte und mitnehmen, was ihm gefällt. Und auch das wieder zurückbringen.
Ich kenne einen Kirchengemeinde, die ein gutbestücktes Antiquariat führt, das auf Spenden beruht. Ein gebundenes Buch kostet dort 1 Euro, Taschenbücher 50 cent. Selbst in meiner Uni-Bibliothek gab es das von Zeit zu Zeit, ein Regal, wo man Bücher abstellen und mitnehmen konnte.

Leo

21. Dezember 2013 22:27

Entspannung! "Herr Holle" ist eigentlich ein recht schelmisches Lied - für Zweit- oder Drittklässler -, das auf kindgerechte Weise zu erklären versucht, was denn eigentlich der Mann von Frau Holle mache, den es ja wohl auch geben müsse... (Achtung: Man geht davon aus, daß Kinder davon ausgehen, daß es MANN und FRAU gibt, womöglich verheiratet...!) Der neckische Walzertakt des Herr-Holle-Refrains nimmt den Text der Strophe im braven 4/4-Takt nicht ganz ernst, oder?!
Für Sechstklässler natürlich eher ungeeignet, abgesehen davon, daß dieses Lied eher in die Saure-Gurken-Singezeit Januar/Februar gehört, nicht in die kostbare Adventszeit! (Aber von der netten Musikkollegin war ja ohnehin schon des Öfteren Disparates zu lesen ...)
"Last Christmas" - ein trauriger Fall. Bei Schülern wirklich beliebt. Was singt man in dieser Altersstufe (5.-8. Klasse), wenn die Grundschulsingelust perdu ist und christlicher Glauben in dieser unserer Region eher am Verlöschen?! Richtig: Typisch deutsche Weihnachtslieder wie "Jingle Bells" und den Hit von Wham! --- Wie wär's mit "Feliz Navidad"?!?

KW

22. Dezember 2013 08:41

Der russische Dirigent, Herr Holle, sind für mich nichts gegen den Jungen mit den Ohrlöchern und den 3 Berliner Omas. Der zeitgeist ist nur noch widerlich, unästhetisch und medial aggressiv.

Gutmensch

22. Dezember 2013 19:18

Liebe Frau K.,

haben sie denn auch ordentlich geschwäbelt, die "Berliner" upperclass-moms? Denn die hier dauerhaft Beheimateten gehören eher nicht zum Geldadel. Das bedeutet: Sie schicksen sich nicht Prenzlauer-Berg- mäßig auf und beten auch nicht zum Bio-Gott. Dafür haben normale Menschen weder Zeit noch Nerven. Opfer natürlich ausgenommen, aber die wohnen im Friedrichshain und eifern mit den letzten drei Groschen, die ihnen der gierige Vermieter noch in der Tasche gelassen hat, dem Prenzlauer Berg nach. Vielleicht hatten Sie Gelegenheit, diese Spezies zu begutachten; dann war es möglicherweise historisch wertvoll, dass Sie das aufgeschrieben haben, denn auch im Friedrichshain wird es in naher Zukunft keinerlei vor der Jahrtausendwende Eingeborene mehr geben; das nennt sich "Gentrifikation" oder so, jedenfalls kenne ich kein deutsches Wort dafür.

Schöne Weihnachten,

der Gutmensch, der´s wohl irgendwie aushalten muss, weil er woanders nunmal nicht zu Hause ist.

Der Arno

23. Dezember 2013 15:48

Passend hierzu eine kleine Anekdote aus der Provinz.
Ich war mit meinen beiden Kindern (3 und 6 Jahre) und meiner Mutter im Landestheater Coburg in dem Kinderstück Heidi. Selbst unsere Kleinsten werden indoktriniert auf Teufel komm raus. Zuerst wurde die gesamte christliche Dorfbevölkerung inclusive des Pfarrers nach dem Absingen eines Marienlieds als pharisäerhaft und hinterfotzig entlarvt. Bei Fräulein Rottenmeier in Frankfurt wurden dann deutsche Werte gelehrt; diese reduzierten sich letzlich alle auf "blinden Gehorsam" und Gouvernante incl. Dienerschaft marschierten im Stechschritt über die Bühne.
Naja, wird 2014 wohl eher alles noch schlimmer werden.
Allen Sezessionisten ein gesegnetes Weihnachtsfest und danke für die immer interessante Lektüre im Netz.

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