Sezessionistische Weihnachtsempfehlungen (III) – Rüstkammer

Götz Kubitschek - Siegfried Gerlich: Richard Wagner. Die Frage nach dem Deutschen (224 S., 24 €). Wagner hat die im Untertitel gestellte Frage bekanntlich so beantwortet: Deutsch sein heiße, eine Sache um ihrer selbst willen zu tun. Ist das die Schönheit des Zweckungebundenen? Folgt daraus die Unvergänglichkeit des zweckungebundenen Schönen, das an keiner nationalen Konkretion hängt? Gerlich lesen - er und Wagner wissen es!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Ellen Kositza – Rolf Bau­er­dick: Zigeu­ner. Begeg­nun­gen mit einem unge­lieb­ten Volk (352 S., 22.99 €). „Zuschrei­bun­gen, die das Eige­ne zum Maß­stab zur Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Ande­ren machen, durch­drin­gen das gesam­te Buch“: Ein typi­scher Vor­wurf. Was wur­de gekläfft gegen die­ses so wache wie warm­her­zi­ge Buch! Bau­er­dick kennt aus unge­zähl­ten Rei­sen durch elf Län­der jene Eth­ni­en, deren Bezeich­nung umstrit­ten ist. Bei aller Fas­zi­na­ti­on sieht er die Miß­stän­de klar und liest Levi­ten. Aus Bau­er­dicks Sicht gibt es drei Grup­pen, die für die Lage der euro­päi­schen Zigeu­ner ver­ant­wort­lich sind: Ers­tens die Betrof­fe­nen selbst, die jede Selbst­ver­ant­wort­lich­keit für ihre Umstän­de von sich wei­sen, zwei­tens die in Euro­pa seit 1989 herr­schen­den wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Sys­te­me, drit­tens die „anti-anti­zi­ga­nis­ti­sche“ Zigeu­ner­lob­by, eine mora­li­sche Avant­gar­de, die von der Schreib­tisch­war­te aus einen „keim­frei­en Dis­kurs“ dik­tiert, der die Zigeu­ner zu Opfern einer ras­sis­ti­schen „Domi­nanz­ge­sell­schaft“ macht und der sie zu Objek­ten ihrer aka­de­mi­schen Für­sor­ge bestimmt.

Nils Weg­ner – Dirk van Laak: Gesprä­che in der Sicher­heit des Schwei­gens. Carl Schmitt in der poli­ti­schen Geis­tes­ge­schich­te der frü­hen Bun­des­re­pu­blik (331 Sei­ten, 39,80 €). Die­ses Stan­dard­werk mit sei­nem aura­ti­schen Titel ist nicht nur für „Hal­tungs-Schmit­tia­ner“ (van Laak) und sol­che, die es wer­den wol­len, inter­es­sant. Auch und viel­leicht noch mehr bezeugt die Arbeit, was bis in die frü­hen sieb­zi­ger Jah­re hin­ein auf (meta)politischer Ebe­ne in der Bun­des­re­pu­blik mög­lich war – und macht so klar, was wir heu­te alles abschrei­ben können.

Erik Leh­nert - Chris­to­pher Clark erzählt uns in Die Schlaf­wand­ler. Wie Euro­pa in den Ers­ten Welt­krieg zog eigent­lich kei­ne neue Geschich­te. Daß Deutsch­land den Krieg nicht woll­te, war bekannt. Mitt­ler­wei­le gibt es über den Juli 1914 aber die aben­teu­er­lichs­ten Vor­stel­lun­gen, so daß Clark hier wert­vol­le (und quel­len­ge­sät­tig­te) Auf­klä­rungs­ar­beit leis­tet. (896 Sei­ten, 39.99 €)

Mar­tin Licht­mesz - Man­fred Klei­ne-Hart­la­ge: Die libe­ra­le Gesell­schaft und ihr Ende. Über den Selbst­mord eines Sys­tems. Auf das Dschi­had-Sys­tem folgt das Kom­ple­men­tär­stück, eine aus­ge­feil­te, was­ser­dich­te Kri­tik des Libe­ra­lis­mus und sei­ner fata­len Apo­rien. Klei­ne-Hart­la­ge durch­kämmt noch die kleins­ten ideo­lo­gi­schen Schlupf­win­kel, und räumt dort mit mes­ser­schar­fer Klar­heit und Treff­si­cher­heit auf.  (200 Sei­ten, 19 €)

Felix Men­zel – Paul Col­lier: Exodus. How Migra­ti­on Is Chan­ging Our World. Der eng­li­sche Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler Paul Col­lier ist mir Anfang Novem­ber durch ein FAS-Inter­view auf­ge­fal­len, in dem er zu den Leh­ren aus der Tra­gö­die von Lam­pe­du­sa befragt wur­de. Col­lier ant­wor­te­te: Indem Euro­pa Anrei­ze für eine Flucht nach Euro­pa schaf­fe, trei­be es die Men­schen in den Tod. Er wür­de jeden, der ille­gal nach Euro­pa ein­reist, sofort wie­der zurück­schi­cken, damit die­se Pra­xis kei­ne Nach­ah­mer fin­det. Auf die mul­ti­kul­tu­rel­le Gesell­schaft ange­spro­chen, sag­te Col­lier, die­se sei nur mög­lich, wenn es eine sehr selek­ti­ve Ein­wan­de­rungs­po­li­tik gebe. Sein neu­es­tes Buch Exodus möch­te ich emp­feh­len, weil es zu einer Ver­sach­li­chung der Migra­ti­ons­de­bat­te bei­tra­gen könn­te. Col­lier unter­sucht dar­in nicht nur die Fol­gen der Ein­wan­de­rung für die Auf­nah­me­län­der, son­dern ana­ly­siert auch die Situa­ti­on der Län­der, aus denen es die Men­schen weg­zieht – mit eini­gen star­ken The­sen! (309 Sei­ten, 20.80 €)

Bene­dikt Kai­ser – Jür­gen Toden­hö­fer. Du sollst nicht töten. Mein Traum vom Frie­den (448 S., 19.99 €). Wer Peter Scholl-Latours Rei­se­be­schrei­bun­gen mag, wird Toden­hö­fers Nah- und Mit­tel­ost-Pan­ora­ma lie­ben. Toden­hö­fer geht aller­dings in einem Punkt über den Alt­meis­ter hin­aus, denn er bezieht deut­li­cher Stel­lung: u. a. gegen west­li­che Inter­ven­tio­nen und die­se mit Lug und Trug vor­be­rei­ten­den Fal­ken, für das ehr­li­che Gespräch mit den als “Schur­ken” apo­stro­phier­ten und – vor allem – mit den von ihnen beherrsch­ten Men­schen. Man möch­te das Buch nach den ers­ten Sei­ten nicht aus der Hand legen und mit Toden­hö­fers sym­pa­thi­scher Mann­schaft auf ereig­nis- wie risi­ko­rei­che Fahrt gehen. Span­nend wie bewe­gend auch die zahl­reich bei­gefüg­ten Pho­to­gra­phien aus den Kri­sen­re­gio­nen. Der gele­gent­lich all­zu selbst­ver­lieb­te Ton ver­mag den begeis­tern­den Gesamt­ein­druck nicht zu trüben.

Ras­kol­ni­kow – James Mol­li­son: Esco­bar. Pablo Esco­bar war Kopf eines der ein­fluß­reichs­ten Dro­gen­kar­tel­le der Welt. Pho­tos, Doku­men­te und bericht­ar­ti­ge Tex­te zeich­nen das Leben des Patrón anschau­lich nach. 416 S., 16.00 €

(Bestel­lung der meis­ten Emp­feh­lun­gen ist mög­lich per Epost: [email protected], tele­fo­nisch unter 034632–90941 bei Frau Dre­se oder über die Netz­sei­te des Ver­la­ges Antaios.)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (4)

Revolte

11. Dezember 2013 12:59

Besten Dank. Da ist viel Bekanntes, aber auch manch neue Anregung dabei.

Erstaunt bin ich einzig über die Empfehlung von Herrn Kaiser. Will man sich mit einem liberal-humanistischen Schmieranten wie Todenhöfer (oder "Hodentöter", wie ihn liebe Freunde nennen) wirklich gemein machen? Die Selbstverliebtheit Todenhöfers ist übrigens keineswegs nur Peripherie, sie gehört zum zentralen Wesen dieses Mannes.
Wer ihn mal in Gesprächssendungen gesehen hat, kommt nicht umhin, seine ölige, anbiedernde und zugleich zutiefst niederträchtige Art mit einem Höchstmaß an Ekel und Abscheu zu quittieren.

E.

11. Dezember 2013 14:13

Revolte
Es mag stimmen, dass einige der von Ihnen beschriebenen Charaktereigenschaften auf Herrn Todenhöfer zutreffen. Dennoch handelt es bei dem von Herrn Kaiser vorgestellten Titel, um eine sachliche und ausgewogene Analyse der Vorgänge in Nah- und Mittelost. So etwas findet man heutzutage selten, PSL ausgenommen, und ist daher durchaus lesenswert.

Benedikt Kaiser

11. Dezember 2013 14:16

Revolte:

Daß Todenhöfers finale Utopie einer künftigen Welt ohne Kriege, ohne bewaffnete Konflikte, ja ohne militärische Auseinandersetzungen reichlich naiv ist: geschenkt (Crevelds Kriegs-Kultur aus dem Ares-Verlag ist diesbezüglich aufschlußreich!).
Entscheidender für die Einordnung in die Rubrik der Jahresempfehlungen ist für mich, daß das Buch nicht nur ein Lesegenuß aufgrund der Reise-, Länder- und Gesprächsbeschreibungen (gleich ob mit Präsidenten, Studenten, Händlern oder Rebellen) ist, sondern auch aufgrund seiner klaren Worte zu Interventionskriegen und ihren propagandistischen Vorbereitern, zu den regelrecht schizophrenen US-"Terrorzuchtprogrammen", wie Todenhöfer die Aufrüstung salafistisch-wahhabitischer Fundamentalisten nennt, zum grundsätzlich problematischen Charakter von Revolutionen, zum Wesen der syrischen Rebellenfront usw. usf. - Daneben verfügt Todenhöfer über noch etwas weiteres, ganz im Gegensatz zur über den Nahen und Mittleren Osten schreibenden (oder: abschreibenden) Zunft des mainstreams, egal ob mit Schreibtisch in der Chemnitzer Provinz oder in München/Berlin/Hamburg: er besitzt lokale Kontakte und Gesprächspartner aus allen an den Konflikten beteiligten Lagern, folglich gewährt er dem Leser Einblicke in den tatsächlichen, nicht ideologisch gewünschten Alltag der einzelnen Länder.

Rumpelstilzchen

12. Dezember 2013 08:45

"Die liberale Gesellschaft und ihr Ende" ist wirklich ein wichtiger Grundlagentext.
Ich meine gar, Manfred Kleine-Hartlage hat das Zeug, den MS-Soziologen Ulrich Beck ( Individualisierung in der Risikogesellschaft) abzulösen.
Oder bin ich da mal wieder zu euphorisch ?
MKH ist auf der Höhe der Zeit:

"In einer Kultur, in der jeder Träger einer eigenen subjektiven Wahrheit sein will, haben Bürger schwerlich das Verlangen, sich an einem gemeinsamen Projekt zu beteiligen, das die persönlichen Interessen und Wünsche übersteigt."

aus: Evangelii Gaudium 61

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