Identitär

51pdf der Druckfassung aus Sezession 51 / Dezember 2012

Wieder einmal: Ein Gespenst geht um in Europa – oder doch bloß auf Face­book? Der Spuk begann Ende September 2012, als auf einer Veranstaltung der katholischen Hilfsorganisation Caritas in Wien unter dem Motto »Tanz die Toleranz« ein Rudel von etwa einem Dutzend Gestalten in Affen- und Halloweenmasken auftauchte, russische »Hardbass«-Musik abspielte und Schilder mit Slogans schwenkte wie: »Multikulti wegbassen«, »Patriotismus ist tanzbar« und »Zertanz die Toleranz«.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

In der Pres­se, deren wich­tigs­te Orga­ne alle­samt reagier­ten, wur­den dar­aus »ras­sis­ti­sche Paro­len«, die Tanz­ein­la­ge sei gar ein »ras­sis­ti­scher Über­griff« gewe­sen, in den Akti­vis­ten sah man wahl­wei­se »neue Rech­te«, »Rechts­extre­mis­ten« oder »Neo­na­zis«. Kurz dar­auf bekann­te sich die Grup­pe »Die Iden­ti­tä­ren« auf ihrer Netz­sei­te zu der Akti­on und gab fol­gen­de Erklä­rung ab: »Wir nen­nen uns iden­ti­tär, weil es uns um den Erhalt unse­rer eige­nen Iden­ti­tät geht – das hat nichts mit Haß auf ande­re zu tun. Wir glau­ben nicht, daß eine Kul­tur bes­ser ist als die ande­re – wir glau­ben aber an das Über­le­bens­recht unse­rer Kul­tur. … Wir sind nicht gegen kul­tu­rel­le Viel­falt, aber wir kri­ti­sie­ren die unbe­schränk­te Mas­sen­zu­wan­de­rung nach Euro­pa. Gera­de weil wir einen rein posi­ti­ven Patrio­tis­mus ver­tre­ten, der nichts mit Ver­ach­tung oder Haß, son­dern mit Bekennt­nis zur eige­nen und Ach­tung der ande­ren Iden­ti­tät zu tun hat, sind wir iden­ti­tär und nen­nen uns auch so. Wir wol­len damit vor allem der stil­len Mehr­heit der Patrio­ten in unse­rem Land klar­ma­chen, daß es ihr gutes Recht und ihre Pflicht ist, für unser Land und unse­re Iden­ti­tät ein­zu­tre­ten, und daß das nichts mit Extre­mis­mus oder Haß zu tun hat, wie Links­extre­mis­ten immer behaupten.«

All dies brach­ten die anony­men Akti­vis­ten mit dem Slo­gan »100% Iden­ti­tät, 0% Ras­sis­mus« auf den Punkt, aber natür­lich nütz­te das nichts: »Ras­sis­mus« ist bekannt­lich Defi­ni­ti­ons­fra­ge, und die­ser Hexen­ham­mer ruht fest in der Hand der Lin­ken, die ver­fügt haben, daß genau das­sel­be Prin­zip in die Kate­go­rie »ras­sis­tisch« fällt, das hier »iden­ti­tär« genannt wird – zumin­dest wenn es von der soge­nann­ten »Mehr­heits­ge­sell­schaft« ver­tre­ten wird. Der nächs­te Schlag kam rund zwei Wochen spä­ter aus Frank­reich in Form eines Pro­test­vi­de­os, das die Grup­pe »Géné­ra­ti­on Iden­ti­taire« ins Netz stell­te und das sich schnell zum in meh­re­re Spra­chen über­setz­ten »vira­len« Ren­ner ent­wi­ckel­te. Groß­auf­nah­men von ent­schlos­sen und kämp­fe­risch bli­cken­den, »Gesicht zei­gen­den« jun­gen Män­nern und Frau­en in stil­vol­lem Schwarz­weiß, unter­malt von epi­scher Hol­ly­wood-Musik, in dem Sät­ze fal­len wie: »Wir sind die Gene­ra­ti­on, die ihr Leben ris­kiert, wenn sie die fal­sche Per­son ansieht, eine Ziga­ret­te ver­wei­gert, oder eine Gesin­nung hat, die ande­ren Leu­ten nicht gefällt.« – »Wir sind die dop­pelt bestraf­te Gene­ra­ti­on: dazu ver­dammt, in ein Sozi­al­sys­tem ein­zu­zah­len, das so groß­zü­gig zu Frem­den ist, daß es für die eige­nen Leu­te nicht reicht.« – »Unse­re Gene­ra­ti­on ist das Opfer der 68er, die sich selbst befrei­en woll­ten von Tra­di­ti­on, Wis­sen und auto­ri­tä­rer Erzie­hung. Aber sie haben es nur geschafft, sich von ihrer Ver­ant­wor­tung zu befrei­en.« – »Wir glau­ben nicht mehr, daß ›Kha­der‹ unser Bru­der sein kann, wir haben auf­ge­hört, an ein ›glo­ba­les Dorf‹ und eine ›Fami­lie der Men­schen‹ zu glau­ben.« – »Wir haben ent­deckt, daß wir Wur­zeln, Vor­fah­ren und dar­um auch eine Zukunft haben.« – »Wir erle­ben 25% Arbeits­lo­sig­keit, Sozi­al­schuld, Kol­laps von Mul­ti­kul­ti und eine Explo­si­on des gegen Wei­ße gerich­te­ten Ras­sis­mus.« – »Glaubt bloß nicht, dies wäre nur ein Mani­fest: dies ist eine Kriegserklärung.«

Eine »Kriegs­er­klä­rung« also – frei­lich ver­spä­tet, denn der »Krieg« ist längst aus­ge­bro­chen. Daß Frank­reich rasant auf den demo­gra­phi­schen Kip­punkt zusteu­ert, läßt sich eben­so­we­nig leug­nen, wie die über­wie­gend nega­ti­ven Fol­gen, die die­ser Pro­zeß mit sich bringt. 2010 erschien das Buch Les Yeux grands fer­més  (»Die weit­ge­schlos­se­nen Augen«) von Mic­hè­le Tri­ba­lat vom Natio­na­len Insti­tut für Demo­gra­phie (INED) mit Sitz in Paris. Dar­in stell­te die Autorin eine wach­sen­de Ten­denz der frei­wil­li­gen Segre­ga­ti­on der Ein­wan­de­rungs­grup­pen fest, ver­bun­den mit dem Auf­kom­men von eth­ni­scher Aggres­si­on gegen Wei­ße und der Aus­brei­tung des Islam in den Ban­lieues, den sie als eine »Bedro­hung« einstuft.

Eine ehr­li­che Dis­kus­si­on die­ser Ent­wick­lun­gen wer­de durch die »Ideo­lo­gie des Anti­ras­sis­mus« und den Druck der Mei­nungs­ma­cher ver­hin­dert. Man­che Hoch­rech­nun­gen schät­zen, daß bereits jedes drit­te Kind, das in Frank­reich gebo­ren wird, nicht­eu­ro­päi­scher Her­kunft ist. Der Schrift­stel­ler Renaud Camus spricht inzwi­schen offen von einer »Kolo­nia­li­sie­rung« Frank­reichs und vom »grand rem­pla­ce­ment«, vom gro­ßen Bevöl­ke­rungs­aus­tausch, der mit einem kal­ten (und manch­mal bereits hei­ßen) Bür­ger­krieg ein­her­ge­he. Auf der Sie­ges­fei­er Fran­çois Hol­lan­des an der Place de la Bas­til­le wur­den unter ande­rem alge­ri­sche, kame­ru­ni­sche und marok­ka­ni­sche Flag­gen geschwenkt, neben roten und regen­bo­gen­far­be­nen. Jene, die hier ihren Wil­len zu ihrer eige­nen natio­na­len Iden­ti­tät und ihren Unwil­len zur Assi­mi­la­ti­on bekun­det haben, sehen in Hol­lan­de offen­bar »ihren« Prä­si­den­ten. Tat­säch­lich gaben die Stim­men der mos­le­mi­schen Wäh­ler den Aus­schlag für den Wahl­sieg des Sozia­lis­ten. Sze­nen wie die­se zei­gen jeden­falls, daß auch die »repu­bli­ka­ni­sche« Klam­mer lang­sam am Bers­ten ist.

Das Ori­gi­nal­vi­deo der »Kriegs­er­klä­rung« erhielt im Netz bis dato über 130000 Zugrif­fe, die deut­sche Ver­si­on zusätz­lich etwa 40000. Die Begeis­te­rung, die sich über diver­se Blogs, Face­book- und Twit­ter-Kon­ten arti­ku­lier­te, war erheb­lich. Denn was man hier sah, schien recht anschluß­fä­hig zu sein: nor­ma­le jun­ge Leu­te, die Din­ge aus­spre­chen, die zur All­tags­er­fah­rung Zehn­tau­sen­der gehö­ren, die Posi­tio­nen arti­ku­lie­ren, denen man sich leicht anschlie­ßen kann, ohne irgend­ei­ne extra­va­gan­te Ideo­lo­gie anneh­men zu müs­sen. Nun brei­te­te sich auch das Sym­bol der iden­ti­tä­ren Bewe­gung schlag­ar­tig in der Blogo­sphä­re aus: das grie­chi­sche »Lamb­da«, das im alten Spar­ta die Schil­de der Hopli­ten zier­te, popu­lär gemacht durch die Comic­ver­fil­mung 300. Die fran­zö­si­sche Mut­ter­or­ga­ni­sa­ti­on, »Bloc Iden­ti­taire«, führt zudem einen Eber als Wap­pen­tier: dar­in drückt sich auch der trot­zi­ge Stolz der als »Schwei­ne­fleisch­fres­ser« Beschimpf­ten aus, deren uraltes tra­di­tio­nel­les Nutz­tier in den Augen der Zuwan­de­rer als »unrein« gilt.

Der vir­tu­el­le Enthu­si­as­mus bekam erneut Auf­trieb, als etwa 100 Akti­vis­ten der »Géné­ra­ti­on Iden­ti­taire« am 20. Okto­ber 2012 für meh­re­re Stun­den das Dach einer im Bau befind­li­chen Moschee in Poi­tiers besetz­ten und gegen die Isla­mi­sie­rung ihres Hei­mat­lan­des pro­tes­tier­ten. Die Wahl der Stadt war natür­lich kein Zufall. Hier schlug Karl Mar­tell im Okto­ber 732 eine ent­schei­den­de Schlacht gegen die nach Mit­tel­eu­ro­pa vor­drin­gen­den Mau­ren, die in den Jahr­zehn­ten zuvor bereits die ibe­ri­sche Halb­in­sel erobert hat­ten. Die Geschich­te Frank­reichs wie des Abend­lan­des über­haupt wäre wohl erheb­lich anders ver­lau­fen, hät­ten die Fran­ken die­sen Kampf verloren.

Die »Occu­py Mosque«-Aktion in Poi­tiers, die staats­an­walt­schaft­li­che Ermitt­lun­gen wegen »Eigen­tums­zer­stö­rung, uner­laub­ter Demons­tra­ti­on sowie Anstif­tung zum Ras­sen­haß« nach sich zog, sorg­te in Frank­reich für erheb­li­chen Wir­bel. Reak­tio­nen kamen von höchs­ter Stel­le: Pre­mier­mi­nis­ter Jean-Marc Ayrault und Innen­mi­nis­ter Manu­el Valls (bei­de Par­ti socia­lis­te) ver­ur­teil­ten die Akti­on als »Bruch des Sozi­al­ver­trags und der repu­bli­ka­ni­schen Ord­nung«. Sozia­lis­ti­sche und kom­mu­nis­ti­sche Poli­ti­ker, wie immer eif­rig enga­giert, isla­mi­sche Inter­es­sen zu för­den und jeg­li­chen Ver­such der Ver­tei­di­gung des Eige­nen zu dif­fa­mie­ren, for­der­ten gar ein Ver­bot der Grup­pe. Rund 250 Arti­kel erschie­nen in der regio­na­len und über­re­gio­na­len Pres­se, zumeist mit dem Ver­such, die Grup­pe als »Nazis« und »Extre­mis­ten« zu brand­mar­ken. Ein Bericht auf dem Sen­der France 3 rück­te etwa eine haken­kreuz­ge­schmück­te Netz­sei­te ins Bild, die nichts mit den »Iden­ti­tä­ren« zu tun hat. Auch die spär­lich in den deut­schen Sprach­raum durch­ge­si­cker­ten Berich­te spra­chen von »Glat­zen« und »Rechts­extre­mis­ten«. Der Bür­ger­meis­ter von Poi­tiers ver­si­cher­te der Pres­se, daß die 7000 in der Stadt leben­den Mos­lems (das sind bereits rund acht Pro­zent der Gesamt­po­pu­la­ti­on) im schöns­ten Ein­ver­neh­men mit dem Rest der Bevöl­ke­rung leben würden.

Auf ihrer Netz­sei­te wies »Géné­ra­ti­on Iden­ti­taire« auf pikan­te Hin­ter­grün­de hin: Der tune­si­sche Imam von Poi­tiers, der die Akti­vis­ten als »Fana­ti­ker« bezeich­ne­te, sei Mit­glied der UOIF (Uni­on der isla­mi­schen Orga­ni­sa­tio­nen Frank­reichs) und stün­de der Mos­lem­bru­der­schaft sowie der isla­mis­ti­schen Bewe­gung Ennah­da in Tune­si­en nahe. Pre­mier­mi­nis­ter Ayrault habe wäh­rend sei­ner Amts­zeit als Bür­ger­meis­ter von Nan­tes einem mos­le­mi­schen Kul­tur­zen­trum 200000 Euro Sub­ven­ti­on zukom­men las­sen, das eben­falls von der UOIF gelei­tet wer­de. Und die­se habe auf ihren Kon­gres­sen des öfte­ren Red­ner ein­ge­la­den, die zur Tötung von »Ungläu­bi­gen«, Juden und Homo­se­xu­el­len sowie zur Erobe­rung Euro­pas aufriefen.

Nicht nur hier wer­de mit zwei­er­lei Maß gemess­sen. Die­sel­be Pres­se, die nun die Iden­ti­tä­ren ver­dammt, habe eben noch die Grup­pe »Pus­sy Riot« hoch­ge­ju­belt und ihren Auf­tritt in der Mos­kau­er Christ-Erlö­ser-Kathe­dra­le zum legi­ti­men Pro­test­akt ver­klärt. Es gebe aber einen wich­ti­gen Unter­schied: Wäh­rend die »Pus­sies« einen Got­tes­dienst im Inne­ren der Kir­che gestört hät­ten, sei­en die iden­ti­tä­ren Akti­vis­ten nur auf das Dach einer Bau­stel­le geklet­tert. In der Art, wie die Akti­on der Grup­pe und ihre poli­ti­schen Zie­le von den Medi­en nie­der­ge­knüp­pelt wur­den, sehen die Iden­ti­tä­ren ein Zei­chen von »Angst« und ein Sym­ptom für den Ver­fall des Systems.

Ihre zen­tra­len For­de­run­gen, die von den Medi­en frei­lich eher ver­schwie­gen wer­den, lau­ten so: »Wir wol­len kei­ne außer­eu­ro­päi­sche Ein­wan­de­rung mehr und leh­nen den Bau einer wei­te­ren Moschee auf fran­zö­si­schem Boden ab. Seit den ers­ten afri­ka­ni­schen Ein­wan­de­rungs­wel­len und dem 1974 beschlos­se­nen Gesetz zum Fami­li­en­nach­zug wur­de unser Volk kein ein­zi­ges Mal danach gefragt, mit wel­chen Bevöl­ke­rungs­grup­pen es zusam­men­le­ben will. … Die Mas­sen­ein­wan­de­rung hat unser Land radi­kal ver­än­dert: Laut der letz­ten Stu­die des INSEE (staat­li­ches Statistik­amt) haben 43 Pro­zent der 18- bis 50jährigen im Bal­lungs­raum Paris einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund. Ein Volk kann sich von einer Wirt­schafts­kri­se oder einem Krieg erho­len, aber nicht von einem Bevöl­ke­rungs­aus­tausch: Ohne Fran­zo­sen gibt es auch kein Frank­reich mehr. … Das ist eine Über­le­bens­fra­ge: dar­um hat jedes Volk das unab­ding­ba­re Recht, selbst zu ent­schei­den, ob und wie vie­le Frem­de es auf­zu­neh­men wünscht. Da uns die­ses Recht ver­wei­gert wur­de und unse­re Gene­ra­ti­on dafür auf der Stra­ße bezah­len muß, in stän­di­ger Kon­fron­ta­ti­on mit dem Gesin­del, das uns ein­schüch­tern will, sagen wir: Es reicht, wir wei­chen nicht mehr zurück! … Wir ver­lan­gen eine Volks­ab­stim­mung über die Ein­wan­de­rung und die Errich­tung isla­mi­scher Kult­stät­ten in Frank­reich. Wir wer­den nicht das Feld räu­men, solan­ge man uns nicht gehört und unse­re For­de­run­gen erfüllt hat. … Wir rufen alle jun­gen Euro­pä­er auf, ihr Schick­sal in die Hand zu neh­men und sich der Vor­hut der auf­rech­ten Jugend anzu­schlie­ßen. Ganz Euro­pa möge unse­ren Ruf hören: Hier und jetzt wol­len wir die WIEDEREROBERUNG!«

Dem Ruf zum all­jähr­li­chen Gip­fel­tref­fen des »Bloc Iden­ti­taire« in die klei­ne Stadt Oran­ge im süd­fran­zö­si­schen Bezirk Vau­cluse, die seit 1996 von dem rechts­kon­ser­va­ti­ven Bür­ger­meis­ter Jac­ques Bom­pard regiert wird, folg­ten am 3./4. Novem­ber den­noch nur rund 500 Besu­cher. Auch nach zehn Jah­ren Akti­vi­tät ist die Grup­pe unter dem Vor­sitz des 41jährigen Fabri­ce Robert eher eine Rand­er­schei­nung der fran­zö­si­schen Rech­ten. Der Front Natio­nal bleibt auf Distanz, und des­sen Jung­star, Mari­on Maré­chal-Le Pen, sag­te kurz­fris­tig ihren Besuch ab. Fern blie­ben auch Ver­tre­ter der eben­falls gela­de­nen FPÖ, und der flä­mi­sche Vlaams Belang sen­de­te ledig­lich ein »Gruß­wort« der Abge­ord­ne­ten Hil­de de Lobel. Allein von der ita­lie­ni­schen Lega Nord war ein Abge­sand­ter erschie­nen, der sich mit ein paar unge­schick­ten State­ments her­vor­tat, die zum gefun­de­nen Fres­sen für die Pres­se wur­den: Sie schoß sich auf die­sen eher belang­lo­sen Auf­tritt ein.

Der Kon­greß selbst dien­te eher der Ein­schwö­rung als der Theo­rie­bil­dung, mit viel Flag­gen­schwen­ken, Zuru­fen aus dem Publi­kum, kol­lek­tiv skan­dier­ten Paro­len, emo­tio­na­li­sie­ren­den Film­vor­füh­run­gen und einem Rock­kon­zert am Abend, unter ande­rem mit der Sze­ne­band »Hotel Stel­la« und dem »Musi­ca Alternativa«-Veteranen Gabrie­le Mar­co­ni. Die Teil­neh­mer waren in der Mehr­zahl jung, männ­lich, leger geklei­det, mit einer beträcht­li­chen Anzahl von Mei­nungs­hem­den. Thor­s­ham­mer-Trä­ger mit offen­sicht­li­chem Metal-Hin­ter­grund hat­ten hier Burg­frie­den mit kreuz­be­wehr­ten Katho­li­ken geschlos­sen, und ver­ein­zelt fan­den sich auch öko-alter­na­tiv ange­hauch­te Gestal­ten mit Cord­ho­sen und lan­gen Röcken. Die »Stars« die­ses Wochen­en­des waren frei­lich die anwe­sen­den Vete­ra­nen der »732«-Aktion von Poi­tiers, geadelt durch gel­be »Ich war dabei«-T-Shirts.

Die­se Akti­on wur­de wie­der und wie­der per Film- und Foto­auf­nah­men mit dra­ma­ti­scher Musik beschwo­ren, die Bot­schaft ver­kün­dend: Wir schaf­fen uns hier unse­re eige­nen Legen­den und Hel­den­ta­ten, sei auch Du dabei, hol’ auch Du Dir den Rit­ter­schlag! In der Selbst­prä­sen­ta­ti­on wird, wie auf einen unnö­ti­gen Bal­last, auf Abgren­zun­gen und Distan­zie­run­gen eben­so ver­zich­tet wie auf Anbie­de­run­gen und Anpas­sun­gen an den poli­ti­schen Main­stream. Ein Besu­cher von der öster­rei­chi­schen Grup­pe »W.I.R.« (Wiens iden­ti­tä­re Rich­tung) berich­tet auf ­blauenarzisse.de: »Auch bei stei­gen­der Fei­er­lau­ne und nach eini­gen geleer­ten Wein­fla­schen bleibt das Ver­hal­ten der jun­gen ›mili­tants‹ tadel­los. Die iden­ti­tä­re Strö­mung ist kei­ne Bie­der­mann-​Mas­ke für den Tag, hin­ter der nachts die Sze­ne­f­rat­ze zum Vor­schein kommt. Das wird uns spä­tes­tens jetzt klar. Man habe in den letz­ten Jah­ren einen radi­ka­len inne­ren ›Rei­ni­gungs­pro­zeß‹ durch­ge­zo­gen und unbe­lehr­ba­re Per­so­nen aus­ge­schlos­sen, erzählt ein Mit­glied der Géné­ra­ti­on Iden­ti­taire zufrie­den. Seit­dem klap­pe alles bes­ser, und die Bewe­gung sei erfolgreicher.«

Die Autoren, die sich auf den Bücher­ti­schen fin­den, sind alte Bekann­te: etwa der Vor­den­ker der Nou­vel­le Droi­te, Alain de Benoist, oder ihr popu­lärs­ter Häre­ti­ker, Guil­laume Faye, aber auch Jean Ras­pail, Renaud Camus oder Richard Mil­let. Was die Absa­ge an den Main­stream betrifft, so fällt der gera­de­zu pole­mi­sche Ver­zicht auf die Tri­ko­lo­re auf – die­se wird als Sym­bol für die Repu­blik abge­lehnt, die »das Vater­land ver­ra­ten« habe (Ras­pail). Dem stel­len die Iden­ti­tä­ren eine wahr­haft »bun­te« Viel­falt der Flag­gen der his­to­ri­schen fran­zö­si­schen Pro­vin­zen ent­ge­gen, unter die sich nun das schwar­ze Lamb­da auf gel­bem Grund (oder wahl­wei­se umge­kehrt) mischt. Ist all dies nun attrak­tiv genug, um fri­schen Wind über den Rhein zu brin­gen und auch hier­zu­lan­de Gras­wur­zel­be­we­gun­gen anzu­sto­ßen? Die poli­ti­schen Zwän­ge, Hür­den und Sen­si­bi­li­tä­ten, die einer »iden­ti­tä­ren« Rech­ten ent­ge­gen­ste­hen, wir­ken sich in Deutsch­land wohl um eini­ge Gra­de uner­bitt­li­cher aus als in Frank­reich – ande­rer­seits ist die demo­gra­phi­sche und sozia­le Lage noch bei wei­tem nicht so ver­schärft wie dort.

Bleibt also die Fra­ge, ob ein Kon­zept, das in Frank­reich zumin­dest im Auf­wuchs zu sein scheint, in Deutsch­land »Über­set­zer« fin­den kann, beschla­ge­ne Akti­vis­ten also, die über Par­typ­a­trio­tis­mus und Ghet­to­blas­ter­ge­hop­se hin­aus­ge­hen wollen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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