Dominique Venner und die 54. Sezession

Zu einem Zeitpunkt, da neun Zehntel des konservativen Milieus ihre Hoffnung auf einen Wahl­erfolg der »Alternative für...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Deutsch­land« set­zen, erlaubt sich die Sezes­si­on ein The­men­heft zur »Reak­ti­on«. Die mög­li­che Dis­kus­si­on über das Unzeit­ge­mä­ße oder sogar Absei­ti­ge sol­cher Pla­nungs­ent­schei­dun­gen wird redak­ti­ons­in­tern gar nicht geführt:

Der­lei The­men­set­zun­gen bewei­sen, daß »Sezes­si­on« tat­säch­lich eine Distanz von den Erre­gungs­wel­len der Tages­po­li­tik bedeu­tet. Sezes­si­on (als Lebens­prin­zip und als kon­kre­tes Zeit­schrif­ten­pro­jekt): Das ist das Eigent­li­che, das immer gilt, auch wenn gera­de irgend­wo eine Rake­te gestar­tet oder ein Luft­bal­lon auf­ge­pus­tet wird.

Ernst Jün­ger absol­vier­te wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs zwei voll­stän­di­ge Lek­tü­re­durch­gän­ge der Bibel, man kann das in den Strah­lun­gen nach­voll­zie­hen. Unser Autor Mar­tin Licht­mesz wird im Sep­tem­ber ein kapla­ken mit dem Titel War­um ich die Bibel lese vor­le­gen, und sein Antrieb ist kein ande­rer als jener, der sei­nen berühm­ten Vor­gän­ger zur Lek­tü­re führ­te: Ver­ge­wis­se­rung bewähr­ter Grund­la­gen und Maß­stä­be in unüber­sicht­li­cher Zeit.

Lesen Sie also, was wir über das reak­tio­nä­re Lebens­prin­zip zu sagen haben. Was Sie letzt­lich aus der Lek­tü­re »machen«, ist uner­heb­lich: Der Ertrag dar­aus wird Ihnen zur Ver­fü­gung ste­hen, wenn Sie ihn brauchen.

Indem der 79jährige His­to­ri­ker Domi­ni­que Ven­ner sich am 21. Mai in der Kathe­dra­le Not­re Dame zu Paris erschoß, reagier­te er radi­kal auf den Weg ins Ver­der­ben, den sein Vater­land und Euro­pa seit Jahr­zehn­ten beschrei­ten. Er reagier­te dabei nicht so, wie es uns das libe­ra­le Sys­tem und die offe­ne Gesell­schaft nahe­le­gen: ertra­gend, selbst­kri­tisch, aus­wei­chend, akzep­tie­rend, weich, anknüpfungsbereit.

Ven­ners Reak­ti­on war über­legt, sym­bo­lisch, männ­lich, frei und hart. Sie war scho­ckie­rend für all jene, die das Leben quan­ti­ta­tiv und nicht qua­li­ta­tiv, indi­vi­dua­lis­tisch und nicht ein­ge­bet­tet, hedo­nis­tisch und nicht in ers­ter Linie als Dienst auf­fas­sen. Was Ven­ner am Altar der Kathe­dra­le tat, begreift man ent­we­der sofort oder gar nicht: Es umgibt sein Leben und sei­ne Argu­men­ta­ti­on mit der Aura radi­ka­ler Unab­hän­gig­keit und jäher Fremd­heit, und alle Ver­su­che, sei­ne Tat zu instru­men­ta­li­sie­ren, sind pein­lich und müs­sen schei­tern, auch jene von unse­rer Sei­te. Man muß schwei­gen kön­nen beim Blick auf etwas, das so weit ent­fernt von dem ist, was wir uns vor­ge­nom­men und was wir Tag für Tag zu tun haben.

Indes: Nie­mand ver­wechs­le die Sezes­si­on und die dar­in ange­sto­ße­nen The­men mit jenem »Schweiß­tuch für die Bür­ger«, über das schon Fried­rich Nietz­sche ätz­te. Ein Arti­kel­chen für den Tag, ein Apho­ris­mus für die Nacht – das ist es natür­lich nicht! Das Wort »Reak­ti­on« hat nicht nur jene poli­ti­sche Bedeu­tung, die von Unkun­di­gen mit »vor­vor­ges­tern« oder »Met­ter­nich« in eins gewor­fen wird – jeder alte Apfel­baum ist von vor­vor­ges­tern, aber trotz­dem Jahr für Jahr »unend­lich neu­er als ein Kabel und ein hohes Haus« (Ril­ke). Nein: »Reak­ti­on« ist vor allem das Gegen­teil von »Ertra­gen«, ist eine Ant­wort auf etwas, das uns wider­fährt oder wider­fah­ren könnte.

Wer reagiert, agiert ant­wor­tend. Die Sezes­si­on wäre nicht die Sezes­si­on, wenn sie nicht durch die Jah­re betont hät­te, daß sie unser Volk als his­to­ri­sche Ein­heit nicht mehr in der actio, son­dern nur noch in der reac­tio sehe. Gebur­ten­schwund, his­to­ri­sche Läh­mung, Ver­ach­tung des Eige­nen: Das Gesetz des Han­delns ist – von der wirt­schaft­li­chen Dyna­mik abge­se­hen – auf hung­ri­ge, hyperiden­ti­tä­re, viel­leicht auch bloß im vor­auf­ge­klär­ten Sin­ne »männ­li­che« Akteu­re von außer­halb übergegangen.

Deut­scher Rück­zug an allen Fron­ten, ver­zö­ger­te Reak­ti­on selbst dort, wo die Din­ge ein­deu­tig lie­gen. Mir selbst pas­sier­te das vor Jah­ren ein­mal in Stutt­gart, als ich in der Stra­ßen­bahn nach Bad Cannstatt saß und mit­be­kam, wie zwei Tür­ken eine völ­lig ver­schüch­ter­te deut­sche Fami­lie belei­dig­ten. Ver­zö­gert war mei­ne Reak­ti­on, weil mir eine hal­be moral­phi­lo­so­phi­sche Biblio­thek durch den Kopf rausch­te, wäh­rend ich über die Grün­de des Ver­hal­tens der Tür­ken und mei­ne mög­li­che Reak­ti­on nach­sann. Fünf Hal­te­stel­len lang begrü­bel­te ich die Unsi­cher­heit mei­nes eige­nen Stand­punkts, bade­te in intel­lek­tu­el­ler Gehemmt­heit und Selbst­prü­fung und erwog Ent­las­ten­des für die­sen in Schwa­ben gestran­de­ten Pöbel. Dann – end­lich! – stand der Vor­satz, beim nächs­ten fal­schen Wort, der nächs­ten über­grif­fi­gen Ges­te ein­zu­schrei­ten. Aber da waren die Ker­le schon aus der Tür.

Ob die Lek­tü­re die­ses Hef­tes für die Zukunft den Weg aus der­lei Situa­tio­nen abzu­kür­zen hel­fen könn­te, ver­mag ich nicht zu sagen. Aus­lie­fe­rung an die Abon­nen­ten ist jeden­falls Anfang kom­men­der Woche.

 

 

 

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (1)

Waldgänger

27. Mai 2013 18:48

Sezession,
Abspaltung als aktive Handlung.
Nicht nur das passive konservative Bejammern der traurigen Gegenwart, sondern das Bewahren von Grundsätzen und persönlicher Haltung auch in Zeiten der Niederlage.
Und das Suchen nach Möglichkeiten der Re-Aktion!

Ich freue mich auch, dass Sie Ernst Jünger erwähnt haben.
Sein "Waldgang" ist ja im Grunde eine einzige Anleitung zur Sezession und zum Wahren von individueller Freiheit und Würde.

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