Wieder Neues über Jünger

46pdf der Druckfassung aus Sezession 46 / Februar 2012

Spätestens seit seinem Tod vor zwölf Jahren gehört Ernst Jünger zu den Klassikern der Welt­literatur. Zwar gab es bereits zu seinen Lebzeiten zwei Gesamtausgaben und eine umfangreiche Sekundärliteratur zu seinem Werk, doch kann diese Tatsache nicht darüber hinwegtäuschen, daß Jünger Zeit seines Lebens »umstritten« blieb. Wurde er während der Weimarer Republik vor allem als politischer Schriftsteller wahrgenommen, der vom offiziellen Literatenmilieu Abstand hielt, änderten sich im Dritten Reich lediglich die Vorzeichen des (jetzt nationalsozialistischen) Literaturbetriebs – der Abstand blieb.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nach dem Krieg galt Jün­ger für die Alli­ier­ten als belas­tet und hat­te des­halb Ver­öf­fent­li­chungs­ver­bot. Aller­dings erleb­te er nach Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik ein unge­ahn­tes Come­back, das nicht zuletzt von sei­ner mora­li­schen Inte­gri­tät im Drit­ten Reich leb­te. Damit war es Ende der sech­zi­ger Jah­re vor­bei: Auch Jün­ger kam vors Tri­bu­nal der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­ger, sei­ne Leser muß­ten sich ent­spre­chend beleh­ren las­sen. Anfang der neun­zi­ger Jah­re dann, im Zuge der poli­ti­schen Wen­de, ver­such­te die Jün­ger-Rezep­ti­on end­lich, dem Werk die­ses Zeit­zeu­gen und Autors gerecht zu wer­den. Aber erst nach sei­nem Tod scheint man sich, vor allem auch in Frank­reich, über sei­nen Rang einig gewor­den zu sein: Die Auf­nah­me Jün­gers in die berühm­te »Biblio­t­hè­que de la Plé­ia­de« ist so etwas wie ein Siegel.

Ein inter­es­san­tes Bei­spiel für die­ses lan­ge Auf und Ab der Jün­ger-Rezep­ti­on ist sei­ne Prä­senz in der Rei­he rowohlts mono­gra­phien, die es seit 1958 gibt und bis heu­te exis­tiert. Hier bekam Jün­ger bereits 1962 sei­nen eige­nen Band, ver­faßt von einem Weg­ge­fähr­ten im wei­tes­ten Sin­ne: dem Natio­nal­bol­sche­wis­ten Karl O. Pae­tel, der 1935 aus Deutsch­land flie­hen muß­te. Nach­dem die Erst­auf­la­ge ver­kauft war, gab es kei­ne neue und in den nächs­ten Jahr­zehn­ten auch kei­nen ande­ren Band zu Jün­ger. Erst jetzt ist ein gänz­lich neu­er erschie­nen (Rein­bek: Rowohlt Taschen­buch 2011, 157 S., 8.99 €). Geschrie­ben hat ihn der Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Tho­mas Amos, der einen guten Über­blick lie­fert, im Urteil aber unsi­cher ist und an vie­len Stel­len meint, Jün­ger irgend­wie ent­lar­ven zu müs­sen. Hin­zu kommt, daß Amos mit der Lite­ra­tur zu Jün­ger nicht umfas­send ver­traut ist, so daß ihm Feh­ler unter­lau­fen. So datiert er das Erschei­nen der Frie­dens­schrift miß­ver­ständ­lich, even­tu­ell in eine Nach-Stauf­fen­berg-Pha­se hin­ein, in der auch Jün­gers Kopf wackel­te und sei­ne Frau zu Hau­se in Kirch­horst gan­ze Brief­wech­sel ein­äscher­te. Tat­säch­lich erschien die Frie­dens­schrift erst nach dem Krie­ge. Indes: Für neun Euro kann nicht viel falsch machen, wer einen knap­pen Ein­blick in Leben und Werk Jün­gers lesen möchte.

Mitt­ler­wei­le ist es aller­dings wirk­lich schwie­rig gewor­den, den Über­blick über die For­schungs­li­te­ra­tur zu behal­ten. Es gibt zwar ent­spre­chen­de Biblio­gra­phien, die aber nicht mehr als ein Hin­weis auf Titel sein kön­nen. Des­halb ist das Erschei­nen eines so umfang­rei­chen Buches wie das des Ger­ma­nis­ten Ernst Kel­ler zu begrü­ßen: Spu­ren und Schnei­sen. Ernst Jün­ger: Les­ar­ten im 20. Jahr­hun­dert (Bie­le­feld: Ais­the­sis-Ver­lag 2012, 628 S., 58 €). Es bie­tet einen, the­ma­tisch geglie­der­ten, Über­blick über die Jün­ger-Rezep­ti­on des 20. Jahr­hun­derts. Da Kel­ler 2006 starb, erfaßt der von einem Her­aus­ge­ber redi­gier­te Text die Sekun­där­li­te­ra­tur bis unge­fähr 2005; die Bio­gra­phien von Schwilk und Kie­sel konn­te Kel­ler nicht mehr zur Kennt­nis neh­men. Kel­ler stand vor dem Pro­blem, den unge­heu­ren Stoff zu glie­dern. Sei­ne 13 wie­der­um reich unter­teil­ten Kapi­tel wir­ken etwas will­kür­lich, obwohl sie sich an den The­men Jün­gers und den Fra­ge­stel­lun­gen der Rezep­ti­on glei­cher­ma­ßen ori­en­tie­ren. Der Band eig­net sich daher auch weni­ger für den Haus­ge­brauch als für die wis­sen­schaft­li­che Arbeit. Merk­wür­dig ist ein­zig das Vor­wort des Her­aus­ge­bers, das sich auf den fünf Sei­ten wie eine Distan­zie­rung von den nächs­ten 600 liest. Wenn man das Pro­gramm des Ver­lags mus­tert, wird deut­lich, daß man sich dort mit Jün­ger immer noch schwer­tut – und den­noch auf Kel­lers Buch nicht ver­zich­ten wollte.

Dage­gen hat der Ver­lag Matthes & Seitz schon seit lan­gem eine Schwä­che für Jün­ger: Dort ist jetzt eine Stu­die von Jan Robert Weber erschie­nen, die über die Rei­se­ta­ge­bü­cher einen neu­en Zugang zu Jün­gers Werk ver­spricht – Ästhe­tik der Ent­schleu­ni­gung. Ernst Jün­gers Rei­se­ta­ge­bü­cher (Ber­lin: Matthes & Seitz 2011, 526 S., 39.90 €). Was im ers­ten Moment wenig neu klingt, ent­puppt sich nach der Lek­tü­re als ein nahe­lie­gen­der, aber bis­her noch nie ein­ge­nom­me­ner Blick­win­kel auf das Gesamt­werk. Daß Jün­ger einer der wich­tigs­ten Tage­buch­schrei­ber des 20. Jahr­hun­derts gewe­sen ist, dürf­te all­ge­mein bekannt sein. Daß es sich bei der Mehr­zahl sei­ner Tage­bü­cher um Rei­se­no­ti­zen han­delt, ist bis­lang von der For­schung wei­test­ge­hend igno­riert wor­den, und auch die Bio­gra­phien von Schwilk und Kie­sel gehen auf die­sen Umstand nicht näher ein.

Weber kann nun zei­gen, daß das Fern­weh ein zen­tra­les Moment in Jün­gers Werk dar­stellt. Das beginnt mit sei­nem Aus­flug zur Frem­den­le­gi­on, der nur dem Sprung nach Afri­ka die­nen soll­te, und endet mit den eher luxu­riö­sen Rei­sen der spä­ten Jah­re, die Jün­ger dann wirk­lich in exo­ti­sche Regio­nen führ­ten. Dazwi­schen liegt die Ein­sicht, daß Rei­sen, wenn man nicht gera­de auf einer Wehr­machts­fahr­kar­te unter­wegs ist, Geld kos­tet – was bestimm­te Wün­sche, ins­be­son­de­re in den zwan­zi­ger und fünf­zi­ger Jah­ren, uner­füllt ließ. Weni­ger in die­sen bio­gra­phi­schen Details liegt der Wert der Arbeit als in der Ein­sicht, daß Jün­ger mit die­sen Rei­sen dem Ent­zau­be­rungs­pro­zeß ent­kom­men woll­te, den er zeit­wei­se enthu­si­as­tisch begrüßt hat­te. Inso­fern ist hier das, was der Wald­gang phi­lo­so­phisch zusam­men­faßt, in sei­ner rea­len Mög­lich­keit aus­ge­brei­tet. Weber hat zu den publi­zier­ten Tage­bü­chern auch die archi­vier­ten Vor­la­gen hin­zu­ge­zo­gen und kann so den lan­gen Pro­zeß deut­lich machen, der jeweils zwi­schen Nie­der­schrift und Druck liegt. Jün­gers Tage­bü­cher sind kei­ne spon­ta­nen Noti­zen, son­dern gleich­sam dem nach­klin­gen­den Erleb­nis der Frem­de abgelauscht.

Wel­che Dimen­sio­nen eine simp­le Ein­tra­gung Jün­gers haben kann, hat vor eini­gen Jah­ren der Jün­ger-For­scher Tobi­as Wim­bau­er gezeigt. Er nahm sich der berühm­ten »Bur­gun­der-Sze­ne« aus den Strah­lun­gen an, die lan­ge als Beweis für Jün­gers man­geln­de Empa­thie her­hal­ten muß­te, und konn­te zei­gen, daß sich eine ganz ande­re Les­art der Stel­le – die sym­bo­li­sche Bewäl­ti­gung einer Lieb­schaft – als wesent­lich plau­si­bler erwei­sen könn­te. Der Text lös­te damals ein reges Medi­en­echo aus. Wim­bau­er hat es nun in Tei­len gemein­sam mit sei­nem Text und eini­gen Ergän­zun­gen doku­men­tiert: Ernst Jün­ger in Paris (Hagen-Berch­um: Eisen­hut 2011, 135 S., 12.90 €). Die Tex­te stam­men größ­ten­teils aus der FAZ (Felix Johan­nes Enzi­an, Hen­ning Rit­ter). Ledig­lich die letz­ten bei­den Tex­te, von Alex­an­der Rubel und Jörg Sader, fal­len etwas ab, weil sie sich des bereits Gesag­ten noch­mals anneh­men und zu den Geschich­ten um Jün­gers Rol­le im Zwei­ten Welt­krieg, als der berühm­te Schrift­stel­ler als Haupt­mann in der Pari­ser Etap­pe Dienst tat, nichts Neu­es bei­zu­tra­gen haben.

Aus die­ser Pari­ser Zeit liegt Jün­gers Bericht Zur Gei­sel­fra­ge. Schil­de­rung der Fäl­le und ihrer Aus­wir­kun­gen, (hrsg. von Sven Olaf Berg­götz, Stutt­gart: Klett-Cot­ta 2011, 160 S., 19.95 €) jetzt auch in Buch­form vor, nach­dem er 2003 in den Vier­tel­jah­res­hef­ten für Zeit­ge­schich­te erschie­nen war. Anlaß für die sepa­ra­te Publi­ka­ti­on ist zum einen der 70. Jah­res­tag der ers­ten Gei­sel­er­schie­ßun­gen in Frank­reich, zum ande­ren das Film­pro­jekt von Vol­ker Schlön­dorff Das Meer am Mor­gen, das die Vor­komm­nis­se und Jün­gers Per­son (gespielt von Ulrich Matthes) zum The­ma hat (Film­start ist vor­aus­sicht­lich im Früh­jahr 2012).

Die­ser Film könn­te eine neue Dimen­si­on der Jün­ger-Kon­junk­tur ein­lei­ten, und zwar dann, wenn es Schlön­dorff gelingt, Jün­ger als das Bei­spiel eines Men­schen in aus­weg­lo­ser Situa­ti­on zu zei­gen – als jeman­den, der schuld­haft ver­strickt ist, der nichts abwen­den, aber eini­ges mil­dern kann, und der immer­hin den Mut hat, die Wahr­heit zu notie­ren. Dar­in liegt der blei­ben­de Wert die­ser Auf­zeich­nun­gen über Ereig­nis­se, die heu­te so lan­ge zurück­lie­gen wie damals die Bis­marck­sche Reichs­ei­ni­gung. Ihre fil­mi­sche Popu­la­ri­sie­rung könn­te die nach­ge­reich­ten Schuld­zu­schrei­bun­gen viel­leicht etwas abmil­dern und die Gene­ra­tio­nen mit­ein­an­der versöhnen.

 

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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