Ernst Nolte wird heute 90

von Siegfried Gerlich, übernommen aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012

Mit dem Namen Ernst Noltes verbindet sich eine einzigartige historische Durchdringung des „Faschismus in seiner Epoche“,...

aber auch jene als „His­to­ri­ker­streit“ fir­mie­ren­de geschichts­po­li­ti­sche Kon­tro­ver­se, die seit­her eine unbe­fan­ge­ne Sicht auf das impo­san­te Lebens­werk ver­stellt hat. Im Zen­trum des Nol­te­schen Geschichts­den­kens, wel­ches bei aller wis­sen­schaft­li­chen Soli­di­tät nicht zuletzt durch sei­ne phi­lo­so­phi­schen Valen­zen besticht, steht jedoch unbe­streit­bar der Nationalsozialismus.

Immer­hin fie­len Nol­tes Kind­heits­jah­re mit denen der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Bewe­gung weit­ge­hend zusam­men, und die frü­he Erfah­rung, in einem Zeit­al­ter gro­ßer ideo­lo­gi­scher Aus­ein­an­der­set­zun­gen zu leben, soll­te für sein Den­ken weg­wei­send sein. War zunächst ein groß­deut­scher Katho­li­zis­mus pazi­fis­ti­scher Prä­gung „die geis­ti­ge Welt, in der ich auf­ge­wach­sen war“, so wur­de für den Frei­bur­ger Stu­den­ten die Begeg­nung mit Mar­tin Heid­eg­ger bestim­mend, des­sen phi­lo­so­phi­sche Leh­re ihm das geläu­ter­te Erbe nicht nur des Katho­li­zis­mus, son­dern der abend­län­di­schen Meta­phy­sik ins­ge­samt anzu­tre­ten schien.

Wäh­rend der Kriegs­jah­re aller­dings emp­fand Nol­te das unver­dien­te Pri­vi­leg, stu­die­ren zu dür­fen, wäh­rend die Schul­ka­me­ra­den an allen Fron­ten kämpf­ten und sein jün­ge­rer Bru­der in der Nähe von Sedan fiel, als eine schwe­re Last, die er fort­an durch die selbst­auf­er­leg­te Ver­pflich­tung zur geis­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung mit den tie­fe­ren Ursa­chen der deut­schen Kata­stro­phe abzu­tra­gen such­te. So betrieb Nol­te nach Kriegs­en­de – neben sei­ner regu­lä­ren Tätig­keit als Gym­na­si­al­leh­rer für Deutsch und alte Spra­chen – umfang­rei­che zeit­ge­schicht­li­che Stu­di­en, als deren Ergeb­nis er 1963 sei­ne grund­le­gen­de Arbeit Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che prä­sen­tier­te, mit der er sich an der Uni­ver­si­tät Köln habi­li­tier­te. Von 1965 ab lehr­te Nol­te an der Uni­ver­si­tät Mar­burg Neue­re Geschich­te, bis er 1973 an die Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin beru­fen wur­de, wo er bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung im Jah­re 1991 wir­ken soll­te. Zwi­schen­zeit­lich führ­ten ihn zahl­rei­che Gast­auf­ent­hal­te nach Hol­land, Eng­land, Frank­reich, USA, Isra­el und nicht zuletzt nach Ita­li­en, wel­ches für den Wahl­ber­li­ner gleich­sam zur zwei­ten Hei­mat gewor­den ist.

Der Faschis­mus in sei­ner Epo­che bil­de­te den Grund­stein für Nol­tes eben­so eigen­stän­di­gen wie eigen­wil­li­gen Denk­weg. Alle Leit­mo­ti­ve, die in spä­te­ren Wer­ken wei­ter­ent­wi­ckelt und abge­wan­delt wer­den, fin­den sich hier bereits keim­haft ange­legt. Mit sei­ner euro­päi­schen Gene­ra­li­sie­rung des Begriffs Faschis­mus und des­sen ideo­lo­gie­his­to­ri­scher Defi­ni­ti­on als Anti­mar­xis­mus eröff­ne­te Nol­te eine neue wis­sen­schaft­li­che Per­spek­ti­ve ver­glei­chen­der For­schung, und mit sei­ner Ver­or­tung ins­be­son­de­re der radi­kal­fa­schis­ti­schen Ideo­lo­gie des Natio­nal­so­zia­lis­mus in der fran­zö­si­schen Tra­di­ti­on der Gegen­re­vo­lu­ti­on wie­der­um über­wand er das nega­tiv natio­na­lis­ti­sche Para­dig­ma des deut­schen Son­der­wegs. In den fol­gen­den Büchern Deutsch­land und der Kal­te Krieg (1974) und Mar­xis­mus und Indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on (1983) faß­te Nol­te sodann das welt­his­to­ri­sche Nach­spiel sowie die ideo­lo­gie­his­to­ri­sche Vor­ge­schich­te der faschis­ti­schen Epo­che in den Blick. So run­de­ten sich die ers­ten gro­ßen Wer­ke zu einer Tri­lo­gie, die nicht weni­ger bot als „eine Geschich­te der Ent­ste­hung, des Prak­ti­sch­wer­dens und des Schei­terns der gro­ßen moder­nen Ideologien“.

Stets hat Nol­te sich von Ideo­lo­gien als den tiefs­ten bewe­gen­den Kräf­ten der Geschich­te fas­zi­niert gezeigt. Daß sich ihm als Grund­fi­gur aller his­to­ri­schen Dyna­mik immer mehr das dia­lek­ti­sche Wech­sel­spiel von „lin­ker“ oder revo­lu­tio­nä­rer Her­aus­for­de­rung und „rech­ter“ oder gegen­re­vo­lu­tio­nä­rer Erwi­de­rung auf­dräng­te, muß­te schließ­lich zu einer Revi­si­on sei­ner euro­zen­trisch selbst­be­zo­ge­nen Deu­tung des Faschis­mus füh­ren, wel­chen es nun­mehr in den welt­his­to­ri­schen Bezug zum Kom­mu­nis­mus als sei­ner con­di­tio sine qua non zu set­zen galt.

Die­sen Per­spek­ti­ven­wech­sel streng­te Nol­te in sei­nem umstrit­tens­ten Werk Der euro­päi­sche Bür­ger­krieg 1917–1945. Natio­nal­so­zia­lis­mus und Bol­sche­wis­mus (1987) an, wor­in er jene his­to­ri­sche Grund­dia­lek­tik an die­sen bei­den tota­li­tä­ren Ideo­lo­gien exem­pli­fi­zier­te, wel­che durch einen „kau­sa­len Nexus“ mit­ein­an­der ver­bun­den sei­en und somit in „feind­li­cher Nähe“ zuein­an­der stün­den. An Nol­tes Zuspit­zung die­ses Theo­rems auf das Ver­hält­nis zwi­schen „Gulag“ und „Ausch­witz“ ent­zün­de­te sich der His­to­ri­ker­streit, obgleich Nol­te gera­de auf­grund sei­nes Ver­gleichs des rus­si­schen „Ori­gi­nals“ (der sozia­len Klas­sen­ver­nich­tung) mit der deut­schen „Kopie“ (der bio­lo­gi­schen Ras­sen­ver­nich­tung) zur Dia­gno­se der Ein­zig­ar­tig­keit des Holo­caust gelang­te. Sei­ne bedeut­sams­te kon­zep­tio­nel­le Neue­rung bestand indes­sen in der Ent­wick­lung einer his­to­risch-gene­ti­schen Tota­li­ta­ris­mus­theo­rie, die sich als eine Syn­the­se aus der his­to­ri­schen Faschis­mus- und der struk­tu­rel­len Tota­li­ta­ris­mus­theo­rie darstellt.

Das Erschei­nen sei­ner Streit­punk­te (1993), in denen Nol­te sich pro­gram­ma­tisch mit revi­sio­nis­ti­schen Posi­tio­nen der Geschichts­wis­sen­schaft aus­ein­an­der­setz­te, ließ ihn hier­zu­lan­de voll­ends zur per­so­na non gra­ta wer­den. In geis­ti­ger Ver­ein­sa­mung schrieb er sein nicht nur an Umfang rei­ches Spät­werk His­to­ri­sche Exis­tenz (1998), wel­ches noch ein­mal alle gro­ßen Leit­mo­ti­ve sei­nes Den­kens zu uni­ver­sal­his­to­ri­scher Ent­fal­tung brach­te, nicht ohne ihnen einen phi­lo­so­phisch-anthro­po­lo­gi­schen Reso­nanz­bo­den zu ver­schaf­fen. Eine neu­er­li­che Per­spek­ti­ve­n­er­wei­te­rung soll­te Nol­te mit sei­nem gegen­warts­be­zo­ge­nen Buch Die drit­te radi­ka­le Wider­stands­be­we­gung: Der Isla­mis­mus (2009) vor­neh­men, bevor er als sein „letz­tes Wort“ schließ­lich Spä­te Refle­xio­nen (2011) publi­zier­te, die the­ma­tisch um Juden­tum und Zio­nis­mus krei­sen und sich wie ein poin­tier­tes Resü­mé all sei­ner revi­sio­nis­ti­schen The­sen und Ten­den­zen ausnehmen.

Wenn­gleich Nol­tes Den­ken eine zuneh­mend kon­ser­va­ti­ve Ent­wick­lung mit zuwei­len radi­kal rech­ten Par­tei­nah­men durch­lau­fen hat, steht sein geis­ti­ger Kon­ser­va­tis­mus doch nur sekun­där für eine poli­ti­sche Hal­tung; pri­mär kommt ein alt­mo­disch anmu­ten­des Pathos der Distanz dar­in zum Aus­druck, wel­ches Nol­te stets als eine unab­ding­ba­re Vor­aus­set­zung aller Wis­sen­schaft behaup­tet und gegen poli­ti­sie­ren­de Zudring­lich­kei­ten ver­tei­digt hat. Immer­hin wird die phi­lo­so­phi­sche Spann­brei­te sei­nes Geschichts­den­kens von den Eck­stei­nen Marx und Nietz­sche mar­kiert. Nol­te selbst bekann­te, es gebe in sei­nem Werk eben­so vie­le lin­ke wie rech­te The­sen, und damit ste­he er „gleich­sam zwi­schen den Fron­ten, wo es nicht eben behag­lich ist“.

Als kon­ser­va­ti­ver Libe­ra­ler Nol­te hat immer wie­der die Frei­heit des Men­schen und die Offen­heit der Geschich­te betont, aber am inten­sivs­ten soll­te er sich doch an den tra­gi­schen Aus­weg­lo­sig­kei­ten und kata­stro­phi­schen Ein­brü­chen der his­to­ri­schen Exis­tenz des Men­schen abar­bei­ten, ohne daß er sich als nach­ge­bo­re­ner His­to­ri­ker ein ein­deu­ti­ges mora­li­sches Urteil gestat­tet hät­te. Gera­de die pro­fun­den Ambi­va­len­zen sei­nes viel­schich­ti­gen Lebens­wer­kes stel­len eine uner­schöpf­li­che und alle­mal berei­chern­de Her­aus­for­de­rung zum Nach­den­ken über Geschich­te dar.

 

Lite­ra­tur:
Sieg­fried Ger­lich: Ernst Nol­te. Por­trait eines Geschichts­den­kers, Schnell­ro­da 2009
Ernst Nol­te: Am Ende eines Lebens­werks. Drei letz­te Reden 2011/2012, Schnell­ro­da 2012

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