Schreibtisch, Garten, Alltag (I): Grass in der Provinz

Gestern frühe Kartoffeln gelegt, Rosara - eine Sorte, die man häufeln muß, weil sie die Knollen nicht nach unten, sondern...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

in einem Kranz aus­bil­det. Im Stall sechs Hüh­ner­kü­ken aus zehn Eiern, so früh im Jahr wie noch nie. Auf­lö­sen muß­ten wir indes das Dop­pel­ge­le­ge zwei­er Enten, die gemein­sam in einer Mau­rer­wan­ne auf zwei Dut­zend Eiern saßen. Was zunächst har­mo­nisch wirk­te, ent­wi­ckel­te sich zu einem Platz­ge­ran­gel, unter dem die Eier lit­ten. Nun sitzt die zuver­läs­si­ge­re und die ande­re wat­schelt um den Stall und sucht ver­zwei­felt nach irgend­ei­nem Ein­gang – kei­ne Bil­der­se­rie für die “Land­lust”.

Mit Ver­spä­tung in die Knei­pe, es lie­gen ein paar Kopien mit dem Gedicht von Gün­ter Grass aus. Die Bestands­auf­nah­me ist in vol­lem Gan­ge, die Ver­se haben dem Autor immer­hin ein Ein­rei­se­ver­bot nach Isra­el und dem Feuil­le­ton eine eif­ri­ge Debat­te über die Wirk­mäch­tig­keit der Kunst ein­ge­tra­gen (die des­we­gen so will­kom­men war, weil sich ein Bau­in­ge­nieur nie, ein Lite­ra­tur­kri­ti­ker unun­ter­bro­chen für sein Tag­werk recht­fer­ti­gen muß, und nun ein­mal sagen konn­te: “Seht her, was Gedich­te alles vermögen!”).

Der Stamm­tisch greift nach Kaf­fee und Gebäck und stellt die­se Selbst­recht­fer­ti­gung gleich in Fra­ge: Wars wirk­lich die Wucht der Lyrik, die Grass ein Rei­se­ziel nahm? Oder wars doch bloß die Kom­bi­na­ti­on aus neur­al­gi­schem The­ma und “mora­li­scher Instanz”? Nach drei Minu­ten ist man sich einig: Dies sei kein Gedicht, dies tar­ne sich nur hin­ter Stro­phen und Ver­sen und damit hin­ter der Rede- und Nar­ren­frei­heit der Kunst.

Aber dies, sagt end­lich ein an der ICE-Tras­se täti­ger Mon­teur, der wie alle ande­ren am Tisch noch in der DDR erzo­gen wur­de, aber dies sei doch völ­lig belang­los. Von Belang sei aus­schließ­lich, daß Grass bereits vor sei­nem Ein­wurf von den Mecha­nis­men der Mei­nungs­un­ter­drü­ckung und ‑skan­da­li­sie­rung gewußt habe und daß er die­ses Wis­sen bereits in den Inhalt und die Form sei­ner Äuße­rung habe ein­flie­ßen las­sen. Ob das die andern auch so sähen?

Aber natür­lich – es sekun­diert ein Hoch­span­nungs­elek­tri­ker in Ren­te – aber natür­lich, und wer etwas ande­res behaup­te, der müs­se blind sein. Immer wie­der zei­ge sich doch, daß Isra­el­kri­tik nicht mög­lich sei ohne Kon­se­quen­zen für den, der sie äuße­re. Er per­sön­lich habe nichts gegen Isra­el und gegen die Juden schon gar nicht – aber er habe sehr viel gegen den Frei­fahrt­schein, der die­sem Land und die­sem Volk von der Geschich­te aus­ge­stellt wor­den sei.

Er sehe das auch so, sagt nun ein pen­sio­nier­ter Leh­rer. Aber er sehe auch, daß das, was Grass geäu­ßert habe, gefähr­lich wer­den könn­te, wenn es durch die fal­schen Ohren in die fal­schen Gehir­ne gelan­ge. Er habe nicht die gerings­te Lust, sich einem neu­en Anti­se­mi­tis­mus ent­ge­gen­zu­wer­fen. – Wo er sich denn einem alten Anti­se­mi­tis­mus ent­ge­gen­ge­wor­fen habe? – In der DDR. Denn die sei offen anti­is­rae­lisch und pro­pa­läs­ti­nen­sisch, wenn nicht sogar pro­ara­bisch gewe­sen, und der Sechs-Tage-Krieg sei als Krieg des Aggres­sors Isra­el dar­ge­stellt wor­den, in allen Zeitungen.

Er müs­se zuge­ben, sagt nun der Mon­teur, daß er in der Ein­sei­tig­keit der Bericht­erstat­tung der DDR-Pres­se im Nach­hin­ein natür­lich eine staat­li­cher­seits voll­zo­ge­ne Ent­mün­di­gung des Bür­gers sehe, daß er ande­rer­seits aber in der heu­ti­gen Pres­se­land­schaft der Bun­des­re­pu­blik eine Aus­dif­fe­ren­zie­rung und eine Mul­ti­per­spek­ti­vi­tät wahr­zu­neh­men nicht recht in der Lage sei. Selbst wenn man aus den Nischen­blät­tern und frei­en Blogs doch eini­ges an sekun­die­ren­der Auf­klä­rung zusam­men­tra­gen kön­ne: Es hän­ge die­ser Neben-Öffent­lich­keit doch immer der Geruch des Nicht-Aner­kann­ten an.

In der Tat, in der Tat, sagt nun der Har­zer: Er, der erzwun­ge­ner­ma­ßen viel Zeit habe und sich im Netz gut aus­ken­ne, kön­ne über die behaup­te­te Hier­ar­chie­frei­heit des Ange­bots bloß lachen. Auch ihn zie­he es wie an Fäden auf die Sei­ten von Spie­gel-online, und zwar nicht, weil dort irgend­et­was aus­ge­wo­gen wer­de, son­dern weil das Image, eine demo­kra­ti­sche Instanz par excel­lence zu sein, die­sem Maga­zin bis heu­te anhaf­te. Der Jun­gen Frei­heit hin­ge­gen hän­ge – mit Ver­laub – bis heu­te der Ruf an, etwas zu emsig und zu hart­nä­ckig nur die eige­ne Per­spek­ti­ve zu artikulieren.

Aber es habe auf­ge­holt, das Blatt, auf­ge­holt, das müs­se man kon­sta­tie­ren, sagt der Leh­rer, und kei­ner wider­spricht. – Dann jedoch wer­den Pom­mes­tel­ler auf­ge­fah­ren und Bier, und das Licht geht aus. Auf der Lein­wand insze­niert die UEFA den Ein­marsch der Trup­pen. Die bei­den Söld­ner-Hee­re lie­fern sich eine hei­ße Schlacht. Spie­gel-online behaup­tet spä­ter, Bay­ern habe 2:1 gewon­nen. Beim Har­zer brennt noch Licht. Er sucht nach einer zwei­ten Meinung.
Test

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek ist Verleger (Antaios) und seit 2003 verantwortlicher Redakteur der Sezession.

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