Zur Politischen Theologie Carl Schmitts

pdf der Druckfassung aus Sezession 42 / Juni 2011

von Siegfried Gerlich

         »Mut zur Sünde verlangt die Menschheit von ihren Führern. Mit der
         Wirklichkeit rechnen heißt mit dem Teufel rechnen. Keine größere
         Gefahr für die Herrschaft Gottes auf Erden als ein Aufstand des
         Herzens um seinetwillen.«
         (Helmuth Plessner: Grenzen der Gemeinschaft)

 

Bei einem klaren und doch kryptischen Denker wie Carl Schmitt, der seinen Feinden unbegreiflich bleiben wollte, aber auch Freunden seltsam undurchsichtig schien, tragen einsame Bekenntnisse zuweilen Offenbarungscharakter. Dies gilt exemplarisch für das im Glossarium preisgegebene »geheime Schlüsselwort meiner gesamten geistigen und publizistischen Existenz: das Ringen um die eigentlich katholische Verschärfung.« Dieses Wort verbietet es, Schmitts bewaffnete Theologie zu einer feierlichen, aber verzichtbaren Aura seiner im Kern nüchternen staatsrechtlichen Lehre zu neutralisieren.

Zu Recht hat­te schon Hugo Ball in sei­nem 1924 ver­faß­ten Essay Carl Schmitts Poli­ti­sche Theo­lo­gie gera­de die »inqui­si­to­ri­sche Intel­li­genz« des gro­ßen Gelehr­ten gerühmt. Der fühl­te sich erkannt und befand noch Jahr­zehn­te spä­ter, dies sei ein »groß­ar­ti­ger, bril­lan­ter Auf­satz gewe­sen, wie ich ihn in mei­nem Leben kaum zum zwei­ten Mal erhal­ten habe.«
Als »Theo­lo­ge der Juris­pru­denz« legi­ti­mier­te sich Schmitt aus den Ursprungs­mäch­ten der moder­nen Rechts­wis­sen­schaft selbst: der römi­schen Kir­che und dem römi­schen Recht. Nach einem Jahr­hun­dert erbit­ter­ter Reli­gi­ons­krie­ge kam der Aus­zug der Juris­ten aus der depoten­zier­ten Kir­che in den sou­ve­rä­nen Staat zwar einem »Exodus von einem hei­li­gen Berg in den Bereich des Pro­fa­nen« gleich, doch hat­ten sie man­che Hei­lig­tü­mer mit sich genom­men und besetz­ten seit­her theo­lo­gisch geräum­te Posi­tio­nen. Inso­fern nimmt es nicht wun­der, daß »alle prä­gnan­ten Begrif­fe der moder­nen Staats­leh­re säku­la­ri­sier­te theo­lo­gi­sche Begrif­fe« sind.
In sei­ner Begriffs­so­zio­lo­gie rekon­stru­ier­te Schmitt den his­to­ri­schen Pro­zeß der Bedeu­tungs­über­tra­gung zwi­schen Grund­be­grif­fen bei­der Dis­zi­pli­nen, wodurch sich etwa der »all­mäch­ti­ge Gott« zum »omni­po­ten­ten Gesetz­ge­ber« ver­welt­lich­te, und in eins damit ana­ly­sier­te er deren sys­te­ma­ti­sche Struk­tur, um cha­rak­te­ris­ti­sche Bedeu­tungs­ana­lo­gien, wie die zwi­schen dem »Aus­nah­me­zu­stand« der Staats­rechts­leh­re und dem »Wun­der « der Theo­lo­gie, sicht­bar zu machen. Die säku­la­re Fort­gel­tung theo­lo­gi­scher Kate­go­rien beschränk­te sich indes­sen nicht auf juris­ti­sche und poli­ti­sche Begrif­fe, son­dern erstreck­te sich auf den neu­zeit­li­chen Säku­la­ri­sie­rungs­pro­zeß im gan­zen. Die­ser voll­zog sich nicht ein­fach als »Ent­gött­li­chung und Ent­christ­li­chung der Welt«, son­dern immer auch als »Selbst­er­mäch­ti­gung des Men­schen« zu inner­welt­li­chem Heils­stre­ben. Huma­nis­tisch wur­de ein evo­lu­tio­nä­rer oder auch revo­lu­tio­nä­rer Fort­schritts­glau­be gestif­tet, der doch »nur säku­la­ri­sier­tes Juden­tum und Chris­ten­tum war und sei­ne ›Eschata‹ von dort bezog.« Wenn das öko­no­mi­sche »Zeit­al­ter der Seku­ri­tät« zunächst von einer »dump­fen Reli­gi­on der Tech­ni­zi­tät« geprägt war, wel­cher das »Para­dies einer tech­ni­sier­ten Erde und einer durch­or­ga­ni­sier­ten Mensch­heit« vor Augen stand, so soll­te nach den Erschüt­te­run­gen des Ers­ten Welt­krie­ges eine poli­ti­sche Mobi­li­sie­rung reli­giö­ser End­zeit­vor­stel­lun­gen zuneh­mend an die Stel­le ihrer öko­no­mi­schen Neu­tra­li­sie­rung treten.
Mit sei­ner 1922 erschie­ne­nen Poli­ti­schen Theo­lo­gie setz­te Schmitt, der durch die deut­sche Revo­lu­ti­on von 1918 aus sei­nem libe­ra­len Schlum­mer geris­sen wur­de, ein leuch­ten­des Fanal, das als pro­gram­ma­ti­sche Erwi­de­rung auf die­se epo­cha­le Her­aus­for­de­rung ver­stan­den wer­den muß. Immer­hin hat­te er sei­nen wirk­mäch­ti­gen Begriff dem geis­ti­gen Waf­fen­ar­se­nal Bakunins ent­wen­det, des­sen »anti-theo­lo­gi­scher« Anar­chis­mus ihm das wah­re Wesen der mar­xis­ti­schen Revo­lu­ti­on zu erschlie­ßen schien. Noch in sei­nen spä­ten Gesprä­chen mit Jacob Tau­bes zeig­te Schmitt »Furcht und Angst vor dem Sturm, der im säku­la­ri­sier­ten mes­sia­ni­schen Pfeil des Mar­xis­mus lauerte.«
Aber nicht nur der Mar­xis­mus, auch der mit ihm brü­der­lich ver­fein­de­te Natio­nal­so­zia­lis­mus war, was Schmitt unter­schätz­te, erfüllt von einem chi­li­as­ti­schen Mes­sia­nis­mus jüdi­schen Ursprungs: Der revo­lu­tio­nä­ren Mis­si­on der pro­le­ta­ri­schen Klas­se, ein Zeit­al­ter des Frie­dens und der Gerech­tig­keit zu erkämp­fen, stell­te das aus­er­wähl­te Volk der Deut­schen den Kampf um ein Tau­send­jäh­ri­ges Reich ent­ge­gen. So zog gera­de im libe­ra­len »Zeit­al­ter der Neu­tra­li­sie­run­gen und Ent­po­li­ti­sie­run­gen« ein neu­es »poli­tisch-theo­lo­gi­sches Zeit­al­ter« her­auf, wel­ches schließ­lich in einen euro­päi­schen und welt­wei­ten Bür­ger­krieg zwi­schen den poli­ti­schen Bru­der­re­li­gio­nen mün­de­te. Für Schmitt wie­der­hol­ten sich in die­sem Kampf der Ideo­lo­gien »mit säku­la­ren Paro­len und in glo­ba­len Dimen­sio­nen« nur die Kon­fes­si­ons­krie­ge des 16. und 17. Jahrhunderts.

Bereits gegen Ende des Wei­ma­rer Inter­regn­ums wur­de ihm zur unum­stöß­li­chen Gewiß­heit, daß eine heil­lo­se Welt, in der die zu einer poli­ti­schen Exis­tenz ver­ur­teil­te Mensch­heit sich not­wen­dig in Freund- und Feind-Grup­pie­run­gen zer­spal­ten muß­te, allein durch die heil­sa­me Herr­schaft eines auto­ri­tä­ren Staa­tes erträg­lich zu gestal­ten sei. Die­ser wür­de abso­lu­ten Gehor­sam for­dern und dafür abso­lu­tis­ti­schen Schutz bie­ten, im Ernst­fall aber sei­ne Sou­ve­rä­ni­tät in der Schlich­tung des Bür­ger­krie­ges und der Wie­der­her­stel­lung des Frie­dens bewäh­ren. Nicht ganz zu Unrecht sah Hel­mut Schelsky in Schmitt »den deut­schen Hob­bes des 20. Jahr­hun­derts«. Indes­sen hat­te der libe­ra­le Ver­fall des »Levia­than« vom dezi­sio­nis­ti­schen Ord­nungs­staat zu einem mecha­ni­sier­ten Staats­be­trieb, der das gebän­dig­te Übel indi­rek­ter reli­giö­ser und sozia­ler Gewal­ten erneut her­vor­bre­chen ließ, längst die poli­ti­sche Legi­ti­ma­ti­ons­kri­se der euro­päi­schen Neu­zeit offenbart.
Schmitt muß­te es nahe­lie­gen, der durch die »juden­christ­lich« inspi­rier­te deut­sche Refor­ma­ti­on ein­ge­läu­te­ten Tren­nung von Reli­gi­on und Staat das euro­päi­sche Ord­nungs­den­ken des römi­schen Katho­li­zis­mus mah­nend vor­zu­hal­ten, des­sen »hei­den­christ­li­che« Ein­heit von Kir­che und Reich bis dahin allen his­to­ri­schen Umwäl­zun­gen getrotzt hat­te. Bei aller Affi­ni­tät zu dem reak­tio­nä­ren Staats­theo­lo­gen Dono­so Cor­tés ver­kann­te er jedoch nicht, daß des­sen Glau­bens­kampf für die Wahr­heit der Kir­che unwei­ger­lich den Frie­den im Staa­te bedro­hen wür­de. Ange­sichts sol­cher Gefahr emp­fahl Schmitt einen eta­tis­tisch geläu­ter­ten und in »poli­ti­sche Form« gebrach­ten Katho­li­zis­mus, der frei­lich das Opfer jener noto­risch in Wahr­heits­fa­na­tis­mus über­schie­ßen­den Glau­bens­ge­hal­te erbrin­gen muß­te, die bereits die schlimms­ten Reli­gi­ons­krie­ge ent­fes­selt hat­ten, und deren escha­to­lo­gi­scher Glut­kern nun­mehr den per­ma­nen­ten Ter­ror revo­lu­tio­nä­rer Bür­ger­kriegs­par­tei­en ent­flamm­te. Um so ent­schlos­se­ner such­te Schmitt nach einer Instanz, die die­sen hybri­den Beschleu­ni­gern des Mensch­heits­fort­schritts Ein­halt gebie­ten könn­te. »Kon­ser­va­tiv-heid­ni­sche« For­de­run­gen nach »hal­ten­den Mäch­ten« waren bereits im Umkreis der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on erho­ben wor­den, aber Schmitt stieß erst 1932 bei Pau­lus auf deren »authen­tisch-christ­li­ches Modell«.
Im zwei­ten Brief an die Thes­sa­lo­ni­cher weist der Apos­tel die Nah­erwar­tung des mes­sia­ni­schen Zeit­al­ters, die zugleich Angst und Schre­cken vor der Apo­ka­lyp­se aus­lös­te, als Irr­leh­re zurück und erteilt der Gemein­de die Beleh­rung, vor Chris­ti Wie­der­kunft wer­de erst der gro­ße Abfall von Gott ein­tre­ten und der Wider­sa­cher erschei­nen, und auch die­ser wer­de vor­erst noch »zurück­ge­hal­ten«. Die­se rät­sel­haf­te Macht eines »Auf­hal­ters« (»Kat­echon«), die seit Ter­tul­li­an und Hip­po­lyt mit dem Römi­schen Reich iden­ti­fi­ziert wur­de, schien einer bis ins hohe Mit­tel­al­ter wir­ken­den Reichs­theo­lo­gie den Auf­schub der End­zeit zu gewähr­leis­ten. Die auf­grund der Paru­sie­ver­zö­ge­rung ein­ge­tre­te­ne »escha­to­lo­gi­sche Läh­mung« der his­to­ri­schen Per­spek­ti­ve des frü­hen Chris­ten­tums war auch Schmitt eine Leh­re, den »Kat­echon« als einen »heils­ge­schicht­li­chen Halt« anzu­er­ken­nen, wel­cher die »geschicht­li­che Idee von Euro­pa vor der Ver­zweif­lung bewah­ren« könn­te. Aller­dings brach­te Schmitts gro­ße Illu­si­on, das »Drit­te Reich« zu kat­echon­ti­schen Diens­ten ver­pflich­ten zu kön­nen, den »Kron­ju­ris­ten« zu Fall, denn die »völ­ki­sche Bewe­gung« des anti­christ­lich-revo­lu­tio­nä­ren Natio­nal­so­zia­lis­mus fühl­te sich von Schmitts katho­lisch-eta­tis­ti­scher Idee eines »tota­len Staa­tes« zu Recht »auf­ge­hal­ten«. Ernüch­tert zog sich Schmitts Poli­ti­sche Theo­lo­gie nach der deut­schen Kata­stro­phe auf die meta­po­li­ti­sche Dok­trin eines nicht mehr an Kir­che, Staat oder Reich gebun­de­nen Auf­hal­ters zurück, wodurch auch sein per­sön­li­ches Cre­do eine redu­zier­te und resi­gnier­te Gestalt annahm: »Ich glau­be an den Kat­echon «. In der Tat konn­te ein hero­isch zuge­rüs­te­tes Chris­ten­tum, wel­ches nur mehr »das Ende auf­zu­hal­ten und den Bösen nie­der­zu­hal­ten« hat­te, in sei­nem Wesens­kern »kei­ne Moral, kei­ne Buß­pre­digt und kei­ne Reli­gi­on« mehr sein.
Nir­gends fand Schmitt sei­nen schwar­zen Katho­li­zis­mus so schla­gend ver­sinn­bild­licht wie in Dos­to­jew­skis Legen­de vom Groß­in­qui­si­tor. Zur Zeit der schreck­lichs­ten Inqui­si­ti­on, im Sevil­la des 16. Jahr­hun­derts, erscheint Chris­tus. Der grei­se Groß­in­qui­si­tor läßt den von der Men­ge beju­bel­ten Wun­der­tä­ter in den Ker­ker sper­ren und hält dem immer­fort Schwei­gen­den eine lan­ge Rede: Chris­tus habe zu hoch von den Men­schen gedacht und ihnen eine Frei­heit geschenkt, der sie nicht gewach­sen gewe­sen sei­en und die sie nur zu Auf­ruhr, Anar­chie und Athe­is­mus ver­führt habe. Aus Lie­be und Mit­leid mit den Men­schen muß­te er dar­um selbst einen Pakt mit dem Teu­fel schlie­ßen: »Dos­to­jew­skis Groß­in­qui­si­tor bekennt, den Ver­su­chun­gen des Satans gefolgt zu sein, weil er weiß, daß der Mensch von Natur böse und nied­rig ist, ein fei­ger Rebell, der eines Her­ren bedarf, und weil nur der römi­sche Pries­ter den Mut fin­det, die gan­ze Ver­damm­nis auf sich zu neh­men, die zu sol­cher Macht gehört.« Weil der Kar­di­nal, ganz wie Schmitt, sich an die Inkar­na­ti­on Chris­ti als »ein his­to­ri­sches Ereig­nis von unok­ku­pier­ba­rer Ein­ma­lig­keit« hält, muß er Chris­ti Wie­der­kunft zur Häre­sie erklä­ren, denn nur als Auf­hal­ter Chris­ti ad maio­rem Dei glo­ri­am kann die Kir­che die Men­schen vor sich selbst schüt­zen und ihnen das allein zuträg­li­che Her­den­glück von Frie­den und Sicher­heit gewäh­ren. In einem von unter­grün­di­ger Ver­zweif­lung dik­tier­ten Impe­ra­tiv des Groß­in­qui­si­tors liegt Schmitts gan­ze »katho­li­sche Ver­schär­fung« beschlos­sen: »War­um bist Du gekom­men, uns zu stö­ren? – Geh, und komm nie, nie mehr wieder!«

Wenn, einer Ein­sicht Gün­ter Maschkes zufol­ge, Schmitts gesam­tes Werk ins­ge­heim die fik­ti­ve Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen dem »voll­ende­ten Refor­ma­tor « Hob­bes und dem katho­li­schen Theo­kra­ten Cor­tés in sich aus­trägt, dann wächst der Figur des Groß­in­qui­si­tors eine um so bedeut­sa­me­re Mitt­ler­rol­le zu. Schmitt selbst resü­miert: »Wer ist dem Groß­in­qui­si­tor Dos­to­jew­skis näher: die römi­sche Kir­che oder der Sou­ve­rän des Tho­mas Hob­bes? Refor­ma­ti­on und Gegen­re­for­ma­ti­on erwei­sen sich als rich­tungs­ver­wandt«, denn »Hob­bes spricht aus, was Dos­to­jew­skis Groß­in­qui­si­tor tut: die Wir­kung Chris­ti im sozia­len und poli­ti­schen Bereich unschäd­lich machen; das Chris­ten­tum ent-anar­chi­sie­ren, ihm aber im Hin­ter­grun­de eine gewis­se legi­ti­mie­ren­de Wir­kung zu belassen.«
Unter sol­cher kat­echon­ti­schen Ver­pan­ze­rung des Chris­ten­tums fin­det sich des­sen fro­he Bot­schaft als hono­ri­ge, aber obso­le­te Uto­pie begra­ben. Bereits Hob­bes erhob mit »Jesus is the Christ« als einer Papis­mus und Puri­ta­nis­mus poli­tisch neu­tra­li­sie­ren­den Frie­dens­for­mel kaum mehr einen christ­li­chen Wahr­heits­an­spruch, und im gegen­re­vo­lu­tio­nä­ren Den­ken nach Cor­tés trat ein katho­li­scher Agnos­ti­zis­mus zuta­ge, der schließ­lich in Maur­ras’ Bekennt­nis gip­fel­te: »Je suis athée, mais je suis catho­li­que.« Für Armin Moh­ler gibt es auch bei Schmitt nur mehr ein »Chris­ten­tum ohne Chris­tus«, und Tau­bes fürch­te­te in Schmitt sogar einer »Inkar­na­ti­on« des Dos­to­jew­ski­schen Groß­in­qui­si­tors selbst gegen­über­zu­ste­hen. Des­sen »Geheim­nis« ent­hüllt das Ende der Legen­de: Der Kar­di­nal hat den Glau­ben an Gott ver­lo­ren und harrt doch auf sei­nem noch kei­nes­wegs ver­lo­re­nen Pos­ten aus, denn um der Men­schen wil­len gilt es, den ordo mit aller Macht auf­recht­zu­er­hal­ten, und sei es durch Priesterbetrug.
In geis­ti­ger Ver­ein­sa­mung, in die ihn sein ver­schärf­ter Katho­li­zis­mus ein­ge­stan­der­ma­ßen getrie­ben hat­te, labo­rier­te Schmitt an sei­ner Poli­ti­schen Theo­lo­gie II, die mit einer spä­ten Replik auf Erik Peter­sens 1935 ange­streng­te »Erle­di­gung jeder Poli­ti­schen Theo­lo­gie« ein­setzt und sodann in eine aktu­el­le Kri­tik an Hans Blu­men­bergs phi­lo­so­phi­scher Legi­ti­ma­ti­on der Neu­zeit über­geht. Am Schluß der 1970 erschie­ne­nen Selb­sta­po­lo­gie jedoch begeg­net Schmitt in Gestalt des exis­ten­ti­ells­ten theo­lo­gi­schen Fein­des sei­ner eigens­ten Fra­ge wie­der: Schon der jun­ge Schmitt hat­te sich zuwei­len zum Gnos­ti­ker und sogar zum Athe­is­ten erklärt, der allen­falls an einen »bos­haf­ten Schöp­fer die­ser Welt« noch glau­ben moch­te. Der spä­te Schmitt stellt sich end­lich offen der Her­aus­for­de­rung, sei­nen illu­si­ons­lo­sen Katho­li­zis­mus vor gnos­ti­scher oder athe­is­ti­scher Welt­ver­zweif­lung zu bewahren.
Ein Wort des alten Kir­chen­leh­rers Gre­gor von Nazi­anz taugt ihm vor­züg­lich dazu, die Heil­lo­sig­keit der Welt auf den theo­lo­gi­schen Begriff zu brin­gen: »Das Eine – to Hen – ist immer in Auf­ruhr – stasi­at­son – gegen sich selbst – pros heau­ton.« Gemäß dem dia­lek­ti­schen Dop­pel­sinn des grie­chi­schen Aus­drucks sta­sis, der zugleich »Ruhe« und »Auf­ruhr« bedeu­tet, ent­wi­ckelt Schmitt aus die­sem inne­ren Wider­streit des Gött­li­chen »eine wah­re poli­tisch-theo­lo­gi­sche ›Sta­sio­lo­gie‹«. Nur so ließ sich der bestechen­den Irr­leh­re der Gno­sis, daß »ein all­mäch­ti­ger, all­wis­sen­der und all­gü­ti­ger Gott für die von ihm geschaf­fe­ne Welt nicht mit einem Erlö­ser­gott iden­tisch sein kann«, über­zeu­gend Paro­li bie­ten. Uner­schro­cken spricht Schmitt die Wahr­heit aus, über wel­che die kirch­li­che Dog­ma­tik scho­las­tisch betrügt: daß das Pro­blem der Theo­di­zee nicht lös­bar ist, solan­ge der tiefs­te Grund des unde malum nicht in Gott selbst gesucht wird. Indem Schmitt die gnos­ti­sche Zer­ris­sen­heit in die Ein­heit Got­tes zurück­bannt, wider­steht er der Ver­su­chung eines radi­ka­len dua­lis­ti­schen Zer­falls, der Mar­ci­on in sei­nem Mythos des Kal­ten Krie­ges zwi­schen einem lie­ben­den Erlö­ser­gott und einem stren­gen Schöp­fer­gott erle­gen war. Aber unwei­ger­lich muß Schmitts Über­span­nung des »Gott­men­schen« Chris­tus zu des­sen inwen­di­ger Spal­tung füh­ren: in einen dank der Kir­che sieg­rei­chen »Gott«, und in einen gegen des­sen Herr­schaft in urpro­tes­tan­ti­scher Heils­su­che lei­dend rebel­lie­ren­den »Men­schen«.
So berei­tet der gött­li­che Auf­ruhr den mensch­li­chen Fall in die heil­lo­se Säku­la­ri­tät alle­mal selbst vor und beschwört letzt­lich noch die Selbst­er­mäch­ti­gung des neu­zeit­li­chen Men­schen her­auf. Gleich­wohl kann der Stif­ter die­ser »Pseu­do-Reli­gi­on der abso­lu­ten Huma­ni­tät«, deren Wesen sich in den apo­ka­lyp­ti­schen Kata­stro­phen des 20. Jahr­hun­derts offen­bar­te, nur der »Sohn des Ver­der­bens, der Wider­sa­cher« sein, der sich »in den Tem­pel Got­tes setzt und sich als Gott aus­gibt.« Indem Schmitts »Sta­sio­lo­gie « noch die Herr­schaft des Anti­chris­ten aus der Zwie­späl­tig­keit des Einen Chris­tus her­vor­ge­hen läßt, ver­söhnt sie den schei­tern­den Kat­echon wie­der­um mit dem gött­li­chen Heilsplan.

 

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