Die “Nazi-FDP”

pdf der Druckfassung aus Sezession 39 / Dezember 2010

von Karlheinz Weißmann

Am 16. November strahlte das ZDF im Rahmen seines Magazins Frontal21 einen Beitrag über »Nazis in der FDP« aus. In der bemerkenswert schludrig gemachten Sequenz von knapp zehn Minuten ging es um den sogenannten »Gauleiterkreis«, die »Naumann-Affäre«, den nordrhein-westfälischen Parteiverband während der fünfziger Jahre und den Widerstand der wahren Liberalen, hier repräsentiert durch Hildegard Hamm-Brücher und Gerhard Baum, Veteranen des linken Flügels. Als Experten kamen die Historiker Ulrich Herbert – weil Werner Best eine Rolle gespielt hat – und Kristian Buchna zu Wort.

Buch­na hat gera­de eine Mono­gra­phie zum The­ma vor­ge­legt (Natio­na­le Samm­lung an Rhein und Ruhr. Fried­rich Mid­del­hauve und die nord­rhein-west­fä­li­sche FDP 1945–1953, Schrif­ten­rei­he der Vier­tel­jah­res­hef­te für Zeit­ge­schich­te, Bd 101, Mün­chen: Olden­bourg 2010, kart., 248 S., 24.90 €), die aus sei­ner Magis­ter­ar­beit her­vor­ge­gan­gen ist. Ein sol­cher Hin­ter­grund könn­te skep­tisch stim­men, aber gegen die hand­werk­li­che Sei­te sei­ner Dar­stel­lung ist wenig zu sagen. Ein­wän­de müs­sen aber vor­ge­bracht wer­den im Hin­blick auf die Art und Wei­se, wie Buch­na die­ses The­ma der Zeit­ge­schich­te ins­ge­samt deu­tet und einordnet.

»Nazi-FDP« war schon die Invek­ti­ve, die Theo­dor Heuß für sei­ne Par­tei­freun­de in Nord­rhein-West­fa­len bereit hielt, und damit mein­te, daß die west­deut­schen Frei­de­mo­kra­ten nicht nur die »Par­tei der höhe­ren HJ-Füh­rer« bil­de­ten, son­dern für den Ver­such stan­den, ehe­ma­li­ge Funk­tio­nä­re und Mit­glie­der der NSDAP zusam­men­zu­fas­sen und mit Hil­fe der FDP wie­der zu einem poli­ti­schen Fak­tor zu machen. Der Vor­sit­zen­de des Lan­des­ver­bands, Fried­rich Mid­del­hauve, hät­te dafür nicht nur auf den eige­nen Lebens­lauf – ohne brau­ne Fle­cken – hin­ge­wie­sen, son­dern auch auf die im Prin­zip von allen Par­tei­en der Nach­kriegs­zeit geteil­te Über­zeu­gung, daß es not­wen­dig sei, die »Ehe­ma­li­gen « poli­tisch zu inte­grie­ren, schon um die Ent­ste­hung eines schwer kal­ku­lier­ba­ren Unru­he­po­ten­ti­al zu verhindern.

Buch­na ver­weist aus­drück­lich auf die bio­gra­phi­sche Prä­gung Mid­del­hau­ves durch die Erfah­rung des Schei­terns libe­ra­ler Reor­ga­ni­sa­ti­on am Ende der Wei­ma­rer Repu­blik. Nach sei­ner Dar­stel­lung gehör­te Mid­del­hauve zu jenen Mit­glie­dern der Deut­schen Staats­par­tei, die seit 1930 ver­sucht hat­ten, durch Zusam­men­schluß von DDP und Jung­deut­schem Orden eine Art Blut­auf­fri­schung des Libe­ra­lis­mus zu errei­chen. Sie kamen aller­dings nie so weit, daß das »bün­di­sche« Ele­ment tat­säch­lich ein­ge­bun­den, geschwei­ge denn eine Mas­sen­ba­sis gewon­nen wor­den wäre. Auf­grund des­sen woll­te Mid­del­hauve nach dem Zusam­men­bruch unbe­dingt den Rück­fall in alte Feh­ler ver­mei­den und dach­te an die Schaf­fung einer nicht­lin­ken, über­kon­fes­sio­nel­len Volks­par­tei. Die­se Motiv­la­ge erklär­te auch sei­ne anfäng­li­che Sym­pa­thie für die CDU, von der er sich erst abwand­te, nach­dem klar genug gewor­den war, wie stark de fac­to der Ein­fluß des poli­ti­schen Katho­li­zis­mus blieb.

Ab 1946 setz­te sich Mid­del­hauve rela­tiv rasch im kom­pli­zier­ten Grün­dungs­pro­zeß der FDP Nord­rhein-West­fa­len durch, deren Vor­sitz im Lan­des­ver­band und in der Land­tags­frak­ti­on er über­nahm. Das gelang ihm wegen der Schwä­che der Links­li­be­ra­len, aber vor allem weil er als einer der weni­gen die Fra­ge beant­wor­ten konn­te, wo die Frei­de­mo­kra­ten eine hin­rei­chend gro­ße und sta­bi­le poli­ti­sche Gefolg­schaft fin­den woll­ten, wenn es ihnen nicht genüg­te, die anti­so­zia­lis­ti­sche Kli­en­tel­par­tei des Bür­ger­tums zu bil­den. Die Idee der »Natio­na­len Samm­lung«, der geziel­te Appell an Kriegs­heim­keh­rer, Ver­trie­be­ne und die­je­ni­gen, die durch die Ent­na­zi­fi­zie­rung ein teil­wei­ses oder gene­rel­les Stu­dier- oder Berufs­ver­bot auf­er­legt bekom­men hat­ten, schien dabei durch­aus erfolg­ver­spre­chend. In der zwei­ten Hälf­te der vier­zi­ger Jah­re galt die FDP jeden­falls als Par­tei der »Gene­ral­am­nes­tie«, wenn­gleich man ent­spre­chen­de For­de­run­gen im Bun­des­ver­band nicht durch­set­zen konn­te, der sich wegen der Koali­ti­on mit der CDU/CSU in Bonn zu einer gewis­sen Zurück­hal­tung gezwun­gen sah.

Mit Mid­del­hau­ves Paro­le »Rechts ran!« gelang es, den FDP-Stim­men­an­teil in Nord­rhein-West­fa­len deut­lich zu stei­gern – ein Sach­ver­halt, dem Buch­na aber weni­ger Gewicht bei­mißt als den inter­nen Vor­gän­ge: Mit dem ehe­ma­li­gen Diplo­ma­ten Ernst Achen­bach näm­lich, der enge Bezie­hun­gen zur Indus­trie hat­te und erheb­li­che Mit­tel für die Par­tei ein­wer­ben konn­te, und Wer­ner Nau­mann, wei­land Pro­te­gé von Joseph Goeb­bels und Staats­se­kre­tär im Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um, gewan­nen zwei Natio­nal­so­zia­lis­ten der Füh­rungs­ebe­ne Ein­fluß auf die Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur der Frei­de­mo­kra­ten, die Mid­del­hau­ves Kurs nicht nur unter­stütz­ten, son­dern auch forcierten.

Jeden­falls schien es, als ob sich lang­fris­tig die »natio­na­len« gegen die »libe­ra­len« Kräf­te (eine damals übli­che Unter­schei­dung) durch­set­zen wür­den. Die Bun­des­or­ga­ni­sa­ti­on, die dem Ein­halt zu gebie­ten such­te, war rela­tiv schwach, in den Lan­des­ver­bän­den Nie­der­sach­sen und Hes­sen gab es deut­li­che Sym­pa­thien für die Linie Mid­del­hau­ves, und Wahl­er­fol­ge offen rechts­ra­di­ka­ler Par­tei­en in der ers­ten Hälf­te der fünf­zi­ger Jah­ren schie­nen eher für als gegen sei­ne Stra­te­gie zu sprechen.

Die gan­ze Ent­wick­lung wur­de aller­dings abge­schnit­ten durch die »Nau­mann-Affä­re« im Janu­ar 1953. Die bri­ti­schen Besat­zungs­be­hör­den, die ihre Reser­vat­s­rech­te sehr groß­zü­gig aus­leg­ten, erlie­ßen einen Haft­be­fehl und setz­ten Nau­mann in einer Nacht- und Nebel­ak­ti­on fest. Der gegen ihn erho­be­ne Vor­wurf lau­te­te, daß er eine Art Putsch in der FDP geplant habe, um die Par­tei in eine natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Tarn­or­ga­ni­sa­ti­on umzu­bil­den, die dann eine neue »Macht­er­grei­fung« vor­be­rei­ten soll­te. Nach­dem die Bri­ten auf Drin­gen der Bun­des­re­gie­rung das Ver­fah­ren an deut­sche Stel­len abge­ge­ben hat­ten, wur­de es nach rela­tiv kur­zer Zeit ein­ge­stellt. Soviel immer­hin war deut­lich gewor­den, daß der »Gau­lei­t­erkreis« ver­sucht hat­te, sei­ne Posi­ti­on in der nord­rhein-west­fä­li­schen FDP aus­zu­bau­en und die Par­tei wenn mög­lich zu »über­neh­men«, aber von irgend­wel­chen ille­ga­len, gar hoch­ver­rä­te­ri­schen Absich­ten konn­te kei­ne Rede sein.

Buch­na kann nicht umhin, die­sen jäm­mer­li­chen Aus­gang der gan­ze Affä­re zu refe­rie­ren, möch­te aber das Bedro­hungs­sze­na­rio auf­recht­erhal­ten, wes­halb er auf die inter­ne Ermitt­lung der Frei­de­mo­kra­ten kommt, bei der die Geg­ner Mid­del­hau­ves letzt­lich sei­ne Ent­mach­tung erreich­ten. Die­ses Ergeb­nis wird zwar unter dem Gesichts­punkt der Par­tei­rä­son, aber lei­der nicht unter dem des inner­par­tei­li­chen Kampfs um Ein­fluß und Pfrün­den gewer­tet. Das hät­te eigent­lich nahe gele­gen, zumal der Autor aus­drück­lich fest­stellt, daß vom Nau­mann-Kreis nie­mals eine »ernst­haf­te Gefahr« aus­ge­gan­gen sei und sich die FDP unter Mid­del­hauve in »kei­ne rechts­extre­me«, eher in »eine gro­ße natio­na­lis­ti­sche Par­tei rechts von der Uni­on« ver­wan­delt hät­te, even­tu­ell nach dem Mus­ter der öster­rei­chi­schen »Frei­heit­li­chen«.

Bemer­kens­wer­ter als die­se Fest­stel­lung sind nur noch die Anmer­kun­gen Buch­nas im Blick auf die wei­te­re Ent­wick­lung, vor allem den Tat­be­stand, daß die »Jung­tür­ken«, die auf dem Düs­sel­dor­fer Par­tei­tag 1956 das bür­ger­li­che Bünd­nis im Land zu Fall brach­ten und eine ers­te sozi­al­li­be­ra­le Koali­ti­on instal­lier­ten, aus dem Umfeld der »Natio­na­len« kamen (Erich Men­de, Wil­ly Wey­er, Wal­ter Scheel und in gewis­sem Sinn Otto Graf Lamb­s­dorff), und daß einer der Weg­be­rei­ter der SPD-FDP-Alli­anz im Bund und Archi­tek­ten der Neu­en Ost­po­li­tik jener Ernst Achen­bach war, der zu den wich­tigs­ten Ver­trau­ten Nau­manns gehör­te und sei­ne Par­tei­kar­rie­re als Mann des lin­ken Flü­gels been­de­te. Von sol­chen Zick­zack­be­we­gun­gen möch­te man heu­te natür­lich nichts mehr wis­sen. In dem ein­gangs erwähn­ten Fern­seh­bei­trag kommt Achen­bach denn auch nur als Mit­ver­ant­wort­li­cher für die Juden­de­por­ta­tio­nen im besetz­ten Frank­reich vor.

Selbst­ver­ständ­lich könn­te man die geschil­der­ten Vor­gän­ge mit dem Inter­es­se des His­to­ri­kers behan­deln, der abge­klärt schil­dert und ana­ly­siert, wie nach dem Zusam­men­bruch eines Regimes die Davon­ge­kom­me­nen unter den neu­en Bedin­gun­gen ihr Leben zu füh­ren (und zwar erfolg­reich und kom­for­ta­bel zu füh­ren) suchen. Aber sol­che Nüch­tern­heit ist hier­zu­lan­de nicht erwart­bar, wo man auch Laden­hü­ter der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung wie­der und wie­der erfolg­reich anbietet.

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