Das Oktober-Gedicht: De profundis

Es ist jedes Jahr so, wirklich jedes Jahr, daß der Oktober zuende geht, und mit ihm die Gartenarbeit, und daß ich nicht...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

recht weiß, wie ich das beschrei­ben soll: die Müdig­keit des Jah­res, das Auf­ge­ben der Natur, das sich Drein­schi­cken in ein Unver­meid­li­ches, ja sogar unter den Enten eine sanf­te Schick­sals­er­ge­ben­heit – kein flat­tern­der Wider­stand mehr, wenn man wie­der eine holen kommt.

Und in jedem Jahr kommt mir um die­se Zeit dann das schreck­li­che Gedicht “De pro­fun­dis” von Georg Tra­kl in den Sinn, das ich nicht ganz spre­chen kann, aber des­sen vier ers­te Zei­len den aller­letz­ten Ver­such eines Wider­stands gegen das Erlö­schen beschrei­ben, das im Gar­ten eben­so unver­meid­lich ist wie im Mit­tei­lungs­drang sen­si­ble­rer Gemüter.

Es ist ein Stop­pel­feld, in das ein schwar­zer Regen fällt.
Es ist ein brau­ner Baum, der ein­sam dasteht.
Es ist ein Zischel­wind, der lee­re Hüt­ten umkreist.
Wie trau­rig die­ser Abend.

Es ist die Ebe­ne unter den Bil­dern, die das Grau­en lehrt. Die Deu­tung Zei­le für Zeile:

1. Es hebt jemand zu spre­chen an, aber gleich das ers­te Bild miß­lingt ihm, der Bin­nen­reim “Stop­pel­feld” und “Regen fällt” ist schmut­zig, und “schwar­zer Regen”, wo wäre der zu fin­den oder: wozu wäre er noch nut­ze, wo er doch in ein abge­ern­te­tes Feld fällt?
2. Ein “brau­ner Baum”, den ken­nen wir, das fügt sich, das gelang. Aber er steht “ein­sam da”. Mehr Gelin­gen­des soll nicht sein.
3. Nun wird gezi­schelt, undeut­li­ches Spre­chen, kei­ne kla­ren Wor­te mehr, und das Gan­ze um “lee­re Hüt­ten” her­um, Worthülsen?
4. Der Ver­such, etwas zu sagen, ist miß­lun­gen. “Wie trau­rig die­ser Abend”.

Im Fort­gang sam­melt die “Wai­se” noch “spär­li­che Ähren” ein, das könn­te letz­ter Sinn sein, letz­te sinn­vol­le Wor­te, letz­tes Ähren­gold neben dem Blech, das wir alle Tage ver­neh­men müs­sen. Die­se Deu­tung des Gedichts: Das ist die Les­art auf der Ebe­ne, auf der Tra­kl über das Dich­ten und das Spre­chen selbst schreibt – und wer weiß, wie Tra­kl leb­te und ver­en­de­te, der wird in “De pro­fun­dis” den spä­ten Okto­ber in Tra­kls Leben wahr­neh­men. Hier das gan­ze Gedicht:

De pro­fun­dis

Es ist ein Stop­pel­feld, in das ein schwar­zer Regen fällt.
Es ist ein brau­ner Baum, der ein­sam dasteht.
Es ist ein Zischel­wind, der lee­re Hüt­ten umkreist.
Wie trau­rig die­ser Abend.

Am Wei­ler vorbei
Sam­melt die sanf­te Wai­se noch spär­li­che Ähren ein.
Ihre Augen wei­den rund und gol­dig in der Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himm­li­schen Bräutigams.

Bei der Heimkehr
Fan­den die Hir­ten den süßen Leib
Ver­west im Dornenbusch.

Ein Schat­ten bin ich fer­ne fins­te­ren Dörfern.
Got­tes Schweigen
Trank ich aus dem Brun­nen des Hains.

Auf mei­ne Stir­ne tritt kal­tes Metall
Spin­nen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das in mei­nem Mund erlöscht.

Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Star­rend von Unrat und Staub der Sterne.
Im Haselgebüsch
Klan­gen wie­der kris­tall­ne Engel.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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