Hermann von Laer: Euro-Dämmerung

Hermann von Laer - Professor für Wirtschaftspolitik in Vechta - fiel der Redaktion mit einem Leserbrief auf, den die FAZ abdruckte.

Dar­in spot­te­te von Laer über den unbe­grün­de­ten Stolz der deut­schen Wirt­schaft auf ihren Titel eines “Export­welt­meis­ters”. In sei­nem Bei­trag für die Sezes­si­on geht er über die Kri­tik an sol­cher Kurz­sich­tig­keit hin­aus: Er hält es gar für das bes­te, wenn Deutsch­land zu sei­ner natio­na­len Wäh­rung zurückkehrte.

Euro-Däm­me­rung
von Her­mann von Laer
pdf der Druck­fas­sung zum Her­un­ter­la­den

Nach der Welt­fi­nanz­kri­se 2008/09 erschüt­ter­te im Früh­jahr die­ses Jah­res die grie­chi­sche Schul­den­kri­se den Euro-Raum und die Finanz­märk­te. Plötz­lich stell­te man fest, daß Grie­chen­land prak­tisch plei­te war und die War­nun­gen vor der Ein­füh­rung des Euro ihre vol­le Berech­ti­gung hatten.

Unter sol­chen Umstän­den fan­den sich schlag­ar­tig kei­ne pri­va­ten Anle­ger mehr, die bereit waren, dem grie­chi­schen Staat zu halb­wegs akzep­ta­blen Kon­di­tio­nen wei­ter­hin Geld zu lei­hen. Die Zin­sen grie­chi­scher Anlei­hen stie­gen auf bis zu 20 Pro­zent, Grie­chen­land war fak­tisch plei­te. Bekannt­lich grif­fen dar­auf­hin die euro­päi­schen Regie­run­gen ein und garan­tier­ten nicht nur Grie­chen­lands Schul­den, son­dern die Schul­den ande­rer Plei­te­kan­di­da­ten gleich mit.

Damit scheint in den Augen der Poli­ti­ker alles aus­ge­stan­den zu sein: Eine Wäh­rungs­re­form oder eine Hyper­in­fla­ti­on gab es bis­her nicht, die Arbeits­lo­sig­keit sinkt wie­der und auch ande­re Kenn­zah­len errei­chen das Vor­kri­se-Niveau. Zwar weiß jeder auch nur halb­wegs Infor­mier­te, daß die »Kre­dit­ga­ran­tie« für Grie­chen­land den deut­schen Steu­er­zah­ler letzt­lich mit Mil­li­ar­den­sum­men belas­ten wird, aber die Poli­ti­ker beto­nen vor­sorg­lich immer wie­der, daß eine sol­che Hil­fe völ­lig gerecht­fer­tigt sei und letzt­lich im deut­schen Inter­es­se lie­ge. Denn Deutsch­land pro­fi­tie­re nun ein­mal ganz beson­ders von der EU: Die deut­schen Expor­te sei­en hoch, die Ein­kom­men näh­men zu und der rie­si­ge Leis­tungs­bi­lanz­über­schuß füh­re nicht nur zu hoher Beschäf­ti­gung, son­dern demons­trie­re auch Deutsch­lands wirt­schaft­li­che Macht.

Rich­tig ist an die­sen Aus­sa­gen allein, daß frei­er Han­del allen nutzt, die ihn betrei­ben. Das wis­sen wir spä­tes­tens seit Ricar­do, also seit nun­mehr fast 200 Jah­ren. Den­noch kann man natür­lich aus guten Grün­den gegen frei­en Han­del sein, wie dies Fried­rich List schon in den 1830er Jah­ren dar­leg­te. So kann man etwa auf die Abhän­gig­keit ver­wei­sen, die der Han­del mit sich bringt und schon aus ver­tei­di­gungs­po­li­ti­schen Grün­den oder all­ge­mein unter Sicher­heits­aspek­ten mehr Aut­ar­kie for­dern. Sol­che Aut­ar­kie »kos­tet« aber in jedem Fal­le mate­ri­el­len Wohlstand.

Der Aspekt der Wohl­fahrts­stei­ge­rung lag – neben poli­ti­schen Über­le­gun­gen – auch dem euro­päi­schen Eini­gungs­pro­zeß zugrun­de: Im Rah­men der EWG wur­den die Bin­nen­zöl­le abge­schafft und – anders als bei der EFTA – auch ein gemein­sa­mer Außen­zoll ein­ge­führt. Die­se Maß­nah­men hat­ten, da sind sich heu­te fast alle Öko­no­men einig, ins­ge­samt posi­ti­ve wirt­schaft­li­che Fol­gen für die betei­lig­ten Staaten.

Bei der Ein­füh­rung des Euro stan­den im Gegen­satz dazu nicht öko­no­mi­sche Erwä­gun­gen im Vor­der­grund, son­dern poli­ti­sche. Letzt­lich wur­de der Euro allein geschaf­fen, um das durch die Wie­der­ver­ei­ni­gung ver­meint­lich so stark gewor­de­ne Deutsch­land stär­ker »ein­zu­bin­den«. Alle kri­ti­schen Stim­men, die vor allem aus der Wirt­schafts­wis­sen­schaft kamen, wur­den dabei in den Wind geschla­gen. Wäh­rend es bis­her in der Geschich­te immer so war, daß erst ein wirt­schaft­li­cher Zusam­men­schluß erfolg­te (etwa der Deut­sche Zoll­ver­ein 1833), dann die poli­ti­sche Ein­heit kam (Reichs­grün­dung 1871) und erst am Ende – qua­si als Krö­nung – die gemein­sa­me Wäh­rung ein­ge­führt wur­de (Ein­füh­rung der Mark 1873), so wur­de jetzt ein umge­kehr­tes Vor­ge­hen gewählt: Die gemein­sa­me Wäh­rung soll­te die gemein­sa­me Poli­tik und damit letzt­lich den gemein­sa­men Staat her­bei­zwin­gen. Denn eine gemein­sa­me Wäh­rung führt zwangs­läu­fig zu glei­chen Zin­sen, glei­cher Infla­ti­on und zumin­dest ähn­li­chen Löh­nen, Sozi­al­sys­te­men und Steu­ern. Für die natio­na­len Regie­run­gen bleibt dabei nicht mehr viel zum Regie­ren übrig.

Schon vor 12 Jah­ren schrieb ich in einem Bei­trag zu die­sem The­ma: »Die­ser Sou­ve­rä­ni­täts­ver­zicht paßt aber weder zur repu­bli­ka­ni­schen Tra­di­ti­on des fran­zö­si­schen Staats­ver­ständ­nis­ses noch zum West­mins­ter-Par­la­men­ta­ris­mus der Bri­ten. Nur für die Deut­schen ist es selbst­ver­ständ­lich, daß Geld und Geld­po­li­tik am bes­ten bei einer nicht wei­sungs­ge­bun­de­nen Insti­tu­ti­on, näm­lich der Bun­des­bank, auf­ge­ho­ben ist … Aber auch die rein wirt­schaft­li­chen Fol­gen der Euro-Ein­füh­rung sind erheb­lich. Frank­reich war immer ein Zen­tral­staat, und die fran­zö­si­sche Zen­tral­bank war – wie in Groß­bri­tan­ni­en – immer abhän­gig von den gewähl­ten Insti­tu­tio­nen. In Deutsch­land ist dies anders. So wie die Deut­schen auf­grund ihrer Erfah­rung und Tra­di­ti­on weit über­wie­gend Geld­wert­sta­bi­li­tät für äußerst wich­tig hal­ten und eine unab­hän­gi­ge Zen­tral­bank wün­schen, so pochen die Fran­zo­sen über­wie­gend auf den Macht­er­halt ihrer gewähl­ten Instan­zen und wol­len sich ihre Poli­tik nicht von den »Spe­zia­lis­ten« in Brüs­sel oder sonst­wo vor­schrei­ben las­sen. Wer­den daher die Fran­zo­sen wirk­lich dau­er­haft vor der Zen­tral­bank in Frank­furt kuschen?«

Wenn es aber nicht zu den not­wen­di­gen Anpas­sun­gen kommt, wenn also die natio­na­len Beson­der­hei­ten blei­ben, dann fällt die Wäh­rungs­uni­on zwangs­läu­fig wie­der aus­ein­an­der, und dies wird für alle Betei­lig­ten sehr teu­er und schmerz­haft wer­den. Aber genau an die­ser Stel­le ste­hen wir heu­te und so man­cher Euro-Enthu­si­ast reibt sich ver­wun­dert die Augen.

Aller­dings beruh­te und beruht die­ser Enthu­si­as­mus ganz wesent­lich auf Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung. So stand Deutsch­land, als der Euro im Jah­re 1994 fak­tisch beschlos­sen wur­de, gemes­sen am HDI, an vier­ter Stel­le in der Welt, heu­te hin­ge­gen an Platz 23! Der HDI, der Human Deve­lo­p­ment Index, ist der heut­zu­ta­ge am meis­ten ver­wen­de­te Wohl­stands­in­di­ka­tor, in dem das Sozi­al­pro­dukt, die Gesund­heits­ver­sor­gung und die Bil­dung in einem Land gemes­sen wird. Nun ist ein sol­cher Index immer frag­wür­dig und man soll­te ihn kei­nes­wegs über­in­ter­pre­tie­ren. Aber ein Abfall von Platz 4, also von ganz oben, auf Platz 23 – in die unte­re Grup­pe der Indus­trie­län­der – ist schon bedenk­lich. Aber nicht nur im inter­na­tio­na­len Ver­gleich ist seit Ein­füh­rung des Euro ein Abstieg zu beob­ach­ten, son­dern auch bei den Mas­sen­ein­kom­men. Seit 1994 san­ken näm­lich in Deutsch­land die Durch­schnitts­löh­ne und auch die Durch­schnitts­ren­ten um fast 10 Pro­zent. Für die­sen Abfall ist sicher­lich nicht allein der Euro ver­ant­wort­lich zu machen, aber ohne Ver­weis auf die neue Wäh­rung ist wohl kei­ne Erklä­rung möglich.

Es ist fas­zi­nie­rend, daß die­se Sen­kung des Lebens­stan­dards bis­her noch gar nicht ins kol­lek­ti­ve Bewußt­sein vor­ge­drun­gen ist. Und es ist beun­ru­hi­gend, daß sie bei extrem güns­ti­gen Rah­men­be­din­gun­gen statt­fand: Es herrsch­te Frie­de, es gab kei­ne Natur­ka­ta­stro­phen, und die Welt­wirt­schaft wuchs wie nie zuvor in der Geschich­te. Hät­te da nicht die bis vor einem Jahr größ­te Han­dels­macht – näm­lich Deutsch­land – eigent­lich sogar über­pro­por­tio­nal pro­fi­tie­ren müs­sen? Genau dies wird ja auch in fast allen Poli­ti­ker­re­den immer wie­der behaup­tet, wenn auf die segens­rei­che Wir­kung deut­scher Export­über­schüs­se ver­wie­sen wird. Hier lie­gen jedoch meh­re­re gra­vie­ren­de Denk­feh­ler vor:

Ers­tens ist ein hoher und dau­er­haf­ter Export­über­schuß (exak­ter gesagt: Leis­tungs­bi­lanz­über­schuß) kei­nes­wegs posi­tiv. Über­schuß bedeu­tet, daß man Waren lie­fer­te und Geld dafür bekam. Die­ses Geld kann man nun nicht für aus­län­di­sche Waren oder Rei­sen ins Aus­land oder ähn­li­ches aus­ge­ben (sonst wäre es ja kein Über­schuß!), son­dern muß es letzt­lich im Aus­land anle­gen. Dies gilt um so mehr, als dem eige­nen Über­schuß zwangs­läu­fig ein Defi­zit bei ande­ren Län­dern ent­spre­chen muß. Pla­ka­tiv gesagt: Grie­chen­land bezahl­te die deut­schen Waren mit Euro. Die­se Euro wur­den von Deutsch­land wie­der­um an Grie­chen­land ver­lie­hen. Auch der öko­no­mi­sche Laie kann erken­nen, daß dies nicht auf Dau­er gut­ge­hen kann; irgend­wann wird der Schuld­ner zah­lungs­un­fä­hig. Man kann an die­sem Bei­spiel sehr schön den Unter­schied zwi­schen einer (kurz­fris­ti­gen) betriebs­wirt­schaft­li­chen und (lang­fris­ti­gen) volks­wirt­schaft­li­chen Betrach­tung demons­trie­ren: Kurz­fris­tig pro­fi­tie­ren von hohen Export­über­schüs­sen die Arbeit­neh­mer (hohe Beschäf­ti­gung, hohe Löh­ne), die Arbeit­ge­ber (hohe Gewin­ne) das Ban­ken­sys­tem (gute Geschäf­te) und auch der Staat (hohe Steu­er­ein­nah­men). Volks­wirt­schaft­lich füh­ren die Export­über­schüs­se jedoch zu wach­sen­den Ungleich­ge­wich­ten und damit zur Kri­se, in der sich die zuvor erziel­ten Gewin­ne wie­der auf­lö­sen. Man kann die­se Zusam­men­hän­ge auch von der finanz­po­li­ti­schen Sei­te dar­stel­len: Der ein­zel­ne Expor­teur kann das ein­ge­nom­me­ne Geld natür­lich im Inland anle­gen, es han­delt sich dabei aber um Geld, für das die grie­chi­sche Volks­wirt­schaft der deut­schen Volks­wirt­schaft Waren »schul­det«. Grie­chen­land kann ja deut­sche Waren nur auf zwei­er­lei Wegen bezah­len: Ent­we­der es »druckt« die­ses Geld (dies darf aber nur die Euro­päi­sche Zen­tral­bank) oder aber es leiht sich die­ses Geld von dem, der es besitzt, in die­sem Fall von Deutschland.

Der zwei­te Denk­feh­ler, den die Befür­wor­ter von Export­über­schüs­sen machen, liegt dar­in, nur auf die Men­ge der expor­tier­ten Güter zu schau­en und nicht auf die Wert­schöp­fung im Export­land, die letzt­lich allein für Wohl­stand ver­ant­wort­lich ist. Wur­den frü­her deut­sche Export­wa­ren weit­ge­hend in Deutsch­land her­ge­stellt, so hat sich heut­zu­ta­ge mehr und mehr das breit­ge­macht, was Pro­fes­sor Hans-Wer­ner Sinn eine »Basar¬ökonomie« nennt: Ein­zel­ne Kom­po­nen­ten wer­den im Aus­land bezo­gen, im Inland nur noch zusam­men­ge­setzt und dann als »made in Ger­ma­ny« ins Aus­land wei­ter­ver­kauft. Es leuch­tet unmit­tel­bar ein, daß dadurch die Wert­schöp­fung und der Nut­zen für das Export­land begrenzt sind. Vor allem aber hat die­se Form von Export kei­ne soli­de Basis, sie kann jeder­zeit abwandern.

Der drit­te Denk­feh­ler der Befür­wor­ter von Export­über­schüs­sen liegt dar­in, nur auf die Quan­ti­tät der Expor­te zu schau­en und dadurch die Aus­tausch­ver­hält­nis­se (terms of trade) aus dem Blick zu ver­lie­ren. Frü­her konn­te man für einen Daim­ler zehn Fiats »ein­tau­schen«, jetzt nur noch drei. Denn jetzt fehlt der Druck stän­di­ger Auf­wer­tun­gen, der frü­her die tech­ni­sche Füh­rer­schaft brach­te. Dadurch sinkt nach und nach der Vor­teil, den der Außen­han­del bringt. Die Aus­sa­ge, Deutsch­land pro­fi­tie­re in beson­de­rer Wei­se vom Euro, weil er zu Export­über­schüs­sen füh­re, ist bei nähe­rer Betrach­tung also unhalt­bar. Denn selbst die Sach­be­haup­tung, dank des Euro sei­en die deut­schen Expor­te in die ande­ren Euro-Staa­ten stark gestie­gen, ist falsch: Seit Mit­te der 1990er Jah­re ist der deut­sche Export in die ande­ren Euro-Län­der anteils­mä­ßig gesun­ken. Kein Poli­ti­ker hat dies mei­nes Wis­sens bis­her öffent­lich zugegeben.

Für Deutsch­land wäre es also sicher­lich bes­ser, zur natio­na­len Wäh­rung zurück­zu­keh­ren. Wie ist es jedoch bei Grie­chen­land, hat wenigs­tens die­ses Land lang­fris­tig vom Euro pro­fi­tiert? Die Ant­wort ist lei­der eben­falls ein kla­res »Nein«. Lang­fris­tig sind auch für die­ses Land die Fol­gen kata­stro­phal, gera­de weil die Vor­tei­le zunächst so groß waren. Denn mit der Ein­füh­rung des Euro san­ken die Zin­sen in die­sem Pro­blem­land dras­tisch auf das Niveau der ande­ren Euro-Län­der. Dies bedeu­te­te für den grie­chi­schen Staat Erspar­nis­se von meh­re­ren Pro­zent des Sozi­al­pro­dukts pro Jahr (bezo­gen auf Deutsch­land sind 1 Pro­zent vom Sozi­al­pro­dukt rund 25 Mil­li­ar­den Euro!). Die­se rie­si­gen Ein­spa­run­gen wur­den aber nicht dafür ein­ge­setzt, alte Schul­den zu til­gen, son­dern sie wur­den mun­ter aus­ge­ge­ben. In den letz­ten 10 Jah­ren stie­gen die Real­löh­ne in Grie­chen­land um über 30 Pro­zent, das Haus­halts­de­fi­zit betrug im letz­ten Jahr 14 Pro­zent des Brut­to­so­zi­al­pro­dukts, und eben­so hoch war das Leis­tungs­bi­lanz­de­fi­zit. Die Ren­ten betru­gen mit­un­ter 90 Pro­zent vom Lohn, und das Ren­ten­ein­tritts­al­ter liegt teil­wei­se bei 55 Jahren.

Seit­dem sich das her­um­ge­spro­chen hat, will kein Markt­teil­neh­mer die­sem Land mehr Geld lei­hen. Grie­chen­land ist plei­te. Dies ist an und für sich kein Unglück, es hat in der Geschich­te schon Dut­zen­de Staats­bank­rot­te gege­ben. Ein Unglück ist, daß man aus Pres­ti­ge­grün­den die­sen Bank­rott nicht zuließ und die ande­ren euro­päi­schen Län­der rechts­wid­rig als Bür­gen ein­spran­gen. Vor allem aber ließ man nicht zu, daß Grie­chen­land zu sei­ner natio­na­len Wäh­rung zurück­kehrt. Mit einer sol­chen Rück­kehr wären die aktu­el­len und die lang­fris­ti­gen Pro­ble­me des Lan­des bezüg­lich sei­ner Außen­wirt­schaft gelöst. Denn bei einer Wie­der­ein­füh­rung der Drach­me wür­de die­se sogleich um etwa 40 Pro­zent abwer­ten. Für den ein­zel­nen Grie­chen wür­de sich zunächst nichts ändern: Sein Lohn (gemes­sen in Drach­me) blie­be unver­än­dert und auch die Prei­se der in Grie­chen­land erzeug­ten Güter und Dienst­leis­tun­gen blie­ben, gerech­net in Drach­me, gleich. Die Prei­se für Import­gü­ter stie­gen jedoch um 40 Pro­zent (sie wür­den des­halb weni­ger gekauft), und die Prei­se in Grie­chen­land sän­ken, in Euro gerech­net, um 40 Pro­zent (grie­chi­sche Waren wür­den des­halb wett­be­werbs­fä­hi­ger und der Urlaub in Grie­chen­land wür­de güns­ti­ger). Die Alter­na­ti­ve, den Euro zu behal­ten und Prei­se und Löh­ne um 40 Pro­zent zu sen­ken, ist fak­tisch unmöglich.

War­um geht man nicht ein­fach die­sen Weg der Abwer­tung der eige­nen Wäh­rung, den doch in jüngs­ter Zeit Island erfolg­reich ein­ge­schla­gen hat? Öko­no­mi­sche Argu­men­te las­sen sich hier nicht anfüh­ren, es geht um gro­ße Poli­tik. »Der Euro bleibt erhal­ten, kos­te es was es wol­le« – so äußer­te sich nicht nur EU-Kom­mis­si­ons­prä­si­dent Bar­ro­so, son­dern sinn­ge­mäß auch unse­re Kanz­le­rin mehr­fach. »Kos­te es was es wol­le« – man kann heu­te schon sagen, daß die­se Kos­ten sehr, sehr hoch sein wer­den, jeden­falls für Deutsch­land. Dies wird nicht nur der Fall sein wegen der rie­si­gen Trans­fer­zah­lun­gen für Grie­chen­land und dem­nächst ande­re Staa­ten. Die könn­te man ja noch als Tri­but­zah­lun­gen für Euro­pa ver­bu­chen, schließ­lich zah­len wir nach Anga­ben der Bun­des­bank schon jetzt jähr­lich 16 Mil­li­ar­den Euro mehr nach Brüs­sel, als von dort zurück­fließt. Schlim­mer dürf­te sein, daß die Ungleich­ge­wich­te bestehen blei­ben und zu immer neu­en Kri­sen füh­ren wer­den. So berech­net die Wirt­schafts­wo­che, daß die deut­sche Indus­trie mit einem Wech­sel­kurs von bis zu 1,80 Dol­lar je Euro leben kön­ne, die grie­chi­sche jedoch erst bei einem Wech­sel­kurs von 50 Cent.

Bei die­ser Rech­nung ist noch nicht ein­mal berück­sich­tigt, daß es dem grie­chi­schen Staat (oder auch dem ita­lie­ni­schen und ande­ren) wohl kaum gelin­gen wird, sei­ne Finan­zen dau­er­haft in Ord­nung zu brin­gen. Ver­häng­nis­voll dürf­te auch eine wei­te­re Fol­ge des Fest­hal­tens am Euro und der Ver­hin­de­rung von Staats­bank­rot­ten sein. Denn die wach­sen­den Schul­den der euro­päi­schen Län­der, die all­mäh­lich dann auch zu deut­schen Schul­den wer­den, füh­ren zu einem Zins­an­stieg auch für unse­re Staats­an­lei­hen. Ein Zins­an­stieg von nur einem Pro­zent wür­de schon beim gegen­wär­ti­gen deut­schen Schul­den­stand zu jähr­li­chen Mehr­aus­ga­ben bei den Zin­sen von 17 Mil­li­ar­den Euro füh­ren. Nie­mand kann ernst­haft glau­ben, so etwas sei seri­ös zu finanzieren.

Ret­tung ist nicht in Sicht, schließ­lich haben prak­tisch alle Poli­ti­ker den Euro immer mit Vehe­menz ver­tei­digt. Für unse­ren Alt­kanz­ler Kohl war er sogar eine Fra­ge von Krieg oder Frie­den in Euro­pa. Zuzu­ge­ben, daß man sich fun­da­men­tal geirrt hat, über­steigt in der Regel die Kraft eines ein­zel­nen und ganz sicher­lich die Kraft des poli­ti­schen Milieus.

Es war ein ver­häng­nis­vol­ler Feh­ler, unter­schied­li­che Volks­wirt­schaf­ten, die auf unter­schied­li­chem Niveau exis­tier­ten und ganz unter­schied­li­che Tra­di­tio­nen und Erfah­run­gen haben, in einer Wäh­rung zusam­men­zu­zwin­gen. Die­sen Feh­ler wie­der rück­gän­gig zu machen, ist zwar theo­re­tisch rela­tiv ein­fach, unter den gege­be­nen poli­ti­schen Kon­stel­la­tio­nen aber nicht zu erwar­ten. Und so endet mei­ne Dar­le­gung defä­tis­tisch. Denn mei­ner Ansicht nach gibt es aus dem Dilem­ma nur zwei denk­ba­re Aus­we­ge: Ent­we­der alle Län­der der Euro-Zone betrei­ben in Zukunft die glei­che Geld-Wäh­rungs- und Wirt­schafts­po­li­tik (dies ist prak­tisch aus­ge­schlos­sen und aus deut­scher Sicht auch nicht wün­schens­wert, da es auf eine Anpas­sung an die Schul­den- und Infla­ti­ons­po­li­tik der ande­ren hin­aus­lie­fe) oder aber jeder kehrt zu sei­ner natio­na­len Wäh­rung zurück.

Da ver­mut­lich kei­ner die­ser bei­den Wege beschrit­ten wird, wird die über­bor­den­de Ver­schul­dung der ande­ren Län­der Deutsch­land mit in den Stru­del ziehen.

(Die­ser Bei­trag erschien in Sezes­si­on 37/ August 2010. Die in hohem Maße inter­es­san­te Inhalts­an­ga­be die­ser Druck­aus­ga­be fin­den Sie hier.)

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Kommentare (7)

Freedy

17. August 2010 15:56

Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Von Laer formuliert Tatsachen, die so schon seit einiger Zeit durch den Untergrund-Blätterwald rauschen.
Ich habe Zweifel, daß dem Problem mit Politik beizukommen ist, ebensowenig glaube ich, daß irgendeine Regierung einsichtig und also reumütig werden könnte, denn sie würde nur dann gestützt, wenn sie glaubhaft Versprechungen machen könnte, die den Interessen des Beamtenheers und aller weiteren im aufgeblähten Staatsapparat Tätigen nicht zuwiderlaufen.
Eins ist offensichtlich: Wer sich heute noch Gehorsam gegenüber der gegenwärtigen kapital-, wohlstand- und moralvernichtenden Obrigkeit leistet, handelt sehr kurzsichtig.

Sugus

17. August 2010 16:27

"Es ist faszinierend, daß diese Senkung des Lebensstandards bisher noch gar nicht ins kollektive Bewußtsein vorgedrungen ist. "
Es ist faszinierend, daß der Professor dies wirklich glaubt. Seit den neunziger Jahren stöhnt der Facharbeiter, stöhnt der Mittelstand, daß die Löhne stagnieren, die Preise aber steigen, daß die Infrastruktur verfällt, Schwimmbäder und Bibliotheken schließen, aber Deutschland überall die Welt retten muß.
Es ist für Otto Normalverbraucher durchaus fühlbar, daß der Lebensstandard seit vielen Jahren sinkt. Wie wäre sonst der Einzug der Linkspartei fast überall in Westdeutschland zu erklären? Das sind keine DDR-Nostalgiker und Altstalinisten, das sind Ex-SPD'ler, die sich von der SPD völlig zu Recht verraten fühlen.

Abraxas

17. August 2010 19:52

Eine sehr gute Zusammenfassung des Tatbestandes. Leider fehlen die öffentlichen Ankläger und die Richter.

Friedrich

17. August 2010 21:54

Ich denke das die Profiteure der Einführung des Euro,
hauptsächlich die Banken, die Exportwirtschaft, und die Europabürokraten den Euro bis zum bitteren Ende verteidigen werden.

Eine öffentliche Debatte findet nicht statt bzw. wird vom Mainstream mit Totschlagsargumenten unterbunden, egal wie absurd die Thesen sind.

Wiseo die Einführung einer europäischen Währung eine Frage von Krieg und Frieden ist, erschliesst sich mir bis heute nicht im Ansatz.

Die deutsche politische Klasse versagt hier, insbesondere die SPD
da die Lasten hauptsächlich von Ihrer Wählerklientel zu tragen sind.

MF

17. August 2010 22:45

"... so wurde jetzt ein umgekehrtes Vorgehen gewählt: Die gemeinsame Währung sollte die gemeinsame Politik und damit letztlich den gemeinsamen Staat herbeizwingen"

Schon die Gründung der Bundesrepublik ist nach diesem Schema verlaufen. Erst kamen Währung und Wirtschaftsordnung, dann der westdeutsche Staat. Eine souveräne politische Einheit hat es seither also nie wieder gegeben. Dasselbe gilt auch für Europa.

Juergen

18. August 2010 00:06

Es ist schon lustig: "pötzlich stellte man fest, dass Griechenland praktisch pleite" war. Wer ist man? Die Ratingagenturen, die amerikanische Schrottpapiere bis zur Finanzkrise als hervorragend bewertet haben? Goldman Sachs, die Griechenland beim Frisieren des Haushalts halfen? Und wie pleite ist Griechenland eigentlich mit einem Schuldenstand von 112% (2009)? Pleiterererer als Italien (114% 2009) oder vieleicht doch eher Japan (190% des BIP)? Klar im Zuge der Finanzkrise musste ordentlich draufgezahlt werden, immerhin galt es das Bankenwesen zu retten, denn wer sollte den Staaten sonst das Geld zur Rettung der Banken leihen? Aber in Deutschland hat die Neuverschuldung im Zuge der Finanzkrise wesentlich stärker angezogen als in Griechenland , was ja auch mehr als fair ist, immerhin hat die Deutsche Bank ja bei den Ramschhypotheken ganz vorne mitgemischt. Und "pötzlich" haben alle gemerkt, dass die Griechen ein Haufen korrupter Beamtenärsche sind oder was? Hat sich vorher keiner drum gekümmert, wem er da das Geld leiht? Ach ne, ich vergaß, das ist in Zeiten von globaler Risikostreuung ja nicht mehr in, dass man seinen Gläubiger kennt.

Mit seiner Kritik am Titel des Exportweltmeisters hat der Autor natürlich recht. Das ist allerdings auch keine neue Erkenntnis der Ökonomie sondern ergibt sich zwingend aus den Grundrechenarten. Wenn A an B mehr Waren verkauft als B an A, dann muss B bei A Geld leihen um das mehr an Waren zu bezahlen. Zu jedem Export- gehört auch ein Import-Weltmeister. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Griechenland sondern um die USA. Ist aber egal, Imperien dürfen das, da nennt sich der Importüberschuss Tribut.

BuergeJoerg

19. August 2010 14:34

Der Artikel ist eine gute Beschreibung der Situation und des Dilemma in dem sich die sog. politischen Entscheidungsträger befinden.

Die zwei beschriebenen Auswege werden beide als nicht gangbar qualifiziert.

Das bringt mich zur Überlegung, wie es zu einer solch verzwickten Situation überhaupt kommen konnte.

Daß die damals verantwortlichen Personen die Fehler im System nicht kannten, werden wohl die Wenigsten hier glauben. Demnach ist man also sehenden Auges in die heutige Situation eingetreten.

Warum? Nun - folgt man der These, daß in der Politik nichts zufällig geschieht, so scheint es für die Beteiligten ein Drehbuch zu geben.

Wenn wir sie nun an ihren Taten/Früchten messen - wo stehen wir dann heute? Die Schlagwörter unserer Politiker lassen es erahnen:

- europäische Ratingagentur
- europäische Wirtschaftsregierung
- europäische Steuern
- europäische Armee

usw.

Tja - das hat schon was - man schafft ein Problem und präsentiert gleichzeitig die Lösung, die da heißt: Zentralismus in Europa.

Es werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Die Hochfinanz wird bedient und der Supranationalstaat Europa wird weiter ausgebaut.

Stramm nach Drehbuch......

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