Soldat sein

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

pdf der Druck­fas­sung aus Sezes­si­on 35 / April 2010

von Andre­as Krau­se Landt

Es ist wohl­tu­end und lehr­reich glei­cher­ma­ßen, die­ses Buch über den Ers­ten Welt­krieg zu lesen, das sich jeder rück­wärts­ge­wand­ten Pro­phe­tie ent­hält. Es läßt der Sub­jek­ti­vi­tät der dama­li­gen Sol­da­ten den denk­bar größ­ten Raum: Wer fragt, muß auch zuhö­ren. 135 Kriegs­teil­neh­mer hat der Ver­le­ger Wolf-Rüdi­ger Osburg in den Jah­ren 1989 bis 1992 befra­gen kön­nen. Meist waren sie ein­fa­che Sol­da­ten, höher als zum Ober­leut­nant hat kei­ner die­ser Män­ner auf­stei­gen kön­nen. Ein­mal mehr stellt man fest, daß die Erin­ne­rung alter Men­schen des­to prä­zi­ser wird, je wei­ter die Ereig­nis­se zurück­lie­gen, je mehr sie Kind­heit und Jugend zuge­hö­ren, erst recht, wenn es sich um die­se Jugend han­delt, in der mit uner­hör­ter Gewalt ein jahr­hun­der­te­al­tes dörf­lich und stän­disch gepräg­tes Leben von einem Tag auf den ande­ren zu Ende ging. Wer nach Lübeck zie­hen woll­te, brauch­te in der Stadt drei Bür­gen, eine arme Fami­lie schick­te die vier­zehn­jäh­ri­gen Kin­der mit einem Bün­del auf dem Rücken ins Leben hin­aus. Unter zwei Begrif­fe war man gestellt, die auch das Kriegs­er­leb­nis struk­tu­rier­ten: Selbst­ver­ant­wor­tung und Schick­sal, bei­des für die Heu­ti­gen nahe­zu Fremd­wor­te. Man muß­te was kön­nen und jeman­den ken­nen, zu Hau­se wie an der Front, um durch­zu­kom­men. Und min­des­tens so quä­lend wie der Kugel­ha­gel waren Unge­zie­fer, schlech­te Ernäh­rung, spar­ta­ni­sche Ausrüstung.
Osburg hat die Inter­view­pas­sa­gen the­ma­tisch geord­net, die Anla­ge des Buches erin­nert an Kem­pow­skis Echo­lot. Die ein­zel­nen Abschnit­te hat er mit zurück­hal­ten­den Ein­lei­tun­gen ohne Vor­wurf und Res­sen­ti­ment ver­se­hen – eine kost­ba­re Leis­tung ange­sichts der manich­äi­schen Hys­te­rien unse­res öffent­li­chen Gedächt­nis­ses. Aus der Zusam­men­schau ergibt sich ein erstaun­lich homo­ge­nes Bild, das ver­mut­lich glaub­wür­di­ger ist als vie­les, was uns die Aus­ga­ben der mit lau­ter Rück­sich­ten ver­faß­ten Feld­post­brie­fe erzäh­len, die in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten erschie­nen. Statt blut­rüns­ti­ger Kriegs­be­geis­te­rung dia­gnos­ti­ziert Osburg für den Som­mer 1914 zum Bei­spiel viel nai­ve Aben­teu­er­lust, die sich aus den Wan­der­vo­gel­er­leb­nis­sen speis­te. Frei­lich, den Tat­sa­chen des gro­ßen Mor­dens konn­te sich bald dar­auf kaum einer ent­zie­hen. Aber es war Krieg, ein Mor­den, aber ohne Mör­der, und da fan­gen die Fra­gen erst an. Auch der Titel ist wei­se gewählt: Hineingeworfen.

(Wolf-Rüdi­ger Osburg: Hin­ein­ge­wor­fen. Der Ers­te Welt­krieg in den Erin­ne­run­gen sei­ner Teil­neh­mer, Ber­lin: Osburg Ver­lag 2009. 525 S. mit zahlr. Abb., 29.90 € )

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