KR ohne Mann

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

von Karlheinz Weißmann

Armin Mohler hat einmal Thomas Mann in Vergleich zu Charles Maurras gesetzt und geäußert, daß Mann das Zeug gehabt hätte, der bedeutendste Vertreter der literarischen Rechten in Deutschland zu werden, aber er habe sich dagegen entschieden; das sei ein Verlust für die Rechte, aber ein Gewinn für die Literatur gewesen; Maurras habe in Frankreich den umgekehrten Weg eingeschlagen: ein Gewinn für die Rechte, aber ein Verlust für die Literatur.

Moh­ler bezog sich vor allem auf den Mann der Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen, jenes zuerst 1918 erschie­ne­nen Buches, das der Autor spä­ter zu kor­ri­gie­ren, dann ver­ges­sen zu machen such­te, als er auf die Sei­te der libe­ra­len Demo­kra­tie über­ge­gan­gen war, das ihn aber unter die Geburts­hel­fer der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on stellt. In sei­nem Kom­men­tar zu den Betrach­tun­gen, der jetzt als Band 13 der Gro­ßen Frank­fur­ter Aus­ga­be von Manns Wer­ken erschien, hat Her­mann Kurz­ke nicht nur Sei­te für Sei­te die Anspie­lun­gen, die Zita­te, Über­nah­men und Exzerp­te erläu­tert, son­dern auch die Ent­ste­hungs­und Wir­kungs­ge­schich­te des Buches rekonstruiert.
Das Wer­den des Buches zu klä­ren, war um so schwie­ri­ger, als Mann sei­ne Tage­bü­cher aus der Zeit des Ers­ten Welt­kriegs wäh­rend der Jah­re im ame­ri­ka­ni­schen Exil ver­brannt hat und Kurz­ke auf Brie­fe, die erhal­te­nen Tei­le der Biblio­thek und Rück­schlüs­se aus dem Inhalt ange­wie­sen war. Was er zu Tage för­dert, ist im ein­zel­nen wenig über­ra­schend, etwa die Men­ge direk­ter oder indi­rek­ter Bezug­nah­men auf Nietz­sche oder Taine, Dos­to­jew­ski oder Lag­ar­de, Car­lyle oder Hegel, die Bedeu­tung der kon­ser­va­ti­ven Tages­pres­se, der Süd­deut­schen Monats­hef­te oder der Trak­t­at­li­te­ra­tur und die Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der alle Topoi der »Ideen von 1914« vor­kom­men. Erstaun­li­cher schon, in wel­chem Maß sich Mann bei ande­ren Autoren bedient hat, wie vie­le aus­ge­spro­chen glän­zen­de For­mu­lie­run­gen eigent­lich nicht auf ihn selbst zurück­ge­hen. Sol­che Unselb­stän­dig­keit macht sich auch im welt­an­schau­li­chen Kern bemerk­bar, und man wird ange­sichts des­sen, was Kurz­ke anführt, sei­nem Urteil kaum wider­spre­chen: »So stellt Tho­mas Mann sich zwar in die Tra­di­ti­on des kon­ser­va­ti­ven Den­kens, kennt aber deren klas­si­sche Tex­te (Bur­ke, Gentz, Toc­que­ville) und Gegen­tex­te (Rous­se­au, Robes­pierre, Proudhon) nicht oder nur mar­gi­nal und sekundär.«
Was die Kom­men­tie­rung der Betrach­tun­gen und die Dar­stel­lung ihrer Ent­ste­hungs­ge­schich­te angeht, hat Kurz­ke eine gül­ti­ge, in ihrer Gelehr­sam­keit beein­dru­cken­de Arbeit vor­ge­legt. Auch das längst aner­kann­te Bild des poli­ti­sie­ren­den Schrift­stel­lers Mann, der sich sei­ner Sache nie ganz sicher war, mit sei­ner schar­fen Absa­ge an den »Zivi­li­sa­ti­ons­li­te­ra­ten« doch auch sich selbst mei­nen muß­te und das iro­nisch wie­der zurück­nahm; der mit der Deka­denz koket­tier­te, wenn er an ihr litt, wird kaum zu bestrei­ten sein. Aber es gibt bei Kurz­ke eine Nei­gung, die­se Aspek­te über­zu­be­to­nen und Mann auch da poli­tisch nicht ernst­zu­neh­men, wo er es ver­dient hät­te, oder genau­er: wo sei­ne Umwelt der Mei­nung war, daß er ernst­ge­nom­men wer­den muß­te und er den Ver­lauf der poli­ti­schen bezie­hungs­wei­se meta­po­li­ti­schen Debat­te mit­be­stimm­te. Die­ses Defi­zit hat zu tun mit einer par­ti­el­len Wahr­neh­mungs­schwä­che Kurz­kes im Hin­blick auf die Rezep­ti­on der Betrach­tun­gen. Er kennt offen­bar einen Teil der Quel­len nicht oder nicht genau genug, die hät­ten her­an­ge­zo­gen wer­den müs­sen, vor allem die Zeit­schrif­ten der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on. Das Bild der Dis­kus­si­on in den Zir­keln der alt­und neu­rech­ten Intel­li­genz, das er zeich­net, hät­te dadurch ergänzt, teils kor­ri­giert wer­den kön­nen. Die Wir­kung der Betrach­tun­gen war jeden­falls nicht epi­so­disch. Sie ist auch nicht mit einem Ver­weis auf den Wider­wil­len von Adolf Bartels zu erle­di­gen, wie Kurz­ke nahe­legt. Die Ent­täu­schung über den »gewen­de­ten« Tho­mas Mann, den man zum eige­nen Lager gerech­net hat­te, wirk­te lan­ge nach. Das von Kurz­ke her­an­ge­zo­ge­ne Mate­ri­al ist dafür nicht reprä­sen­ta­tiv, wohl aber die Erbit­te­rung und Ent­täu­schung eines so rabia­ten Bür­ger­fein­des und Natio­na­lis­ten wie Fried­rich Georg Jün­ger, der noch 1928 (in einer Rezen­si­on des Zau­ber­bergs) mit dem Gesin­nungs­wan­del haderte.
Das Bemü­hen, die Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen zu mar­gi­na­li­sie­ren, als eine Art Fehl­tritt und für uner­heb­lich zu erklä­ren, ent­spricht Wün­schen der Mann-Ver­eh­rer wie der Mann-Ver­äch­ter. Die einen hät­ten ihn am liebs­ten nur als Schrift­stel­ler, die ande­ren sehen in ihm einen vater­lands­lo­sen Gesel­len, den, wenn sonst nichts, dann sei­ne Rund­funk­bei­trä­ge für die Alli­ier­ten wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs rich­ten. Aber so ein­fach kann man es sich mit die­sem Autor und den Betrach­tun­gen nicht machen. Um noch ein­mal auf die Par­al­le­le Mann-Maur­ras zu kom­men: David Levy schrieb, nie­mand kön­ne von sich sagen, daß er zur Rech­ten gehö­re, wenn er nicht bei der Lek­tü­re von Maur­ras regel­mä­ßig das Emp­fin­den habe: »So ist es!« Das­sel­be lie­ße sich von der Lek­tü­re der Betrach­tun­gen sagen.

(Tho­mas Mann: Betrach­tun­gen eines Unpo­li­ti­schen. Gro­ße kom­men­tier­te Frank­fur­ter Aus­ga­be, Bd 13.1 (Text) und Bd 13.2 (Kom­men­tar), her­aus­ge­ge­ben, text­kri­tisch durch­ge­se­hen und kom­men­tiert von Her­mann Kurz­ke, Frank­furt a. M.: S. Fischer 2009. 644 + 781 S., in Kas­set­te, 80.00 €)

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