Deutschland, 1. September 2009

pdf der Druckfassung aus Sezession 32 / Oktober 2009

Brunnenfest im Nachbardorf. Ich war mit vier Kindern dort.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Die Klei­nen san­gen ein paar Kin­der­gar­ten­lie­der vor und mach­ten Fin­ger­spie­le. Die Alten tran­ken der­weil und dämpf­ten kei­nes­wegs ihre Stim­men. Der Auf­tritt war ein gut­ge­mein­ter Rein­fall, man kennt das nicht anders, und es wird sich nächs­tes Jahr wiederholen.

Auch ich zwit­scher­te einen, drei Bier unter pral­ler Son­ne, und es ist erstaun­lich, wie das Sprö­de und das Ego­zen­tri­sche abfal­len, wenn man so trinkt: Fün­fe sind dann immer gera­de und Ein­zug hält jene Selig­keit, die mit dem Prä­fix Bier- eines der Schlüs­sel­wor­te zum Ver­ständ­nis der deut­schen See­le ist. Man bil­det spon­tan einen Ver­ein, klärt offe­ne Fra­gen im Hand­um­dre­hen und schlürft die Ver­füh­rung jenes Ur-Kom­mu­nis­mus, den es nur am Stamm­tisch gibt: Übers Jahr gerech­net, glei­chen sich die Run­den aus, es bezahlt ein­fach, wer gute Lau­ne hat oder ein biß­chen auf­trump­fen möchte.

– – –

So war es neu­lich auch an dem See, der ab 17.00 Uhr nur noch 1 Euro Ein­tritt kos­tet und an dem es neben einer Rut­sche und einem Was­ser­tram­po­lin auch einen Kiosk gibt. Die­ser Stütz­punkt ist so ange­legt, daß man wäh­rend des Ver­zehrs die Kin­der beob­ach­ten kann, die im Was­ser spie­len oder im schlam­mi­gen Sand Löcher gra­ben. Man ist nie allei­ne am Aus­schank, son­dern kommt rasch ins Gespräch. Dies­mal erhielt ich von einem Karl eine Fla­sche Ur-Kros­tit­zer in die Hand gedrückt – mein Lieb­lings­bier, das den behelm­ten Gus­tav Adolf zeigt.
»Also dann!«, sag­te Karl.
»Gleich­falls!«, sag­te ich. Wir tran­ken. Karl betrach­te­te das Fla­schen­eti­kett und war zufrie­den. »Mein Bier«, sag­te er. »Ich mag den Adolf, und ich sag dir jetzt mal was: Ich glau­be, der hat hier auch schon gebadet.«
»Meinst du?«
»Hun­dert­pro­zen­tig. Er hat Quer­furt bela­gert, und dann ist er wie­der Rich­tung Mer­se­burg abge­zo­gen. Da muß er hier vor­bei, das hat er sich nicht ent­ge­hen lassen.«
»Aber das hier«, sag­te ich, »ist ein Baggersee.
Wir tran­ken still wei­ter. Ein Motor brüll­te auf. Seit Wochen wur­de am ande­ren Ufer gebag­gert. Das ist ver­wun­der­lich, denn auf die ande­re Sei­te darf man noch nicht ein­mal schwim­men, der sel­te­nen Vögel wegen. Und tat­säch­lich: Ein Fisch­rei­her erhob sich, schwang sich auf eine Trau­er­wei­de und schau­te dem Bag­ger zu. Nach einer Wei­le strich er ab und ver­schwand in Rich­tung Bundesstraße.
Karl schau­te auf die Tisch­plat­te, dann schau­te er mich an und sagte:

Die fischer über­lie­fern das im süden
Auf einer insel reich an zimt und öl
Und edlen stei­nen die im san­de glitzern
Ein Vogel war der wenn am boden fußend
Mit sei­nem schna­bel hoher stäm­me krone
Zer­pflü­cken konn­te – wenn er sei­ne flügel
Gefärbt wie mit dem saft der Tyrer-schnecke
Zu schwe­rem nied­rem flug erho­ben: habe
Er einer dunk­len wol­ke gleichgesehn.
Des tages sei er im Gehölz verschwunden
Des abends aber an den strand gekommen
Im külen win­des­hauch von salz und tang
Die süße stim­me hebend daß delfine
Die freun­de des gesan­ges näher schwammen
im meer voll gold­ner federn gold­ner funken.
So habe er seit urb­ginn gelebt
Geschei­ter­te nur hät­ten ihn erblickt.
Denn als zum ersten­mal die wei­ßen segel
Der men­schen sich mit güns­ti­gem geleit
Dem eiland zuge­dreht sei er zum hügel
Die gan­ze teu­re stät­te zu beschaun gestiegen
Ver­brei­tet habe er die gro­ßen schwingen
Ver­schei­dend in gedämpften
schmerzeslauten.

Am Kiosk ging die klei­ne Glo­cke. Karl beug­te sich weit nach hin­ten und krieg­te sei­ne Pom­mes zu fas­sen. Er schob sich gleich wel­che in den Mund und rück­te die Scha­le in die Mit­te des Tisches, damit ich auch zugrei­fen konnte.
»Ist von Geor­ge«, sag­te er. »Der Herr der Insel.«
»Das Lieb­lings­ge­dicht von Gus­taf Adolf«,
sag­te ich. Wir tran­ken noch eins, und dann sam­mel­ten wir unse­re Kin­der ein.

– – –

Nach dem Abend­brot und den Gute-Nacht-Geschich­ten setz­te ich mich in den Gar­ten und las in der Zei­tung einen neu­er­li­chen Arti­kel über John Dem­jan­juk, den 90jährigen Ukrai­ner, der in Mün­chen in einer Zel­le sitzt. Nach der Lek­tü­re blieb ich rau­chend noch eine Wei­le sit­zen, um nach­zu­den­ken. Es ist nun so, daß man in Deutsch­land auf Mes­sers Schnei­de tanzt, wenn man laut über einen nach­denkt, der sei­nen Wach­dienst in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern abge­leis­tet hat. Aber man muß über sol­che Leu­te nach­den­ken, also auch in Deutsch­land über John Demjanjuk.

Er wur­de von den deut­schen Besat­zern aus einem Gefan­ge­nen­la­ger her­aus rekru­tiert und als Wär­ter in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern Sobi­bor und – wohl – Flos­sen­bürg ein­ge­setzt. Er wur­de nach dem Krieg in Polen frei­ge­spro­chen, emi­grier­te in die USA, wur­de ein­ge­bür­gert, wie­der aus­ge­bür­gert, an Isra­el über­stellt, dort zunächst mit einem Wär­ter namens »Iwan, der Schreck­li­che « ver­wech­selt, zum Tode ver­ur­teilt und nach Archiv­fun­den in Mos­kau wie­der frei­ge­spro­chen. Er kehr­te in die USA zurück, wie­der­um ein­ge­bür­gert, ver­lor aber 2002 sei­ne Staats­an­ge­hö­rig­keit erneut und kämpf­te seit­her gegen sei­ne Aus­lie­fe­rung – nach Deutschland.

Die Staats­an­walt­schaft in Mün­chen hat Ankla­ge wegen Bei­hil­fe zum Mord in 29.000 Fäl­len erho­ben: Das ist die ermit­tel­te Zahl derer, die in Sobi­bor ihr Leben lie­ßen, wäh­rend Dem­jan­juk dort sei­nen Dienst ver­sah – neben vie­len ande­ren. Dem­jan­juk aber eig­net sich nun ein­mal auf­grund der vor­ma­li­gen Ver­wechs­lung mit »Iwan« dazu, der Schluß­jagd gegen das abso­lu­te Böse ein Gesicht zu geben. Und so wird ihm nun in Mün­chen der Pro­zeß gemacht. Der hol­län­di­sche Straf­rechts­leh­rer Chris­tia­an van Rüter nennt ihn »den kleins­ten der klei­nen Fische«, der Pro­zeß gegen die­sen 89-jäh­ri­gen Hilfs­wil­li­gen (»Traw­ni­ki « nann­te man sie) ist also ein Griff nach dem unters­ten Ende der Befehlskette.

Wem machen wir Deut­schen den Pro­zeß, wenn wir Dem­jan­juk ankla­gen? Wir ver­han­deln über eine Mög­lich­keit in uns selbst. Das ist kein neu­er Gedan­ke, aber es ist einer, der in Ver­ges­sen­heit gerät, wenn Gut und Böse so klar geschie­den schei­nen wie in sol­chen Fäl­len – oder aber, wenn wir uns mit einem Hecht­sprung auf die Sei­te der Guten ret­ten kön­nen. Und doch müs­sen wir uns fra­gen, ob wir als halb­ver­hun­ger­ter Ukrai­ner den Stroh­halm des Ent­kom­mens aus dem deut­schen Kriegs­ge­fan­ge­nen­la­ger nicht auch ergrif­fen hät­ten – für den Preis des Diens­tes in der deut­schen Armee, die immer­hin zunächst als der Befrei­er vom Bol­sche­wis­mus wahr­ge­nom­men wur­de. Wir müs­sen uns auch fra­gen, ob wir es für uns aus­schlie­ßen kön­nen, daß auch wir die Türe eines Vieh­wag­gons geöff­net oder die zu einem Kel­ler­raum wie­der ver­rie­gelt hät­ten, wenn es uns befoh­len wor­den wäre. Und wer hät­te das Gewehr sin­ken las­sen und sich selbst an die Gru­be gestellt?

Wir müs­sen Dem­jan­juk (die­sen kleins­ten der klei­nen Fische) auch ver­glei­chen mit den im Irak fol­tern­den US-ame­ri­ka­ni­schen Offi­zie­ren, von denen Oba­ma sagt, daß er sie nicht preis­ge­ben oder ankla­gen wer­de: Denn sie täten nur ihre Pflicht, führ­ten nur Befeh­le aus. Ist die ein­ge­hen­de Beschäf­ti­gung mit den Fin­gern, Gelen­ken, Hoden eines ein­zel­nen Gefan­ge­nen und die zuvor gründ­li­che Aus­bil­dung des Ver­hö­rers über­haupt ver­gleich­bar mit den Hilfs­diens­ten eines ukrai­ni­schen Kerls, der durch­kom­men woll­te? Hät­te sich der ame­ri­ka­ni­sche Offi­zier auf die Fol­ter­bank geschnallt gese­hen, wenn er sich dem Befehl ver­wei­gert hätte?

Man kann nicht ein­fach sagen: Laßt die unte­ren zehn Meter der Befehls­ket­te in Ruhe, sie hat das alles mit sich sel­ber aus­zu­ma­chen – ges­tern wie heu­te. Ich glau­be nicht, daß die aus den Zucht­häu­sern zur Ein­satz­grup­pe »Dir­le­wan­ger « abkom­man­dier­ten Kri­mi­nel­len nach dem Krie­ge vor Ent­set­zen über ihr Trei­ben wäh­rend der Aus­räu­che­rung des War­schau­er Auf­stan­des im Spät­som­mer 1944 erstarrt sind. Es ist so leicht, sich auf Befeh­le zu beru­fen. Wo also wäre ein Maß­stab? Ich habe das dump­fe Gefühl, daß es nur im prak­ti­schen Voll­zug einen gibt – nur vor Ort. In der Theo­rie des Sie­gers (und im Nach­hin­ein) geschieht und geschah das Schreck­lichs­te mit der bes­ten Begrün­dung. Es ist ein Alp­traum, daß Deutsch­land sei­nen Vor­sprung als besieg­te Nati­on nicht nutzt: Wehr­los wenigs­tens unver­blümt zu sagen, was war und was ist.

– – –

Sol­cher­ma­ßen schwer­mü­tig-hilf­los über­rasch­te mich ein Besu­cher, der im Gar­ten auf­tauch­te, in der Hand eine Fla­sche Weiß­wein von einer Rebe, die ich bis­lang nicht kann­te: Höl­der, zu Ehren Höl­der­lins in den 50er-Jah­ren gezüch­tet, und heu­te noch auf gan­zen 7 Hekt­ar in Deutsch­land angebaut.

Ich hol­te Glä­ser, er zog die Fla­sche auf, schenk­te ein und sag­te, wäh­rend wir leicht anstie­ßen: »Heu­te auf den Frie­den.« Im sel­ben Moment stach mich der Hafer.

»Nein, heu­te gera­de nicht«, erwi­der­te ich. »Heu­te auf den raschen Sieg, den Blitzkrieg!«
Mein Gast sah mich an.
»Ja«, sag­te ich sehr auf­müp­fig, »die­se über­wäl­ti­gen­de Zusam­men­set­zung aus Kön­nen und Arro­ganz, die­ser schnel­le Schnitt, was hast Du dage­gen?« Und ich trank. »Haben wir erfunden.«

Mein Gast kipp­te sei­nen Höl­der neben den Tisch und stand auf: »Auch Du wirst noch höf­lich irgend­wann – und bescheiden.«

Ich warf ihm sein Glas nach und schrie: »Und es spart Blut, wenn man rasch gewinnt, dar­an hast Du noch nicht gedacht, oder?«
Ich hör­te die Auto­tür schla­gen und den Wagen vom Hof rollen.

Ich trank allei­ne weiter.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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